„Eigentlich wollte ich nicht nach Hannover“, eines der ungewöhnlichsten Liebeslieder der deutschen Popmusik, von Bernd Begemann, war letztes Jahr so etwas wie das Motto unserer Fahrt auf das BootBooHook-Festival in der niedersächsischen Hauptstadt.
Mit
Atmosphäre, sympathischer Ausstrahlung und einem Line-Up, das auf
deutschen Festivals – mit ganz wenigen Ausnahmen – seinesgleichen
sucht, verzauberte mich das BootBooHook, in großen Teilen ins Leben
gerufen vom Hamburger Indie-Label Tapete
Records und
dem lokalen Kulturzentrum Faust,
in jeder Hinsicht. Während Festivals in der Regel mit jeder Menge
Stress und Ärger verbunden sind, spürte man im Kronsbergpark, auf
dem einst die Expo stattfand, zu keiner Zeit etwas anderes als
Entspannung und Begeisterung über perfekte Rahmenbedingungen.
Schon im August freute ich mich auf das nächste, auf dieses Jahr.
Doch es wird keine Neuauflage geben, die BootBooHook GmbH musste
gestern Insolvenz anmelden, Deutschland verliert sein schönstes
Festival – und das blasse Hannover ein – nicht nur popkulturelles
– Aushängeschild.
Nachdem es mehrere Auflagen auf dem Faust-Gelände im Stadtteil
Linden gab, musste man aus verschiedenen – durchweg
nachvollziehbaren – Gründen eine neue Veranstaltungsfläche
finden.
Der Kronsbergpark eignete sich hervorragend, Platz en masse, ein natürliches Flair und eine gute Verkehrsanbindung. Eigentlich
stimmte alles, nur nicht die Besucherzahlen. Hier und da hörte man
im vergangenen Jahr den ein oder anderen in unangemessener Wortwahl
Kritik am notwendigen Umzug äußern. Nach dem Motto „Früher
war alles besser“, gab man der dreitägigen Veranstaltung mit
der niedlichen Eule als Maskottchen keine wirkliche Chance.
Dabei
arbeiteten alle Verantwortlichen mit akribischer Leidenschaft am
Gelingen des BootBooHooks: Unvergessen in Erinnerung wird mir Dirk
Darmstaedter, Labelchef und
Mitveranstalter, bleiben, der fröhlich lächelnd das Programmheft
mit den grandiosen Bandbeschreibung Francesco Wilkings
verteilte. Guter Laune, obwohl
damals wohl schon klar war, dass das BootBooHook-Festival 2012 ein
finanzieller Misserfolg war, zeigte sich der ehemalige Frontmann der
Jeremy Days
stellvertretend als Gesicht dieses Festivals, dieses Dockvilles
in gut.
Ich
bin beschämt, lese ich in Kommentaren auf der Facebook-Seite des
Festivals, man habe sich übernommen, hätte ein klassisches
Indie-Festival kommerzialisiert. „Ausverkauf“,
skandieren da Leute, die sicherlich nur wegen der großen Namen auf
ein Festival fahren würden.
Es
waren die Kleinigkeiten, die das BootBooHook so liebenswert machten;
der Soul-Frühshoppen mit Carsten
Friedrichs
von Superpunk,
die nächtliche Silent
Disco oder
aufgestellte Liegestühle.
Jahr
für Jahr gelang es den Veranstaltern darüber hinaus ein
eindrucksvolles Programm zusammenzustellen. Die hochklassigen Acts
aus dem Tapete-Kosmos treffen auf etablierte Künstler wie Tocotronic
oder Of Montreal,
die im vergangenen Jahr einen exklusiven Festivalauftritt lieferten.
Aufstrebende Acts wie die Japandroids,
Raritäten wie Palais
Schaumburg...
Das letzte Deutschland-Konzert Superpunks...Kritikerlieblinge wie Ja, Panik, Dear Reader, Jens Friebe und Locas in Love. Angesagte Bands der
Stunde wie Me And
My Drummer oder
Headliner BOY.
Welches Festival beweist in Deutschland - abgesehen vom PhonoPop, Haldern Pop oder Maifeld Derby - einen derart exquisiten
Geschmack? Dieses Jahr hätten internationale Größen wie Maximo Park und Black Rebel Motorcycle Club auftreten sollen, vielversprechende Newcomer wie Lukas Graham oder Jacco Gardner, die Supergroups Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen und Die höchste Eisenbahn.
Es hat nicht sollen sein. Der Vorverkauf blieb weit hinter seinen
Erwartungen zurück, doch den Veranstalter trifft keine Schuld.
Festivals in Deutschland und Europa boomen, entwickeln sich zu
gigantomanischen Massenevents. Rock am Ring, Hurricane, Southside,
Wacken. Die großen Namen vermeldeten den frühzeitigen Ausverkauf.
In jeder Hinsicht. Nach der letzten Ausgabe stand mit Oma's Teich in
Ostfriesland ein klassisches Indie-Festival vor dem Aus. In England
wurde das hochkarätige Hop Farm Festival wegen kläglichen
Vorverkaufszahlen abgesagt. Die Tendenz ist erschreckend und sollte
nachdenklich machen. Das BootBooHook kann hier stellvertretend für
den verzweifelten Versuch in eine zu schnell wachsende Branche mit
dem Augenmerk auf qualitative Musik, auf die Künstler zu
entschleunigen. Dass dieser Kampf verloren ging, ist so alarmierend
wie traurig.
Ich bleibe ratlos zurück, kann das Ende immer noch nicht fassen.
Eigentlich reizte mich Hannover tatsächlich nie. Für das
BootBooHook wäre ich trotzdem immer wieder gerne gekommen.
Einen
Tag nach dem Ende kann ich nur mein Bedauern, meine Trauer
aussprechen, mich für die Leidenschaft, die Arbeit mit Herzblut
bedanken. Danke Heiko Heybey, Danke Dirk Darmstaedter, Gunther Buskies, Danke Tapete Records!
Jedem, der das Festival besuchte, bleibt es unvergessen. Wer letztes Jahr dabei war, weiß, dass der Umzug nur ein finazieller Fehltritt war, der der Qualität aber keinen Abbruch tat.
Ihr wart großartig!
* Bilder vom BootBooHook 2012
2 Kommentare :
Spricht mir voll aus dem Herzen. Danke für diesen schönen Text, der noch mal ein paar bereits verblassende Erinnerungen wachgerufen hat (z. B., dass Dirk Darmstaedter selbst die Programme verteilt hat, hatte ich total vergessen). Es ist wirklich unglaublich traurig, dass ausgerechnet dieses Festival so scheitern muss. Ich war die letzten drei Jahre dort, und es war jedes Mal grandios.
Unterschreibe ich jedes Wort. Und ganz besonders das:
"Das BootBooHook kann hier stellvertretend für den verzweifelten Versuch in eine zu schnell wachsende Branche mit dem Augenmerk auf qualitative Musik, auf die Künstler zu entschleunigen. Dass dieser Kampf verloren ging, ist so alarmierend wie traurig."
Ich habe das BootBooHook erst letztes Jahr kennen und direkt lieben gelernt. Was für ein tolles, liebenswertes Indie-Festival in der Nachbarschaft (komme aus dem Nordwesten), dachte ich mir! Was für eine Scheiß, dass mein erstes auch mein einziges BBH war.
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