Konzert: Gossip
Ort: Le Petit Bain, Paris
Datum: 20.09.12
Zuschauer: etwa 400
Konzertdauer: ungefähr 65 Minuten
Der veranstaltende Radiosender RTL 2 versprach ein concert "très très prive" und bewies damit Fantasie.
Kann man privat steigern? Privat, sehr privat, sehr sehr privat? Wieviel "sehr" müsste man vor das privat setzen, um damit auszudrücken, daß man mit Beth Ditto ins Bett darf? Nun, ja, so privat wurde es dann auch nicht. Zumal es auch andere Leute gab, die einen Platz für dieses Konzert ergattert hatten. Karten konnte man nicht kaufen, sondern nur gewinnen. Natürlich hatte ich bei dem Gewinnspiel nicht mitgemacht, so etwas tu' ich nicht. Aber ein Freund von mir reichte mir freundlicherweise sein zweites Einladungskärtchen weiter und so befand ich mich gegen 21 Uhr auf dem äußerst modernen Hausboot Le Petit Bain. Der Bungalow ähnliche Bau ist sehr zweckmäßig und puristisch gestaltet und wenn man drinnen ist, vergisst man glatt, daß man sich auf der Seine befindet. Bet Ditto scherzte später während der Show darüber, daß man auf einem "boat" sei. "Oh, we are on a boat" rief sie mehrfach freudig aus.
Bevor es losging, hatte man aber noch Zeit, ein Bier zum Aufwärmen zu trinken, auch um zu verdrängen, daß man sich zwischen musikalischen Laien befand, die in den meisten Fällen mit dem Werdegang von Gossip nicht vertraut waren. Bis auf meinen Kumpel kannte ich im Publikum keine Sau. Und wenn ich die Leute nicht kenne, dann gehen die nicht auf Konzerte. Egal, die Leute erwiesen sich zwar als etwas schickimicki, aber angenehm friedfertig und auch begeisterungsfähig. Es gab keine Schubsereien, kein unflätiges Gerämpel, keine Aggressionen und dies obwohl musikalisch ganz schön der Punk abging.
Um 21 Uhr 15 rockten Gossip nämlich das Haus, ähem das Boot und unterstrichen eindrucksvoll, daß sie eine formidable Band sind, die nicht zu unrecht so groß geworden ist. Gegen die Stimmgewalt der blendend gelaunten Beth Ditto war und ist einfach kein Kraut gewachsen, gegen das hämmernde hochexplosive Schlagzeugspiel der bunt tätowierten Hannah Blilie kommt kaum ein Typ an und auch der Bassist und der schnauzbärtige Gitarrist sind stark drauf. Es klang einfach alles sehr kompakt und auf den Punkt gespielt, was die vier optisch so grundverschiedenen Musiker da ablieferten. Da gab es kaum einmal Leerlauf oder Langeweile zu beklagen und die gute Stunde verging wirklich im Fluge.
Gossip rotzten einen funkig-souligen Indiestampfer nach dem nächsten raus, machten dabei aber immer einen sehr entspannten und souveränen Eindruck. Nie forcierten sie ihr Spiel, legten es auch nicht darauf an, nur Show zu machen. Im Gegenteil, Beth Ditto sang richtig gut und nuanciert, überstrapazierte ihre gewaltige Stimme nicht und holte nur in den entscheidenden Momenten den Presslufthammer raus. Bei den Überhits Heavy Cross und dem unverwüstlichen Standing In The Way Of Control brüllte sie sich natürlich die Seele aus dem Leib, aber ansonsten ließ sie es ruhiger und halsschonender angehen. Ein Spielen mit angezogener Handbremse war das trotzdem nicht, sondern nur Ausdruck der Relaxtheit der Band. Es wurde wahnsinnig viel gealbert und gelächelt, Witzchen mt dem Publikum ausgetauscht (teilweise auf französisch, in einem Falle sogar auf deutsch als Beth Ditto irgendwas von: "sie ist sehr klein" schwadornierte) und auch auf der Bühne geraucht, da interesssiert die Ditto einfach kein Rauchverbot.
In einer amüsanten Szene outete sich Beth als Wähler von Obama, behauptete aber, daß Hannah Blilie Romney wählen würde. Das war natürlich ein Scherz und womöglich dem Weißwein geschuldet, den die pfundige Sängerin trank (während Blilie hinten Kronenbouger Bier süffelte).
Überraschend für mich, daß auch die auf dem letzten Album A Joyful Noise etwas zahnlos klingenden Songs wie Move In The Right Direction oder Get Lost live deutlich fetziger und roher rüberkamen. Die richtigen Kracher waren aber dann letztlich doch die alten Sachen wie Love Long Distance, Listen Up und natürlich die bereits erwähnten Abräumer Heavy Cross und Standing In The Way Of Control.
Nach einer guten Stunde und zwei Liedern als Zugabe war die Show dann schließlich beeendet und alle hatten einen richtig guten Abend erlebt. Beth Ditto hatte sich zwar weder ausgezogen, noch war sie ins Publikum gekommen, aber die Rolle als sympathische und unarrogante Entertainerin stand ihr auch ausgezeichnet. Der Erfolg scheint Gossip nicht über den Kopf gewachsen zu sein, von Allüren gab es keine Spur.
Und um noch einmal auf den Eingangssatz zurückzukommen: so privat werde ich Beth Ditto zumindest in musikalischer Hinsicht wohl so schnell nicht mehr erleben, im November wird sie mit ihrer Band in Paris schon wieder in den großen Hallen spielen.
Setlist Gossip, Le Petit Bain, Paris, klick!
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