Konzert: Ladytron
Ort: Kraken, Stockholm
Datum: 31.05.2019
Dauer: gut 80 min
Zuschauer: vielleicht 500
Es ist irgendein einfacher psychologischer Effekt, daß die Dinge, die schwer zu bekommen sind, besonders attraktiv erscheinen. Da ich mich von solchen miesen Spielchen nicht austricksen lasse, war mir schon bewußt, daß ein großer Teil meiner Vorfreude auf Ladytron von der Knappheit bestimmt wurde. Es ist zehn Jahre her, daß die Band aus Liverpool zuletzt in Köln gespielt hat. Zwar gab es im vergangenen Herbst eine Tour in Großbritannien, für die ich Karten hatte, es funktionierte aber nicht. Das ist der Katalysator der Knappheit. Wenn etwas schon da war, aber wieder weggenommen wird, ist der Wunsch danach umso größer.
Über all diesen wirren Kram hatte ich ausgiebig nachdenken können, als ich vor der Tür des Kraken in Stockholm darauf wartete, daß der Einlass beginnen würde. Auf Ticket und Website stand 20 Uhr, ob Beginn oder Einlass war nicht auszumachen. Um kurz vor acht warteten eine Menge Menschen vor der unbeschrifteten Club-Tür. Das Kraken ist in der Nähe der Multifunktionshalle Globen und kommt komplett ohne Hinweis-Schilder aus. Es dauerte eine Weile, bis man uns mitteilte, daß es das erste Konzert der Tour sei und Ladytron gerade noch soundcheckten. Als den Kraken-Leute klar wurde, daß aus "in ein paar Minuten" locker eine Stunde wurde, bekamen wir alle einen Roulette-Jeton in die Hand gedrückt, der ein Getränk bedeutete (bei den Alkoholpreisen in Schweden eine sehr großzügige Geste).
Das Kraken ist ein sehr stylisher aber auch ein wenig merkwürdiger Club. Er ist - so wirkt es - ins Erdgeschoß eines normalen Bürogebäudes gepackt worden. Es gibt Fensterfronten und ganz viele Winkel, aus denen man die Bühne nicht sieht. Die Fläche des Clubs ist riesig, vermutlich für 1.000 Zuschauer ausgelegt, ein guter Teil von denen sähe dann aber nichts.
Ladytron haben bewegte Jahre hinter sich. Das Nachfolgealbum von Gravity the Seducer sollte ursprünglich bereits 2013 erscheinen, wurde aber erst 2018 konkreter, als die Band aus Liverpool ankündigte, ihre sechste Platte über PledgeMusic zu finanzieren. Die Finanzierungsziele wurden schnell erreicht, erste Teile der Pakete ausgeliefert. Bei mir steckte da schon ein wenig der Wurm drin. Die erste Single The animals, die Teil meines Bundles war, erreichte mich nie. Irgendwann kam die Single The island und mit ihr der Hinweis, daß es die zweite Auskopplung sei. Nach Nachfrage beim Logistikdienstleister von PledgeMusik versicherte der mir, The animals neu rauszuschicken. Ich erhielt noch einmal The island. Also schrieb ich ein neues mail, fragte, ob ich die doppelte Single zurückschicken solle und bekam kurz danach ein Päckchen mit... The island (3). Die Geschichte ist pointenlos, denn eine Woche später kam auch The animal endlich an.
Ob ich damit eine Mitschuld am Zusammenbruch von PledgeMusik habe, weiß ich nicht. Kurz vor dem geplanten Veröffentlichungstermin von Ladytron erklärte der kräftig wackelnde Finanzierer, man stehe in Verhandlungen mit der Musikindustrie, bald sei wieder alles prima. Am 1. Februar erschien das Album (auch Ladytron) dann digital bei PledgeMusic. Vor dem Versand (und in manchen Fällen der Produktion) der anderen Teile der von Fans gekauften und bezahlten Pakete brach PledgeMusic aber zusammen. Eine Woche nach der Veröffentlichung schrieb die Band ihre Fans an und teilte mit, daß sie erfahren habe, daß kein Versand mehr stattgefunden habe. Platten und Merch lagen in einem Versandhaus, der Dienstleister von PledgeMusic hatte auch kein Geld mehr bekommen.*
Stockholm...
Gegen 22 Uhr kam eine einzelne Frau auf die komplett von Keyboards und Synthesizern vollgestopfte Bühne. Roya aus Stockholm hatte den swedischen Indiemusik-Preis fürs Synthie-Album des Jahres gewonnen, langweilte mich aber ein wenig, obwohl sie nur 22 Minuten zu Liedern vom Band sang.
Um kurz nach elf wurde es ganz dunkel, das sollte bis auf einzelne Lichtblitze so bleiben. Ladytron kamen mit zwei Verstärkungen auf die Bühne, einem Drummer und der Glasgower Musikerin Sarah J Stanley (HQFU), die schon in Helen Marnies Band gespielt hatte.
Diese "Lichtblitze" waren Videoanimationen, die auf die Band projeziert wurden und die die einzige Bühnenbeleuchtung blieben. Dadurch hatten die beiden Sängerinnen Helen und Mira immer wieder große Schatten im Gesicht, ihre Kollegin und die drei Männer hinten waren meist komplett schattig. Zur kühlen elektronischen Musik von Ladytron passte diese einfache aber wirkungsvolle Nicht-Ausleuchtung perfekt, für Fotografen war es aber wohl kein so toller Abend.
Weil es so lange her ist, daß ich Ladytron einmal gesehen hatte, war ich gespannt, wie sehr mich die Musik, die ich auf Platte so liebe, live packen würde. Sie tat - und wie! Abseits der Lieder gibt es keinerlei Entertainment, keine großen Ansagen. Aber warum auch? Auf den sechs Alben der Liverpooler sind so viele Hits, da sind keine Ablenkungen nötig.
Natürlich spielte die Band vor allem Stücke von der aktuellen Platte Ladytron. Es hatte eine Weile gedauert, bis ich die mir erschlossen hatte, mittlerweile bin ich riesiger Fan und halte sie für gleichwertig den Vorgängern gegenüber. Dadurch entstand nie dieses Gefühl, daß es jetzt mal gut mit neuem Kram sei und ruhig ein paar alte Lieblinge kommen könnten. Die vier Singles der aktuellen Platte (The animals, The island (3)) sind eh Hits, vor allem The animals liebe ich abgöttisch.
Irgendwann nach knapp einer Stunde Konzert kündigte Helen ein weiteres neues Lied an. You've changed sollte das letzte Stück vom aktuellen Album sein. Der Rest sollte ein fast schon protziges Best-of werden. White elephant von Gravity the Seducer, dann Discotraxx (leider das einzige Stück von Debüt 604 - vielleicht könnte die Band deren 20. Geburtstag 2021 feiern?) und als Zugaben White gold, Seventeen und Destroy everything you touch. Wenn man so wenige Konzerte wie ich dieses Jahr sieht, ist es ein wenig albern, über Top-10s nachzudenken. Ladytron spielten aber definitiv ein Konzert, an das ich mich lange erinnern werde. Und das dazu führte, daß ich mich unendlich ärgere, nicht im vergangenen Herbst meinen Fanboy-Pflichten nachgekommen zu sein! Kommt nicht wieder vor!
Setlist Ladytron, Kraken, Stockholm:
01: Black cat
02: The island
03: Ghosts
04: Soft power
05: The animals
06: Paper highways
07: Deadzone
08: Runaway
09: Far from home
10: Fighting in built up areas
11: International dateline
12: You've changed
13: White elephant
14: Discotraxx
15: White gold (Z)
16: Seventeen (Z)
17: Destroy everything you touch (Z)
Links:
- Ladytron, Köln, 15.10.08
* Erst Monate später sollten Ladytron dieses Problem lösen, indem sie ihre Fans baten, noch einmal Porto zu zahlen, nachdem die Frage des Eigentums der eingelagerten Produkte geklärt war. Mein Vinyl (und CD und Kassette) kamen dieser Tage bei mir an. Die ebenfalls angekündigte DVD des Konzerts im Astoria, das auf Vinyl erschienen ist, wurde von PledgeMusic nie produziert.
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