Konzert: Haldern Pop Festival 2019
Ort: Rees/Haldern
Datum: 08.08.-10.08.2019
Dauer: 3 Tage
Zuschauer: ca.7000 ausverkauft
Was für eine großartige Ausgabe des Haldern Pop Festivals in diesem Jahr. Nach gefühlt 2-3 etwas schwächeren Jahren, und immer mehr Konkurrenz durch ähnliche Veranstaltungen hat die "alte Dame" Haldern Pop in drei Tagen zu alter, voller Kraft gefunden.
Mehr noch, durch die jetzt schon bestätigten Absagen des "Open Source Festials", dem "Maifeld Derby" und des "Summers Tail Festivals", wird das Alleinstellungsmerkmal dieser Traditionsveranstaltung wieder gestärkt.
Doch auch ohne diese schmerzlichen Absagen konnte man wahrnehmen, wie sich der Wind auf dem Zeltplatz drehte (Der echte Wind war am Samstag ein anderes Problem). Noch nie sah ich so viele begeisterte Freunde von diversen Konzerten schwärmen, schon mittags wurde plötzlich zum Spiegelzelt oder der Pop Bar aufgebrochen, früher oft undenkbar.
In dieser bestechenden Form wird das Haldern Pop nach mittlerweile 36 Ausgaben fast zum "Last man standing" in der deutschen Festivalszene, zurecht.
Dabei gab es doch am Donnerstag immer schon so viel mehr zu erleben als perfekte Grillwürste und noch kaltes Bier. Die Kirche spielt zum Tanz auf, na ja Haldern wäre nicht Haldern, wenn es nicht auch etwas sperrig werden würde: Jeremy Dutcher, in seiner Heimat Kanada mit diversen Musikpreisen ausgezeichnet, bot nicht nur Musik, sondern brachte durch antike Samples von Tonaufnahmen auch die ganz alte Zeit zurück in das Gotteshaus.
Auf der Hauptbühne eröffnete wenig später Durand Jonas mit feinstem Soul, der uns auch in den weiteren Tagen immer wieder hier und da begegnen würde. Danach spaltete sich die Reisegruppe: Straßenmusiker singalong mit Publikumsanimation durch Gerry Cinnamon, oder die verrückten Derwische von The Chats im Niederrheinzelt (ja, es gab dieses Jahr noch ein siebte Bühne), oder der neue Hype aus England: Black Midi im Spiegelzelt.
Für mich war die Entscheidung klar. Und auch wenn ich das Gefühl hatte, die Band weiß selber nicht genau, was sie da gerade aufführt. Black Midi sind live ein Ereignis. Zu Hause auf dem Sofa ist diese Musik für viele sicher kaum vorstellbar, hier aber peitschten Riffs und Rhythmuswechsel durch das Zelt, ein 50-minütiger Trip, der einen wechselweise Pogo oder Walzer tanzen ließ. Ab und zu nur gab es eine Art Gesang, meistens waren es mehr stumpfe Schreie, die da durch Mikro schallten, ein verstörender Auftritt.
Andere Klänge beim Ausgang dann von der Mainstage. Kadaver, die bisher wohl einzige Band die in "Wacken" und auf dem Haldern Pop gespielt hat, zelebrieren ihren intensiven Rock, der auch hier überraschend gut angenommen wird. Das mir völlig unbekannte Robocobra Quartet bot danach innovativen Fusion-Jazz, der oft fordernd, aber trotzdem melodisch daher kam und die Zuschauer positiv verwirrte.
Die beiden letzten Bands des Abends boten dann Anlass zu großen, oft schon etwas bierseligen Diskussionen. Secret Act Giant Rooks und der Schweizer Faber sind halt nicht jedermanns Sache. Und jeder hatte seine eigene Meinung. Einerseits der schon fast zu perfekte Pop der Giant Rooks, die aber immer noch nicht einmal ein Album vorweisen können. Daneben die oft schwer erträgliche Pennäler Lyrik von Faber, dessen Band aber auf ganzer Linie überzeugen konnte.
Dazwischen konnte sogar Haldern untypisch das Tanzbein geschwungen werden. DJ Tereza übernahm das sich schnell füllende, aber etwas schmucklose Niederrheinzelt im Sturm. Als wäre das alles noch nicht genug an musikalischer Bandbreite für den ersten Tag, gab es dann noch ein Highlight im Spiegelzelt.
Das Moka Efti Orchestra hätte natürlich auch locker die Hauptbühne bespielen können, aber wie genial wirkte dieses Setting im romantischen Zelt. Jeder Musiker hatte wohl weniger Platz als die hoffentlich glücklichen Kühe im Halderner Stall, aber die Atmosphäre mit schon vorhandener Bettschwere war der perfekte Ausklang eines ersten Festivaltags.
Der Freitag startet mit kühlem Regen und vermiest einem den frühen Aufbruch ins Dorf zum jährlichen Plausch vor der Pop Bar, den ersten musikalischen Eindrücken sowie dem Pflichtkauf beim Bäcker: Pflaumenstreusel, dem leckersten seiner Art.
Zum Glück gibt es ja wieder die Kirche, in der nach einem klassischen Intermezzo von Cantus Domus die blutjunge Australierin Alex the Astronaut alleine an ihren Gitarren aufspielt. Mit ihrer unschuldigen Art und ihrem breiten Dauergrinsen, sowie ihrer lässigen Kleidung würde man eher ein Surfergirl in ihr sehen wollen. Musikalisch ist das Ganze genauso beschwingt und melodisch. Einen Witz auf Deutsch kennt sie auch schon. Ein schöner, fröhlicher Start in den Tag, mehr aber auch nicht.
Danach sollen die Damen von Gurr beim Crowdsurfen in der Pop Bar ?! fast aus dem Fenster gefallen sein, zuzutrauen ist es ihnen. Pünktlich zurück vor der Hauptbühne folgt das nächste Ritual. Die vier Jahreszeiten erklingen (leider ohne Hein Fokker in diesem Jahr) und fast immer lohnt sich der 1. Act der Hauptbühne besonders. So auch diesmal.
Der isländische Soulsänger Junius Meyvant betritt mit 2 jungen Bläsern die Bühne und zaubert seinen träumerischen Soulpop auf die Bühne. Das klingt beliebig und vielleicht langweilig, ist aber bei der Erscheinung und vor allem dem Songwriting von Meyvant ein Genuss.
Whitney und Charlie Cunningham verblassen für mich danach etwas auf der Hauptbühne, Zeit für den ziemlich verrückten Auftritt von Barns Courtney im Spiegelzelt. Die Meinungen gingen hier stark auseinander. Hinter dem etwas extrovertierten Posing verstecken sich aber enorm viel Energie und eine tolle CD. Auf jeden Fall ein Kandidat für die Hauptbühne im nächsten Jahr.
Doch alles bis dahin gesehene sollte sich am Abend noch relativieren. Musikalisch gab es wohl keinen cooleren und perfekteren Auftritt als den von Father John Misty. Es war ein perfektes Konzert, nur spontan war es natürlich keine Sekunde. Traumwandlerisch spielt seine Bigband 90 Minuten lang einen Querschnitt durch mindestens 10 Musikstile. Tex-Mex, Rock, Indie, Pop, Balladen, da bleibt kein Auge trocken. Dazu eine ganz reduzierte Lichtshow, witzige Ansagen und die Aura eines Superstars. Der Mann wird einfach von Jahr zu Jahr besser.
Für längeres Reflektieren bleibt zunächst keine Zeit, die Fountains D.C. beginnen im Zelt schon mit ihrem Intro. Dieser Auftritt wird ebenfalls noch nachhallen. Zum einen, weil der Auftritt nur circa halb so lang dauern wird wie im Zeitplan ausgegeben, zum anderen, weil die Fountains D.C. hier ihre großartige CD in der Liveversion in feinster Fuckyou-Tradition herunterrotzen. So etwas hat man schon lange nicht mehr gesehen. Da waren die intensiven 35 Minuten wertvoll genug. Sänger Grian Chatten klammert sich das ganze Konzert an sein Feuerzeug, würdigt ansonsten keinen seiner Mitspieler eines Blickes, und stürmt nach dem letzten Song sofort aus der Zelttür um endlich seine Zigarette anzünden zu können. Solche Prioritäten muss man sich leisten können.
Sophie Hunger`s Name erinnert mich dann daran, dass ich seit dem Pflaumenkuchen nichts mehr gegessen habe, also kurze Pause bevor der nächste musikalische Orkan hereinbricht, und es sollte ein mächtiger Sturm sein. Einer, den man auf dem Reitplatz so vielleicht noch nie erlebt hat.
Die Idles stürmen die Bühne und es gibt kein entkommen. Pogo bis zum Mischpult, Bierbecher fliegen einem um die Ohren und man wähnt sich eher beim "Ruhrpott-Rodeo" als beim beschaulichen Haldern Pop, wo sonst Picknickdecken und Kinder mit Kopfhörern ein prägendes Bild sind. Es folgen Kraftausdrücke gegen den Brexit, Gitarristen im Publikum, Schreie, ein Schlagzeuger der mich immer an einen Charakter aus "Hangover" erinnert und jede Menge Spaß. Denn eigentlich sind die Idles total harmlos. Nie ist ihre Härte wirklich aggressiv, nie ist der Sänger so brutal oder böse wie es manchmal auf der Bühne wirkt. Alles dient den Songs, und die behalten ihre Stärke in dem ganzen Chaos überraschend gut. "Mother" und "Rottweiler" sind Granaten, explodieren im Publikum und werfen die Energie wieder zurück auf die Bühne. Was für ein Auftritt.
Da wird selbst der sonst so herbeigesehnte DJ St. Paul ausnahmsweise entbehrlich. Wenn der Ausspruch "zum Zelt zurück taumeln" je gestimmt hat, dann an diesem Abend.
Der letzte Tag startet dann mit starken Windböen statt Schauern. Das Wetter nimmt man in der Stadt sonst ja nie so richtig wahr. Auch mal schön sich den Wind um die Nase wehen zu lassen.
Am Samstag ist es im Dorf immer etwas ruhiger. Die Kirche wird nicht mehr bespielt und so bleibt Zeit für schöne Gespräche, bevor dann die Pictures aus Berlin die rappelvolle Pop Bar mit feinstem Brit-Pop beschallen.
Die Band hat eine bewegte Geschichte. Sie begannen als Grungeband "Union Youth", mit großen Hoffnungen und Erwartungen wurden sie dann in die USA eingeladen, doch es kam alles anders. Dem WDR war das Ganze eine 90-minütige Dokumentation wert. Absolut sehenswert, genau wie das Konzert. Schade nur, das diese Art von Gitarrenrock zur Zeit in der Öffentlichkeit keine Resonanz findet. Warten wir auf das Oasis-Revival.
Zu gerne hätte ich noch die US-Band Wand gesehen, aber James Leg stand schon auf der Hauptbühne bereit. Ein Stimme wie der Vater von "Tom Waits" und eine Dame am Schlagzeug die alle verzaubert. Das ganze hätte natürlich auch perfekt um 1:00 Uhr nachts in das Spiegelzelt gepasst, aber 13:00 Uhr war auch OK. Ein Cure-Cover gibt es am Schluss auch noch und berechtigte Zugabenrufe, aus der für Mittags schon sehr großen Zuschauerschar.
Das Schauspiel der Daughters ist von der Leinwand vor dem Spiegelzelt aus bereits imposant, oder sagen wir verstörend. Sänger Alexis Marshall gibt am Ende den "Kinski" und peitscht sich selber, auf der Box stehend, mit einem Gürtel aus. Passt zum brachialen Hardcore-Sound der Band, ist aber sicher nicht jedermanns Sache.
Danach geht es wesentlich entspannter weiter. Der, mir viel zu langweilige Pop von Kat Frankie verpufft schnell seine Wirkung, der obercoole Sound des Trios Khruangbin dagegen gar nicht. Hier wird durchgespielt. "Neil Young" sagt ja gerne "They all sound the same, it`s one song". Das gilt hier ebenfalls. Die beiden flirten und wandern über die Bühne, während das Schlagzeug fast unbemerkt bleibt. Ein Augen-und Ohrenschmaus, perfekt zur wieder erstarkten Sonne, die langsam links neben der Bühne verschwindet.
Dann wieder zwei Konzerte die spalteten: Sowohl bei der ukrainischen Rapperin Alyona Alyona als auch bei den Mädels von Haiku Hands kocht das Spiegelzelt fast über. Trotzdem packen mich beide Auftritte musikalisch nicht.
Der soulige, und eher dem Singer/Songwriter Genre entsprungene Hip-Hop von Loyle Carner ist dagegen wesentlich anspruchsvoller. Auch hier wieder klare "Fuck-Brexit" Ausrufe von der Bühne, die Loyle als sein Wohnzimmer dekoriert hat. Sogar Fußballtrikots hängen da an großen Wänden.
Und auch am dritten Tag kehrt der Soul dann wieder zurück ins Dorf am Niederrhein. Diesmal in seiner perfektesten Form, dem Ausnahmetalent Michael Kiwanuka. Seit seinem letzten Auftritt ist zwar kein neues Album erschienen, trotzdem präsentiert er sich nochmal gereift und verbessert und präsentiert zumindest einen neuen Song. Ein beseelter Auftritt in gleißendem Licht und perfektem Sound. Dazu zwei Damen als Backroundsängerinnen. Viele Worte zwischen den Songs findet er nicht, aber das würde hier auch nur stören. Von "Cold little heart", dem Titelsong der Serie "Big little lies" mit Nicole Kidman, zu "Love & Hate" in einer fantastischen Version von fast 10 Minuten. Ein Headliner der seinen Namen verdient hat.
Balthazar haben es danach schwer, spielen aber einen soliden, poppigen Set der die meisten noch auf dem Reitplatz verweilen lässt, obwohl die ganz großen Emotionen schon vorbei sind.
Wie schon eingangs beschrieben, bleiben den oft kritischen Stimmen dieses Jahr wenig Argumente. Nicht nur die holländischen Besucher, mit Sicherheit von diversen Festivals in ihrem Land verwöhnt, waren wieder voll des Lobes.
Auch ich denke, das Haldern mit dieser Ausgabe stolz und mehr als bestärkt in die Zukunft blicken kann. Die Gäste dankten es mit einem fast vollständig gereinigtem Zeltplatzgelände. Vielleicht der einzige Ausdruck von Respekt und Dankbarkeit, den man dem Veranstalter als Zuschauer direkt spiegeln kann.
Der VVK für 2020 läuft bereits: Haldern Pop Festival 2020 Ticketshop
Fotos: Denis Schinner
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