Konzert: My Bloody Valentine
Ort: Barrowland Ballroom, Glasgow
Datum: 09.03.2013
Zuschauer: 2.000 (ausverkauft)
Dauer: My Bloody Valentine knapp 95 min, Le Volume Courbe 30 min
"The Valentine bring it to another dimension!" gab mir der bärtige Plattenverkäufer im Monorail, dem Laden der Pastels, mit auf den Weg. Unter meinen Einkäufen war eine Raritäten-Sammlung von My Bloody Valentine, die uns ins Gespräch brachte. "Gehst du heute abend hin?" - "Ja, sicher" - "Denk an Ohrhörer!" - "Habe ich dabei, ich weiß, daß es laut wird." - "Das wird sogar sehr laut!" - "Ich habe mit den Ohrhörern schon Dinosaur Jr. geschafft." - "The Valentine bring it to another dimension!"
Als My Bloody Valentine ihre kurze Clubtour zur legendären dritte Platte mbv angekündigt hatten, dauerte es nicht lange, bis ein mail kam. "9. März, Glasgow?" Ja, natürlich. Ich hatte My Bloody Valentine nie live gesehen und hatte die Hoffung fast schon aufgegeben. Dummerweise hatte ich aber mein Budget an UK-Reisen für 2013 schon großzügig verteilt: im April wollte ich zu James, im März zum London Popfest, beides war fest eingeplant. Außerdem war das Indietracks im Sommer gesetzt. Innerhalb weniger Tage kamen dann aber My Bloody Valentine und Suede im Alexandra Palace dazu - und ich war langsam überfordert. Das Popfest und James wurden gestrichen, My Bloody Valentine und Suede gebucht, immer noch irre, aber anders irre.
Und dann erschien am 2. Februar wirklich das Nachfolgealbum von Loveless und beendete damit den Running Gag des Wartens auf die Platte. Am nächsten Morgen hatte ich meine Version von mbv und war begeistert. Fresh as a daisy, wie meine aus dem Konzertkalender gestrichenen Lieblinge James sagen!
Erstaunlicherweise war der erste Ansturm auf die Karten nicht sehr groß. Obwohl schon ein Vorabverkauf stattgefunden hatte, hatten wir keine Probleme, zum regulären Vorverkaufsstart Tickets zu kaufen. Mit 27 Pfund waren die auch nicht schrecklich teuer (wobei fünf mehr oder weniger strenggenommen egal wären für ein Konzert, zu dem man mit dem Flugzeug anreist).
Als wir vor dem Barrowlands ankamen, war es bitterkalt und der Einlaß hatte sich verzögert. Es gab noch eine Schlange, die einmal um die Hausecke ging. Mit Öffnen der Türen ging es im Prinzip flott rein, allerdings hatte ich das Glück, daß ich nach Durchqueren des Metalldetektors noch zur Taschenkontrolle durfte und an einen Ordner geriet, der auch verlangte, mein Portemonnaie nach versteckten Drogen und Waffen zu durchsuchen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob Waffen ein Problem bei schottischen Konzerten sind oder waren, und ob diese Kontrollen also ein lästiges Übel sind, ich empfand es jedenfalls als extrem unangenehm, das Portmonnaie incl. des Kleingeldfachs vollkommen selbstverständlich durchsucht zu bekommen und hatte eine Stinklaune.
Oben im Saal war noch nicht viel los. Der Barrowland Ballroom besteht aus drei Stockwerken. Im Erdgeschoß ist der Einlaß, im ersten Stock Toiletten, fester Merchstand und Bar und im zweiten Stock der Konzertsaal mit Bar und Bierstand am Rand. Der Bierstand ist extrem pragmatisch organisiert: wer keine Lust hat, sich für ein gezapftes Gesöff an der Bar anzustellen, kann an einen Tisch gehen, hinter dem drei Verkäufer Bierdosen in Plastikbecher kippten. Eindrucksvolle Mengen Bierdosen!
Um acht begann das Vorprogramm mit Le Volume Courbe, einer Band um die Französin Charlotte Marionneau. Zu ihr gesellten sich allerhand Musiker in komischen Outfits, einer mit Poncho, einer mit lustigem Hut, eine Westerngeigerin, die dauernd in die Knie ging (grausam affig, solche Bewegungen auf der Bühne). Musikalisch hätte Le Volume Courbe mit seinem Weltmusik-Einschlag besser zu Blur gepasst, den Platz im My Bloody Valentine Vorprogramm hatte die Band ihrer Beziehung zur Hauptgruppe zu verdanken. Auf dem 2005er Debüt der Französin hatten Kevin Shields und Colm Ó Cíosóig mitgespielt, gemeinsam mit dem MBV Frontmann betreibt Charlotte ein Label. Das 30minütige Vorprogramm war nicht schlecht, stellenweise gut, passte aber überhaupt nicht. Aber weil Charlottes Gesang ganz wundervoll ist (und ein wenig an Soko erinnert), fühlte ich mich gut unterhalten.
Es war deutlich, daß MBV um neun beginnen sollten, der Start verzögerte sich aber um fast eine Viertelstunde. Allerdings war wenig Hektik zu spüren, vielleicht mussten nur ein paar Sicherungen ausgetauscht werden, um die immense Menge an Verstärkern verkraften zu können. Freitag hatten My Bloody Valentine das erste Konzert ihrer Tour in Birmingham gespielt, vielleicht dauert es ein paar Auftritte, bis alles wieder flutscht.
Als es dann losging, war es irgendwie wie die Veröffentlichung der Platte. Erst wartete jeder sehnsüchtig, als es dann soweit war, präsentierte die Band sich ziemlich unspektakulär. Auf alle dramatischen Effekte wie Dunkelheit, einen Vorhang oder eine Intro-Musik verzichtete man, die vier Indiehelden schlufften auf die Bühne und schnappten sich ihre Instrumente. So wie sie im Februar das lange erwartete Album einfach online gestellt hatten. So, da isses. Und so, da sind wir.
Es blieb gerade genug Zeit, die Ohrstöpsel mit den dicksten Filtern reinzustopfen, bevor I only said und When you sleep von Loveless startete. Auch wenn es (zu diesem Zeitpunkt) weniger schlimm laut als befürchtet war (aber ein Verzicht auf Ohrhörer trotzdem zu sofortigem Tinnitus geführt hätte!), war ansonsten alles wie erwartet. Der Gesang, vor allem von Gitarristin Bilinda Butcher war allenfalls als gehauchte Andeutung zu hören. Kevin Shields bewegte seinen Mund oft vor dem Mikro. Ob er sang oder nur Druck auf den Ohren hatte, war für mich nicht auszumachen. Zu hören war stattdessen der wundervoll melodische Krach, der die Lieder der Band in großer Lautstärke sind. Die Frage, ob solch ein Konzert in so viel leiser, daß man es ohne Ohrenschutz verfolgen kann, nicht besser wäre, stellte sich mir während des Auftritts aber überhaupt nicht. Leiser wäre weniger spannend gewesen.
Vom neuen Album spielten die vier lediglich drei Stücke, das hatte ich anders vermutet. Ich hätte mir einige Lieder von mbv live gut vorstellen können. Da die aber nur für uns Fans wirklich neu sind und für Shields und Co. vermutlich gleichalt wie die wirklich frühen Stücke wirken, überrascht mich dies jetzt nicht mehr.
Die dritte Platte ist in drei Teile aufgeteilt, habe ich irgendwo gelesen - und kann dies absolut nachvollziehen. Drei Lieder, die klingen, als stammten sie von Loveless, dann drei ein wenig popigere, dann dreimal experimentell-noisig. Aus jedem Drittel spielten MBV ein Stück. Only tomorrow, New you und Wonder 2.
Vom restlichen Programm stammte das meiste von Loveless und von den diversen EPs. Alleine von You made me realise spielte die Gruppe vier Lieder.
Ab und zu kam eine zusätzliche Musikerin auf die Bühne und spielte Keyboard, bei New you von mbv zum Beispiel. Dann verschwand sie wieder, großa auszumachen waren die Keyboards aber eh nicht.
So weit, so gut...
Und dann wurde es am Ende doch noch so laut, wie ich erwartet hatte. Zu You made me realise drehte der Soundmann dann noch einmal richtig auf. Es war wirklich erstaunlich deutlich zu spüren, wie plötzlich eine neue Lautstärke-Stufe erreicht wurde. The Valentine bring it to another dimension, mein Plattenverkäufer hatte recht! Den fast zehnminütigen Teil, der wie Hagel auf einem Blechdach klingt, haben My Bloody Valentine 2009 mit 130 dB gespielt, das entspricht der Schmerzgrenze. Ein Flugzeugtriebwerk erzeugt 120 dB, was nach dem Bundesumweltministerium als "unerträglich bis schmerzhaft" gilt. Kein Wunder, daß alle, die sich auf die ausgeteilten einfachen Ohrstöpsel verlassen hatten, sich die Ohren zuhielten. Wow! Auf Video klingt das laut und krachig, live war es sagenhaft eindrucksvoll!
You made me realise ging in Wonder 2 über - am Ende standen alle fünf Musiker mit Gitarre auf der Bühne und schrammelten einfache Akkorde oder Töne. Der Übergang passte gut, das Konzert endete mit den fünf Gitarristen um kurz vor elf.
Mein erstes My Bloody Valentine Konzert kam meinen vorherigen Einschätzungen sehr nahe. Es war ein riesengroßes Erlebnis, ein großartiger Abend, aber kann in der Art, wie die Band ihre Konzerte spielt, nicht an einen Auftritt wie den von Blur im vergangenen Jahr heranreichen. Aber so ist es ja auch nicht gedacht.
Setlist My Bloody Valentine, Barrowland Ballroom, Glasgow:
01: I only said
02: When you sleep
03: New you
04: You never should
05: Honey power
06: Cigarette in your bed
07: Only tomorrow
08: Come in alone
09: Only shallow
10: Thorn
11: Nothing much to lose
12: To here knows when
13: Slow
14: Soon
15: Feed me with your kiss
16: You made me realise
17: Wonder 2
[In der Ankündigung hatte ich großspurig versprochen, alle Ansagen von Kevin Shields wiederzugeben. Here we go...: "Good night!"]
2 Kommentare :
My bloody valentine <3 Immer wieder gerne gesehen ...
Gute Story. Man liest doch nichts lieber als Berichte über Konzertreisen. Toll gemacht, Christoph!
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