Konzert: Noel Gallagher's
High Flying Birds (mit Damon Albarn & Graham Coxon)
Vorband: Gruff Rhys
Ort: Royal Albert Hall,
London (Teenage Cancer Trust)
Datum: 23.03.2013
Zuschauer: 5.250
(ausverkauft)
Dauer: Noel Gallagher's
High Flying Birds 93 Minuten / Damon Albarn & Graham Coxon knapp
unter einer halben Stunde / Gruff Rhys 25 Minuten
Damon Albarn dreht sich
schnell um die eigene Achse, tänzelnd auf Noel Gallagher in der
Bühnenmitte zu, legt seinen Kopf für den Bruchteil einer Sekunde
auf seine Schulter, beide lächeln. Es ist der Höhepunkt eines
unvergesslichen Abends, eines Konzerts, das in meiner Erinnerung
immer einen gesonderten Status einnehmen wird, über allem schwebend.
Dass sich Noel und Damon
letztes Jahr mit großen Gesten bei den Brit-Awards versöhnt haben,
erschien mir damals wie ein plumper Seitenhieb gen Bruder Liam, zu
unüberwindbar schien mir immer die zur Feindschaft entartete
Rivalität zwischen Oasis und Blur, zwischen den Fangruppen und den
Musikern. Noel trieb es mit seinem unter anderem an Damon Albarn
gerichteten "catch AIDS and die" auf die Spitze. Umso
irrealer, umso viel wertvoller erschien Anfang Dezember letzten
Jahres die Ankündigung eines gemeinsamen Konzerts für den Teenage
Cancer Trust in der Royal Albert Hall. Da musste ich hin. Ohne wenn
und aber. Zunächst machte mir aber die Technik einen Strich durch
die Rechnung und ich musste meine bereits im Warenkorb liegenden
Tickets verwerfen. Natürlich war die Veranstaltung nach wenigen
Minuten bereits ausverkauft, so dass nur noch der Weg durch die
verhassten Ticketbörsen blieb. Bei Viagogo kaufte ich wütend
letztlich Karten für Stehplätze in der Galerie zu gerade noch
vertretbaren Preisen, wobei dieser legalisierte Schwarzmarkt mir
gerade bei einer Charity-Veranstaltung in seiner Gier und dem
neoliberalen Kalkül wie eine Perversion des Wohltätigkeitsgedankens
erscheint. Gleichzeitig muss sich der Veranstalter in so einem Fall
überlegen, ob es tatsächlich sinnvoll ist, ein Ticketlimit von
sechs Karten bei einem derart exklusiven Event vertreten zu können.
Seit ich begonnen habe
mich intensiver mit Popmusik auseinanderzusetzen, war es mein festes
Ziel einmal zur Teenage Cancer Trust – Woche nach London zu reisen,
schließlich erschien mir zum einen die Kinderkrebsstiftung
unterstützenswert, während andererseits natürlich Jahr für Jahr
ein unglaublich gutes Line-Up aufgezogen wurde. Ausgelöst wurde
dieser Wunsch wohl, als ich vor Jahren die Live-DVD des ersten
Rockkonzerts für den Trust in der Royal Albert Hall sah. The Who
brillierten – damals noch mit dem inzwischen verstorbenen John
Entwistle am Bass – mit einer formidablen Rockshows, unterstützt
von Gaststars wie Geiger Nigel Kennedy, Stereophonics – Sänger
Kelly Jones, den unvermeidlichen Eddie Vedder und eben Paul Weller –
und selbstredend Noel Gallagher.
Da Roger Daltrey,
Frontmann von The Who, mit der großen „Quadrophenia“-Tour seiner
Band in Nordamerika beschäftigt war, übergab er für dieses Jahr
erstmals die Rolle des Kurators an seinen Freund Noel Gallagher, dem
ein beeindruckendes Line-up gelang: Ryan Adams mit Beth Orton, Primal
Scream mit Echo & The Bunnyman, eine Comedynight mit Russell
Brand und Noel Fielding, Kasabian und zum Abschluss Paul Weller, für
dessen Konzert mit Palma Violets im Vorprogramm ich ganz regulär an
Karten kam.
Dass es bereits an diesem
Samstag zu einer Begegnung mit dem Modfather kommen sollte, war
bestenfalls zu erhoffen, als ich meine liebste Konzertlocation, die
Royal Albert Hall, mit meiner Freundin betrete. Andererseits ließ
bereits ein Shopping-Spaziergang durch die weltberühmte Mod-Gasse
„Carnaby Street“ daran glauben, dass der Tag unter einem guten
Omen steht. Während der traditionelle Laden des ehrwürdigen Labels
„Merc“ nicht mehr existiert, lief einem hier Bobby Gillespie,
Frontmann von Primal Scream über den Weg. Eine kurze Begegnung, die
als perfekte Einstimmung auf einen perfekten Abend nur so gelegen
kam.
Als wir unsere Plätze
ganz oben in der Mitte der Galerie der Albert Hall einnehmen liegt
eine nahezu greifbare Spannung in der Luft. Das Publikum ist dabei
äußerst gemischt: Gallagher-Lookalikes in Lederjacken, Mods,
bebrillte Blur-Anhängerinnen im „Modern life is rubbish“-T-Shirt.
Niemand weiß zu diesem Zeitpunkt genau, was einen erwarten wird.
Radiomoderator John Holmes
betritt als erster die Bühne der ehrwürdigen Halle, in der ich
bereits ein durchwachsenes John Fogerty – Konzert besuchte, das
regulär auf DVD erschien, eine klassisches Weihnachtskonzert sah und
einen brillanten Auftritt der Britpop-Heroen Ocean Colour Scene
beiwohnte. Offenbar funktioniert Britpop hier besonders gut.
Holmes, „breakfast man“ beim präsentierenden Radiosender XFR spricht wiederholt von der Einzigartigkeit des Events, lobt den Teenage Cancer Trust, bevor er den Support Act des Abends ansagt: Gruff Rhys, Sänger der formidablen walisischen Band Super Furry Animals, den man wohl Griff Ries ausspricht und der schon vor einigen Jahren ein Konzert für den Trust spielte, überzeugt als Solokünstler restlos. Wenig verwunderlich ist sein Auftritt auch, wenn man beachtet, dass er mit einem Gastbeitrag auf dem letzten Gorillaz-Album vertreten ist, wo er bei „Superfast Jellyfish“ einen netten Gesangspart übernimmt. Alle Titel des sechs Song starken Sets bestechen als erstklassige Popnummern, die dem All-Time-Klassiker „Run-Away", meinem wohl auf alle Zeit meist geliebten Super Furry Animals Lieds, in nichts nachstehen.
Besonders die Harmonien, die der bärtige Sänger selbst mit einer Loop-Station aufnimmt und direkt verwendet, sind kaum zu übertreffen. Bisher habe ich keinen Künstler erlebt, dem dies besser gelang. Quasi die Ein-Mann-Folk-Version der Beach Boys. Grandios. Vor allem „Sensations in the Dark“ wird wohl als echte Perle im Gedächtnis bleiben, ebenso wie die großen Schilder, mit denen er ironisch mit dem Publikum kommuniziert und auf denen "Applause", "Louder" oder schlicht "Thank You" und abschließend "The End" stand.
Danach läuft ein Videoüber den großen Bildschirm hinter der Bühne, in dem die Teenagerin Charlotte ihre Krebserkrankung schildert und beschreibt, wie die Arbeit des Teenage Cancer Trust jungen Menschen in ihre Situation hilft. Es sind bewegende Minuten, die einem die Tränen in die Augen
steigen lassen, während die junge Frau erzählt, wie sie den Krebs
bekämpfte, wie sie am eigenen Leib erlebte, wie wohltuend das Wirken
des Trusts ist, der Teenager und Kinder im Krankheitsfall
unterstützt, aufbaut und betreut. Der dafür sogt, dass neuer Mut
die jungen Körper erfüllt, Hoffnung entsteht, Freundschaften
begründet werden – und auch verloren werden. Nach dem aufrichtigen
Spendenaufruf betritt Charlotte, die – wie sie selbst sagt – Dank
des Trusts eine Zukunft hat und an der „School of Law“ studieren
kann, eingehakt bei Noel Gallagher die Bühne.
Tränen werden aus den Augen gewischt, während sie wiederholt die Kernaussagen des Videos betont, bevor Noel den nächsten Auftritt des Konzerts ankündigt: Damon Albarn, in blauer Jeansjacke und Graham Coxon mir roter Hose und Nadelstreifenjacket, die, wie er eher beiläufig erwähnt noch Unterstützung von Dichter Michael Horovitz, einen Zeitgenossen Allen Ginsbergs, und Paul Weller erhalten würden. Als Wellers Name fällt, tobt die Halle. Die ersten stehen auf, Weller-Rufe werden laut, doch den Anfang machen die beiden wichtigsten Blur – Mitglieder als Duo. Wer mit einem kurzen Blur – Best – Of – Set gerechnet haben mag, wird enttäuscht. Statt „Beetlebum“, „Parklife“ und „Coffee & TV“ gibt es „May I?“, ein eher unbekannter Song des Soft Machine – Gründers Kevin Ayers, der in dieser Version in jeder Hinsicht wie ein guter Blur – Song klingt. Albarn spielt Synthesizer, Coxon spielt Gitarre. Alles passt und der geschmackvolle Tribut an den im Februar verstorbenen Musikpionier ist der perfekte intellektuelle Gegenpart vor dem „Wir-hatten-erst-4-Bier“-Mitgrölpathos von Noel Gallaghers Evergreens.
Tränen werden aus den Augen gewischt, während sie wiederholt die Kernaussagen des Videos betont, bevor Noel den nächsten Auftritt des Konzerts ankündigt: Damon Albarn, in blauer Jeansjacke und Graham Coxon mir roter Hose und Nadelstreifenjacket, die, wie er eher beiläufig erwähnt noch Unterstützung von Dichter Michael Horovitz, einen Zeitgenossen Allen Ginsbergs, und Paul Weller erhalten würden. Als Wellers Name fällt, tobt die Halle. Die ersten stehen auf, Weller-Rufe werden laut, doch den Anfang machen die beiden wichtigsten Blur – Mitglieder als Duo. Wer mit einem kurzen Blur – Best – Of – Set gerechnet haben mag, wird enttäuscht. Statt „Beetlebum“, „Parklife“ und „Coffee & TV“ gibt es „May I?“, ein eher unbekannter Song des Soft Machine – Gründers Kevin Ayers, der in dieser Version in jeder Hinsicht wie ein guter Blur – Song klingt. Albarn spielt Synthesizer, Coxon spielt Gitarre. Alles passt und der geschmackvolle Tribut an den im Februar verstorbenen Musikpionier ist der perfekte intellektuelle Gegenpart vor dem „Wir-hatten-erst-4-Bier“-Mitgrölpathos von Noel Gallaghers Evergreens.
Weller und Horovitz
betreten nun die Bühne. Der Jubel im Publikum nimmt ohrenbetäubende Formen an, als sich der Modfather hinter den Synthesizer auf der
rechten Seite setzt. Horovitz, der den meisten wohl unbekannte in
Frankfurt geborene Dichter, ist ein guter Freund Wellers, der diesen
sehr bewundert. Öffnet man das Booklet von „Sonic Kicks“, dem
aktuellen Weller – Album, das dem deutschen Rolling Stone zu
Unrecht missfiel, liest man als erstes ein Gedicht Horovitz', Weller
gewidmet, das Zeitgeist – und Kapitalismus – kritische
„Bankbusted Nuclear Detergent Blues“. Als rare One-Off-Peformance
spielt das Quartett aus Britpop-Legenden und 78-jähriger
Poetengröße.
Zusammen mit „Ballade Of The Nocturnal Commune“ macht es den gut 20-minütigen Auftritt der ungewöhnlichen Kombination aus.
Coxon spielt Gitarre, Saxophon und Schlagzeug und wird für mich als der einzige Mann in Erinnerung bleiben, der gerne rote Hosen tragen darf, Albarn Gitarre und Klavier, Weller Synthesizer, während der Baseball-Cap-tragende Horovitz sich bald seines Hemds entledigt und in einem aus der Entfernung verdächtig nach Tank-Top aussehenden mit Bäumen verzierten Pullunder und Hemd in bester Lou Reed – Manier seine Texte rezitiert.
Das ist zum einen ungewöhnliche Spoken Word – Perfomance, gleichzeitig ist es musikalisch faszinierend und in den Momenten, in denen Albarn eine Art Refrain singt bezaubernd schön. Im Rahmen des Record-Store-Days werden drei Songs auf Vinyl veröffentlicht. Ein absolutes Must-Have für Blur- und Weller-Fans und jeden Liebhaber avantgardistischer Popmusik. Ich bin dankbar an dieser einmaligen Kollaboration anwesend gewesen zu sein.
Zusammen mit „Ballade Of The Nocturnal Commune“ macht es den gut 20-minütigen Auftritt der ungewöhnlichen Kombination aus.
Coxon spielt Gitarre, Saxophon und Schlagzeug und wird für mich als der einzige Mann in Erinnerung bleiben, der gerne rote Hosen tragen darf, Albarn Gitarre und Klavier, Weller Synthesizer, während der Baseball-Cap-tragende Horovitz sich bald seines Hemds entledigt und in einem aus der Entfernung verdächtig nach Tank-Top aussehenden mit Bäumen verzierten Pullunder und Hemd in bester Lou Reed – Manier seine Texte rezitiert.
Das ist zum einen ungewöhnliche Spoken Word – Perfomance, gleichzeitig ist es musikalisch faszinierend und in den Momenten, in denen Albarn eine Art Refrain singt bezaubernd schön. Im Rahmen des Record-Store-Days werden drei Songs auf Vinyl veröffentlicht. Ein absolutes Must-Have für Blur- und Weller-Fans und jeden Liebhaber avantgardistischer Popmusik. Ich bin dankbar an dieser einmaligen Kollaboration anwesend gewesen zu sein.
Dass
das Highlight des Abends noch vor dem eigentlichen Auftritt von Noel
Gallagher's High Flying Birds folgen sollte, war am Anfang des Abends
noch nicht zu erahnen, doch als Geburtstagskind Damon Albarn Noel
Gallagher ankündigt, nachdem Horovitz die Bühne verließ, ahnt man
Großartiges, was sich in den folgenden Minuten als Britpop-Himmel
entpuppen sollte.
Mit
Paul Weller am Schlagzeug spielen zwei Blur Mitglieder gemeinsam mit
Noel Gallagher den von Albarn und Coxon geschriebenen Song „Tender“.
Jedem ist klar, dass es ein historischer Moment in der Popgeschichte
ist. Die gesamte Albert Hall steht, ausnahmslos wird der
Gospel-Refrain mitgegrölt, während kaum einer fassen kann, was sich
da auf der Bühne abspielt. Bis zum heutigen Moment habe ich
Schwierigkeiten zu realisieren, dass tatsächlich Paul Weller an den
Drums saß. Die Version ist tadellos, Noel meinte ja in einem
ironischen Interview, er habe „Tender“ vorgeschlagen, weil die
Akkorde einfach seien. Selbst wenn es so wäre, jeder weiß den
Moment zu schätzen und wohl jeder hätte sich über weitere Blur –
Songs gefreut. Blur in voller Bandbesetzung beim Berlin - Festival im September wiederzusehen, bleibt auch für mich einer der schönsten Konzertausblicke dieses Jahres.
Setlist: Damon Albarn & Graham Coxon , London
01: May I? (Kevin Ayers - Cover)
02: Ballad Of The Nocturnal Commune (mit Michael Horovitz und Paul Weller)
03: Bankbusted Nuclear
Detergent Blues (mit Michael Horovitz und Paul Weller)
04: Tender (mit Paul Weller und Noel Gallagher)
Nach
25-minütiger Pause sollte es mit dem eigentlichen Hauptact des
Abends weitergehen, Noel Gallagher's High Flying Birds. Die Wartezeit
überbrückte ich mit der Frage, ob das eben erlebte jemals zu toppen
sein wird und mit dem schweifenden Blick durch die Halle nach
prominenten Konzertbesuchern. Seitdem mir Morrissey 2009 beim Konzert
der Pretenders im Shepherd's Bush Empire über den Weg gelaufen ist,
gehe ich mittlerweile mit offeneren Augen in Konzerte in der
britischen Hauptstadt. Hinter mir sprechen ein paar Mitdreißiger in
Fred-Perry-Polos darüber, Pete Townshend vor der Halle gesehen zu
haben. Mitglieder meiner Lieblingsband The Who erblicke ich hingegen
nicht, heute sollte es lediglich auf Bürgermeister Boris Johnson
hinauslaufen, der sich nach dem Konzert mit selbstgefälligen Grinsen
mit Kindern fotografieren ließ. Ob Noel und Damon das gefallen
hätte. Wohl kaum, gerade Albarn zeigte ja gerne offen seinen Hass
gegen die Tories und bezeichnete sich mal in einem Brief an Tony
Blair als Kommunisten, der von New Labour enttäuscht sei. Paul
Weller ließe sicherlich auch kaum ein gutes Haar am pseudo-punkigen
Selbstinszenierer Johnson.
Doch
zurück zum Konzert. Wie zu erwarten eröffnet Noel sein Set mit
„It's Good To Be Free“, jener Oasis-B-Seite, die heute gerne als
zynischer Seitenhieb in Richtung des kleinen Bruders interpretiert
wird, was sicherlich auch der Wahrheit sehr nahekommen dürfte, warum
sonst sollte Noel seit der Oasis – Trennung seine Konzerte damit eröffnen.
Die
drei folgenden Songs von seinem Solodebüt kamen wenig überraschend,
schließlich ändert Noel grundsätzlich wenig bis gar nichts an
seiner Setlist und spielte „Everybody's on the run“, „Dream on“
und „If I had a Gun“, bisher bei allen drei Konzerten, die ich
von ihm besuchte. Erstklassige Nummern sind sie natürlich ohnehin.
Dass ich das Soloalbum als Meisterwerk feierte, muss hier nicht
weiter ausgeführt werden, schließlich sprechen die Songs für sich.
„Dream On“ wird mit drei Blechbläsern performt, was dem Lied
live gut bekommt, während es in der Studioversion etwas
überproduziert erscheint. Gott sei Dank wird heute auf Streicher und
den fast schon obligatorischen „Hausfrauenchor“, wie es ein guter
Freund von mir nannte, verzichtet.
„Fade Away“,
in einer entschleunigten Fassung, ist dann die erste Überraschung im
regulären Set. Mit jenem fantastischen Song aus der Glanzzeit von
Oasis hat heute Abend wohl kaum einer gerechnet, umso impulsiver ist
das Mitsingen der Fans. „While we're living the dreams we had as
childern fade away“. So einfach die Lyrik Gallaghers ist, so groß
ist auch ihre klassenumgreifende Wirkung. Hooligan-Arbeitertypen
singen Arm in Arm mit der verhassten Middle-Class unsterbliche Songs.
Es ist Stadionrock von seiner schönen Seite, perfekter Britpop, ja
perfekter Pop. Die aufgekommene Energie nimmt auch bei „The Death
Of You And Me“, wieder mit Bläsern, nicht ab. Kein Wunder immerhin
findet man auch hier die arrogant-aufrichtige Haltung des großen
Aufsteigers, den George Martin aus vollkommen angebrachten Gründen
als größten Songwriter seiner Generation ehrte, wie man sie schon
1994 in „Whatever“ bewundern konnte. „You and me / Forever we'd
be free / Free to spend our whole lives running / From people who
would be / The death of you and me / 'Cause I can feel the storm
clouds / Sucking up my soul.“
„Freaky
Teeth“ wiederum, bis heute in keiner Studioversion veröffentlicht,
ist, wie Noel gerne erwähnt, so etwas wie der ideale Bond-Titelsong.
Eine bizarre Geschichte packend erzählt mit ungewöhnlicher Rhythmik
und starken Refrain. Ein Gallagher'sches Meisterwerk, auch wenn man
es in den letzten Oasis – Jahren kaum glauben konnte, der Mann ist
Genie mit großen Händchen für unsterbliche Hits.
Bestes
Beispiel dafür ist das mittlerweile wohl tot gehörte „Wonderwall“,
das er auch nur ungern live spielte. In Offenbach bluffte er im
Oktober geschickt, als er „Supersonic“ mit den Akkorden des
Welthits beginnen ließ. Heute jedoch gibt Noel den Fans das was sie
wollen, eben jenen zeitlosen Popsong. Reduziert, sich selbst auf der
Akustikgitarre begleitend beweist er nebenbei, warum „Wonderwall“
eben doch so viel mehr ist, als eine nervige Radionummer. Im Ryan
Adams – Arrangement bezirzt die minimalistische Fassung in ihre
schlichten Schönheit. Tausende Kehlen singen mit, es darf wieder
geweint werden. Wie bei „Tender“ sind es Tränen des puren
Glücks. Nie wieder möchte ich „Wonderwall“ live hören. Weder
von Noel noch von Liam bei einem Beady Eye Konzert oder bei einer –
hoffentlich niemals Realität werdenden – Oasis-Reunion. Zu perfekt sind die viereinhalb Minuten reinsten Pop. Ich könnte noch ewig über die
unprätentiöse Performance schreiben und könnte ihr doch nie
gerecht werden. Wer einen Beweis sucht, warum Noel niemals wieder ein
Konzert mit seinem Bruder spielen muss, findet ihn hier. Der bessere
Songwriter war er immer diskussionslos, dass er auch der bessere
Sänger ist, steht spätestens jetzt für mich fest, wobei auch der
Mitschnitt des MTV-Unplugged-Konzerts 1996 dies bereits erahnen ließ.
Besser
als mit „Supersonic“ kann man an dieser Stelle nicht
weitermachen. Ebenfalls auf die akustische Fassung reduziert, führt
Noel einen vor Augen, was bei Oasis genervt hat – und das schon in
den Anfangstagen -, nämlich das
Johnny-Rotten-singt-John-Lennon-Songs-Gehabe von Liam Gallagher. Wie
sinnlos der Text ist, ist dabei vollkommen egal, wenn die gesamte
Halle Zeilen wie „Can I ride with you in your BMW / You can sail
with me in my Yellow Submarine“ mitsingt, ist es magisch – und
nichts sonst.
Neben
Songs des Soloalbums steht der Abend ganz im Zeichen echter
Raritäten. Den harten Oasis-Song „Lord Don't Slow Me Down“
spielt Noel mit Ausnahme eines Warm-Up-Konzerts für den Londoner Gig
in Dubai zum ersten Mal überhaupt live, bevor es mit „Alone on the rope“ ,
einer starken Ballade, in der Gallagher auch als fähiger Sänger
besteht, zu einer echten Weltpremiere kommt. Erstaunlich, betonte Gallagher doch noch bei seinem ersten Auftritt als Solokünstler - ebenfalls für den Teenage Cancer Trust - 2010, er würde keine neuen Songs bei Charity Konzerten spielen. Schön, dass er diese Ansicht geändert hat. Auf die nächste Platte
darf man sehr gespannt sein. Die Emanzipation von Oasis schreitet
weiter fort, die bessere Band hat er ohnehin schon um sich geschart.
Besonders Drummer Jeremy Stacey ist an seinem Instrument ein echter
Meister. Der bärtige ehemalige Lemon Trees – Schlagzeuger dürfte
das Durchschnittsalter der Formation zwar deutlich erhöhen, doch
sorgt er auch für qualitative Gewinne. Mit Russell Pritchard den
Bassisten der Zutons in der Band zu haben, spricht als weiteres Indiz
für die musikalische Integrität der High Flying Birds, so dämlich
der Name auch sein mag. Mike Rowe und Tim Smith als weitere
Mitglieder an Gitarre und Klavier sind fraglos fähigere Musiker als
alle übrigen Oasis-Gründungsmitglieder neben ihrem Komponisten.
Als
Zugaben gibt es später nur noch Oasis – Songs, nachdem Noel von
Damon Albarn schwärmte und ihm einen Song widmete. „Shout it out
loud“, eine weitere rare Oasis-Perle feiert hier umjubeltes
Europa-Debüt, bevor „Digsy's Dinner“
gespielt wird, dass, wenn ich mich nicht verhört habe, Liam gewidmet
wird („I dedicate this one to the singer of my old band“), den
heute wohl keiner vermisst haben dürfte, was ihn später zu
Twitter-Pöbeleien verleiten sollte,
die es nicht verdienen kommentiert zu werden.
Dann
kehren wir mit „Don't Look Back In Anger“
in den Britpop-Himmel zurück, während dieser historischen Abend
perfekt gemacht wird. Tränen. Schon wieder. Noel wirkt dankbar,
wirft seine Picks ins Publikum und verneigt sich artig, jedem wird
wieder ins Gedächtnis gerufen, warum man den kleinen Mann in der
Lederjacke, der seit Jahren die gleiche Frisur trägt, so unglaublich
verehrt. „I wanna be adored“ sang Ian Brown einst auf dem ersten
Track des ersten Stone Roses Album. Ein ehemaliger Roadie der Band
hat diesen Status längst hinter sich gelassen. Die ihm
berechtigterweise entgegengebrachte Verehrung lässt sich nicht in
Worte zu fassen. Dann ist Schluss.
Wäre
nicht die Kälte, würde man gerne am Bühnenausgang verweilen, wo
Jeremy Stacey rauchend steht und Taxis mit Zetteln an den Fenstern
warten, auf denen „Coxon“ und „Paul We“ steht. Es wäre
sicherlich interessant gewesen, einen der beiden persönlich zu
treffen. Aber bei leichten Schneefall Ende März machen wir uns auf
den Weg zur U-Bahn-Station South Kensington, wo ein Straßenmusiker
„Here Comes The Sun“ spielt. Zum Glück nicht „Wonderwall“.
Es hätte den Abend zerstören können.
Setlist: Noel Gallagher's High Flying Birds, London
01: (It's Good) To Be Free
02: Everybody's On The Run
03: Dream On
04: If I Had A Gun...
05: Fade Away
06: The Death Of You And Me
07: Freaky Teeth
08: Wonderwall
09: Supersonic
10: (I Wann Live My Dream In My) Record Machine
11: Aka... What A Life!
12: Lord, Don't Slow Me Down
13: Alone On The Rope
14: Half The World Away
15: Aka... Broken Arrow
16: A Simple Game Of Genius
17: (Stranded On) The Wrong Beach
18: Shout It Out Loud (Z)
19: Digsy's Dinner (Z)
20: Don't Look Back In Anger (Z)
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