Montag, 18. März 2013

Tess Wiley, Stuttgart, 16.03.13


Konzert: Tess Wiley 
Ort: Club Zentral, Stuttgart
Zuschauer: vielleicht 40 
Datum: 16.03.2013 
Dauer: 37 Minuten 


von Jens aus Stuttgart


Sie war mal Mitglied von Sixpence Non the Richer, richtig, das ist die amerikanische Band, die in den 1990ern mit „Kiss Me“ einen Welthit hatte.  Zu diesem Zeitpunkt war Tess Wiley aus Houston, Texas, bereits nicht mehr Mitglied der Band. Seither hat sich viel im Leben der sympathischen Singer-Songwriterin geändert. So zog sie nach Deutschland, nach Gießen, heiratete einen deutschen Photographen und Regisseur, bevor sie 2001 in New York ihr erstes Soloalbum „Rainy Day Asemble“ aufnahm, das ein Jahr später erschien. Die beiden folgenden Platte erschienen dann bei Tapete Records, einem der profiliertesten Indie-Labels Europas, gegründet von Dirk Darmstaedter. 

Schon seit einiger Zeit hoffte ich nun, die Wahl-Hessin einmal live zu sehen. Die Möglichkeit bot sich jetzt im Stuttgarter Club Zentral, über den ich viel Gutes gehört habe, wo sie im Vorprogramm der Regensburger Rockband Kellner um den Singer-Songwriter Matthias Kellner auftreten sollte. Um 20.08 betritt Tess Wiley die Bühne, mit einem gekonnten Show-Schrei zieht sie sofort die Aufmerksamkeit des auf Kellner wartenden Publikums auf sich. Mit „Little Secrets“ beginnt ihr Set stimmig. Auf der Akustik-Gitarre begleitet sie sich und singt mit ausdrucksstarker Stimme melancholische Zeilen. Mit hautfarbener Bluse, schwarze Hose und hochhackigen Stiefeln wirkt das alles sehr amerikanisch und man fühlt sich in einem Club in Nashville oder mindestens einmal New York versetzt. Wiley macht klassischen Folk-Rock ohne in die Country-Kitsch-Falle zu treten. „Messed Up Everywhere Blues“ heißt der Song von Jason Harrod, einem guten Bekannten der Sängerin aus den USA, den sie selbst als bestes Beispiel der melancholischen Grundhaltung, die sich durch ihre Musik zieht nennt. Anschließend bedankt sie sich beim freundlich zuhörenden Publikum. „Kellner hat wirklich das aufmerksamste Publikum der Welt“, sagt Wiley und ich muss ihr innerlich zustimmen. Selten habe ich es bisher erlebt, dass einer Vorband derart andächtige Beachtung geschenkt wurde. Allerdings wird es den Anwesenden auch leicht gemacht. In Puncto Bühnenpräsenz überzeugt die Texanerin auf ganzer Linie, dazu glänzt ein enormes Songwriter-Talent auf, das jeder der Zuschauer zu quittieren scheint, obwohl vermutlich die wenigsten im Publikum bereits mit ihrem Werk vertraut sind. Ein gut frequentierter Merchandie-Stand zollt der Sängerin schließlich Tribut. Obwohl die meisten der gespielten Songs noch unveröffentlicht sind und erst auf dem nächsten Langspieler enthalten sein werden, verkaufen sich die Alben ausgezeichnet. Wenig verwunderlich schließlich ist die Klasse von Liedern wie „Sad Clown“ außergewöhnlich und den Hits gehypter Singer-Songwriterinnen wie Lissy oder der Mittelmäßigkeit, die Sheryl Crow nach ihrem tatsächlich erstklassigen Debüt „Tuesday Night Music Club“, was man sich heute kaum vorstellen kann, weitaus überlegen sind. „Hestia (Housecleaning-Blues)“ ist dann ein gutes Beispiel für ihr Händchen alltägliche Geschichte auf ungewöhnliche Weise zu besingen. Betitelt nach der griechischen Göttin des Familien- und Staatsherdes erzählt dieses Lied, zu welchen Resultaten Krankheit oder depressive Stimmung bei der Sängerin führen. „Wenn ich krank bin oder depressiv putze ich immer meine Wohnung, seltsam ich weiß.“ „Good, What We've Got“ ist ein weiteres gutes Beispiel des Songwritings der viel jünger wirkenden 39-jährigen, die häufig auch über ihren christlichen Glauben zu singen scheint, ohne dabei irgendwelche Klischees zu bedienen, viel zu aufrichtig ist ihre Attitüde. Überhaupt scheint sie sich am deutschen Äquivalent zu Singer-Songwriter zu stören. „Liedermacher, ein seltsames Wort. Obwohl, es trifft ja zu, ich mache Lieder, ich bin ein Liedermacher. Aber das klingt trotzdem seltsam. So nach Reinhard Mey.“ Recht hat sie natürlich, auch wenn Reinhard Mey sicherlich nicht als Negativbeispiel funktioniert, schließlich hat er vor langer Zeit gute Lieder gemacht, um beim Wortstamm zu bleiben. Das schlechteste Exempel ist er dennoch nicht. 
 
„Gott wollte, dass ich Gitarre spiele, doch er gab mir kleine Finger“, kokettiert die zierliche Sängern sympathisch mit einem nicht ganz stimmigen Akkord. Mit „Tornadoes“, dem vielleicht stärksten Song des Sets endet das Konzert, wegen dem ich heute Abend den Club Zentral nahe der Liederhalle besuche, perfekt. In 37 Minuten konnte Tess Wiley eindrucksvoll beweisen, warum sie ihre Alben auf dem gleichen Label wie die Legende Lloyd Cole oder die deutschen Modgötter Superpunk veröffentlicht. Die Klasse ist die gleiche, nämlich erste. So reiht sich Tess Wiley eindrucksvoll irgendwo zwischen Patti Smith und der ganz frühen Sheryl Crow ein, was live in intensiver, berührender, hoch ästhetisierter Folkrockmusik mündet, die sowohl akustisch als auch elektrisch vollends überzeugen kann. 


Wie waren nun Kellner, über die Tess Wiley ehrlich anerkennend anmerkte, sie würden authentisch amerikanisch klingen? Amerikanisch klang es dann auch, was der fähige Sänger Matthias Kellner und seine Band auf die Bühne brachte. New Jersey Rock, leider nicht im Springsteen'schen Sinne, sondern eher in der Bon Jovi – Tradition. Mit seiner hervorragenden Stimme, würde dem Kellner ein klassisches Soulprogramm meines Erachtens besser bestehen, was er auf vorangegangen Alben wohl auch zeigte, die ihn immerhin auch ins Vorprogramm von einem Star wie Katie Melua führten. Als Schauspieler macht der schwergewichtige bayrische Musiker übrigens eine fabelhafte Figur und auch an die diversen Soundtracks ist er beteiligt. Ob in der fantastischen Komödie „Sommer in Orange“ oder in Helmut Dietls „Zettl“, an dessen Drehbuch Popliteratur-Ikone Benjamin von Stuckrad-Barre beteiligt war. 

Setlist Tess Wiley, Club Zentral, Stuttgart:

01: Little Secrets 
02: Rescue Me 
03: It Rained 
04: Good, what we've got 
05: Messed Up Everywhere Blues (Jason Harrod – Cover) 
06: Sad Clown 
07: Hestia (Housecleaning-Blues) 
08: Tornadoes 


 

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