Konzert: Tann
Ort: Wilhelmsbaupalais, Stuttgart
Zuschauer: mehrere 100
Datum: 16.03.2013
Dauer: 58 Minuten
Bericht und Fotos von Jens K. Aus Stuttgart
Es war wohl das virtuoseste Konzert, an das ich mich erinnern kann. Ich bin sprachlos, als nach knapp einer Stunde das atemberaubende Set der formidablen Jazz-Band Tann aus Dresden endet. Es ist Gitarrenjazz in höchster Perfektion, den Demian Kappenstein (Schlagzeug), René Bornstein (Kontrabass) und Dirk Häfner (Gitarre) zu später Stunde im Wilhelmsbaupalais, der ehemaligen Stuttgarter Stadtbibliothek am Charlottenplatz spielen. Improvisation, unfassbares Gitarrenspiel, Drumming in beser Gene Krupa – Tradition und ein markerschütterndes Bassspiel verlangen mir die allerhöchste Aufmerksamkeit ab, fesseln mich.
Unangekündigt beginnt das Konzert „Circus Dots“, dem zweiten Titel des im vergangenen Jahr erschienen Albums „Koniferen“. Dirk Häfner, einer der profiliertesten Gitarristen Deutschlands, den man unter anderen als Mitglied der Folkpop-Band Pretty Mery K sehen kann, der auch der ausgezeichnete Hamburger Indie – Bassist Ben Schadow, Solokünstler und Mitglieder von Bernd Begemanns Befreiung, angehört. Darüber hinaus ist Häfner, derjenige der den, meines Erachtens eher uninteressanten Pop Tim Bendzkos, verzaubert, indem er die Gitarrenparts zur Single „Wenn Worte meine Sprache wären“ beisteuerte. Beobachtet man den rothaarigen, bärtigen Gitarristen mit dem listigen Gesicht im Zusammenspiel mit seinen beiden Mitstreitern im Wilhelmsbaupalais, so gibt es keinen Zweifel, dass Jazz die Musik ist, in deren Element sich der Wahl-Berliner am wohlsten fühlt. Es macht Spaß der technischen Präzession des Trios zu zusehen, mit anzuschauen, wie die studierten Musiker aus Dresden eins werden mit der Musik.
Seit einigen Jahren höre ich gerne Jazz; Genre-Klassiker wie Chet Baker, Charlie Parker oder John Coltrane und natürlich Miles Davis. Doch ist es der heutige Abend, der einen Paradigmenwechsel in mir auslösen könnte, ein Schlüsselerlebnis in meinem musikalischen Entwicklungsprozesses, ein Ereignis, das dazu führen könnte, mich neben Konzerten aus dem weiten Feld der Popmusik auch häufiger in Jazzclubs antreffen zu können. Gitarren-lastiger Jazz erscheint mir so facettenreich, von solch wohldurchdachter Eleganz zu sein, dass es einen süchtig machen könnte. Den Fingerläufe der beiden Saiteninstrumentalisten zu folgen ist dabei ebenso fesselnd wie das energische, doch punktgenaue Schlagwerkspiel Kappensteins.
Alle Titel leben von der Improvisation, die trotz anfänglich unruhiger Geräuschkulisse letztlich für ein andächtig lauschendes Publikum sorgt. Es ist die Lange Nacht der Museen in Stuttgart, in dessen Rahmen der Auftritt von Tann heute stattfindet. Im Wilhelmsbaupalais laden eine Kunstausstellung und eine Reihe Jazzkonzerte unzählige Menschen zu einem Besuch ein. Dementsprechend hektisch ist die Atmosphäre rund um das Tann-Konzert, das glücklicherweise erst um 23 Uhr beginnt, so dass ich in keine Gewissenskonflikte mit dem früher stattfindenden Auftritt von Tess Wiley gerate.
Die Beleuchtung im sehr gediegenen, prachtvollen Foyer des Wilhelmsbaupalais' ist atmosphärisch absolut stimmig und sorgt für angemessene Rahmenbedingungen eines solchen Konzertes. Spätestens mit dem zweiten Stück der Nacht haben Tann ihr Publikum schließlich im Griff, auf jeden Fall haben sie nun eine begeisternde Anzahl an Zuschauern gewonnen. „Julia auf dem Ponyhof“ http://www.youtube.com/watch?NR=1&v=07UMrCmL3pQ&feature=endscreen, ein wundervolles Stück Instrumentaljazz', indem Kontrabassist René Bornstein autobiografische Erlebnisse aus seiner Jugend aufarbeitet. So verlangten seine Eltern immer, dass sich der junge René eigenes Taschengeld hinzuverdient, was schließlich zu einem Ferienjob auf einem Ponyhof führte, wo er sich in eine Julia verliebte, wie Schlagzeuger Demian Kappenstein humorvoll erzählt. Überhaupt strotzen die Ansagen des bärtigen, chic-bebrillten Musikers im blauen Modhemd nur so von gut pointierten, sympathischen Witz. Und musikalisch sind die Musiker eben das, was dem Titel ihres Albums so ähnlich ist, nämlich Koryphäen. Der Einsatz verschiedenster Percussion- Hilfsmittel begeistert ebenso, so lässt Kappenstein mal wohldosiert Münzen über sein Instrument rieseln oder setzt andere ungewöhnliche Gegenstände, wie eine interessant aussehende Puppe ein.
„Dra di ned um, sonst fress i di“ ist ein weiteres, glänzendes Beispiel für die Klasse des intensiv-harmonierenden Trios. Euphorische Zurufe aus dem Publikum quittieren die Leistung und Intensität der Performance der jungen Dresdner Jazzer. „You“, geschrieben von Dirk Häfner, ist vielleicht der schönste Titel des tadellosen Konzerts. Der Gitarrist beginnt langsam, solo an seinem Instrument, bevor seine Kollegen einsteigen und sich das Stück zu einem erbarmungslos pulsierenden musikalischen Ritt steigert. „Round 'n' Round“ http://www.youtube.com/watch? v=ThWO9D_uYUk, das Kappenstein scherzend als „Rund und rund“ und als „unsere ewige Zirkusnummer“ ankündigt, fällt qualitativ in keinster Form ab, im Gegenteil, je länger der Auftritt andauert, desto leidenschaftlicher scheint er zu werden.
Zum Schluss gibt es noch „Zeitgeist“, „ein Stück Hipster-Kritik“, wie Kappenstein sagt, und hinzufügt, dass sie „die Metropolen dieser Welt, Dresden, Berlin und Dubai“ verlassen und sich „auf das Land verteilen“ sollten. Es ist der glänzende Schlusspunkt eines brillanten Konzerts, eines Konzerts, dass mein Interesse für Jazz um ein vielfaches gesteigert hat. Vielen Dank Tann, vielen Dank Dirk Häfner, René Bornstein und Demian Kappenstein!
Setlist:
Circus Dots
Julia auf dem Ponyhof
Dra di ned um, sonst fress i di
You
Round and round
Zeitgeist
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