Konzert: Deertick & Dolorean & Tift Merritt, Fargo All Stars # 4
Ort: La Flèche d'or, Paris
Datum: 08.01.11
Zuschauer: gut besuchte Veranstaltung
Das exquisite Pariser Folklabel Fargo hatte zur vierten All Stars Night geladen und viele kamen. Es war zwar nicht brechend voll in der Pariser Flèche d'or, aber der Abend war doch ausreichend gut besucht, daß man von einem Erfog sprechen konnte.
Fargo steht seit Jahren für Qualität im Bereich Folk/Americana/ Alt. Country. Große Namen haben hier in der Vergangenheit Platten veröffentlicht. Andrew Bird, Ryan Adams, Ron Sexmith und so weiter und so fort. Die drei Letztgenannten sind zwar nun nicht mehr dabei, dafür aber etliche andere Hochkaräter wie z.B. Alela Diane (Foto, entstanden bei einem Showcase im Fargorecordstore) , Chris Garneau, Neal Casal, Jesse Sykes und vor allem die Stars des heutigen Abends, die jungen Raubeine von Deer Tick.
Deer Tick konnte man sicherlich als Headliner der All Stars Night # 4 bezeichnen, aber auch die anderen beiden Acts Tift Merritt und Dolorean waren erlesen.
Tift machte den Anfang. Die einzige Frau auf dem Programm und auch die Einzige, die nicht bei Fargo selbst unter Vertag steht. Sie war Ehrengast, wurde auf Grund ihrer musikalischen Nähe zu den Künstlern des Pariser Labels mit hinzugenommen. Und es stellte sich als eine gute Entscheidung heraus, Merritt mit ins Boot genommen zu haben. Die feurige Lady aus North Carolina trug mit kraftvoller Stimme und viel Temperament ihre Countrysongs abwechselnd an Klavier und Akustikgitarre vor. Ihre Ausstrahlung war außergewöhnlich. Obwohl nicht sehr groß gewachsen, hatte sie eine erstaunliche Bühnenpräsenz und viel Charisma (und schöne Beine, aber das nur nebenbei). Zudem sprach sie beachtlich gut französisch und konnte mit ein paar wohlplatzierten Sätzchen die Sympathien der Franzosen gewinnen ("I have to live here in Paris, one day..."). Musikfans, die ausschließlich auf kargen, brüchigen Folk fokussiert sind, könnten ihre Probleme mit Tift's kraftvoller Stimme und ihrer feurigen Art haben, diejenigen, die aber auch traditionelle Countrysängerinnen wie Emmylou Harris oder Patsy Cline mögen, dürften ihre Freude an Merritt haben. Für mich war die Musik von Tift eine Neuentdeckung, denn obwohl ich ihren Namen schon mehrfach aufgeschnappt hatte, kannte ich keine Songs von ihr. Dabei ist Tift Merrit alles andere als eine Debütantin. 4 zumTeil mit sehr beachtlichen Kritiken versehene Alben stehen zu Buche, darunter der letzte Output See You On The Moon aus dem Jahre 2010.
Ich ärgere mich im Nachhinein, keines der Machwerke am Merch erstanden zu haben, denn gerade mit dem letzten Song, den sie auf der Mundharmonika begleitete, hat sie mich ziemlich weichgekocht. Die Frau hat was, ich bleibe ihr auf den bestiefelten Fersen!
Mit Dolorean kam danach eine reine Männerband, die mitunter das Pech hat, ihren Namen falsch geschrieben zu sehen. Unaufmerksame Journalisten verwechseln sie oft mit den spanischen Chillwavern Delorean, aber musikalisch haben diese beiden Formationen herzlich wenig miteinander am Hut. Bei Dolorean haben wir es nämlich mit typisch amerikanischem Folkrock im Stile von Wilco zu tun. Die geerdet wirkenden Burschen stammen aus Portland, Oregan und waren auch mal eine Weile die Backingband des famosen Damien Jurado. Bei einem ihrer früheren Konzerte in Paris (ohne Jurado) hatten sie wohl das Pech, vor lediglich 5 Leutchen zu spielen, zumindest behauptete dies schmunzelnd der Sänger Al James. Heute nun mit etwa 300 Leuten eine wesentlich größere Kulisse und die knackigen Wildwest Rocknummern hatten auch definitiv genug Drive und Lautstärke, um eine größere Location zu beschallen. An dem Set gab es nichts auszusetzen, die Kompositionen waren gut und harmonisch, die Stimme von Al James sehr schön, die Orgel jubilierend, die Gitarren saftig, das Schlagzeug variabel. Das Einzige was man eventuell bemängeln konnte, war, daß ein klein wenig die eigene Identität fehlte. Einige Melodien erinnerten mich an Stücke von Ryan Adams , andere wieder an die bereits genannten Wilco. Der Mangel an Originalität wurde aber durch starke Songs kompensiert, die in der Mehrheit von dem aktuellen Output The Unfazed stammten.
Nun aber war die Zeit für die Headliner Deer Tick gekommen. Ich hatte sie im vergangenen September gleich zwei mal gesehen. Einmal elektrisch im Café de la Danse und einen Tag später akustisch im kleinen, aber feinen Fargo Recordstore (Foto rechts). Der Unplugged Gig war große Klasse, das "richtige" Konzert im Café de la Danse aber eine Enttäuschung. Sänger John McCauley war damals krank, litt unter einer Grippe und war stimmlich und körperlich geschwächt (fragt mich bitte nicht, wie er am nächsten Tag soviel besser drauf sein konnte!). Deshalb verkürzten die Amis aus Rhode Island auch ihr Set und ließen viele gute Songs aus.
Heute hatte er aber keine Grippe und das Konzert war dementsprechend wesentlich länger und dynamischer. Leider aber merkte man John McCauley recht deutlich an, daß er wieder mal zu viel Alkohol intus hatte. Und zwar schon bevor er die Bühne betrat. Ich hatte ihn bereits bei den Konzerten der anderen Bands im Publikum ausgemacht und da war mir schon sein glasiger Blick aufgefallen. Beim Auftritt selbst trank er dann Jack Daniels aus der Flasche, den er mit Cola runterspülte. Seine Stimme war also gut geölt, könnte man meinen, aber aufgepeitscht von dem hochprozentigen Stoff übertrieb er es manchmal. Folge war, daß er noch ein wenig krächziger klang als schon auf den Alben. Von einer schlechten gesanglichen Leistung möchte ich trotzdem nicht sprechen, nur etwas nuancenreicher hätte es sein dürfen. Sowieso klang hier und heute alles etwas anders als auf den Alben. Der Sound war bluesiger, noch stärker nach den 70 er Jahren klingend und von einer laut auftrumpfenden Hammond Orgel geprägt. Die Jungs schienen es darauf abgesehen zu haben, laut und dreckig zu klingen. Der bärtige Drummer prügelte demzufolge auch wie ein Wilder auf seine Felle ein, während Bassist Christopher Dayle Ryan und Gitarrist Ian O'Neil gewohnt schüchtern (und zudem wahnsinnig jung!) wirkten. John McCauley in der Mitte hatte optisch etwas von einem modernen Kurt Cobain. Dunkelblondes wuscheliges Haar, traurig blickende blaue Augen, Blue Jeans und schwarze Chucks, so stand er vor der Menge, die in der ersten Reihe ausschließlich (!) aus jungen Mädchen bestand. Ein Weiberheld der John, die Mädels werden das Wilde und Maßlose an ihm lieben.
Ein paar Sätze zu den gespielten Songs. Auffällig, daß nur ein einziger vom Zweitling Born On A Flag Day stammte. Stattdessen wurde der Schwerpunkt auf die Black Dirt Sessions gelegt und auch der Erstling War Elephant wurde mit drei Liedern hinreichend gewürdigt. Zu dumm allerdings, daß ausgerechnet mein Liebling, der Gassenhauer These Old Shoes, im Programm fehlte. Dafür gab es aber den Baltimore City Blues No. 1, den ich mir ein wenig emotionaler und hingebunsvoller gewünscht hätte. Er klang ein bißchen runtergenudelt und leidenschaftslos. 20 Miles hingegen wurde stark abgewandelt gespielt. Gewöhnunsgbedürftig, die Albumversion gefällt mir besser. Und dann die Orgel, sie war omnipräsent und für meinen Geschmack zu laut.
So schrammelten sich die Raubeine etwa 70 Minuten durch ihr Set, das keineswegs schlecht, aber auch nicht hunderprozentig überzeugend war. Irgendwie müssten es die Deer Ticks in der Zukunft hinbekommen , ihre Energie zu bündeln, an Feinheiten zu arbeiten und fokussierter zu werden. Ihre ungestüme Art müssen sie ja gar nicht unbedingt ablegen, sondern nur ein wenig professioneller werden. Und ein bißchen weniger trinken, stimmt's, John? Klingt spießig, ich weiß, aber als Mutter würde ich mir ein wenig Sorgen um meinen Sohn machen.
Die erste Zugabe sang übrigens der mächtig in die Breite gegangene Drummer Dennis Ryan. Auch so ein Heißsporn!
Wenn ich eine Note verteilen müsste: 7/10.
Setlist Deer Tick, Fargo All Stars # 4, Flèche d'or, Paris:
01: Bury DeepHeute hatte er aber keine Grippe und das Konzert war dementsprechend wesentlich länger und dynamischer. Leider aber merkte man John McCauley recht deutlich an, daß er wieder mal zu viel Alkohol intus hatte. Und zwar schon bevor er die Bühne betrat. Ich hatte ihn bereits bei den Konzerten der anderen Bands im Publikum ausgemacht und da war mir schon sein glasiger Blick aufgefallen. Beim Auftritt selbst trank er dann Jack Daniels aus der Flasche, den er mit Cola runterspülte. Seine Stimme war also gut geölt, könnte man meinen, aber aufgepeitscht von dem hochprozentigen Stoff übertrieb er es manchmal. Folge war, daß er noch ein wenig krächziger klang als schon auf den Alben. Von einer schlechten gesanglichen Leistung möchte ich trotzdem nicht sprechen, nur etwas nuancenreicher hätte es sein dürfen. Sowieso klang hier und heute alles etwas anders als auf den Alben. Der Sound war bluesiger, noch stärker nach den 70 er Jahren klingend und von einer laut auftrumpfenden Hammond Orgel geprägt. Die Jungs schienen es darauf abgesehen zu haben, laut und dreckig zu klingen. Der bärtige Drummer prügelte demzufolge auch wie ein Wilder auf seine Felle ein, während Bassist Christopher Dayle Ryan und Gitarrist Ian O'Neil gewohnt schüchtern (und zudem wahnsinnig jung!) wirkten. John McCauley in der Mitte hatte optisch etwas von einem modernen Kurt Cobain. Dunkelblondes wuscheliges Haar, traurig blickende blaue Augen, Blue Jeans und schwarze Chucks, so stand er vor der Menge, die in der ersten Reihe ausschließlich (!) aus jungen Mädchen bestand. Ein Weiberheld der John, die Mädels werden das Wilde und Maßlose an ihm lieben.
Ein paar Sätze zu den gespielten Songs. Auffällig, daß nur ein einziger vom Zweitling Born On A Flag Day stammte. Stattdessen wurde der Schwerpunkt auf die Black Dirt Sessions gelegt und auch der Erstling War Elephant wurde mit drei Liedern hinreichend gewürdigt. Zu dumm allerdings, daß ausgerechnet mein Liebling, der Gassenhauer These Old Shoes, im Programm fehlte. Dafür gab es aber den Baltimore City Blues No. 1, den ich mir ein wenig emotionaler und hingebunsvoller gewünscht hätte. Er klang ein bißchen runtergenudelt und leidenschaftslos. 20 Miles hingegen wurde stark abgewandelt gespielt. Gewöhnunsgbedürftig, die Albumversion gefällt mir besser. Und dann die Orgel, sie war omnipräsent und für meinen Geschmack zu laut.
So schrammelten sich die Raubeine etwa 70 Minuten durch ihr Set, das keineswegs schlecht, aber auch nicht hunderprozentig überzeugend war. Irgendwie müssten es die Deer Ticks in der Zukunft hinbekommen , ihre Energie zu bündeln, an Feinheiten zu arbeiten und fokussierter zu werden. Ihre ungestüme Art müssen sie ja gar nicht unbedingt ablegen, sondern nur ein wenig professioneller werden. Und ein bißchen weniger trinken, stimmt's, John? Klingt spießig, ich weiß, aber als Mutter würde ich mir ein wenig Sorgen um meinen Sohn machen.
Die erste Zugabe sang übrigens der mächtig in die Breite gegangene Drummer Dennis Ryan. Auch so ein Heißsporn!
Wenn ich eine Note verteilen müsste: 7/10.
Setlist Deer Tick, Fargo All Stars # 4, Flèche d'or, Paris:
02: Ashamed
03: 20 Miles
04: Baltimore Blues, No.1
05: Born
06: Hope is big
07: When She Comes Home
08: waitress
09: Me Me Me
10: Christ Jesus
11: Mange
12: Bring It OnHome To Me (Sam Cooke Cover)
13: La Bamba (war vorgesehen, wurde aber nicht gespielt)
Auf dem inzwischen in schlichtem schicken grau gehaltenen Klienicum gibt es einen kleinen Eintrag zu Dolorean aus dem Jahre 2007, klick!
Aus unserem Archiv:
Deer Tick, Paris, 15.09.10
Deer Tick, Paris, 14.09.10
4 Kommentare :
oh, ich bin großer dolorean fan, das gibt der artikel von damals leider nicht her. schön, dass du das mit der möglichen verwechslung aufgenommen hast. ich hatte immer wieder schluckauf, wenn diese andere kapelle irgendwo benannt wurde.
ich hätte dich ums neue album beauftragen sollen. schiete!
Vielen Dank, Oliver! Du bestätigst den Eindruck aus den youtubeclips: Zu viel Alk und Orgel. Dass Deer Tick zu viel mehr im Stande ist, habe ich im Oktober 2010 in Dublin erlebt. Eine live band vom Feinsten! Hier zwei Beispiele:
http://www.youtube.com/watch?v=QKHjVILN1Gk
http://www.youtube.com/watch?v=o2RbGLHeKUs (mit Caitlin Rose)
Britt aus München
Danke für die Links zu den Videos Britt, sehr schön!
Caitlin Rose sehe ich übrigens morgen. Ich werde berichten :)
Schöne Grüße nach München,
Oliver
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