Sonntag, 13. Februar 2011

Iron & Wine, Wien, 10.02.11


Konzert: Iron & Wine (mit Tift Merritt)
Ort: WUK, Wien
Datum: 10.02.11
Zuschauer: restlos ausverkauft, 500
Konzertdauer: Tift Merritt 3o Minuten, Iron & Wine 100 Minuten

Wäre Sam Beam's Musik irgendwo in den Ecken härterer Musik verortet, würde man jetzt sagen, der Südstaatler hätte heute mit Iron & Wine alles niedergefegt. Aber so? Über den Weltschmerz hinweggetröstet? Unruhige Herzen versöhnt? Lauter Hilfsausdrücke! Am Besten ließe sich wohl eine Songzeile zitieren, die des Publikums Gemütszustand annähernd beschreibt: "Eyes wide open, naked as we came."
Aber um nicht das Ende entgegen jeder Tradition vorwegzunehmen alles schön der Reihe nach: Ich musste mich ordentlich beeilen, um rechtzeitig von der Uni ins glücklicherweise nur zehn Straßenbahnminuten entfernte WUK zu gelangen, wollte ich doch auch die als Support engagierte Songwriterin Tift Merritt sehen, von der an dieser Stelle bereits geschwärmt wurde.
Ging sich dann alles aus, es war aber auch schon dermaßen viel los, dass gute Plätze rar gesät waren und maibaumlange Kerle das Spiel zusätzlich erschwerten. Auch kein Problem, ich hatte mich schon darauf eingestellt, mir den Hals verrenken zu müssen, um Blicke auf die Frau erhaschen zu können.

Und ja: Tift Merritt ist eine ganz fesche, das hat auch unser Pariser Experte für weibliche Beine - Oliver Peel - schon bestätigt. Kommen wir also lieber zu den künstlerischen Vorzügen: Völlig alleine steht Madame Merritt auf der Bühne und bündelt in kargem Licht die Aufmerksamkeit des gesamten Publikums. Ihre Stimme ist kräftig, klar und sehr bestimmt - und bot dennoch viel Raum für Projektion, Identifikation, Eigeninterpretation.

Drei Fremdwörter, die für diesen Auftritt von Bedeutung waren, Tifts Musik ist allerdings bodenständig im besten Sinne. Ihre Klasse beruht vor allem auf ihrem herausragenden Gesang und den Geschichten, die sie damit erzählt. Instrumentell setzt sie eher auf einfach gestrickte Songs und das ist durchaus auch etwas Gutes! Vor allem wenn mit Iron and Wine noch eine Band wartet, die bisweilen durchaus mit komplexen Strukturen herausfordert!

Und so wusste Tift Merritt an Gitarre und (bei zwei Songs) am Piano zu gefallen, spielte viel von ihrem aktuellen Werk See You On The Moon, sowie einige ältere Songs. All das begleitet von geäußertem Wohlgefallen der Menschen im Parkett. Und so ließ sich die sympathische Frau aus den Staaten ebenfalls nicht lumpen und meinte, sie hätte sich nie vorstellen können, einen solchen Anklang in Wien zu bekommen. Wenn sie also ihr Versprechen wahr macht und eines Tages an die Seine zieht, wäre man ihr in Wien jedenfalls nicht böse, wenn sie alle paar Monate mal in die Stadt kommt!

Nach einer halbstündigen Pause, die man dazu nutzte, vor die Maibäume zu gelangen, kamen dann Iron & Wine die Stiegen hinunter und bekamen gleich mal gewaltigen Applaus. Schön, dass sich die Leute zu solchen Vorschusslorbeeren hinreißen lassen, aber ob das wohl noch steigerbar ist?

Wird sich alles weisen, begonnen wurde das Set mit Rabbit Will Run, und bis auf etwaige Hasen lief alles wie am Schnürchen. Sam Beam zauberte mit seiner Stimme, der Sound war fast von Beginn an perfekt, die Damen und Herren an den Instrumenten in bester Laune - die Marschrichtung war von Anfang an klar.

Danach folgte - glaube ich - Red Dust, wobei ich mir nicht ganz sicher bin. Setlist.fm verkauft das in der übernommenen Setlist dennoch als Wahrheit, aber da ich entgegen der alten Weisheit auch selbstgefälschten Statistiken nicht traue, bleibts hier dabei: Kann auch ein anderes Stück vom Album mit Calexico gewesen sein!

Mit vielen neuen Stücken vom verstörend starken Album Kiss Each Other Clean und dem Besten aus dem bisherigen Werk ging es weiter, begeisternd die Ausgestaltung der Songs. Wie sich da Perkussionsinstrumente von einem Moment auf den anderen von treibenden Akteuren zu sanften Kuschlern wurden, wie das Saxophon sich zwischen laut und leise hin und her wog, Sam Beam's Stimme in Falsett und Flüsterton. Hm, schade, dass das englische "great" ethymologisch nicht ganz dem deutschen Gegenüber entspricht: Es war nämlich wirklich ganz große Kunst, nicht nur großartig, sondern Kunst! Und zwar keine verstaubte, sondern eine zum Angreifen. "Beautiful" kam es aus dem Publikum, zusätzlicher Ansporn für die Truppe auf der Bühne.

Was folgte war die derzeitige Single Walking Far From Home, die mit Jubel begrüßt wurde, der sehr schnell wieder abflaute. Nicht aus Enttäuschung oder so, nein, aus purem Selbstnutzen. Der singende Cineast trug den Song nämlich alleine und beinahe gehaucht vor. Da gab es keine fetten Backing-Chöre wie in der Studioversion, was es gab, das war Sam Beam. Und als der Song vermeintlich zu Ende war, schalteten sich die Musiker im Hintergrund ein und schraubten sich gemeinsam mit ihrem Vordermann in noisige Höhen, für ein paar Minuten meinte man, bei Mogwai und Konsorten zu sein.

Voll auf der Höhe der Zeit also Frontmann Beam, der, als eine kurze technische Pause vom Publikum für Songwünsche genutzt wurde, meinte, Vienna sei "still an idea city, full of surprises" (nette Ansage, danke!), sich dann umdrehte und ein paar Akkorde in Richtung seiner Hintermannschaft zupfte, um schließlich (wieder dem Publikum zugewandt) zu verkünden, die kurze bandinterne Konferenz sei beendet und dann halt doch einen ganz anderen Song als den gewünschten spielte. Wenn ich nicht mehr weiterweiß, gründ ich einen Arbeitskreis! Dass da oftmals andere Ergebnisse, als vom Volk gewünscht, herauskommen können, ist ja nichts Neues...

Da Setlist und Dramaturgie im Aufbau aber allererste Klasse waren, gabs nichts zum Meckern, der Reihe nach wurden jetzt die Lieblingssongs abgefeuert, bis es dann eben hoch überzeugend hieß: "Eyes wide open, naked as we came."
Staunend und berührt, emotional völlig nackt (im Sprachgebrauch ehemaliger österreichischer Finanzminister auch: supernackt) stand man da, Iron & Wine waren ohne viel Federlesens verschwunden.

Und ein paar Minuten und crescendoartigen Beifall später wieder da. Zumindest Sam Beam, der ganz und gar nicht zynisch dankte, er könne wohl machen was er wolle und trotzdem den größten Applaus ernten, und was jetzt folgte war der stärkste Moment des gesamten Konzerts: Flightless Bird, American Mouth.
Totenstill war es, als er sang, was in meinen Augen der großartigste Song der Band ist. Und als mit dem letzten Ton diese gerührte Stille von einem über Becher stolpernden Besucher aufgehoben wurde, schnell allfällige Tränen aus dem Gesicht gewischt wurden und sich stattdessen glückliches Lächeln auf den Gesichtern breit machte, wusste man: Hätte Sam Beam auch noch Glad Man Singing angestimmt, hätte das auf alle Beteiligten zugetroffen.

Ein sehr gutes, furchtbar schönes Konzert, das alle Erwartungen erfüllt, die musikalische Neuerfindung bestätigt und alte Stärken ausgebaut hat. Auch wenn ihr Konzert in strömendem Regen am Frequency 2008 wohl noch einen Tick mehr an der Tür zur Ewigkeit kratzte, was Iron & Wine da im WUK ablieferten, wird 2011 wohl noch für viele als Maßstab herhalten müssen.

Setlist Iron & Wine, Wien:

01: Rabbit Will Run
02: Red Dust (?)
03: Big Burned Hand
04: House By The Sea
05: Love And Some Verses
06: Weary Memory
07: Boy With A Coin
08: Walking Far From Home
09: Cinder And Smoke
10: Tree By The River
11: In My Lady's House
12: Me And Lazarus
13: He Lays In The Reins
14: Burn That Broken Bed
15: Free Until They Me Down
16: Fever Dream
17: Naked As We Came

18: Flightless Bird, American Mouth (Z)


Die ersten beiden Fotos (Sam Beam in Farbe und Tift Merritt in s/w) stammen von Oliver Peel und sind Archivfotos aus Paris, die restlichen Bilder sind von Patrick und ebenjenem Abend im WUK. Danke euch!

2 Kommentare :

Alexander hat gesagt…

Danke für deinen ausführlichen Bericht (der Blog ist schon im Google Reader). Auch uns von the death cat hat das Iron & Wine Konzert gut gefallen (wenn auch nicht alles). Unsere Gedanken im Detail: http://thedeathcat.com/2011/02/14/iron-and-wine-nahmen-sich-beim-wien-gastspiel-im-wuk-selbst-vorweg

Julius hat gesagt…

Vielen Dank! Gleiches Lob ergeht an euch, I like death cat! :)
Carousel wäre aber auch fast zu schön gewesen...

 

Konzerttagebuch © 2010

Blogger Templates by Splashy Templates