Konzert: The National (+ Kissaway Trail, Fanfarlo, The Low Anthem)
Ort: Arena Open Air, Wien
Datum: 18.08.2010
Zuschauer: ausverkauft – ca. 3000
Konzertdauer: The National 100 Min., die anderen Bands jeweils etwa 30-40 Min.
von Julius aus Wien
Wochen, Monate hatte ich mich auf das Konzert von The National in der Arena gefreut. Ein tolles neues Album, die vorangegangenen, ebenfalls lieb gewonnenen Alben und gleich drei erstklassige Support-Bands – die Vorfreude kam nicht von irgendwo her. Einziger Wermutstropfen schien der Ort zu werden. Als solcher war nämlich die große Halle der Arena auserkoren, ein ebenso alter wie hässlicher Ziegelbau.
Als die Schlange gegen fünf Uhr – Beginn war für sechs angesetzt – allmählich länger wurde, hörte man auf einmal den Soundcheck von Kissaway Trail. Und zwar so laut, dass einfach nur das Open Air-Gelände in Frage kam. Der gerade aufkommende leichte Niesel-Regen tat meiner Freude darüber keinen Abbruch. Es besteht einfach kein Vergleich zwischen dem Ostblock-Charme (indoor) und dem gemütlichen Park-Flair (outdoor), wenn auch keine zehn Meter voneinander getrennt.
Kissaway Trail, die pünktlich um sechs begannen, mussten dafür mit den weniger angenehmen Seiten des Geländes kämpfen. Durch dessen Größe nämlich nahm sich das bereits anwesende Publikum verschwindend gering aus. Stimmung wollte auch nicht so recht aufkommen. Kissaway Trail dürften das kennen. Als sie vor zwei Jahren für Sigur Rós um etwa dieselbe Uhrzeit auf der selben Bühne eröffnen durften, waren ähnlich wenige Besucher da. Unverdrossen spielten sie ihr Set, hauptsächlich von Sleep Mountain-Songs bestritten, um dann plötzlich anzukündigen, dass sie einen ihrer absoluten Lieblinssong darbieten würden. Durch das charakteristische „uh-uh“ am Anfang war auch sofort klar, was hier gespielt wurde. Sofort stieg auch die Mitmach-Bereitschaft vor der Bühne. Interessant der Gesang von Thomas Fagerlund bei diesem Klassiker. Weiß er, wessen Song er hier covert? Vermutlich schon, das stimmliche Ergebnis war dann aber wesentlich näher bei Placebos Brian Molko als bei Black Francis. Und das Placebo-Cover ist ja auch in der Tat ein sehr gelungenes, wieso also nicht nachahmen?
Mit einem eigenen Song, SDP, und unter diesmal mehr als höflichem Beifall schlossen die Dänen ihren Auftritt ab. Mein zweites Konzert von ihnen, leider bis jetzt nur auf Support-Slots. Auf den großen Moment mit Kissaway Trail warte ich noch. Vielleicht stellt sich dieser nur bei annähernder Dunkelheit ein...
Mit den Londonern Fanfarlo habe ich da schon mehr Erfahrung. Das melodiös-fröhliche Folk-Indie-Zwischending, das von unzähligen Instrumenten und den dazugehörigen Spielern schwungvoll umgesetzt wird, harmonierte aber ebenfalls nicht wirklich mit den Rahmenbedingungen. Nett anzusehen, teilweise recht kurzweilig und gut aufgelegt schafften sie es aber nicht, bei der großen Besuchermasse wirklich bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Erwähnenswert vielleicht noch die Tatsache, dass Sängerin Cathy Lucas es sich nicht nehmen hat lassen, ihre lange Hose, die sie während des Auftritts von Kissaway Trail getragen hatte, gegen ultrakurze Shorts zu tauschen. Was sie damit bezwecken wollte weiß ich nicht :)
Das Konzept, einen ganzen Haufen Vorbands mitzunehmen war dennoch ein sehr begrüßenswertes, kann man doch auch mit handwerklich tollen Auftritten, die halt etwas unglücklich verlaufen, sehr gut leben.
The Low Anthem nahmen die Geschwindigkeit, die Fanfarlo aufgebracht hatten, wieder aus dem Spiel. Und das angenehm unspektakuläre Auftreten der Oststaatler kam auch gut an. Dieser Flüstergesang, einzigartig instrumentiert gefiel auch mir, wenn ich The Low Anthem doch sonst nicht wirklich höre. Mit Charlie Darwin endete das Set, die Bühne war frei für die Band, auf die Wien seit drei Jahre gewartet hat. Eine recht kurze Umbauphase war noch zu überstehen, wohliges Kribbeln stellt sich ein.
Und dann kamen The National.
Spannung lag in der Luft, die kühl, ein bisschen regengeschwängert war, vor allem aber erwartungsvoll.
„We expected something, something better than before. We expected something more.” Die Erwartungen waren groß, man erwartete mehr als (je) zuvor. Waren sich The National dieser Erwartungen bewusst? Jedenfalls eröffneten sie mit dem wunderbaren Start A War, das ironischerweise mit der eben zitierten Zeile beginnt. Falls Hintergedanken dabei im Spiel waren, kann man von einem gelungenen Kunstgriff sprechen. Der Einstieg war so oder so erfolgreich. Mit den Stücken von Boxer ließ sich noch jeder Fan begeistern.
Der neueste Wurf nennt sich High Violet, dessen Release es mit ausgiebiger Tour zu feiern gilt. Und so verzeichnete man mit Anyone’s Ghost den ersten neuen Song, unmittelbar gefolgt von der ersten Single, Bloodbuzz Ohio. Beide zeichnen sich durch Dynamik und den erfolgreich beschrittenen schmalen Grat zwischen Melancholie und Pathos aus.
War der Auftritt bis jetzt von einer sehr guten Stimmung begleitet, steigerte sich die Laune mit den ersten Tönen von Mistaken For Strangers nochmals gewaltig. Matt Berninger quittierte die Begeisterung mit autistisch anmutenden Kreisbahnen, die er in der Lücke zwischen Schlagzeug und den Gitarristen-Zwillingen Dessner zog. Nicht das einzige, was mich an ihm an den weirden Thom Yorke erinnerte…
Es war aber nicht so, dass Berninger mit Ablehnung auf den Applaus reagierte, seine verrückten Tänze gehören wohl einfach dazu.
Einer der Dessners, an diesem Abend rechts postiert, tat dann kund, wie schön die Band das Areal denn fände. „Usually we play in small clubs underneath the train, like Chelsea or B72. We like those places too, but we really like it here. Next time in Vienna, we’ll come back here.”
So wie es angefangen hatte, ging es auch weiter – nämlich mit einer ausgewogenen Mischung alter, neuer und ganz alter Songs. Available mit einem Outro aus Cardinal Song wurde als “old song” angekündigt. „You may not recognize it, but, well … it’s loud. And it’s angry.”
Wunderschön einfühlsam wurde Little Faith dargeboten, in dem unter anderem von Priestern und Nonnen die Rede ist.
Ein in die Höhe gehaltenes Transparent im Publikum betrachtete Berninger einige Momente, um dann Hoffnungen zu enttäuschen: „We can’t play this song. Physically we can’t.“
Diese Rechnung hatte er aber ohne die beiden Dessners an den Flanken gemacht. Den ersten, der ihn drauf hinwies, dass nur er, Berninger, den Song nicht spielen wolle und zwar nicht physically sondern aus psychischen Gründen, parierte er, das Gehirn hätte ja auch mit dem Körper zu tun, er könne ihn also wirklich physisch nicht spielen. Beim zweiten Angriff war er dann machtlos. Denn der zweite Dessner sagte nur knapp: „This is for you.“ Und schon schrammelte er auf seiner Gitarre Conversation 16 los.
Traumhafte Momente stellte sich dann noch bei Apartment Story und vor allem bei Fake Empire (dem vielleicht populärsten National-Song?) ein. Lag in den Minuten vor dem Auftritt eine gewaltige Spannung in der Luft, so war diese nun voll Euphorie und Freude mit, über und von dieser Band.
Den nach Fake Empire aufbrandenen Beifall nutzten The National, um den Rückzug anzutreten. Dieser sollte jedoch nicht lange währen, nach mehrmaligen Sprechchören waren die Herren aus Ohio wieder back on stage.
Runaway und Boxers Slow Show waren schon grandiose Zugaben, als Matt Berninger bei Mr. November einen seiner legendären Ausraster kriegte, Equipment umwarf und mit dem Mikro die Galerie des Zuschauerraums erklomm. Von dort aus arbeitete (ich würde ja fast sagen ‚wütete’, aber das klingt dann doch zu destruktiv) er sich durch das ganze Gelände. Einer zum Anfassen, einer zum Liebhaben. Ein Berninger, den man so irgendwie gar nicht kennt. Sein Ausflug geriet zum Triumphzug, die wenigen, die The National davor noch nicht ins Herz geschlossen hatten, bekamen einen guten Grund, dies schleunigst zu ändern. Ein Besucher, der vor mir stand und schon während des ganzen Konzerts in eine Art Trance verfallen war, völlig vereint mit der Musik, wurde auf einmal lebhaft und umarmte Berninger. Um Sekunden später wieder in seine Trance zurückzufallen – diesmal mit einem unfassbar glückseligen Gesichtsausdruck.
Erschöpft kämpfte sich Berninger dann auf die Bühne zurück, um mit einem Puls etwa um120 Terrible Love zu keuchen.
Was für ein schöner Schlusspunkt eines einzigartigen Konzerts. Eine Band, die sich zwischen Distanz und völliger Nähe bewegt, keinerlei Zweifel an ihrem Talent lässt und sich völlig hingibt, ohne sich dabei zur Schau zu stellen.
Wollten The National eine große Band sein, wären sie es schon längst. Die Arenen wären größer, die Einnahmen ebenso. Aber The National wären nicht mehr The National.
Um aus Anyone’s Ghost zu klauen: „I don’t want anybody else.“
Wir wollen The National wie sie sind. Authentisch und herzerwärmend. Und kathartisch.
[Die großartigen Fotos stammen von Jiamin Xu, vielen Dank! Hier sind noch einige!]
Setlist The National, Arena Open-Air, Wien:
01: Start A War
02: Anyone's Ghost
03: Bloodbuzz Ohio
04: Mistaken For Strangers
05: Secret Meeting
06: Squalor Victoria
07: Afraid Of Everyone
08: Available/Cardinal Song
09: Little Faith
10: Conversation 16
11: Apartment Story
12: Sorrow
13: Abel
14: England
15: Fake Empire
16: Runaway (Z)
17: Slow Show (Z)
18: Mr. November (Z)
19: Terrible Love (Z)
Links:
- aus unserem Archiv:
- The National, Haldern-Festival, 14.08.10
- The National, Latitude Festival, 16.07.10
- The National (mit Pavement), Paris, 07.05.10
- The National, Haldern, 09.08.08
- The National, Montreux, 16.07.08
- The National, Köln, 27.11.07
- The National, Paris, 14.11.07
- The Kissaway Trail, Montreux, 16.07.08
- The Kissaway Trail, London, 17.06.07
- The Low Anthem, Ottersum, 05.02.10
- The Low Anthem, Paris, 26.09.09
- The Low Anthem, München, 15.09.09
- Fanfarlo, Haldern, 14.08.10 (folgt)
- Fanfarlo, Paris, 14.05.10
- Fanfarlo, Paris, 08.03.10
- Fanfarlo, Köln, 24.01.10
- Fanfarlo, Paris, 21.01.10
- Fanfarlo, Paris, 13.06.08
Ort: Arena Open Air, Wien
Datum: 18.08.2010
Zuschauer: ausverkauft – ca. 3000
Konzertdauer: The National 100 Min., die anderen Bands jeweils etwa 30-40 Min.
von Julius aus Wien
Wochen, Monate hatte ich mich auf das Konzert von The National in der Arena gefreut. Ein tolles neues Album, die vorangegangenen, ebenfalls lieb gewonnenen Alben und gleich drei erstklassige Support-Bands – die Vorfreude kam nicht von irgendwo her. Einziger Wermutstropfen schien der Ort zu werden. Als solcher war nämlich die große Halle der Arena auserkoren, ein ebenso alter wie hässlicher Ziegelbau.
Als die Schlange gegen fünf Uhr – Beginn war für sechs angesetzt – allmählich länger wurde, hörte man auf einmal den Soundcheck von Kissaway Trail. Und zwar so laut, dass einfach nur das Open Air-Gelände in Frage kam. Der gerade aufkommende leichte Niesel-Regen tat meiner Freude darüber keinen Abbruch. Es besteht einfach kein Vergleich zwischen dem Ostblock-Charme (indoor) und dem gemütlichen Park-Flair (outdoor), wenn auch keine zehn Meter voneinander getrennt.
Kissaway Trail, die pünktlich um sechs begannen, mussten dafür mit den weniger angenehmen Seiten des Geländes kämpfen. Durch dessen Größe nämlich nahm sich das bereits anwesende Publikum verschwindend gering aus. Stimmung wollte auch nicht so recht aufkommen. Kissaway Trail dürften das kennen. Als sie vor zwei Jahren für Sigur Rós um etwa dieselbe Uhrzeit auf der selben Bühne eröffnen durften, waren ähnlich wenige Besucher da. Unverdrossen spielten sie ihr Set, hauptsächlich von Sleep Mountain-Songs bestritten, um dann plötzlich anzukündigen, dass sie einen ihrer absoluten Lieblinssong darbieten würden. Durch das charakteristische „uh-uh“ am Anfang war auch sofort klar, was hier gespielt wurde. Sofort stieg auch die Mitmach-Bereitschaft vor der Bühne. Interessant der Gesang von Thomas Fagerlund bei diesem Klassiker. Weiß er, wessen Song er hier covert? Vermutlich schon, das stimmliche Ergebnis war dann aber wesentlich näher bei Placebos Brian Molko als bei Black Francis. Und das Placebo-Cover ist ja auch in der Tat ein sehr gelungenes, wieso also nicht nachahmen?
Mit einem eigenen Song, SDP, und unter diesmal mehr als höflichem Beifall schlossen die Dänen ihren Auftritt ab. Mein zweites Konzert von ihnen, leider bis jetzt nur auf Support-Slots. Auf den großen Moment mit Kissaway Trail warte ich noch. Vielleicht stellt sich dieser nur bei annähernder Dunkelheit ein...
Mit den Londonern Fanfarlo habe ich da schon mehr Erfahrung. Das melodiös-fröhliche Folk-Indie-Zwischending, das von unzähligen Instrumenten und den dazugehörigen Spielern schwungvoll umgesetzt wird, harmonierte aber ebenfalls nicht wirklich mit den Rahmenbedingungen. Nett anzusehen, teilweise recht kurzweilig und gut aufgelegt schafften sie es aber nicht, bei der großen Besuchermasse wirklich bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Erwähnenswert vielleicht noch die Tatsache, dass Sängerin Cathy Lucas es sich nicht nehmen hat lassen, ihre lange Hose, die sie während des Auftritts von Kissaway Trail getragen hatte, gegen ultrakurze Shorts zu tauschen. Was sie damit bezwecken wollte weiß ich nicht :)
Das Konzept, einen ganzen Haufen Vorbands mitzunehmen war dennoch ein sehr begrüßenswertes, kann man doch auch mit handwerklich tollen Auftritten, die halt etwas unglücklich verlaufen, sehr gut leben.
The Low Anthem nahmen die Geschwindigkeit, die Fanfarlo aufgebracht hatten, wieder aus dem Spiel. Und das angenehm unspektakuläre Auftreten der Oststaatler kam auch gut an. Dieser Flüstergesang, einzigartig instrumentiert gefiel auch mir, wenn ich The Low Anthem doch sonst nicht wirklich höre. Mit Charlie Darwin endete das Set, die Bühne war frei für die Band, auf die Wien seit drei Jahre gewartet hat. Eine recht kurze Umbauphase war noch zu überstehen, wohliges Kribbeln stellt sich ein.
Und dann kamen The National.
Spannung lag in der Luft, die kühl, ein bisschen regengeschwängert war, vor allem aber erwartungsvoll.
„We expected something, something better than before. We expected something more.” Die Erwartungen waren groß, man erwartete mehr als (je) zuvor. Waren sich The National dieser Erwartungen bewusst? Jedenfalls eröffneten sie mit dem wunderbaren Start A War, das ironischerweise mit der eben zitierten Zeile beginnt. Falls Hintergedanken dabei im Spiel waren, kann man von einem gelungenen Kunstgriff sprechen. Der Einstieg war so oder so erfolgreich. Mit den Stücken von Boxer ließ sich noch jeder Fan begeistern.
Der neueste Wurf nennt sich High Violet, dessen Release es mit ausgiebiger Tour zu feiern gilt. Und so verzeichnete man mit Anyone’s Ghost den ersten neuen Song, unmittelbar gefolgt von der ersten Single, Bloodbuzz Ohio. Beide zeichnen sich durch Dynamik und den erfolgreich beschrittenen schmalen Grat zwischen Melancholie und Pathos aus.
War der Auftritt bis jetzt von einer sehr guten Stimmung begleitet, steigerte sich die Laune mit den ersten Tönen von Mistaken For Strangers nochmals gewaltig. Matt Berninger quittierte die Begeisterung mit autistisch anmutenden Kreisbahnen, die er in der Lücke zwischen Schlagzeug und den Gitarristen-Zwillingen Dessner zog. Nicht das einzige, was mich an ihm an den weirden Thom Yorke erinnerte…
Es war aber nicht so, dass Berninger mit Ablehnung auf den Applaus reagierte, seine verrückten Tänze gehören wohl einfach dazu.
Einer der Dessners, an diesem Abend rechts postiert, tat dann kund, wie schön die Band das Areal denn fände. „Usually we play in small clubs underneath the train, like Chelsea or B72. We like those places too, but we really like it here. Next time in Vienna, we’ll come back here.”
So wie es angefangen hatte, ging es auch weiter – nämlich mit einer ausgewogenen Mischung alter, neuer und ganz alter Songs. Available mit einem Outro aus Cardinal Song wurde als “old song” angekündigt. „You may not recognize it, but, well … it’s loud. And it’s angry.”
Wunderschön einfühlsam wurde Little Faith dargeboten, in dem unter anderem von Priestern und Nonnen die Rede ist.
Ein in die Höhe gehaltenes Transparent im Publikum betrachtete Berninger einige Momente, um dann Hoffnungen zu enttäuschen: „We can’t play this song. Physically we can’t.“
Diese Rechnung hatte er aber ohne die beiden Dessners an den Flanken gemacht. Den ersten, der ihn drauf hinwies, dass nur er, Berninger, den Song nicht spielen wolle und zwar nicht physically sondern aus psychischen Gründen, parierte er, das Gehirn hätte ja auch mit dem Körper zu tun, er könne ihn also wirklich physisch nicht spielen. Beim zweiten Angriff war er dann machtlos. Denn der zweite Dessner sagte nur knapp: „This is for you.“ Und schon schrammelte er auf seiner Gitarre Conversation 16 los.
Traumhafte Momente stellte sich dann noch bei Apartment Story und vor allem bei Fake Empire (dem vielleicht populärsten National-Song?) ein. Lag in den Minuten vor dem Auftritt eine gewaltige Spannung in der Luft, so war diese nun voll Euphorie und Freude mit, über und von dieser Band.
Den nach Fake Empire aufbrandenen Beifall nutzten The National, um den Rückzug anzutreten. Dieser sollte jedoch nicht lange währen, nach mehrmaligen Sprechchören waren die Herren aus Ohio wieder back on stage.
Runaway und Boxers Slow Show waren schon grandiose Zugaben, als Matt Berninger bei Mr. November einen seiner legendären Ausraster kriegte, Equipment umwarf und mit dem Mikro die Galerie des Zuschauerraums erklomm. Von dort aus arbeitete (ich würde ja fast sagen ‚wütete’, aber das klingt dann doch zu destruktiv) er sich durch das ganze Gelände. Einer zum Anfassen, einer zum Liebhaben. Ein Berninger, den man so irgendwie gar nicht kennt. Sein Ausflug geriet zum Triumphzug, die wenigen, die The National davor noch nicht ins Herz geschlossen hatten, bekamen einen guten Grund, dies schleunigst zu ändern. Ein Besucher, der vor mir stand und schon während des ganzen Konzerts in eine Art Trance verfallen war, völlig vereint mit der Musik, wurde auf einmal lebhaft und umarmte Berninger. Um Sekunden später wieder in seine Trance zurückzufallen – diesmal mit einem unfassbar glückseligen Gesichtsausdruck.
Erschöpft kämpfte sich Berninger dann auf die Bühne zurück, um mit einem Puls etwa um120 Terrible Love zu keuchen.
Was für ein schöner Schlusspunkt eines einzigartigen Konzerts. Eine Band, die sich zwischen Distanz und völliger Nähe bewegt, keinerlei Zweifel an ihrem Talent lässt und sich völlig hingibt, ohne sich dabei zur Schau zu stellen.
Wollten The National eine große Band sein, wären sie es schon längst. Die Arenen wären größer, die Einnahmen ebenso. Aber The National wären nicht mehr The National.
Um aus Anyone’s Ghost zu klauen: „I don’t want anybody else.“
Wir wollen The National wie sie sind. Authentisch und herzerwärmend. Und kathartisch.
[Die großartigen Fotos stammen von Jiamin Xu, vielen Dank! Hier sind noch einige!]
Setlist The National, Arena Open-Air, Wien:
01: Start A War
02: Anyone's Ghost
03: Bloodbuzz Ohio
04: Mistaken For Strangers
05: Secret Meeting
06: Squalor Victoria
07: Afraid Of Everyone
08: Available/Cardinal Song
09: Little Faith
10: Conversation 16
11: Apartment Story
12: Sorrow
13: Abel
14: England
15: Fake Empire
16: Runaway (Z)
17: Slow Show (Z)
18: Mr. November (Z)
19: Terrible Love (Z)
Links:
- aus unserem Archiv:
- The National, Haldern-Festival, 14.08.10
- The National, Latitude Festival, 16.07.10
- The National (mit Pavement), Paris, 07.05.10
- The National, Haldern, 09.08.08
- The National, Montreux, 16.07.08
- The National, Köln, 27.11.07
- The National, Paris, 14.11.07
- The Kissaway Trail, Montreux, 16.07.08
- The Kissaway Trail, London, 17.06.07
- The Low Anthem, Ottersum, 05.02.10
- The Low Anthem, Paris, 26.09.09
- The Low Anthem, München, 15.09.09
- Fanfarlo, Haldern, 14.08.10 (folgt)
- Fanfarlo, Paris, 14.05.10
- Fanfarlo, Paris, 08.03.10
- Fanfarlo, Köln, 24.01.10
- Fanfarlo, Paris, 21.01.10
- Fanfarlo, Paris, 13.06.08
2 Kommentare :
Dankeschön für diesen wunderbaren Bericht-er spricht mir aus der Seele!
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