Freitag, 18. Juli 2008

Interpol, Montreux, 16.07.08


Konzert: Interpol (The National, The Kissaway Trail)

Ort: Miles Davis Hall, Montreux Jazz Festival, Schweiz
Datum: 16.07.2008
Zuschauer: wahrscheinlich nicht ganz ausverkauft
Konzertdauer: 75 Minuten (The National: 57 Minuten, The Kissaway Trail: ca. 40 Minuten)


Bei herrlichem Sommerwetter im mondänen Schweizer Ort Montreux hätte man
auch wunderbar seine Zeit am malerischen Genfer See verbringen können. Wir rissen uns aber gegen 20 Uhr von diesem traumhaften Panorama los und tigerten in die Miles Davis Hall, wo heute die New Yorker Sensationsband Interpol spielen sollte. Die zur Zeit mit Abstand beste Musikgruppe der Welt wurde von hochkarätigen Gästen supportet, was das Spektakel noch zusätzlich aufwertete. Dafür nimmt man dann auch mal eine fast siebenstündige Zugfahrt mit viermaligem (!) Umsteigen auf sich...

Die Dänen von Kissaway Trail machten ihre Sache dann auch vorzüglich und begeisterten zumindest Christoph und mich mit bestem Indie-Rock der melancholischen Sorte. Wir hatten die talentierten Newcomer schon letztes Jahr bei einem kleinen, aber äusserst feinen Londoner Club- Konzert kennen - und liebengelernt und waren über das Wiedersehen der dänischen Antwort auf Arcade Fire (sehr verkürzt ausgedrückt, besser würden eigentlich Mercury Rev passen) sehr froh.

Schade, dass die meisten Schweizer ihre Reserviertheit nur selten ablegten und zu wenig zu den powerpoppigen und hochmelodischen Kompositionen der Nordeuropäer mitgingen.

Zu den Highlights des circa vierzigminütigen Sets gehörten die berauschenden und fetzigen Hits " Smother + Evil = Hurt" und natürlich der "La La Song", der geradezu euphorische Wirkung auf mich ausübte. Zum Set gehörten desweiteren "Tracy", "Soul Assassins" (unglaublich trauriger Text : "Sometimes it's like life is la little tired of me") und auch neue Stücke, die nicht auf dem 2007 er Album vertreten waren.

Danach gehörte den Amerikaner von The National die Bühne und auch sie boten ein gutes Konzert, wenngleich die Stimme des Sängers Matt Berninger nicht perfekt geölt zu sein schien. Der stets schüchtern und introvertiert wirkende Mann sang etwas weniger weich und rund als auf den letzten beiden vorzüglichen Alben "Alligator" und Boxer", von denen auch sämtliche Titel stammten und konnte auch heute seine Bühnenscheu nicht wirklich verbergen. Anstatt einen Draht zum Publikum herzustellen, zog er es oft vor, der Menge seinen Rücken zuzuwenden und zu seinem Drummer zu "flüchten".

Schade, denn gerade fetzige Titel wie "Mistaken For Strangers" hätten gerade live noch mehr Potential, wenn der schlaksige Mister Berninger etwas mehr aus sich rausgehen würde. Zu "Squalor Victoria" und dem abschliessenden Song explodierte er aber stimmlich geradezu und hatte hier seine mit Abstand besten Phasen.

Über die Qualität der gespielten Lieder müssen wir an dieser Stelle nicht diskutieren, die war schlichtweg atemberaubend, es gab keinen einzigen Ausfall zu beklagen! Kaum eine andere Band hat mehr hochkarätige Titel im Repertoire als The National und mit "Racing Like A Pro" boten sie auch die schönste und herzerweichendste Ballade des Abends, die mit einem aberwitzigen Geigensolo zu Ende ging, was zu Szenenapplaus führte. Ebenfalls großartig: "Ada und mein persönlicher Favorit "Fake Empire".

Fazit: ein feines Konzert einer Band, die ihren Sound auch noch mit zusätzlichen Trompetern aufmöbelte, ohne dabei zu bombastisch zu werden. Dafür sorgten schon die wunderbar schrammeligen und wavigen Gitarren, die (neben der nörgeligen Grabesstimme von Matt Berninger) The National auch immer mal wieder Vergleiche mit Joy Division einbringen.

Setlist The National, Montreux:

01: Start a war
02: Brainy
03: Secret meeting
04: Baby we'll be fine
05: Slow show
06: Mistaken for strangers
07: Abel
08: Squalor Victoria

09: Racing like a pro
10: Apartment story
11: Ada
12: Fake empire
13: Mr. November

Insofern war es dann wohl auch kein Zufall, dass in der Pause nach dem Auftritt von The National "Love Will Tear Us Appart" lief, gefolgt von einem Song von New Order.

Sollten die Zuschauer etwa noch einmal daran erinnert werden, das wir es heute gewissermassen mit der Erbengeneration von Ian Curtis zu tun hatten? Und wer könnte da besser passen als Interpol, die Headliner des Abends?

Die Jungs wollte ich eigentlich schon Anfang 2008 sehen: Interpol in Sao Paulo, das wär's! So dachte ich zu Beginn des Jahres als ich von einigen Südamerika-Daten meiner Lieblingsband Wind bekommen hatte. Ich stellte mir vor meinem geistigen Auge feurige junge Menschen vor, die zu den post-punkigen
Klängen der New Yorker völlig ausflippen und anders als die eher kühlen Westeuropäer den Konzertsaal mal so richtig zum Kochen bringen. Ich wollte Leute die crowdsurfen , Pogo tanzen und auch Interpol selbst aus der Rerserve locken. Paul Banks badet rücklings in einer völlig aufgepeitschten Menge, ja so erträumte ich mir das! Aber Träume sind ja bekanntlich Schäume und so buchte ich im März 2008 natürlich keine Maschine nach Brasilien. Stattdessen musste ich bis Mitte Juli auf mein erstes Interpol Konzert in diesem Jahr warten und es fand auch nicht in südlichen Gefilden, sondern im noblen Schweizer Ort Montreux statt, der idyllisch am Genfer See liegt.

Zumindest heiß war es in der Schweiz auch, die Sonne strahlte aus allen Ritzen und
ließ den Lac Léman wie er hier heißt, golden glitzern. Sehr fraglich war allerdings ob die traditionell eher als ruhig und zurückhaltend geltenden Schweizer die moderne Miles Davis Hall in einen Hexenkessel verwandeln könnten. Ich hatte meine Zweifel, zumal sich lautstarke Beifallsbekundungen schon zuvor bei The National in Grenzen hielten. Aber Interpol spielen in einer anderen, sprich deutlich höheren Liga als The National, das sollte allen klar sein, auch wenn „Boxer" in „2007 er Jahresbestenlisten teilweise deutlich besser abschnitt als „ Our Love To Admire" Von letztgenanntem Werk stammte dann auch gleich der Opener des Konzertes. „Pioneer To the Falls" ist schon ein Jahr nach Veröffentlichung ein Klassiker, der mit seinem gedrosselten Tempo und der mystischen Note der ideale Aufwärmsong ist. Man fragt sich schon verwundert, wie Interpol damals überhaupt Konzerte stilgerecht eröffnen konnten. Um den Zuschauern möglichst perfekt zu ermöglichen, in Traumwelten abzutauchen, wurden hierzu abstrakte Videos auf eine Leinwand projiziert, die sich von denjenigen, die ich bei der Konzertreihe im November 2007 geboten bekommen hatte, erfreulicherweise unterschieden. Auch optisch gab es ein paar Veränderungen. Bassist Carlos D. hatte sich den gezwirbelten Oberlippenbart abrasiert und erschien ohne Rotzbremse in der Schweiz, während Sänger und Gitarrist Paul Banks mit einem edlen grauen Hütchen aufwartete, dass er nur einmal für ein paar Songs zur Seite legte. Drummer Sam Fogarino trug hingegen keine Kopfbedeckung, obwohl ich ihn 2007 nie obenherum nackt gesehen hatte. Gitarrist Daniel Kessler schliesslich, sah eigentlich aus wie üblich. Seinen schlanken Körper in edlen Zwirn gehüllt, legte er wie immer am meisten Wegstrecke zurück und wirkte hierbei gewohnt elegant und leichtfüssig.

Das Team wurde komplettiert durch den „namenslosen" Keyboarder, der mit seinem weißen Panama ebenfalls
Klasse bewies und mich an eine Figur in Thomas Manns Romanverfilmung „Der Tod in Venedig" erinnerte.

Diese fünf Herren zogen, nachdem „Pioneer To The Falls" verklungen war, das Tempo deutlich an und verbrieten sehr früh die treibenden Knüller „Slow Hands"
und „PDA", eines der ganz wenigen Lieder von Interpol, bei dem Daniel Kessler ein wenig mitsingt.

Ansonsten war natürlich Paul Banks der uneingeschränkte Chef, der mir mit seiner
nörgeligen Grabesstimme von Anfang an Schauer des Glücks über den Rücken jagte. Ja, er greint fast wie Ian Curtis und ja, Interpol klingen auch oft nach Joy Division, sie aber als billige Klone und Kopierer zu bezeichnen, liegt völlig neben der Sache. Die Amerikaner haben nämlich das riesige Kunststück fertiggebracht, dem eiskalten Sound von Joy Division gerade die richtige Portion Zucker und Melodie beizufügen. Während man nach dem „Genuss" eines Meisterwerkes wie „Closer" in der Tat auf suizidale Gedanken kommt, fühle ich mich nach dem Anhören von „Turn on The Bright Lights" und „Antics" regelrecht berauscht und unglaublich glücklich. Die Musik von Interpol ist also nicht deprimierend, sondern aufbauend, ja erhebend!

Vor allem aber laufen bei mir wunderschöne Bilder im Kopf ab, gerade auch wenn ich die neuen Lieder von „Our Love To Admire" höre.

„No I In Threesome" schickt mich regelmässig auf eine Seereise durch ferne
Gewässer, während ich mir bei „The Lighthouse" die Besteigung eines hohen Berges vorstellte. „Lighthouse" ist nämlich ähnlich majestätisch und erhaben wie ein 8000 er im Himmalaya und wenn Paul eindringlich Zeilen wie „Begin, Begin" in sein Mikro brummelt, geht mir das Nahe. Toll ist natürlich auch, wenn Drummer Fogarino am Ende mithinzustößt und ausladend auf sein Schlagzeug eintrommelt. „The Lighthouse" also ohne jeden Zweifel ein herausragender Fels in der Brandung.

Aber auch „Not Even Jail" liebe ich heiß und innig. Glänzend wie heute der Song mit einem sirenenähnlichen Geräusch eingeläutet wurde, bevor die hochmelodischen Riffs von Daniel Kessler wie Treppenstufen immer steiler nach oben gehen und Sam Fogarino mit seinem beherzten Spiel nach vorne treibt. Kaum ein anderes Lied der letzten 10 Jahre vermittelt soviel Ästhetik, Kraft, Mut und Hoffnung, trotz seiner melancholischen Grundnote. Ein Smash Hit wie er im Buche
steht und trotzdem wurde das Stück nie als Single veröffentlicht.

Damit unterscheidet es sich von „Mammoth" das völlig zu Recht von „Our Love To Admire" ausgekoppelt wurde: Es handelt sich nämlich schlicht und einfach um den
Song, der von den Neulingen live am besten zieht. Selbst das „Heinrich Maneuver" das heute als letztes gebracht wurde, kommt an die Wucht und die Energie von Mammoth nicht heran.

Auch „Rest my Chemistry" , das im Anschluss kam, nicht,
auch wenn dem Stück eine profunde Schönheit innewohnt. Das machte aber nichts, denn nun folgte ein unglaublich furioser Schlussspurt. Mit „Obstacle 1", dem Livefavoriten „Evil" und vor allem dem unfassbar starken und selten gespielten „Roland" mischten die Amerikaner die Schweizer noch einmal so richtig auf. Leider hieß „aufmischen" aber nicht, dass Menschen in Extase fielen und sich die T-Shirts vom Leibe rissen. Wir waren ja schliesslich nicht in Rio, sondern in der Schweiz und die Eidgenossen verhielten sich eher so wie ich das vermutet hatte: recht ruhig, zurückhaltend und etwas reserviert.

Wann spielen Interpol mal wieder in Sao Paulo? Obwohl, was weiss ich schon wie es dort zugeht, vielleicht ist es auch dort nicht so feurig und wild wie ich mir das in meinen Träumen ausmale...

Setlist Interpol, Montreux:

01: Pioneer To The Falls
02: Slow Hands
03: PDA
04: Narc
05: C'mere
06: No I In Threesome
07: The Lighthouse
08: Not Even Jail
09: Mammoth
10: Rest My Chemistry
11: Obstacle 1
12: Evil
13: Roland (bestes Lied!)

14: NYC (Z)
15: The Heinrich Maneuver (Z)



1 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

tolles konzert, auch wenn das schweizer publikum sehr bescheiden war.
roland war eindeutig das beste lied, schön es endlich mal live gehört zu haben.
schade, das nur 2 zugaben gespielt wurden, ob es wohl am publikum lag oder ihnen doch die zeit aus ging?

 

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