Dienstag, 9. Oktober 2007

Feist, Paris, 09.10.07


Konzert: Feist

Ort: La Cigale, Paris
Datum: 09.10.2007
Zuschauer: seit langem ausverkauft


Die Franzosen lieben es, Persönlichkeiten aus dem Ausland, die sie sehr schätzen, zu "adoptieren".

So ist es dann auch möglich, daß man Picasso für einen Franzosen hält, oder Jaques Brel (Belgier) großzügig dem eigenen Kulturerbe zuordnet; Romy Schneider geht auch gerne als Französin durch und Lagerfeld traut man Deutschland gar nicht zu...

Musikalische Adoptivkinder der Pariser sind zur Zeit die amerikanischen Schwestern CocoRosie, Herman Dune, der junge Amerikaner Beirut und natürlich...Feist! Leslie Feist, um genau zu sein, gebürtige Kanadierin, mit (ehemaligem) Wohnsitz in der laut Franzosen schönsten Stadt der Welt ("la plus belle ville du monde") Paris. "J'ai habité près de l'Église Notre Dame -de- Lorette" (ich habe in der Nähe der Kirche....gewohnt), wird uns Feist später in Landessprache erklären, was die Pariser natürlich vor Entzücken jauchzen läßt. Eine stilvolle Amerikanerin voller Charme, ja gibt's denn sowas? -Könnte glatt als Pariserin durchgehen! Da sind sie platt, die Frenchies!

Vorher spielt jedoch erst einmal das Neo-Hippie-Kollektiv Broken Social Scene (presents Kevin Drew) auf, die ehemalige Band des Stars des heutigen Abends. Sehr schwungvoll das Ganze, richtig guter College-Rock, überraschenderweise heute ohne große Schnörkel. Als ich die Kanadier vor circa zwei Jahren einmal als Hauptgruppe erlebt hatte, hörte sich das noch ein wenig anders an, da dominierten eher komplexe, zum Teil recht schwer verdauliche Lieder das Konzert. Schön zu sehen, daß die Jungs (heute sechs Herren) auch schneller auf den Punkt kommen können. Bestes Beispiel hierfür ist das äußerst gelungene "Lucky Ones" vom neuen Album "Spirit If". Ebenfalls vorzüglich: "The Fucked Up Kid", welches wohl unter dem Titel "TBTF" geführt wird.* Später wird Feist dieses Lied noch einmal in einer Akkustikversion alleine singen, es ist schwer zu sagen, welche Version die bessere war. A propos Feist, die charmante Dame stößt plötzlich auch bei der Broken Social Scene hinzu, hält einen Zettel in der Hand und liest mittels dieses Hilfsmittel ihren Gesangespart ab. Für zwei Lieder verweilt sie bei dem Kollektiv, dann entschwindet sie vorest unter lautem Applaus wieder. Leider kann ich nicht sicher sagen, welche Stücke gespielt wurden, ein Song enthielt die Textzeile "Please don't scream out", vielleicht kann ein eingefleischter Fan weiterhelfen?

Die Setlist bekomme ich leider nicht zu greifen, die junge Dame des Hilfspersonals, die gleich mehrere Exemplare in den Händen hält, hört meine Zurufe nicht und zieht irgendwann ab...

Die zähflüssige Umbaupause danach macht mir wieder einmal deutlich, warum ich es hasse, schon zur Vorgruppe da zu sein. Ich kann dieses sinnlose Rumstehen einfach nicht ausstehen, werde nervös, wenn ich zu lange auf den Hauptact warten muß. Auch Feist läßt sich Zeit, aber das ist vergessen, als die natürliche Schönheit auf der Bühne erscheint. "Salut" entfährt es ihr und "comment allez vous" (bitte nicht übersetzen mit: seid ihr gut drauf?). Aus der letzterwähnten Phrase heraus entwickelt sie fast ein kleines Intro. Das gefällt natürlich, aber Leslie hat ohnehin bei den Parisern einen Stein im Brett. Im Grunde genommen kann sie nicht viel falsch machen, alles was sie sagt, wird mit Entzücken aufgenommen, man mag sie halt hier. Im umgekehrten Falle würde es schwierig, wenn der Franzose entschieden hat, daß jemand unsympathisch ist, dann kann die unbeliebte Person machen, was sie will. Die Schweizer Tennisspielerin Martina Hingis kann ein Lied davon singen, wurde im Match gegen Steffi Graf in Roland Garros gnadenlos ausgebuht.

Ein rockig dargebotenes "When I Was A Young Girl" eröffnet das Konzert, die Stimmung ist von Anfang an gut, wenngleich noch nicht euphorisch. Dann kommt die bereits oben geschilderte Erklärung, daß sie in Paris gelebt habe, drei Jahre lang, fast vor der Haustüre der Cigale, "c'est mon quartier ici" (das ist mein Viertel). Die Herzen fliegen ihr zu, aber jetzt geht es erst einmal weiter im Programm und zwar mit "So Sorry". Gründe, sich zu entschuldigen hat die junge Dame natürlich keine, dafür aber gute Lieder zu bieten. "My Moon, My Man" setzt ein frühes Glanzlicht, die Leute fangen an Texte mitzusingen. Bei "The Park" ist Feist dann zum ersten Mal alleine auf der Bühne, ihre Band hat sich vorübergehend zurückgezogen. Da ich gerade von ihrer Band spreche, es ist eine komplett andere, als diejenige, die man vorher bei der Broken Social Scene sehen konnte. Die Dame hat jetzt ihre eigene Band dabei, inklusive Trompeter und Blechbläsern. Das sorgt für eine wohlige Atmospähre, die sowieso schon durch die vielen kleinen Lampions hervorgerufen wurde. "There's a limit to your love" hört man Leslie singen, aber stimmt das auch? Die Zuneigung des Publikums scheint grenzenlos zu sein, kein Wunder, das erwähnte Lied ist auch wirklich famos. Diese zarte Soulstimme, die die Cigale noch ein paar Grad heißer werden läßt, der reizende Augenaufschlag, hach, man könnte ins Schwärmen geraten und verzeiht der Sängerin auch, daß sie bei manchen Gesangesparts die Mundwinkel etwas seltsam verzerrt. "I Feel It All" und "Fucked Up Kid" folgen, bevor wiederum solo "Honey, Honey" vorgetragen wird. "This is a song about the ocean" werden wir aufgeklärt und um das Ganze noch zu unterstreichen, macht die Kandierin Wellenbewegungen mit der Hand, wahrscheinlich soll das Schwimmen eines Fisches imitiert werden. Die Rede ist auch von sogenannten Doldrums, was das sei, könne sie bei Bedarf erklären. Das Onlinewörterbuch übersetzt Doldrums übrigens mit der Zone äquatorialer Windstille. Aha...

In der Folge gefallen vor allem "Gatekeeper" und "Inside Out", bevor es gegen Ende noch einmal richtig stark wird. Bei "1234" schunkelt jeder mit, auch der Text wird lauthals mitgesungen. Kein Wunder, daß das Lied sogar in die Mainstream Charts vorgedrungen ist, dem Charm dieses Ohrwurms kann sich keiner entziehen. Das abschließende "Mushaboom", das auch schon einmal von Bright Eyes gecovert wurde, ist dann Paris gewidmet, eine schöne Geste, wenn man bedenkt, daß Feist inzwischen wieder nach Toronto zurückgekehrt ist. Der anschließende Applaus ist entsprechend laut und langanhaltend, der Parkettboden in der Cigale, er bebt!

Als Zugabe dann noch vier Stücke, gekrönt von "Let It Die" bei dem noch einmal alle Musiker des Abends inklusive der Broken Social Scene auf die Bühne kommen und zusammen tanzen. Zuvor hatte aber auch noch ein Herr in einer roten Hose seinen Kurzauftritt, wenn ich richtig gehört habe, nennt er sich Gentleman Reg. Das gebrachte Stück hieß übrigens "Boyfriend Song", Feist selbst war zu der Zeit nicht anwesend, beglückwünschte den bloden Kerl aber mit einem Küßchen auf die Wange. Da wäre man gerne an seiner Stelle gewesen, aber man kann ja nicht alles haben, schließlich hatte der Abend auch ohne Gutenachtkuß von der Ex-Pariserin viel Klasse und Charme zu bieten!

Setlist Feist, La Cigale, Paris:

01: When I Was A Young Girl
02: So Sorry
03: My Moon, My Man
04: The Park
05: The Limit To Your Love
06: I Feel It All
07: Fucked Up Kid (Broken Social Scene Cover)
08: Honey, Honey
09: Open Window
10: Gatekeeper
11: Brandy Alexander
12: Inside Out
13: Secret Heart
14: Past In Present
15: The Water
16: 1234
17: Mushaboom

18: Intuition (Z)
19: Sealion (Z)
20: Boyfriend Song (Gentleman Reg) (Z)
21: Let It Die (Z)

mehr Bilder von Feist hier

* Unsinn, "The Fucked Up Kid" heißt auch auf dem Album so!



14 Kommentare :

E. hat gesagt…

feist nach biffy clyro, eine besondere zwei-tage-mischung! habe jeweils die aktuellen alben (auch von den babyshambles, :-)) und schätze sie.

Anonym hat gesagt…

Gentleman Reg??? Ist der eigentlich überall? Gerade hatte ich mich über diesen schönen Bericht gefreut, und plötzlich taucht mein persönlicher Albtraum drin auf....brrr!

Christoph hat gesagt…

Unverkennbar Gentlman Reg! Ich habe das Foto gesehen, bevor ich es im Text gelesen habe. Der ist wirklich gerade überall. Ich sehe ihn Freitag ja auch wieder mit Broken Social Scene.

Aber ein schönes Konzert mit Feist und BSC! Wow! In Köln fand/findet das eben getrennt von einander statt.

Können die Franzosen nicht mal gefälligst Biiiiilll und die anderen Knalltüten von Tokio Hotel adoptieren? Und Gottschalk, Kerner, Beckmann, Pocher... Aber so was tut man Freunden nicht an.

Christoph hat gesagt…

Ach so, noch eine kleine Klugscheißerei: 1234 ist natürlich durch die iPod-Werbung besonders bekannt.

Dazu noch etwas Erschreckendes: Der schlimme (was die Musikauswahl angeht) Radiosender SWR3 spielt seit einigen Monaten nicht nur Ruby, Snow Patrol und Razorlight, gestern habe ich da zufällig den "ganz neuen Hit" Young Folks von Peter, Björn und John gehört!

Anonym hat gesagt…

Biiiill wird doch jetzt von den Israelis adoptiert! Vielleicht sorgt das für politische Spannungen zwischen Israel und Frankreich?

Spätestens Ende des Jahres sieht das bestimmt so bei euch aus:
Am häufigsten: "Gentleman Reg 11x, Kaiser Chiefs 10x, Razorlight 7x...."
Oder zählt ihr da nur Bands, die ihr mögt?

Christoph hat gesagt…

Nein, wir zählen alle. Aber die Kaiser Chiefs kommen noch mindestens zweimal dazu, da kann also eigentlich nichts passieren.

Ob Bill nicht auch bei der U21 mitspielen kann...

Oliver Peel hat gesagt…

Christoph, Du brauchst nicht klugzuscheißern, mir war doch bekannt , daß 1234 für Werbezwecke mißbraucht wurde :-)

Aber woher kennt ihr in Gottes Namen alle Gentleman Reg? (ich hatte Rich verstanden, fand ich irgendwie lustiger)

@ Eike: versteh' ich das richtig, Du schätzt das neue Album von Biffy Clyro? - Du siehst mich überrascht :-)

@ Christina: danke für das Lob!

Christoph hat gesagt…

Du liest wohl nicht aufmerksam genug ;-)

Der war Support bei den Stars in Köln und "Ersatz" für Los Campesinos! in Berlin.

Er heißt Reginald Irgendwas, daher der Name. Holzfäller Reg träfe es aber auch ganz gut.

Oliver Peel hat gesagt…

Doch, doch, lese schon aufmerksam, aber muß ich mich wirlich an alle Oren Lavies, Jan O Brian Dockers (oder so ähnlich, bzw.umgekehrt) und Spoilts dieser Welt erinnern?

Und könntest Du mir ohne nachzugucken sagen, wer Vorgruppe bei den New Pornographers war (ist leicht, noch nicht lange her).

Die 1 Million Euro-Frage (ohne nachzublättern):

Wer war Vorgruppe von Slint im Bataclan?

Christoph hat gesagt…

Einfach!

Das waren Fangfragen! Du hast die Vorgruppen verpaßt ;-)

Nein, die Ian O'Brien-Dockers dieser Welt muß man sich wirklich nicht merken. Nur Ghost of Tom Joad sollte man sich merken, damit man nie aus Versehen im Saal bleibt, wenn die spielen.

Anonym hat gesagt…

Hatten Slint eine Vorgruppe?

Außerdem ist da ja ein Unterschied zwischen Vorgruppen und dem Teufel höchstpersönlich. Und für den halte ich unseren Reg.

(wobei ich mir auch nie die Namen von Bands merke, von denen ich hier lese. Als mir eine Freundin Soko vorspielte war mir in diesem Moment nicht klar, dass ich natürlich schon vor Monaten an dieser Stelle über die junge Dame gelesen hatte :) )

Oliver Peel hat gesagt…

Nix Fangfragen! Die Französin Marie-Flore war Vorgruppe der New Pornographers und ich habe sie nicht verpasst, lediglich Los Chicros, die noch vor Marie-Flore auftraten.

Und die Vorgruppe von Slint hieß Warehouse 99 Project, ihr Schlafmützen! Deren Konzert habe ich in voller Länge gesehen und sogar die CD gekauft!

So, damit sind wir quitt ;-)

Oliver Peel hat gesagt…

Ihr seid unfair zu Gentlemen Reg, schaut Euch doch mal mein eingebautes Video von Boyfriend Song an, das ist gut, genau wie die anderen Links auch :-)

Übrigens Topfreunde von Kevin Drew (Broken Social Scene) bei MySpace sind Los Campesinos!

Anonym hat gesagt…

Hach, LC! jetzt also scheinbar falsche Kanadier...als falsche Waliser mochte ich sie lieber ;)

Und YouTube mag mich gerade nicht, aber ich glaube, so früh am morgen ertrage ich Herr Reg auch noch nicht. Und wir sind nicht unfair zu ihm, schließlich hatte er zweimal eine, ähm, faire Chance!!

 

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