Freitag, 19. Oktober 2007

Electric Soft Parade & The Strange Death Of Liberal England, Paris, 18.10.07


Konzert: The Electric Soft Parade & The Strange Death Of Liberal England, u.a.
Ort: La Maroquinerie, Paris
Datum: 18.10.2007
Zuschauer: möglicherweise ausverkauft, aber wegen des Streiks nicht sonderlich voll


Am 18. Oktober 2007 ging in Paris gar nichts mehr! Keine Metro, kein Bus! Die Lokführer streikten anläßlich einer geplanten Kürzung ihrer Privilegien, früher in Rente gehen zu können. Das daraus resultierende Chaos auf den Straßen kann man sich vorstellen, irgendwie mußten die Pariser ja zur Arbeit, oder zu ihrer/ihrem Geliebten kommen...

Auch meine Pläne endlich mal frühzeitig in die Maroquinerie zu fahren, wurden durch die Streikerei - der Franzosen liebstes Hobby (neben dem Nägelkauen) - durchkreuzt. Mir blieb nichts anderes übrig als auf eines der äußerst begehrten Taxis zu warten. Zu warten und zu warten und zu...

Irgendwann stand aber eines dieser Gefährten vor meiner Nase (sogar mit hellerleuchtetem Taxischild!) und nachdem andere Wartende die alte Krähe, die mir meinen Wagen wegschnappen wollte, ordungsgemäß zurechtgewiesen hatten, konnte es endlich losgehen.

Die allererste Band des Abends, anscheinend eine lokale Vorgruppe, verpasste ich deshalb zwangsläufig. Und von dem englischen Songwriter Tim Keegan bekam ich auch nur gerade noch zwei Lieder mit. Schade, schade, gerade seine famose Single "On A Good Day" - ein Schmachtfetzen in bester Morrissey Tradition - hätte ich gerne mal live erlebt. Später herrschte seitens derjenigen, die pünktlich erschienen waren, Unsicherheit darüber, ob der Titel überhaupt gespielt wurde. Auf der handgeschriebenen Setlist war er zumindest vermerkt.

Hier ist sie:

01: New You
02: Can't Wait
03: La Vie Normale
04: School Reunion
05: When Darkness Falls
06: Alone Again
07: On A Good Day
08: From Up A Tree

War also ein kurzes Vergnügen mit Herrn Keegan! Schon deutlich länger sollte ich dann aber The Strange Death Of Liberal England genießen dürfen. Und deren Auftritt hatte es wirklich in sich! Zunächst einmal waren da die handbeschrifteten Papptafel, die immer wieder zwischen den Liedern kurz hochgehalten wurden. Indie-Fans kennen so etwas ja schon von Tokyo Police Club, bloß daß es bei TSDOLE gleich mehrere von diesen Tafeln gab (auf der ersten stand logischerweise der Bandname, auf der allerletzten "Merci"). Und dann galt es auch die Gruppe selbst zu bestaunen, die aus vier jungen Männern und einer schwarzhaarigen Dame (Kelly Jones am Bass) besteht. Ein wilder Haufen, mit dem rotgelockten Adam Woolway an der Spitze, der nicht nur ein nahezu akzentfreies Französisch sprach, sondern auch durch seine krächzige Stimme bestach. Vergleiche zu Modest Mouse kamen mir in den Sinn, dienten aber nur als Einordungshilfe. Der Stil von TSDOLE ist nämlich wirklich sehr eigenständig und erfrischend. Eine gehörige Portion Seefahrerromantik war auch mit dabei und das Ganze wirkte orchestral und theatralisch. Um andere Vergleichsbands mal ins Spiel zu bringen: die Decemberists und Windmill könnte man auch nennen. Und vielleicht die häufig zitierten Arcade Fire, aber wohl nur deshalb, weil die Bassistin Kelly ähnlich wie Regine Chassagne das tut, bei einem Stück hinter dem Schlagzeug Platz nahm und wie ein Wilde drauflostrommelte. Derartige Rochaden erlebt man ja in letzter Zeit häufig, aber auch hier wurde der gewünschte Effekt nicht verfehlt: das inzwischen zahlreichere Publikum wurde ordentlich wachgerüttelt.

Schön zu sehen, daß die Indie-Musikszene nichts von ihrer Kreativität verloren hat, mit Hatcham Social, Operator Please und The Strange Death Of Liberal England habe ich innerhalb von 2 Tagen gleich drei spannende neue Bands für mich entdeckt, die spätestens 2008 allerorten für frischen Wind sorgen dürften.

Auszug aus der Setlist The Strange Death Of Liberal England:

- Modern Folk Song
- Oh Solitude
- A Day Another Day
- An Oldfashioned War
- I Saw Evil
- God Damn Broke And Broken Hearted

+ 3 weitere Stücke

Link: viele weitere Bilder von Strange Death Of Liberal England

Nachdem TSDOLE ihr Set beendet hatten, fragte mich mein französischer Freund Philippe, was ich trinken wolle. Ich antwortete bescheiden: 'ne Cola. "Willst Du nicht lieber einen Whisky?", setzte er nach. "Warum nicht, ich hab eh Halzschmerzen, vielleicht hilft mir solch ein Hochprozenter", willigte ich ein. Philippe war zufrieden, schließlich hatte er nur Gutscheine für den Gratis Jack Daniels dabei, den wir uns oben in der schönen Bar ausschenken ließen. Und eben jener "Free Whisky" erheiterte auch die Männer der Electric Soft Parade, als sie ihr Konzert fast beendet hatten. "After this song we'll finish and then we'll have some free whisky!"

Den hatten sie sich auch verdient, denn sie hatten ein qualitativ hochwertiges Konzert geboten, gespickt mit etlichen psychedelischen Indiepop-Perlen. Schon der Opener "Misunderstanding" sorgte mit seinen sonnigen Gitarren (die in diesem Stück ein wenig an Weezer's "Island In The Sun" erinnern) für gute Stimmung. Vom Haldern-Festival 2007 wußte ich schon, daß die Brüder Tom (Gesang, Gitarre) und Alex White (Keyboard, Gesang, Gitarre) mitsamt Begleitband Garanten für einen gelungenen Abend sind. Da fragt man sich schon, warum sie nach wie vor zur Kategorie "One of rock's best kept secrets" (Q Magazine) gezählt werden. Liegt es vielleicht an dem relativ komplexen Arrangement der Lieder, oder doch eher daran, daß sie kleidungstechnisch nicht unbedingt mit den Kings Of Leon oder Mando Diao konkurrieren können? - Nun, wie auch immer, ich mag sie sowohl als Musiker als auch als Typen, sie sind einfach natürlich sympathisch und keine Spur aufgesetzt. Eine Wohltat in der oft eitlen Musikszene!

Man muß doch nur "Cold World" (auch schon auf der "Human Body Ep" enthalten) mal richtig laut gehört haben, um diesem flotten und spritzigen Stück zu verfallen. Da schauen die Beatles um die Ecke, aber auch unterschätzte Bands wie Elbow, oder Doves. "Have You Ever Felt Like It's Too Late?", wird später textlich gefragt und die Frage, warum ich erst mit dem Vorgängeralbum "The American Adventure" auf die hervorragende Band aufmerksam wurde und ob dies nicht zu spät war, kommt mir unweigerlich in den Sinn...

Mit der Ballade "Secrets" wird dann zum ersten Mal deutlich das Tempo gedrosselt, ohne daß Langweile aufkommen würde. Die Pariser lauschen ganz feierlich den schönen Chorgesängen der Brüder und wer einen Partner an seiner Seite hat, kuschelt ein wenig. Da Cécile heute nicht mitgekommen ist, bleibt mir nur der Gedanke an Geborgenheit. Ich amüsiere mich aber auch alleine sehr gut, schließlich sind auch heute wieder viele bekannte Gesichter hier. Auch in einer Weltstadt wie Paris ist die Indie-Szene klein und überschaubar.

Zum Glück hat sich aber die Maroquinerie im Laufe des Abends gefühlt, trotz des Streiks. "Nothing can stop Rock'n Roll" ist Tom White's ironischer Kommentar hierzu. "Ihr habt ja doch alle den Weg hierhingefunden, sonst wärt ihr ja jetzt auch nicht da - obviously!" Ein Engländer freut sich halt,
wenn in Frankreich mal was schiefläuft, da kann man dann seine Witzchen machen und ein bißchen über den geliebt/gehaßten "Froschfresser" lästern. Aber Electric Soft Parade sind gerne in Frankreich, hatten am Vorabend einen wunderbaren Abend in Rennes, wie sie erzählen. Auch das heutige Konzert schaukeln sie sicher nach Hause und dies, obwohl sie beispielsweise "No Need To Be Downhearted Part. 1" angeblich zum ersten Mal überhaupt live spielen. Nach dem anschließenden Part. 2 hat dann ein befreundeter Musiker seinen großen Auftritt* , der Rotschopf mit dem Tuch im Haar wird als Stuart vorgestellt, der Nachname geht leider im Johlen des Publikums unter. Sein Auftritt hat etwas cabarethaftes, was er singt (covert?) wird hinterher heiß diskutiert, ohne das jemand sicher weiß, worum es sich bei dem Lied handelte. Circa. 15 Minuten später wird einer langen Version von "Everybody Wants" der Abend für's Erste beschloßen.

Das rockige "Empty At The End" vom Album "Holes In The Wall" rüttelt die Zuschauer aber noch einmal wach, bevor Stewart zurückkommt und "Help" von den Beatles in einer recht eigenwilligen Weise covert, was aber den Applaus nicht schmälert. Und den bereits erwähnten Gratis - Whisky hat sich nicht nur die Electric Soft Parade verdient, sondern natürlich auch er. Cheers!

Setlist Electric Soft Parade, Maroquinerie, Paris:

01: Misunderstanding
02: Silent To The Dark
03: A Beating Heart
04: Cold World
05: Have You Ever Felt Like It's Too Late
06: Secrets
07: Lose Yr Frown
08: No Need To Be Downhearted Pt. 1
09: No Need To Be Downhearted Pt. 2
10: If That's The Case, Then I Don't Know
11: Everybody Wants

+ 1 Titel von Stuart Flynn, nach Lose Yr Frown

13: Empty At The End (Z)
14: Help (Beatles Cover) gesungen von Stuart Flynn

* stimmt nicht ganz, Stuart erschien nach Lose Yr Frown



3 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Die Franzosen wissen wenigstens, wie man anständig streikt! Der Lokführerstreik hier dagegen ist ein Witz....

Und auf TSDOLE (bald auch in Köln) freue ich mich auch schon riesig!

Christoph hat gesagt…

Aber doch nur, weil Manni der Lokomotivführer in Kur mußte! Der hat ja auch schließlich in 50 Berufsjahren nicht einen Tag gefehlt. Wenn der wieder da ist, wird auch wieder ordentlich gestreikt!

Oliver Peel hat gesagt…

Eben schon bei Spiegel-Online gesehen, es heißt natürlich Lokführer und nicht Lockführer, hat also nichts mit Locken zu tun;-)

Aber die Lokführer könnten sich schon mal lockermachen...

 

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