Konzert: The Magnetic North und Marie-Flore
Ort: La Maroquinerie, Paris
Datum: 28.09.2012
Zuschauer: etwa 180
"The Magnetic North-Orkney: Symphony Of The Magnetic North."
Was auf den ersten Eindruck so romantisch klingt, eine Hommage an die landschaftlich sehr reizvollen Orkney Inseln, ist ja eigentlich eine extrem düstere Geschichte. Die Geschichte einer jungen Bewohnerin dieser kargen Inselgruppe im Norden Schottlands names Betty Corrigall, die von einem Seefahrer geschwängert und daraufhin von ihrem Dorf verstoßen wurde, was zu ihrem Selbstmord führte. Damals waren viele Leute ernsthaft der Meinung, daß an einer Vergewaltigung die Frau die Hauptschuld trüge.
Und diese Meinung herrschte überall noch sehr lange vor. Im Jahre 1971 erschien im Stern eine Aufsehen erregende Titelstory mit dem Thema: "wir haben abgetrieben" und dem Konterfei so bekannter Frauen wie Alice Schwarzer. Darüber habe ich mal einen Bericht im Fernsehen gesehen, wo dann Leute 1971 auf der Straße irgendwo in Deutschland befragt wurden, wie sie zu dem Thema Abtreibung stehen und viele Männer sagten unverschämterweise: "sind die Frauen doch selber schuld, wenn sie schwanger werden." Daraufhin der Reporter: "und wenn es sich um eine Schwangerschaft als Folge einer Vergewaltigung handelt?- Die Antwort eines befragten Passanten: "hätte die Frau halt besser aufpassen müssen." Ich war sprachlos, als ich das sah und hörte!
Aber kommen wir nach dieser Einleitung zum Konzert, daß zum Glück nicht so abstoßend war, wie das Verhalten der Bewohner der Orkney Inseln damals und die Meinung hirnverbrannter Leute bis in die heutige Zeit.
Dennoch hielt ich es für wichtig, dies beim Beobachten des ungemein harmonischen Konzertes vor Augen zu haben. Wie hart und teilweise brutal und unmenschlich das Leben auf diesen schroffen, verregneten Inseln gewesen sein muss, wie beschwerlich es sicherlich heute noch ist, dort zu leben. Man ist total weit vom Schuss, abgeschnitten von vielen Dingen, die das Leben in Städten komfortabel machen, ständig dem Regen und den Stürmen ausgesetzt.
Kein Wunder, daß Gawain Erland Cooper die Inselgruppe verlassen hat, wie so viele junge Leute, die dort aufgewachsen sind. Ich kann mir vorstellen, daß das Durchschnittsalter der Menschen in dieser Ecke hoch sein wird, weil es wenige Vergnügungs -oder gar Bildungs/Arbeitsmöglichkeiten gibt. Was arbeitet man da? Soll man etwa Fischer werden wie der Großvater? Torfstecher? Whiskeyhersteller?
Nein, wer Rockstar werden will wie Erland muss weg da. Aber ein Stück Heimat steckt eben bei jedem in der Brust und so vergisst der Inselflüchtige später großmütig, was man dort gehasst hat und konzentriert sich auf die positiven Aspekte. Denke ich mir jedenfalls so. War bei Erland sicherlich nicht anders.
Herausgekommen ist auf jeden Fall diese süß-saure Hommage an seine Heimat, die der Frontmann von Erland And The Carnival zusammen mit seinen dortigen Bandkollegen, dem stoischen Simon Tong (in welchen Bands der gespielt hat, wisst ihr eh alle) und der entzückenden Hannah Peel (die auch als Solokünstlerin schon mit einem Album in Erscheinung getreten ist) auf CD und Leinwand gebannt hat.
Auf dem Tonträger gibt es natürlich noch mehr Instrumente, Blechbläser, Glöckchen und Glockenspiel, als in der Pariser Maroquinerie, wo trotzdem kammerpoppige Elemente wie eine Geigerin und eine Cellistin (die ich zuletzt bei Smith & Borrows gesehen hatte) aufgeboten wurden.
Wie denn jetzt das Konzert war? Na schön natürlich! Rockiger und direkter als auf der CD, weniger verhuscht und verträumt. Da wurde teilweise richtig Druck gemacht und der Schlagzeuger hinten hatte auch gut zu tun. Zum Einschlafen war es jedenfalls nicht und die Zeit verging auch sehr schnell. Das Konzept war einfach stimmig und da das Ganze auch nicht zu aufgeblasen und pathetisch war, wurde man nicht vom Bombast erschlagen, eine Gefahr, die bei solchen Projekten immer gegeben ist. Ohnehin schlug das Liveerlebnis wieder einmal die Platte, die zwar hübsch ist, aber nicht die gleichen Emotionen schüren kann.
Liegt vielleicht daran, daß man live auch das unwiderstehliche Lächeln und die wundervollen blauen Augen von Hannah Peel sieht oder den schönen Körper von Erland und die sexy grauen Locken von Simon Tong, der wieder einmal keine Miene verzog.
Nein, ehrlich jetzt, live war das einfach viel dynamischer, da wurde selbst eine eher mittelmäßige Coverversion (Hi Life) der genialen Franzosen Syd Matters zu einem exquisiten Track, wurde Ward Hill zu einem absolut mitreißenden Song, auf dem sich Poesie und die epische Kraft der Gitarren zu einer veritablen Bombe vermischten.
Schade insofern, daß sich nicht mehr Zuschauer einfanden. 180-200 von bis zu 500 möglichen dürften wir optimistisch geschätzt gewesen sein und beim Auftritt der als Support ins Rennen gegangenen Französin Marie-Flore waren wir höchstens 80. Schade, denn Marie- Flore war so betörend und fragil wie eh und je und gefiel mit vielen guten neuen Songs, die hoffentlich endlich irgendwann einmal den Weg auf einen Longplayer finden werden.
Setlist The Magnetic North, La Maroquinerie
01: Stromness
02: Bay Of Skaill
03: Hi Life (Syd Matters)
04: Betty Corrigall
05: Old Man Of Hoy
06: Warbeth
07: Orphir
08: Nethertons Teeth
09: Rackwick
10: The Black Craig
11: Yesnaby
12: Ward Hill
13: Warbeth
14: Hoy Sound
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