Konzert: Bandista
Ort: Tollhaus Karlsruhe
Datum: 18.10.2012
Zuschauer: sehr gut gefüllt aber nicht ausverkauft, vielleicht 400
Dauer: gut 90 min
Ich habe nach den Konzert noch lange nachgedacht, wie sie das eigentlich geschafft haben... Die sechs Leute der mehr oder weniger türkischen Band Bandista standen auf der Bühne und doch war keine Distanz da. Diese Entfernung zwischen Publikum und Künstlern, die doch eigentlich immer automatisch entsteht. Aber schon beim Betreten der Bühne war es irgendwie eigentümlich - fast schon unprofessionell. Es entstand eine Stimmung als wäre es ein Nachbarschaftsfest - ein unglaublich mitreißendes!
Das was unter dem Label Weltmusik präsentiert wird, ist normalerweise nicht so recht nach meinem Geschmack. Hier aber waren zwei Gitarren, Bass, Saxophon, Trompete und Akkordeon das instrumentale Grundgerüst für kämpferischen Ska - Balkanfolk - Punk, der geradeaus, aufrichtig, empathisch und inhaltlich gesellschaftskritisch ausgerichtet war. Gesungen haben alle sechs Bandmitglieder, auch wenn dann die Blasinstrumente Pause haben mussten. Inbrünstiger Männergesang, wie ich ihn
von meinen tschechischen Kollegen kenne (die dann auch alle
zwölfundneunzig Strophen jeden Liedes auswendig können), wenn wir abends
beim Bier sitzen. Dazwischen eine Frau. Die Sprache war im wesentlichen türkisch, aber es gab zu jedem Lied eine englische Einführung.
So wurde der armenische Genozid thematisiert, es gab ein ausgedehntes Tanzlied über Freiheit, Bandiera rossa wurde durchge-ska-t. Mütter, deren Söhne und Töchter in Polizeikellern verschwunden sind, streikende Arbeiter, Generäle kamen in den Texten vor und mutige Frauen.
Überraschend, dass das Set mit einem fast brünstigen Walzer begann und nicht mit einem Energie pumpenden Anheizer. Das Publikum hatte die Band trotzdem sofort und vom ersten Moment an auf
ihrer Seite, es wurde getanzt (zum Teil sehr wild) und ... wirklich ... es wurde deutlich hörbar mitgesungen!
Ich hatte ja den Verdacht, dass es Landsleute mit türkischen Wurzeln im Publikum
waren.
Die
eindeutige Botschaft zwischen den Stücken war: wir müssen uns
kennenlernen und zusammenhalten. Hört euch unsere Geschichten an. Es ist
hart, in der Türkei zu leben mit Militarismus, Willkür und ohne Meinungsfreiheit. Und wenn wir bei Euch in Deutschland leben, ist auch nicht alles nur super. Aber wenn sich etwas ändern soll, müssen wir uns gegenseitig zuhören und helfen.
Und
das wird dann nicht didaktisch deutsch durchdekliniert sondern ein sexy-mitsing-Refrain
auf "Gastarbeiter" lädt alle ein, die Hüften zu wiegen und optimistisch siegt in der Regel die Lebensfreude oder wenigstens ein andenkend ehrender Respekt.
Der
Schweiß floß vor allem dem Front-Gitarristen in Strömen. Das Wasser lief die
Arme hinunter und tropfte auf der einen Seite an der Griffhand von den Handknöcheln
herunter, auf der anderen Seite gab es eine Teilung des Wasserstroms auf
der Gitarre oben in die Delle fließend und auf der Fläche vorn hinunter. Ich
glaube, das habe ich so extrem noch nie gesehen.
Schließlich war im letzten Lied sogar
eine Saite gerissen, was aber keinen aus der Ruhe brachte. Als
Zugabe gab es das furiose Bella Ciao eben ohne diese Gitarre.
Ich war im Konzert immer wieder in zwei verschiedenen Rollen anwesend. Einfach nur die Musik genießend und die Hüften wiegend einerseits. Andererseits aber auch beobachtend, wie hier die Kulturen aufeinander treffen und was dabei geschieht. Was fremd ist (und warum es sich fremd anfühlt) was vertraut. Nicht immer nur erwartetes oder Klischees bedienendes. Sehr viel Freundlichkeit und fast möchte ich es Liebe nennen war da zu spüren. Ein Fließen von Lebensfreude von der Bühne ins Publikum. Und das Karlsruher Publikum ließ sich nicht lumpen - es dankte mit frenetischem Applaus und anfeuernden Rufen.
Eine sehr witzige Situation entstand, als ein Zuruf aus dem Publikum kam, man könnte doch noch nicht Schluss machen -
in Istanbul feiere man doch auch bis in den Morgen.
Die Frau hatte ihren
türkischen Landsmann angesprochen auf etwas, das beide erlebt haben. Es war so hingeworfen, ein flotter Spruch. Aber er verstand sie überhaupt nicht, weil sie deutsch mit ihm gesprochen hatte. Es dauert
einen verwirrten Moment lang, bis sie verstand, was das Problem war und auf türkisch wiederholte damit die
Nachricht ankam.
Mein persönlicher Liebling an dem Abend war übrigens der Mann am Akkordeon.
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