Sonntag, 13. Februar 2011

Sun Kil Moon, Paris, 13.02.11


Konzert: Sun Kil Moon

Ort: la Flèche d'or, Paris
Datum: 13.02.2011
Zuschauer: etwa 350
Konzertdauer: ca. 2 Stunden, keine Vorgruppe


Mark Kotze Leck*, ähm, Kozelek, aka Sun Kil Moon ist eine jener Singer/Songwriter, den ich schon seit langem mal sehen wollte. Sein wundervolles Album Ghosts Of The Great Highway lasse ich immer wieder gerne laufen, vor allem an besinnlichen Sonntagen. Allerdings verfüge ich über kein weiteres seiner insgesamt vier Alben (daneben gibt es einige EPs, auch Livealben) und auch von seiner früheren Band, den Red House Painters, fehlt in meinem Cd-Schrank jede Spur.

Heute also in der Pariser Flèche d'or die Gelegenheit, die Livequalitäten von Mark zu überprüfen. Ich glaube sein letztes Konzert in der Seine- Metropole war am 9. September 2008 in der Maroquinerie, es fand allerdings in meiner Abwesenheit statt. Die Maroquinerie war auch die urspüngliche vorgesehene Location für die heutige Show. Kurzfristig gab es aber die Umverlegung in die Flèch d'or und auch die Vorgruppe, der famose Franzose H-Burns (Foto), wurde ersatzlos gestrichen. Finanziell war dies bestimmt für Kozelek nicht uninteressant, denn er mußte seine Gage nunmehr weder mit einer Vorband noch mit eigenen Bandmitgliedern teilen. Bei 18 Euro Eintritt (normal sind in der Fleche d'or eigentlich 10 Euro) und ungefahr 300 bis 400 zahlenden Gästen, dürfte sich das für den Ami gelohnt haben.

Aber reden wir nicht von Kommerz, sondern von Kunst, denn diese wurde heute besonders formvollendet dargeboten. Kozelek zelebrierte seine brüchigen, über der Erde schwebenden Folksongs geradezu und sang schöner als ein Chorknabe. Engelsgleich intonierte er die Lycrics und es schien, als gleite seine Stimme auf Adlerflügeln duch den Raum. Noch nie habe ich die Zuschauer in dieser Location so mucksmäuschnstill erlebt. Reifere Damen und Herren, die zweifelsohne dem Bildungsbürgertum zuzurechnen waren, schauten gebannt auf die Bühne und sahen einen glattrasierten, feinzügigen Künstler in den Vierzigern, schlicht mit schwarzem Hemd und Blue Jeans bekleidet.* Nur ein einziger Spot war auf ihn und seine Gitarre gerichtet und es sah fast so aus, als würde er von einer Taschenlampe angestrahlt. Im übrigen Raum war es komplett dunkel, es gab keinerlei Lichtwechsel und auch zwischen den Songs blieb es düster. Geredet wurde nicht und wenn dann war es Kozelek, der ab und zu ein paar Bemerkungen machte. Zum Beispiel darüber, daß er sich als 44 jähriger Familienvater doch eigentlich recht gut gehalten habe (kein Widerspruch!), oder aber, daß mit dem Alter die sexuelle Attraktivität nachlasse (schmunzeln im Raume). Ein großer Anekdotenerzähler war er dennoch nicht und ließ stattdessen seine Musik und seine Texte für sich sprechen. Worum es in diesen ging war mir heute ziemlich egal. Anstatt zu ergünden, worüber der Amerikaner sang, versuchte ich vielmehr, mich der lediglich mit der Gitarre und der samtweichen Stimme geschaffenen Atmosphäre hinzugeben. Ich setzte mich an der Seite auf den Boden (während die anderen Zuschauer löblicherweise standen, ich hasse die Bodenhockerei eigentlich, aber es gibt immer Ausnahmen, vor allem für mich), ließ mich gedanklich sinken, entspannte sämtliche Muskeln und fing an zu meditieren. Das gelang mir erstaunlicherweise hervorragend. Ziemlich bald sah ich Bilder von amerikanischen Wüstenlandschaften vor meinem geistigen Auge. Ich dachte an die wunderschöne Reise, die ich 2005 mit meiner Frau durch die atemberaubenden Gegenden von New Mexico, Arizona, Utah und ein paar anderen Bundesstaaten unternommen hatte, an das majestätische Monument Valley, den fast einer gothischen Kathedrale ähnelnden Bryce Canyon und den Heliokopterflug über den Grand Canyon (bei dem ich eingepfercht neben dem dicksten Menschen der Welt saß, während meine Frau breit nach hinten grinsend neben der Pilotin Platz genommen hatte). Ich erinnerte mich auch wieder an den riesigen Adler, der auf dem Highway kauerte und sich gleich vor unseren Augen wieder in die Lüfte schwang, die Kolibris die neben einer Raststätte heftig und rasend schnell mit ihren Flügeln schlugen, die zahmen Chipmunks in den Parks, die wir mit Brot fütterten und die Waschbären, die nahe der Niagarafalls mit Einbruch der Dämmerung in den Mülltonnen nach Nahrung suchten. Kozelek lieferte den nachträglichen Soundtrack zu dem Roadmovie, das sich in meinen Gedanken abspielte. Es waren Bilder von unglaublicher Schönheit, von enormer emotionaler Wucht, obwohl doch die Musik so luftig leicht und schwebend war. Etwa 80 Minuten harrte ich so auf dem Boden aus, bis mir irgendwann die Füße eingeschlafen waren. Dann stand ich auf und latschte auf leisen Sohlen ein par Schritte durch die Flèche d'or. Selbst an der Bar wurde nur geflüstert, es war fast wie in einer Kirche. Sun Kil Moon spielte noch mindestens 20 Minuten weiter, stand bei einem Lied auch einmal auf, bevor er sitzenderweise zum Ende kam. Die Ovationen waren riesig, in dem Applaus der Zuschauer entlud sich die ganze aufgebaute Spannung und die Begeisterung für einen Künstler, der sensationell gut gesungen und fabelhaft Gitarre gespielt hatte (seine Klampfe klang oft wie eine Harfe!).

Anstatt Kotze habe ich heute Blut geleckt. Ich brauche jetzt alle Alben von Sun Kil Moon!

* meine Frau hasst es, wenn ich diese albernen Spielworte und Wortverdreher bringe und sagt mir immer, ich solle mich bei Stephan Raab oder der Bild Zeitung bewerben, dann würde ich wenigstens für den Unsinn viel Geld kriegen. Nun ja, ich habe in meiner Jugend einfach zu viele Mad-Hefte (in denen das Raumschiff Enterprise "Raumschiff Entenscheiß" und die Yedi Ritter, die "Blödie Ritter" hießen usw.) und Bukowski gelesen.

* sorry, ich habe keine Fotos von dieser Show.



1 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Danke fuer den Bericht.

Ich hab' mein Ticket verfallen lassen, weil ich sauer ueber den Saalwechsel war.

In der Fleche d'Or seh' ich mit meinen 1,57m nicht viel, es sei denn ich quetsch mich in die erste Reihe, und da ist der Sound Scheisse.

Uschi

 

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