Samstag, 4. Juni 2011

The Black Heart Procession & Dark Dark Dark, Paris, 03.05.11


Konzert: The Black Heart Procession & Dark Dark Dark (Owlle)

Ort: Le Café de la Danse, Paris
Datum: 03.05.2011
Zuschauer: nicht ausverkaufte, aber gut besuchte Veranstaltung, etwa 350-380


"Music was my first love" heißt es in dem (ziemlich schmalzigen) Song von John Miles. Für mich trifft das nicht zu, meine erste Liebe gehörte (neben der Schokolade) dem Tennis.

Als 8 jähriger habe ich angefangen, der gelben Filzkugel hinterherzujagen und ich habe es als Jugendlicher mit der Mannschaft zum Rheinlandmeister gebracht. Mit 10 (also 1981) saß ich dann als Zuschauer auf dem Center Court von Wimbledon und sah ein Match zwischen Borg und Gerulaitis. Ich hatte meinen Vater so lange genervt, bis er mir versprach nach London zu fahren, um meine Idole zu bewundern. Er hielt Wort und wir verbrachten drei wunderbare Tage, die ich nie vergessen werde, schon allein deshalb nicht, weil ich Jimmy Connors in einem Restaurant traf.

Nach Roland Garros in Paris habe ich es aber erst 1991 geschafft, kurz bevor ich zur Bundeswehr musste. Zusammen mit einem guten Freund bin ich mit dem Wagen meiner Mutter völlig spontan nach Paris gerast, obwohl ich ihr sagte, ich ginge nur kurz mal meinen Kumpel besuchen. Wir kamen völlig übernächtigt um 5 Uhr morgens an, pennten drei Stunden in einem Park im Auto, bevor uns Polizisten weckten und mit erhobenem Zeigefinger darauf hinwiesen, daß es hier eigentlich zu gefährlich zum Schlafen sei. Dann brachen wir Richtung Stadion auf und deckten uns mit Schwarzmarktkarten ein, die für heutige Verhältnisse sopttbillig waren. Wir hatten Schwein, bekamen mit der Partie Muster gegen Sampras ein sensationelles Match geboten.

20 Jahre später bin ich immer noch von diesem Sport und von Roland Garros fasziniert, obwohl ich wegen chronischer Schulterprobleme nicht mehr selbst aktiv sein kann.

Federer spielte heute im Halbfinale gegen Djiokovic und die Partie war so spannend und hochklassig, daß ich mich nicht von dem Fernseher losreißen konnte, um zum Café de la Danse aufzubrechen, wo die Pariserin Owlle bereits in den Abend eingeleitet hatte. Erst gegen 2o Uhr 30 machte ich mich auf den Weg, nachdem mein Held Federer gerade den zweiten Satz gewonnen hatte. Eigentlich häte ich gut und gerne Lust gehabt, meinen Listenplatz verfallen zu lassen und das Match zu Ende zu sehen. Andererseits hielt ich die Spannung vor der Glotze kaum aus, ich fiebere beim Tennis ähnlich intensiv mit wie bei den Konzerten.

Gut also, daß mich die nun aufspielenden Amerikaner Dark Dark Dark vor einem Herzinfarkt bewahrten. Hätte ich live mitbekommen, daß Federer im vierten Satz bei 4:4 seinen Aufschlag verliert, hätte ich den Fernseher aus dem Fenster geworfen und getobt wie ein Wilder. So aber schwelgte ich zu den hochmelancholischen Piano-und Akkordeonbaladen von Dark Dark Dark. Deren Brille tragende Sängerin Nona Marie Invie jagte mir mit ihrer rotweingetränkten Sensationsstimme eine Gänsehaut nach der nächsten über den Rücken. Wahnsinn, wie wehmütig, verletzt und dennoch stolz diese tätowierte junge Frau klingen kann! Daneben gingen die fünf anderen männlichen Musiker fast ein wenig unter, obwohl auch diese vorzüglich performten und den balkangefärbten Kammerpop punktgenau aufs Parkett zauberten. Nachdem Nona Marie zunächst ausschließlich Schifferklavier gespielt hatte, begab sie sich hinter den Flügel und war nur noch wenige Zentimenter von mir entfernt. Ich sah ihren Rücken und ihr geflochtenes Haar, beobachtete wie sie mit ihren Fingern durch die Tasten glitt und bekam heftiges Herzklopfen. Von der Spannung des Tennismatches emotional angeschlagen, versetzte mir die Chanteuse weitere Wirkungstreffer. Ich floß dahin, als sie das Jackson Brown Cover These Days intonierte und als am Ende der Doppelpack aus Bright Bright Bright und Daydreaming gebracht wurde, bekam ich zwei weitere Hiebe in die Magengrube.

Mann oh Mann, waren Dark Dark Dark schon wieder Stark Stark Stark! Ich bin wirklich Fan Fan Fan!



À propos Fan. Natürlich wollte ich in der Umbaupause wissen, wie es bei Federer steht. Ich nötigte einen Freund, mir Informationen via iphone zukommen zu lassen und er hielt mich alle 5 Minuten über den Spielstand auf dem Laufenden. 4 zu 4 im vierten Satz, dann 5 zu 5 und schließlich Tie-Break. Ich konnte den Nervenkitzel kaum ertagen, stellte mir vor, wie geil es wäre, wenn Roger ins Finale käme.

Und dann um 21 Uhr 37, bei inzwischen halbdunklem Himmel, stezte der Schweizer den Serben Schachmatt! Zu diesem Zeitpunkt hatten The Black Heart Procession bereits angefangen. Als mir mein Freund den Sieg meines Favoriten verkündete, war mir das Konzert im Café de la Danse schnuppe und ich musste mich schon schwer zusammenreißen, um nicht während einer der unzähligen tottraurigen Songs in lauten Jubel auszubrechen.

"Hey!, Feder hat gewonnen, können die da vorne nicht mal fröhliche Musik zur Feier des Tage spielen?" - Nein, konnten sie nicht, von Anfang bis Ende wurde nur gelitten und gejammert, alles war in moll gehalten und am liebsten hätte ich den dunkle Sonnenbrille tragenden Sänger mal in den Arm genommen, um ihn zu trösten. The Black Heart Procession spielten wirklich die traurigste Musik der Welt, Interpol oder The Cure klangen neben ihnen wie Kapellen aus dem fröhlichen Musikantenstadl. Schmerzverzerrter, schwermütiger und leidvoller als Pall Jenkins hatte ich noch nie zuvor jemanden singen gehört. Seinen Gesang unterlegte er durch eine omnipräsente singende Säge, die mal wie ein Geist in einem spukenden Schloß, mal wie eine Opernsängerin klang.

Am Piano agierte der langhaarige Tobias Nathaniel, zweites Gründungsmitglied der Band,
die live normalerweise mit bis zu fünf Musikern auftritt. Heute gab es aber die bis auf den Knochen abgespeckte Version, ohne Schlagzeug, oder Geige und mit Pall und Tobias als alleinigen Darstellern. Folge war ein reduziertes, akustisches und sehr intimes Set, das manchmal etwas Abwechslung gut vertragen hätte. An der ein oder anderen Stelle gab es kleine Hänger und die Säge ging ein paar Leute kräftig auf die Nerven. Zudem war es bullenheiß und die Luftfeuchtigkeit im Café de la Danse war nur schwer zu ertragen. In Kombination mit der pechschwarzen Deprimucke machten sich zuweilen bedrückende, klaustrophobe Gefühle breit.

Diejenigen, die sich aber vorzeitig auf den Weg machten, um an die frische Luft zu kommen,
verpassten ein fulminantes und hochbewegendes Finale. Nachdem das reguläre Set fast ausschließlich aus dem Zusammenspiel des gruselig klingenden Pianos und der verwunschenen singenden Säge gebildet wurde, kam es im Zugabenteil zu einer merklichen Veränderung. Tobias Nathaniel hatte sein Stühlchen hinter dem Klavier verlassen und setzte sich nun direkt neben Pall Jenkins, um in seiner unmittelbaren Nachbarschaft E-Gitarre zu spielen, während der Sonnenbrillen- und Hütchenträger weiterhin unerbitterlich sein Holzschneidegerät zum Schwingen brachte. Pötzlich entstand ein absolut knisternde Atmosphäre, die dichter und herzergreifender nicht hätte seien können. Your Church Is Red erfüllte das Rund und ich war plötzlich völlig eingenommen von der markanten Stimme von, Pall, den countryesken Gitarrenklängen von Tobias und der Wehmut, die den Song umwehte.



Und es wurde noch nachgelegt. Guess I'llForget You vom dritten Album klang anfänglich fast nach Nothing Else Matters von Metallica. "I'll try to forget you" intonierte Pall und die Säge beförderte seine sentimentalen Worte noch bin die höchsten Ränge des Café de la danse. Ein mörderischer Song, der meinen Brustkorb förmlich zuschnürte. So immens traurig, aber auch so wunderschön.



Dann kam The Waiter. Erneut wurde man an Nothing Else Matters erinnert, aber das hier war so tausend mal besser. Ich war elektrisiert, schwitzte am ganzen Körper und mein Puls raste wie verrückt. The Black Heart Procession setzten mir mit ihrer Melancholie brutal zu. Ich musste jetzt vehement gegen meine Tränen ankämpfen, es war einfach so unfassbar intensiv und direkt. Mein Blick wendete sich ab, ich konnte da nicht mehr hingucken und die beiden traurigen Männer leiden sehen. Trotzdem war jetzt schon klar, daß dies der emotionalste Zugabenteil sein sollte, den ich je erlebt hatte.



Einen Killersong hatten die beiden Kalifornier aber noch im Ärmel. When We Reach The Hill setzte der Sache die Krone auf. Es war wie eine gedankliche Reise durch die Kindheit und die Jugend, voller schmerzlicher Erinnerungen, Sentimentalitäten und Desillusionen. Unterdessen sang Pall mit seiner Grabesstimme die Zeilen: "if you leave, how can you leave on this hook, cause we'll grow old here, you can never leave.." Harter Tobak, schwer zu ertragen, aber dennoch paradoxerweise wahnsinnig tröstlich und voller Zärtlichkeit.



Als die letzten Noten verklungen waren, brandete lauter Applaus auf, das Duo bedankte sich für die vorbildliche Stille und Aufmerksamkeit und verabschiedete sich in die Kabine.

Die Jungs ließen mich verstört, aber gänzlich für sie eingenommen zurück. Ein kurzer Plausch mit dem Fotografen Robert Gil - ein ähnlich depressives Nachtschattengewächs wie ich-, bestätigte meinen Eindruck. Das war sensationell! Robert hat für das Konzert drei Herzen vermerkt und ich wäre der Letzte, der ihm da widersprechen würde.

" Tennis was my first love, but music will be my last".









2 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

leider kein Happy End, Nadal hat jetzt gleichgezogen mit Björn Borg :-(
ein ehemaliger Schleswig Holstein Meister :-)

E. hat gesagt…

W-O-W!!!

 

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