Konzert: Syd Matters
Ort: Hippodrome de Longchamps, Paris (Festival Solidays)
Datum: 25.06.2011
Zuschauer: tausende
Konzertdauer: etwa eine Stunde
"Sag doch einfach, du seist an Aids erkrankt, dann lassen sie dich bestimmt umsonst rein".
Mein Bekannter Maxime (Name von der Redaktion geändert), den ich zufällig vor dem Eingang zum Festivalgelände traf, war mal wieder zu makabren Scherzen aufgelegt. Frei nach dem Motto: Aidskranke haben bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten der Aidshilfe freien und unbeschränkten Zugang, auch ganz ohne Karte oder Listenplatz. War natürlich nicht so und selbst wenn, dann galt das nicht für mich, denn ich bin HIV-negativ.
Somit musste ich also bei den Solidays 2011 draußen bleiben. Wie ein Hund in einem feinen Restaurant. Wie so oft zahlte ich den Preis für mein extremes Bedürfnis nach größtmöglicher Flexibilität und Spontaneität. Einen 3 Tages -Festivalpass hatte ich mir nämlich für die Veranstaltung nicht besorgt und mich erst ganz kurzfristig entschieden, heute am 2. Tag gegen 22 Uhr aufzukreuzen. Nur für Syd Matters. Der Rest des Line-Ups interessierte mich nicht sonderlich, da wollte ich Prioritäten setzen. Eine Akkreditierungsanfrage war deshalb für mich auch nicht in Frage gekommen.
Zu meiner Enttäuschung musste ich dann feststellen, daß auch keine Tageskarten mehr verkauft wurden, weil diese restlos ausverkauft waren. Und Leute, die überschüssige Tickets verscherbeln oder gar Schwarzhändler waren auch weit und breit nicht zu sehen. Mit Sicherheit lag das daran, daß der Festivaltag quasi gelaufen war und niemand mehr mit Nachfrage für ein Konzert um 10 Uhr abends rechnete.
Was nun tun? Unverrichteter Dinge die Rückreise antreten? Das wäre wohl die logische Lösung gewesen. Da ich aber vom Gelände kommend Töne vernahm, die eindeutig nach Syd Matters klangen, entschied ich mich, draußen vor dem Zaun einfach ein wenig zuzuhören. Wie damals in der DDR, als die Musikfans das Konzert von Michael Jackson vor dem Reichstag (19. Juni 1988) auf der falschen Seite der Mauer mitverfolgten, um wenigstens ein klein wenig das Gefühl zu haben, sie seien dabei gewesen.
Die ersten Lieder kamen ziemlich verschwommen herüber, aber Hi-Life konnte ich klar erkennen und sogar auf die Distanz fast genießen.
Syd Matters - Hi Life par val3rie-live
Mann, wie ich Syd Matters liebe! Für kaum eine andere Band auf dieser Welt würde ich wie ein räudiger Hund vor einem Zaun lungern, um wenigstens kleine Reste von einem Konzert zu erhaschen. Aber für diese sensationelle Gruppe machte ich gerne eine Ausnahme und konzentrierte mich enorm, um Liedfetzen zu erkennen. Keine so leichte Übung, denn ich musste den Krach, der von den anderen Bühnen kam, so gut es geht ausblenden. Was hörte ich da? Ach genau, Watcher! Ein Song vom zweiten Album, der lange Zeit ein Schattendasein fristete, aber in diesem Jahr live eine Rennaissance bzw. vielmehr eine absolut packende Neuinterpretierung erlebte. Eine psychedelische Bombe mit hypnotischer Sprengkraft, die auch auf die Distanz hin wirkte. Es galt die Phantasie zu bemühen, sich wieder dass umwerfende Konzert vom Olympia ins Gedächtnis zu rufen, wo sie diesen Song so faszinierend dargeboten hatten. "I'm just a watcher, trying to catch her, waiting for shadow behind the window...". Wahrlich der Hammer.
Und es wurde noch nachgelegt. Nach It's A Nickname erklang nun Bones, ein bedächtig startendes Stück vom ersten Album, daß 2011 ebenfalls ganz neu arrangiert wurde und mir im Olympia ein ekstatisches, postrockiges Ende par excellence beschert hatte. Auch heute wurde der Track bis zum Geht-nicht-mehr ausgereizt und dauerte sicherlich fast 10 furiose Minuten.
#31 Syd Matters - Bones par lecargo
Das Thema erstes Album war damit aber noch nicht erledigt, denn kurze Zeit später wurde auch der Stone Man zum Besten gegeben und auch dieser klang anders und aufregend, so als handele es sich um einen neuen Titel. Wahnsinn, dieses Talent von Syd Matters, dem alten Material neues Leben einzuhauchen und es frisch und quicklebendig zu performen!
Mit Anytime Now! wurde schließlich nach circa einer Stunde ein Festivalauftritt beschlossen, denn ich zwar nicht gesehen, dafür aber (halbwegs) gehört habe. Und nur ein paar Fitzel der genialen Syd Mtters sind immer noch besser als nichts.
À propos Fitzel. Nur ganz wenig Stoff hatten die Damen an, die mir auf meinem Fußweg zur nächsten U-Bahn über den Weg liefen. In dieser südlichen Gegend von Paris orientierungstechnisch nicht unbedingt sattelfest, wußte ich nicht, daß das Waldstück, in das ich eingebogen war, extrem lang war und von Damen (oder Transsexuellen?) des horizontalen Gewerbes bevölkert wird. Überall standen sie da, diese spärlich bekleideten Ladies (?) und hielten mich sicherlich für einen potentiellen Kunden. Statt sie eines Blickes zu würdigen, stapfte ich allerdings im Laufschritt an ihnen vorbei, den Kopfhörer mit Musik von Syd Matters auf den Ohren. Die französische Ausnahmeband bedeutet mir soviel mehr als käufliche Liebe. Ihre Songs sind schlechtweg unbezahlbar.
Das nächste Mal möchte ich sie allerdings auch wieder von Nahem sehen, meine Rolle als Zaungast soll keine dauerhafte bleiben...
Setlist Syd Matters, Solidays:
01: Obstacles
02: Wolfmother
03: Hi-Life
04: Watcher
05: It's A Nickname
06: Bones
07: Hadrian's Wall
08: Halalscillag
09: Stone Man
10: Anytime Now!
11: Me & My Horses
Fotos: Archiv.
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