Montag, 11. April 2011

Deerhunter, Lower Dens, Nelson, Gallops, Paris, 09.04.11


Konzert: Deerhunter, Lower Dens, Nelson, Gallops, Festival Super Mon Amour

Ort: La Gaité Lyrique, Paris
Datum: 09.04.11
Zuschauer: geschätzte 800
Konzertdauer: Deerhunter allein fast 90 Minuten


Starkes Line-Up in der Gaité Lyrique, einer neuen, sehr modernen Location in Paris. Wie das Ganze gelaufen ist, erzähle ich im Lauf des Sonntags. Vielleicht könnt ihr mir aber schon sagen wie es war, denn das Konzert von Deerhunter wurde bei Arte Live Web per stream übertragen und auch auf der Roten Raupe konnte man sich die Sache ansehen...

Sonntag, 10. April, spätabends:

So, hat sich also leider niemand gefunden, der mir die Arbeit abnimmt. Dann muss ich wieder alles alleine machen. Allerdings kann ich auch verstehen, daß es nur wenige Leute gibt, die sich 90 Minuten lang hinter dem Computer ein Shoegaze- Konzert anglotzen. Eine doch eher nerdige Angelegenheit, gerade bei diesem herrlichen Wetter.

Also wie ist der Abend des 9. April nun gelaufen?

09.04.2011: Erneut ein sonnendurchfluteter, warmer Tag. "Der April, der macht was er will", dieses Sprichwort scheint in diesem Jahr Schnee von gestern zu sein. Pariser und Touristen müssen dieses Jahr nicht bis Mai warten, um ihre blassen Beine der Sonne auszusetzen. Unzählige Leute nutzten das glänzende Wetter, saßen im Straßencafé, tranken, rauchten und flirteten ("Deutsche können nicht flirten", einen Bericht mit dieser Überschrift habe ich neulich in der Zeitschrift les Inrockubtibles gelesen. Da müsste man doch glatt mal überprüfen, ob die Franzosen da wirklich so viel mehr Talent drin haben, diese alten Angeber!).

Mir ging das bunte Treiben auf den Straßen allerdings am Arsch vorbei. Und die Sonne war mir auch egal. Ich wollte nämlich zur Gaité Lyrique, einer neuen, ultramodernen Location im 3. Pariser Arrondissement, die vor etwa einem Monat eingeweiht wurde. Dort traf sich heute ganz Indie-Paris, denn das Festival Super Mon Amour stand an und mit Deerhunter, Lower Dens, Nelson und Gallops wurde ein verheißungsvolles Programm aufgetischt.

Als ich vor dem prachtvollen Gebäude ankam, standen draußen noch ein paar Leute rum, plauderten und rauchten. Ihnen war wohl schnuppe, daß die Konzerte schon angefangen hatten und mit den Walisern Gallops bereits die erste Band aufs Volk gehetzt worden war. Ich hingegen hätte Gallops gerne gesehen, aber mit der Pünktlichkeit stehe ich bekanntlich auf Kriegsfuß. Ist ja auch irgendwie uncool, zur auf dem Ticket angegebenen Zeit anzutanzen. So dachten wohl viele, denn der im zweiten Stock gelegene Konzertsaal, ein schicker Kubus, war gegen 19 Uhr 30 noch weitestgehend menschenleer. Ich sah die üblichen Fratzen. Ähnlich nerdige Trottel wie ich, die ebenfalls wie die Gestörten auf jedes Konzert hetzen, das in der Kapitale stattfindet. Der blödeste Spruch ist dann immer: "Ach, du auch schon wieder hier? Du bist ja überall!"

Vielleicht sollten wir mal eine Gruppentheorie machen und uns gemeinsam wegen schwerer Konzertsucht behandeln lassen. Ich könnte mir dann schon sehr gut vorstellen, wie das Ganze abläuft. Wir sitzen in einer Runde und der Psychiater befragt uns alle der Reihe nach: "Na, Oliver, dann erzähl doch mal. Wie hat das bei dir mit den Sucht- Symptomen angefangen? Wann hattest du zum ersten Mal dieses unwiderstehliche Gefühl, unbedingt auf ein Konzert zu müssen? Obwohl du eigentlich saumüde warst. Obwohl dich ein guter alter Kumpel zu seinem Geburtstag eingeladen hat. Obwohl du mit deiner Frau im Restaurant Hochzeitstag feiern solltest?"

Aber so weit wird es nicht kommen. Nicht weil wir nicht alle behandlungsbedürftig krank und zutiefst konzertsüchtig sind- das sind wir ohne jeden Zweifel-, sondern weil uns das Geld für einen Seelenklempner viel zu schade ist. Wir stecken die Knete lieber in CDs. Schallplatten, Konzertkarten, T-Shirts, etc.

Zum Beispiel in eine neue CD von Nelson. Wenn es die denn schon gäbe. Nach dem pechschwarzen Post-Punk Debüt der vierköpfigen Pariser Truppe aus dem Jahre 2006, scheint es, als würde der Nachfolger deutlich poppiger und weniger depressiv werden. So zumindest hatte es nach den heutigen Livehörproben den Eindruck. Obwohl mir Musik eigentlich nie melancholisch genug sein kann, konnte ich mit der optimistischeren Neuausrichtung von Nelson gut leben. Die Songs hatten Pfiff und Dampf, waren catchy und euphorisierend. Toll, daß die Band endlich mal wieder live auf einer Stage stand! Vor allem Hauptsänger Gregory Kowalski und Zweitsänger JB Devay hatte ich in den letzten Jahren immer mal wieder auf Konzerten getroffen, aber dort waren sie nur im Publikum, sprich vor und nicht auf der Bühne. Drummer Thomas Pirot ist mir allerdings auch beim Ausüben seiner musikalischen Tätigkeit vor die Linse gekommen, denn er trommelt auch bei Mina Tindle und Please Don't Blame Mexico, zwei guten Acts, die ich in den letzten zwei Jahren oft gesehen habe. Den vierten Mann, Gitarrist David Nichols, hatte ich seit Jahren nicht mehr getroffen.

Die vier Burschen von Nelson machen allein schon optisch was her. Alle sind sie gertenschlank, haben den von Weibern heißgebliebten Knackpo in der Hose und zudem schöne, makellose Gesichter. Die Pariserinnen flogen beim Release des ersten Albums total auf Nelson und irgendwie hat sich nichts geändert. Immer noch stehen Mädchen Schlange, wenn die "Boygroup" auftritt. Aber auch musikalisch wird immer etwas geboten. Heute begeisterten sie mich mit unverschämt melodiösen Gitarren, zackigen Synthiebeats, einem innovativen Schlagzeugspiel und einem unschuldig, verträumten Gesang wie man ihn von New Order, sprich Barney Sumner, her kennt. Gregoy Kowalski war meistens dafür verantwortlich, aber auch Drummer Thomas Pirot und Keyboarder JB Devay sangen mit und bedienten sich häufig der modern gewordenen Looptechnik.

Das Set war gut geölt und fluschte so richtig schön. Die neuen, noch unveröffentlichten Songs gefielen mir auf Anhieb (Anspieltipp Northern Trail bei 12:30 im Stream) und auch der alte Klassiker The Over Song hatte nichts von seiner Dynamik und Schärfe verloren. JB Devay baute sich hierbei am vorderen Bühnenrand auf, schammelte wie wild auf seiner Gitarre und heizte den Leuten kräftig ein.

Unter dem Strich ein überzeugendes Comeback, das aber leider nach etwa 35 Minuten bereits beendet war.

Als dritte Band des Abends kamen dann Lower Dens zum Zuge. Eine Gruppe aus Baltimore, USA, die von der knabenhaft wirkenden Sängerin Jana Hunter angeführt wird. Wobei das mit dem Anführen so eine Sache ist, denn als Leaderin erwies sich Hunter nicht. Schüchtern und mit dünner Stimme verkündete sie zu Beginn kurz und knapp, froh zu sein, an diesem Festival teilnehmen zu dürfen. Danach gab es so gut wie gar keine Ansagen mehr, Jana verzog sich in die rechte Bühnenhälfte (vom Zuschauer aus gesehen) und verschwand fast hinter dem Vorhang. Das ganze Konzert über hatte sie den gleichen Gesichtsausdruck drauf. Ein neutraler, nichtssagender Blick, der ins Leere ging und nie Kontakt zum Publikum suchte. Ein Paradebeispiel für das Shoegazing mag man einwerfen, aber gegen etwas mehr Bühnenpräsenz und Charisma hätte ich persönlich nichts einzuwenden gehabt. Auch der oberlippenbärtige Bassist in der Mitte der Bühne (da gehört der Sänger/die Sängerin hin, verdammte Scheiße nochmal!) blieb blass wie ein Fisch und die anderen beiden Bandmitglieder habe ich inzwischen schon wieder vergessen.

Den vier drögen Musikern zuzuschauen war brutal langweilig, da kam wirklich gar nichts rüber. Dabei mochte ich eigentlich ihren Musikstil sehr, mit Dream Dop, Shoegaze, New Wave kann ich grundsätzlich eine Menge anfangen. Allerdings konnte ich mich hinterher nicht an eine einzige Melodie, eine Strophe oder einen Refrain erinnern. Vielleicht sollten ich wirklich mal ihr Album hören, das liegt seit mindestens 2 Monaten unbeachtet in einem großen Stapel noch ungehörter CDs. Dali von der Blogotheque sagte jedenfalls, daß das Werk richtig gut sei (Eike vom Klienicum auch), das Konzert fand aber auch sie weitestgehend fad.

Lower Dens unter dem Strich also eher eine Enttäuschung.

Dann wartete ganz Indie-Paris (wenn es ein Fußball-Deutschland gibt, warum dann nicht auch ein Indie-Paris?) auf Deerhunter. Ich hatte in der Pause ein wenig Zeit, die Örtlichkeiten zu erkunden und begab mich in den prachtvollen Apostel-Saal, trank etwas und hielt Schwätzchen. Mit Mädchen versteht sich. Wollten wir doch mal sehen, ob Deutsche nicht flirten können! Pfff! Etwa 25 Minuten später richtete ich meine Aufmerksamkeit aber wieder auf die Musik und begab mich zurück in den kubusförmigen Konzertssal. Dieser war inzwischen proppenvoll und da viele Menschen Wärme erzeugen, herschte eine schwüle, saunaähnliche Atmosphäre. Sauerstoff war Mangelware. Vorgeschwächt von den vielen Konzerten der letzten Wochen, konnte ich nicht anders, als mich hinzusetzen und gegen eine Wand abzustützen. Platt wie eine Flunder saß ich da also an der Seite und fiel innerhalb von zwei Minuten in einen komatösen, narkoleptischen Tiefschlaf. Das Konzert hatte inzwischen angefangen, es war saulaut, aber ich schlummerte vor mich hin. Noch nicht einmal Slayer hätten mich jetzt aufwecken können. Wie lange ich in diesem Zustand verharrte, weiß ich nicht genau, aber irgendwann kam ich wieder halbwegs zu Bewußtsein, raffte mich auf und glotzte auf die Bühne. Dort erspähte ich am linken Bühnerand den spindeldürren Sänger und Gitarristen Bradford Cox, der eine selten häßliche Karohose trug. In der Mitte agierte ein braunhaariger, oberlippenbärtiger Bassist, der so schlaff war wie ein nasser Sack. Null Spannung im Körper, teilnahmsloses Gesicht, gelangweilte Gestik. Außen rechts spielte ein zweiter Gitarrist, ebenfalls mit schläfrigem Blick. Die offensichtliche Lustlosigkeit der Bandmitglieder (oder waren die einfach nur cool? ach ja, ich vergaß, das ist nun einmal so beim Shoegaze!) sorgte logischerweise keineswegs dafür, mich wachzurütteln. Dabei war das Songmaterial natürlich alles andere als schlecht, im Gegenteil. Deerhunter kredenzten einen lässigen, noisigen Sound, der an famose Bands wie My Bloody Valentine, Yo La Tengo, Galaxie 500 und Pavement erinnerte. Stimmlich ließ mich Bradford Cox zudem an Julian Casablancas von den Strokes denken, allerdings hatte er nicht dessen Ausstrahlung. Und angesichts meiner brutalen Müdigkeit und der brutalen Hitze hätte ich mir mehr griffige Hits, mehr direkte Ohrwürmer gewünscht. Mich dürstete es nach Mainstream. Nach Bands wie Interpol, Bloc Party, oder Kaiser Chiefs. Gruppen mit weniger Kreativität als Deerhunter, aber mit mehr Catchyness und Bühnenpräsenz. Stattdessen verliefen sich viel Stücke von Deerhunter in endlose Instrumentalschleifen, dreampoppige Episoden und noisige Nebelgeschwader. Nichts, um mich aus meinem lethargischen Zustand aufzurütteln.

Nach 90 Minuten verließ ich ermattet, durchgeschwitzt und mit schwirrendem Schädel den Konzertsaal. Hinter erzählten die meisten Besucher von einem grandiosen Konzert. Ich selbst hätte den lauen Vorsommerabend aber lieber mit einem nächtlichen Picknick im Park verbracht.

Dennoch möchte ich mir Deerhunter wieder ansehen, denn mein körperlich-geistiger Zustand erlaubte mir einfach kein substanzielles Urteil. Vielleicht sehe ich die Amerikaner ja schon im Juli wieder, beim Pitchfork Festival In Chicago?!

Setlisten:

Lower Dens, klick!
Deerhunter, klick!
Nelson, klick!









6 Kommentare :

E. hat gesagt…

mich interessiert ja vielmehr, wie sich lower dens so gaben.

Oliver Peel hat gesagt…

Lower Dens waren genauso langweilig wie Deerhunter.

Wieder einmal haben mir die Franzosen am besten gefallen: Nelson!

E. hat gesagt…

jana hunter langweilig?!

Oliver Peel hat gesagt…

Richtig. Tötlich langweilig. Keine Ausstrahlung die Frau. Einschläfernd. Spielt statt in der Mitte am Bühnenrand genau wie der Kerl von Derhunter.

Sänger gehören in die Mitte verflucht!!

Nelson, Nelson, Nelson!

Anonym hat gesagt…

Vielen Dank, lieber Oliver, dass Du fuer uns zu so vielen Konzerten gehst.

Ich hab am Samstag abend mit Freunden eine Partie Colons de Catane gespielt (Siedler von Katan), und dann spaeter nachts den Stream im Internet angesehen bzw. gehoert.

Ich geb' Dir Recht fuer die erste Haelfte des Konzerts, aber ab der 45. Minute kam dann doch etwas von der Magie auf, die ich bei den Konzerten im Nouveau Casino und in der Maroquinerie* erlebt habe.

Wieviele Leute passen denn in die Gaite Lyrique rein?

Uschi A. aus P.

*http://www.youtube.com/watch?v=0jQn7Qx7GaM

Anonym hat gesagt…

"In der Mitte agierte ein braunhaariger, oberlippenbärtiger Bassist, der so schlaff war wie ein nasser Sack. (..)Null Spannung im Körper, teilnahmsloses Gesicht, gelangweilte Gestik."

Hier kann ich dir also überhaupt nicht zustimmen, ich fand ganz im Gegenteil, dass (gerade!) dem Bassisten die Show recht Spass machte! Da war ein permanentes Lächeln auf den Lippen!?

"Platt wie eine Flunder saß ich da also an der Seite und fiel innerhalb von zwei Minuten in einen komatösen, narkoleptischen Tiefschlaf. Wie lange ich in diesem Zustand verharrte, weiß ich nicht genau, aber irgendwann kam ich wieder halbwegs zu Bewußtsein, raffte mich auf und glotzte auf die Bühne."

Ich würde meinen, das ist die Ursache für ein für dich nicht ganz zufriedenstellendes Konzert und einem bevorzugten Picknick im Park ;)

Die in die Länge gezogenen instrumentalen Teile waren doch einfach brilliant!

 

Konzerttagebuch © 2010

Blogger Templates by Splashy Templates