Konzert: Slut, Pelzig
Ort: B72, Wien
Datum: 12.11.2010
Zuschauer: bummvoll, 250 Leute
Konzertdauer: Pelzig 40 Minuten, Slut 90 Minuten
Aus Ingolstadt, der kleinen bayrischen Großstadt, kommt ja so einiges. Nach Beliebtheit bei den „Ösis“ – in aufsteigender Reihenfolge – gereiht: die EADS-Machenschaften namens Eurofighter, schnelle und teure Autos von Audi und zu bester Letzt: Slut.
Die deutsche Band mit dem sympathischen Wuschelkopf Christian Neuburger als Frontmann darf getrost als Wegbereiter und –begleiter des englischsprachigen Alternative im deutschsprachigen Raum bezeichnet werden, aber auch als Band, die sich stetig weiterentwickelt und zunehmend auch von herkömmlichen Formaten weg bewegt. Vor ein paar Jahren erarbeitete man etwa Lieder des Brecht-Freundes Kurt Weill und gab die Interpretationen auch im Theater zum Besten. Letztes Jahr wilderte man wieder in literarischen Kontexten und begleitete Juli Zeh auf einer kleinen Tour zu ihrem Buch Corpus Delicti mit eigens dafür komponiertem Material.
Und dieses Jahr? Dieses Jahr begaben sich Slut, ganz im Stile großer Legenden, auf die Spuren ihrer Frühzeit, wie es so schön heißt: „back to the roots“, und legten ihre lange seit Jahren vergriffenen ersten beiden Werke „For Exercise And Amusement“ und „Interference“ neu auf. Und machten sich aus diesem Anlass auf, die seit fast einem Jahr Absenz regelrecht nach Slut dürstenden Bühnen des deutschen Landes und seiner südlichen Nachbarschaft zu beehren.
Und ganz offensichtlich hatte auch die Zuseherschaft die Ingolstädter bereits vermisst, denn der Vorverkauf für diese besondere Tour lief ganz hervorragend. Natürlich in München und auch in Wien, wo bereits einen Monat im vorhinein alle Karten vergriffen waren. Der Teenbeatclub, der wieder als Veranstalter auftrat, hatte nämlich seine Liebe zu den Lokalen am Gürtel manifestiert und das B72 für diesen Abend auserkoren, welches nun mal nicht unbedingt zu den größten Locations zählt. Diese bewusst erzwungene Intimität stieß natürlich auf wenig Gegenliebe bei all jenen, die keine Karte ihr Eigen nennen durften, auf umsomehr dafür beim Publikum des Abends. Und Slut machen es einem ja auch wirklich leicht, sie zu mögen: Melancholische, aber zügige Gitarrenmusik, eingängige Melodien und die charakteristische Neuburger-Stimme zeichnen für eine große Fangemeinde verantwortlich.
Ob zu dieser auch jene Dame (ganz offensichtlich vom horizontalen Gewerbe) gehörte, die etwa drei Stunden vor Konzertbeginn im B72 auftauchte und etwas verwirrt auch sofort wieder ging, ist unbekannt. Vielleicht hat sie auch die wörtliche Übersetzung des englischen „slut“ zu wörtlich genommen…
Bei Pelzig gibt es keine Übersetzungsschwierigkeiten, die Schwesterband von Slut ersetzte an diesem Abend The Strange Death Of Liberal England, die bis dahin als Support fungiert hatten, sich an diesem Abend aber lieber alleine ins Flex wagten. Die Besucherzahlen dort sollten dieser Entscheidung eher nicht Recht gegeben haben…
Pelzig jedenfalls waren ganz offensichtlich glücklich mit dem erschienenen Publikum und spielten nach anfänglichen technischen Problemen ein zackiges Set runter. Dass ihre Musik ähnlichen Einschlags wie die von Slut ist, hat wohl auch damit zu tun, dass sich im Kader von Pelzig (ich muss bei dem Namen immer an ein Schnabeltier denken, an was denkt ihr???) zwei Kollegen von Slut befinden. Nur der glatzköpfige/kürzesthaarige Sänger hatte wenig mit Chris von Slut zu tun (auch haarmäßig nicht), er spielte auch kein Instrument, bediente sich dafür des Öfteren eines Megafons.
Waren eigentlich alles recht hübsche Songs, so wirklich nachhaltig im Gedächtnis wollte sich bei mir aber keines einnisten, nur Stuck In gefiel mir ganz gut. Das kannte ich allerdings schon davor. Nach knapp 40 Minuten machten sich Pelzig dann an die schwerste Übung dieses Abends und kämpften sich von der Bühne durchs Publikum in Richtung wohlverdientes Abendessen.
Auch das gemeine Fußvolk war hungrig, hungrig nach der zweiten Ingolstädter Band des Abends. Der Appetit sollte rasch gestillt werden. Schon auf dem Weg zur Bühne empfing das Quintett Jubel. Nach Ground (von For Exercise And Amusement), Interference (vom gleichnamigen Album) und dem gebührenden Applaus machte sich Neuburger daran, die Erwartungshaltungen vor der Bühne zu evaluieren, man werde heute „vornehmlich, aber nicht ausschließlich“ aus den zwei ersten Werken zum Besten geben. Ergebnis der Evaluation: Programm angenommen.
Mit dem Auftrag des Volkes ausgestattet, wie es in der politischen Berichterstattung so eloquent heißt (in Wien wurde an diesem Tag übrigens die erste rot-grüne Stadtregierung der Geschichte besiegelt), machten sich Slut an die Verwirklichung ihres Wahlversprechens und das besser als man es in Österreich gewohnt ist.
Abwechselnd und zu gleichen Teilen kamen die beiden genannten Alben zum Zug und dieses alte, bereits über zehn Jahre alte Material klang frisch wie nur irgendwas. Man könnte an dieser Stelle von einer zweiten Jugend sprechen, man könnte aber auch – noch pathetischer – von einer Wiederauferstehung dieser live zuvor selten gespielten Songs sprechen. Muss man aber nicht. Man kann sich (als noch in der ersten Jugend Steckender) einfach darüber freuen, dass man Dokumente einer Zeit miterleben darf, die man ohne Slut zu kennen verbracht hat.
Als kleine Leckerbissen boten Slut all jenen, die vorrangig den aktuellen Werkkatalog kennen, zwischendurch Songs jüngeren Datums, etwa Homesick und das in einer großartig reduzierten Version vorgebrachte Staggered And Torn. Beide wurden begeistert aufgenommen, aber das wurden eigentlich alle Songs.
So verging eine Stunde, die kurzweiliger nicht hätte sein können und in der es im prall gefüllten B72 noch um eine gefühlte Pudelmütze heißer wurde und mit Cloudy Day kam man zum Ende. Der richtige Song, um die Wetterlage zu beschreiben, aber in Wien war der Kuchen noch nicht gegessen, nach frenetischen Klatsch, Ruf- und Pfifforgien brach noch einmal die Sonne zwischen den Wolken hervor und das tolle If I Had A Heart wurde ausgepackt, dass ganz hervorragend gelang. Zwei weitere Songs hatte man noch in petto, bevor schweißüberströmt der nächste Anlauf, die Bühne zu verlassen, gewagt wurde. Es blieb bei dem Versuch, was Slut alles andere als störte, man bedankte sich bei Wien und sprach dann: „Achtung Theater!“
Ein ganz essenzieller Song aus dem Schaffen wurde also ausgepackt, es wurde der Dreigroschenoper und ganz besonders Kurt Weill gehuldigt, als Die Moritat von Meckie Messer unter anfänglicher mithilfe des Publikums angestimmt wurde. „Und der Haifisch, der hat Zähne…“
Ein zahnloser Auftritt war das heute mitnichten, schön, dass Bands sich hin und wieder noch auf ihre Anfangszeiten zurückbesinnen, besonders wenn aus diesen Zeiten so großartige Musik stammt, wie sie Slut eben gemacht haben.
Die Ingolstädter Hierarchie wurde also gefestigt, vor EADS und Audi brauchen Slut wirklich keine Angst zu haben. Zumindest nicht in Wien.
If I had a heart, I would give it to slut. Thank you Slut, thank you Teenbeatclub, goodnight Vienna.
Setlist Slut, B72, Wien (noch im Entstehen, sachdienliche Hinweise zur Vervollständigung werden freudig erwartet):
01: Ground
02: Interference
03: I Know
04: Soda
05: Homesick
06: Medea
07: Wait
08: Bussova
09: Staggered And Torn
10: Wishes
11: Evergreen
12: Rocket
13: Cloudy Day
14: If I Had A Heart (Z)
15: Blow Up (Z)
16: Easy To Love (Z)
17: Die Moritat von Mackie Messer (Kurt Weill “Cover”)
Aus unserem Archiv:
Slut, Köln, 10.11.2010
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