Montag, 22. November 2010

Nina Nastasia, München, 18.11.10


Konzert: Nina Nastasia
Ort: Vereinsheim, München
Datum: 18.11.2010
Zuschauer: etwa 50

Berichterstatter: Eike vom Klienicum.


Kneipenstimmung. Unaufgeräumtes Geraune, Geklapper, Anschwellendes und wieder Abklingendes. Bewegung. Positive Vibrationen. Nina und ich stehen gegen den Tresen gelehnt. Nachdem ich einige Autogrammjäger vorbeiziehen ließ, die sich die Plattencover des aktuellen Albums "Outlaster" signieren ließen, konfrontiere ich die Chanteuse mit meiner Bitte um die Setliste des gerade verklungenen Sets. Nina grinst und wirbelt unbeholfen um sich, als suche sie etwas Greifbareres als ihre Erinnerungen. Mein Hinweis auf ihr iphone, von dem sie beständig während des Konzerts ablas, beantwortet sie mit einem Kopfschütteln und meint, es diene ihr lediglich als Stütze und böte eine Übersicht, aus der sie sich je nach Laune bediene. Ich biete ihr an, mir die Liste per email zu senden, doch sie möchte sie gleich auf Papier bringen, damit sie nicht zu viel vergesse. Sie schnappt sich einen Flyer und notiert in einer runden, wenig strengen und doch festen Handschrift erste Songnamen. Sie stockt bei "Holyman" und fragt mich, wie der Titel vollständig heißen würde und erklärt, dass sie ihre eigene Bezeichnung für die einzelnen Lieder habe, auf Scheibe stünden oftmals andere. Ich antworte, dass ich wüsste, um welchen Track es sich handle und sie schreibt weiter. Nach sieben Einträgen ist Schluss und sie grinst mich an: "is it enough?" Ich antworte: "nein." Doch ihr Lachen weist mir den Weg. Ich bedanke mich für ihr Bemühen, das fantastische Konzert und verabschiede mich in die kühle Münchner Nacht. Das zuvor Erlebte wird sich für eine geraume Zeit ins Gedächtnis gebrannt haben. Nachdem der Tag schwer und mühevoll geriet und die Entscheidung, sich doch noch auf die Socken in die bayerische Hauptstadt zu machen, wohlüberlegt gefällt wurde, schob das musikalische Erlebnis alle Sorgen zügig beiseite, öffnete die Wahrnehmungstore weit und ließ all das Gute ein, was Kunst, wenn sie authentisch , emotional und empathisch dargebracht wird, zu vermitteln im Stande ist. Nicht wenigen Anteil daran hatte Ninas Partner Matthew Szemela, der das Konzert mit seiner Violine begleitete und ein ums andere mal dank einiger gewagter Streichabenteuer begeisterte.

Ansonsten war er aber und zuvorderst Sidepart der mittlerweile in New York lebenden Nina Nastasia. Die stapfte mit ihrem Kompagnon erst nach acht ins Vereinsheim. Die verspätung störte jedoch niemanden im ungewöhnlichen Ambiente aus WM 74 Devotionalien, abgetretenen Fußballschuhen und Pokalen. Im Gegenteil empfing man die beiden völlig aufgeräumt, Küsschen links und rechts für die bekannten Gesichter, ein freundliches Zunicken für alle anderen. Der aufbau geriet zügig, die Mikrofone waren platziert, der Soundcheck längst getätigt. Nastasia an die Gitarre, szemela an sein Streichinstrument, auf die Barhocker und ohne große Übergangsgesten in die Vollen. "dear rose, i misplaced / everything you gave me / you gave me everything / everything / and i do apologize / and hope you'll think of me / as someone who'd do anything / anything for you". die Zeilen aus dem 2000er Album "Dogs", aus dem das wundervolle "Dear Rose" vorgetragen wurde, bezeugen die allgemeine Stimmung, die nicht nur textlich zur Charakterisierung der Musik Nastasias dienen. Die dunklere Seite und dennoch der Verweis von Weinerlichkeit, das Stete aber, dennoch nie die Verzagtheit, das Kämpferische vor der Aufgabe. Nastasias Musik ist kraftvoll und stark und dennoch immer an der Kippe zum Verlust, der Niederlage, dem Nachgeben. Ihr Vortrag ist intensiv, keine Andeutung von nächstgelegener Vermittlung, immer jedoch mit der unausgesprochenen Beteuerung Anteil zu nehmen. Wie ein Schenken und Schützen zugleich. Wie das Rausrücken einer Setlist, vielleicht. Die Hälfte gebe ich preis, den Rest musst du dir erarbeiten. Das Vereinsheim ist mit rund 50 Besuchern gut gefüllt, alle sind aufmerksam, zum Teil wie gebannt. Zwischen den Liedern explodiert die Stille zu berauschendem Applaus und Johlen. Nastasia und ihr Partner fühlen sich bestens aufgehoben und geniessen die Zeit. Es fallen Scherze, Geschichten und launige Sprüche. Doch die Enthobenheit entschwindet just in dem Moment, da Nina Nastasia anhebt, da die Gitarre erklingt und mal besinnlich gestrichen, mal emotional behauen wird, da Szemela über die Saiten hetzt oder zupft oder beides in Einklang bringt. Gemeinsam erschaffen sie eine Konzentriert- und Gebundenheit, die kein Hüsteln, kein Bierglas abstellen durchbrechen kann. Es weben sich unsichtbare Fäden durch den Raum, die jeden angreifen. Die Anwesenden werden eins, zu einer stillen, angerührten Masse. Nina hat eine Stimme, die jedes Gefühl zu transportieren weiß. Sie verfügt dabei nicht nur über Ausdruckskraft und stimmliche Gewandtheit, sondern auch über Glaubwürdigkeit und eine Offenheit, die zuweilen schmerzt.

Sie betont aggressiv, überhöht, windet sich auf dem gebrechlichen Gestühl, stürzt hinab und fängt sich wieder auf. Jede zeile hat ein Ende, jedem Wort wird Respekt gezollt und die Stimme weicht nicht vor der letzten Silbe. Die Melodien sind handzahm und gefügig, sie bewegen das Herz und bleiben. Vor allem auch die neuen Lieder von "Outlaster" feiern Bestand und eine erstaunliche Lebendigkeit fern jeglicher orchestraler Bearbeitung. Hier, in der Aufwartung im kleinsten Kollektiv beweisen sie ihre Erstaunlichkeit. Das schmiegsame und zugleich herz zerreissende "cry, cry, baby", das mythische "you're a holy man", das verständige "you can take your time", das sparsame "this familiar way", das flinke "a kind of courage". mit "i write down lists" findet sich zudem ein Song vom 07er "you follow me", die Bandbreite des Repertoires wird genutzt. Auf die kosten kam man hier sowieso.

Aus der Ferne, und es mussten in diesem barmen Dunkel nur ein paar Schritte sein, wirkte Nastasia alt und vom Leben angegangen. Aus der Nähe hatte sie ein lebendiges, jugendhaftes Gesicht. Flinke Augen, eine frische Gesichtsfarbe und ein dauerhaftes Lächeln um die Mundwinkel machten sie nicht nur sympathisch, sondern mehr noch vertraut.




 

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