Konzert: Interpol
Vorband: Abay
Ort: Theaterhaus, Stuttgart
Datum: 26.08.2015
Dauer: Interpol 70 / Abay 40 Minuten
Zuschauer: etwa 900
Bericht von Fabian / Fotos von Jens (weitere folgen)
Ziemlich dunkel hier für einen Sommertag im Theaterhaus - die einzige Vorstellung im "ollen Bunker" (Max Goldt) in Stuttgart-Feuerbach ist heute das Konzert von Interpol im größten der vier Säle. Gleich beim Betreten des Foyers begegnen mir Leute mit Agent Side Grinder- und Deine Lakaien-Shirts und weitere szenige Kennzeichen. Ist aber nicht wirklich verwunderlich hier auf Gothics zu treffen, sind Interpol doch für ihre Melancholie in Text und Melodie, dem Auftreten und dem kühlen Post-Punk-Sound auch in der schwarzen Szene als größere Indie-Band durchaus beliebt, genauso wie Editors oder Hurts, die auf gängigen "schwarzen" Festivals wie z.B. M'era Luna in den Headlinerpositionen spielen und dort sehr gut ankommen, alle haben so ein paar düstere Nuancen in ihrer Gesamtheit. Haut halt in die gleiche Kerbe.
Im Theaterhaus selbst ist's auch nicht verwunderlich, fanden hier schon Konzerte von Bands wie ASP und dergleichen statt. Trotzdem interessant, wie sich auf Popkonzerten Szenen im Gros des Publikums mischen und doch ein bisschen auffallen. Schließlich ist Interpol doch eine recht große und internationale Band, die mit ihrem Sound prägte und ein breites Publikum anspricht. Mainstream ist hier nicht als Negativbegriff gemeint. Auch nicht, als ich mich vor der Bühne zwischen einem Typ mit Gandalf-Tattoo und einem U2-360°-Shirtträger wiederfinde. Ok, Interpol waren auf dieser besagten U2-Tour Support, daher passt das ja auch ein bisschen.
Gerade ist das New Yorker-Trio + 2 auch weiterhin auf großer "El Pintor"-Tour, was angesichts der Setlist ein bisschen witzig ist, dazu später mehr. Vier "richtige" Konzerte spielen sie in Deutschland, es wirkt aber eher so, als hätte man diese als sinnvoller Lückenfüller zwischen den zahlreichen Festivalterminen nutzen wollen. Gut, so kommen ein paar Leute mehr auch noch auf ihre Kosten, ohne Interpol als eine von vielen Bands auf einem Festival sehen zu müssen. Ist ja tatsächlich nicht jedermanns Sache. Aber gleichzeitig weiß man: Sommer bedeutet gleichzeitig auch Sommerloch - und das gilt oft auch für Konzerte - da auch Musikliebhaber dann lieber den Tag am See verbringen. Daher ist heute nicht sooo viel los, das liegt neben dem eher ungünstigen Termin vermutlich auch am hohen Ticketpreis (40 Euro), das können sich vor allem jüngere Leute, die heute weniger anzutreffen sind, tendenziell nicht leisten. Ob der Preis für Interpol als große Band gerechtfertigt ist, das ist eine andere Frage.
Im Gespräch mit einem langjährigen Konzertgänger hatte ich's davon, ob Interpol nicht den Zenit erreicht hätte. Aber es ist weiterhin die Band, die wir immer mochten. Deshalb hin und schauen, wie es wird. Um Punkt 8 geht's dann im noch nicht wirklich gut gefüllten Saal (die meisten Leute befinden sich noch vor dem Theaterhaus oder im Foyer) mit der Berliner Tour-Vorband ABAY los. Nicht ganz unbekannt, handelt es sich um das aktuelle Projekt vom ehemaligen Blackmail-Sänger Aydo Abay, gleichzeitig dem Namensgeber der fünfköpfigen Band. Die Koblenzer Blackmail waren und sind durchaus eine deutsche Indie-Größe und spielten mit neuem Sänger erst vor einiger Zeit genau hier als Support von Madsen. Wenn man das vergleicht, hat Aydo Abay als Support von Interpol durchaus die Punkte auf seiner Seite. No offense, Blackmail.
Mit balladeskem Klavierpart starten ABAY sanft und hauen im nächsten Moment voll rein. Grelles Licht, verzerrte Gitarren, Soundwand, äußerst wuchtig und das alles ein bisschen plötzlich. Als Apocalyptic Post-Pop beschreiben sie selbst ihren Sound, nach den ersten etwas gefälligen Songs denke ich vor allem an Placebo, was ein Typ hinter mir auch äußert. An sich keine schlechte und unpassende Referenz bei diesem breitwandigen Alternative Rock-Sound, mit dem man erstmal nichts falsch machen kann. Witzigerweise erinnert Aydo Abay auch etwas an Brian Molko. Nicht nur von der Körpergröße, sondern auch wegen seiner markanten, wohlklingenden und kraftvollen Stimme, die hier positiv hervorzuheben ist und ABAY im doppelten Sinne ein Gesicht gibt. Das Publikum nimmt's dankend an, auch der Saal füllt sich nun nach und nach. An Blackmail erinnert es logischerweise etwas, Aydo Abay muss das vielleicht öfters hören. Insgesamt aber leider nicht so außergewöhnlich. Es fehlen Höhepunkte und es ist vor allem erwartbar: Ruhige Piano-Parts über die Aydo Abay singt lösen krachige Gitarren ab. Man nickt zu härteren, recht glatten Popsongs ohne Pose, die dem geneigten VISIONS-Leser gefallen dürften, mit.
Die Musiker sind ohne Zweifel alles erfahrene Leute, Profis eben - so klingt ABAY teils recht groß und ausfüllend, Stichwort Stadionsound, was heute ganz gut reinpasst. Es wird viel geklatscht und zugehört. Nachdem sich Aydo Abay in den ersten 25 Minuten zwei, dreimal bedankt hat, richtet er das Wort ans Publikum und an Interpol, denen er den nachfolgenden Song widmet und sie als "netteste Band die er kennenlernen durfte" bezeichnet. Nachdem er während eines Songs schon den Drummer fotografierte und weil er das sonst nie so machen würde, möchte er nun ein Foto vom Publikum machen. Das ist ein bisschen merkwürdig, weil das immer so einen Bruch gibt, die anderen Bandmitglieder stehen rum und es ist eigentlich ein Move, den man von diesen Bands mit Starallüren kennt. Aber Aydo Abay ist ein korrekter Typ, er wird es der Erinnerung wegen gemacht haben. Denn wann hat man schon mal die Möglichkeit mit Interpol die Bühne zu teilen.
Später am Abend wird er es u.a. auf seinem Instagram-Account hochgeladen haben, in der man auch seine Plattensammlung bestaunen darf. Mittendrin: "El Pintor" von Interpol. Die "typisch Interpol"-klingende Anagram-Platte mit den roten Händen (die nächste tolle Hände-Platte kommt übrigens im Oktober von Die Nerven) erschien beinah exakt vor einem Jahr, nach längerer Pause und interner Umstrukturierung, Weggang des Bassisten und Soloprojekten fand sich die Band, naja, eigentlich nicht neu, aber sie sind wieder im Game. Heute sieht man die Cover-Hände in riesig als Backdrop, die Platte an sich ist heute aber nicht so wichtig, auch wenn das Konzert unter dem Tour- und Plattentitel "El Pintor" steht. Viel mehr erwarten die Leute ihre Band wieder zu sehen, die Hits mitzusingen und in der wirklich einzigartigen Melange aus Paul Banks alles und allem durchdringender Stimme und dem elektrisierenden, sägenden Gitarrensound zu baden. Das wissen die genau. Und Interpol-Konzerte sind ein bisschen wie Schweben.
ABAY haben sich nach einem insgesamt doch recht soliden 35-Minuten-Set verabschiedet. Kurz davor konnte man noch einen Gitarrenslide mit Wulle-Bierflasche sehen und hören, direkt danach trank der Gitarrist aus besagter Flasche, beeindruckend. Eine ABAY-Setlänge später geht das Licht aus, die fünf in schwarz gekleideten Herren betreten unter Jubel ganz ruhig die Bühne, die jetzt durch rotes Licht geflutet wird, die Hände strahlen nun ganz bedrohlich. Es ist wirklich ein sehr stilvoller und gesitteter Auftritt der Band.
Ohne großes Tamtam geht es direkt mit dem flotten Oldie "Say Hello to the Angels" los, der eigentlich auf der gesamten Tour der Opener ist und für die Struktur der straighten Setlist Interpols steht, die nur selten und wenn dann minimal verändert wird. So hört man heute vor allem eben keine "El Pintor"-Songs, sondern zur Freude der Fans eher die ersten beiden Platten, Songs aus der selftitled "Interpol" gibt's dagegen gar nicht. So ist es bei drei "El Pintor"-Singles plus "My blue Supreme" eben weniger ein "El Pintor"-Konzert, es fühlt sich mehr als ein Potpourri aus Hits der letzten grob 15 Jahre an. Ist aber nicht schlimm. So folgt die neueste und wohl letzte Singleauskopplung "Anywhere", die "Narc" und dem zweiten El Pintor-Song "My blue Supreme" die Hand gibt. In den kommenden sehr knappen eineinhalb Stunden (70 Minuten) ziehen Interpol das Set professionell durch, danken artig, sagen sonst nicht so viel, drehen auch nicht ab, alles ganz cool und vor allem nicht abgehoben, was für's Konzert ganz zuträglich ist. Es gibt ein bisschen "Lichtshow", die das ganze atmosphärisch untermalt, ansonsten ist der Fokus ganz klar die Musik. Die Leute im mittlerweile okay gefüllten Theaterhaus-Saal (Sommerloch & 40 Euro sind dann doch für ein paar zu viel gewesen) sind ähnlich gelassen - und eben nicht ausgelassen, sondern ganz bei der Band. Der Platz zum Tanzen oder rhythmischem Dazubewegen wäre da, wird aber schlussendlich selten genutzt - was nicht heißt das es nicht gut war. Vielmehr wird freudig genickt, zugehört und geklatscht wenn es vorbei ist.
Die großen Stadionmomente kommen dann beim frühen "Evil" und sonst nur bei der einzigen Publikumsinteraktion durch die Band, ein wenig geplant und ausgeführt von Gitarrist Daniel Kessler, auf: Mitklatschen. Alle eigenen Versuche eines frenetischen Fans aus der ersten Reihe um die anderen mitzunehmen, scheitern. Ansonsten genießen die Leute die minimalistisch struktierten und druckvollen Gitarrenwände, die im Zusammenspiel mit Paul Banks Stimme eben so toll anzuhören sind, das man vorerst keine Ausbrüche braucht. Innere natürlich bestimmt ein paar. Die vier "El Pintor"-Songs drängeln sich gut ins Live-Set, "All the Rage back home" schafft es als wohl größter Hit der neuen Platte beständig in die Zugaben, "Everything is wrong" besticht mit tollem verzerrtem Basslauf. Paul Banks selbst soll ja vornehmlich Bass bei Entstehung der Songs gespielt haben, nachdem Carlos Dengler ausgestiegen ist. Der letzte Block des Hauptteils ist dann Zucker und markiert für mich den großen - und eigentlich einzigen Höhepunkt des Konzerts. Eingeleitet mit "Pioneer to the Falls", das den ganzen Saal totenstill werden lässt, als Paul Banks komplett allein "Show me the dirt pile and I will pray that the soul can take, three stowaways. In a passion it broke I pull the black from the gray, but the soul can wait. I felt you so much today." singt, jeder den Atem anhält und an seinen Lippen klebt. Es ist ein bisschen Magie im Raum - neben der unverkennbar surrenden und leicht genölten Stimme Banks, die bei Interpol so entscheidend ist. Mit "Slow Hands" folgt noch ein Hit und Highlight, passend dazu das flackernde Licht in den "Antics"-Farben. Der schnell nach vorn preschende Song bringt die Menge letztmalig zum kurzzeitigen Ausflippen, den Break kurz vor Ende nutzt Daniel Kessler um zum Mitklatschen zu animieren. Willkommen in der Indie-Disco, die direkt in den 6-Minuten-Brecher "PDA" mündet und das Konzert mit langen Instrumentalparts und ein bisschen Postrock vorerst enden lässt.
Endgültig Schluss ist dann mit "Obstacle 1", dieser alte Song ist eine wahre Schönheit (Wenn man schon mit "I wish I could eat the salt off your last faded lips" beginnt) und im Verlauf des Lieds bohrt sich Paul Banks Stimme immer tiefer in die Herzen und inneren Sehnsüchte, während Schlagzeug, Bass und Gitarre herrlich verschachtelt ein aufwühlendes und dramatisches Ende finden, das dann doch recht abrupt kommt. Das Konzert ist vorbei und vielleicht ein Ticken zu kurz geraten, hat mit "Obstacle 1" aber noch ein großes Ende gefunden. Enttäuscht wirkt aber niemand so richtig, auch wenn das heute kein Wahnsinnsabriss war und das Konzert ein, zwei Höhepunkte mehr hätte vertragen können. (Auch am Merchstand: Hässliche Shirts und eine CD - damit lässt sich mehr Geld machen, denn T-Shirts kann man nicht runterladen (Audiolith-Weisheit) - LPs gab's nur bei ABAY.)
Der große Knall fehlte so ein bisschen. Aber es war mindestens zufriedenstellend und schön. Interpol sind weiterhin eine tolle Band.
Setlist Interpol, Stuttgart:
01: Say Hello to the Angels
02: Anywhere
03: Narc
04: My blue supreme
05: Evil
06: Length of Love
07: Rest my chemistry
08: Everything is wrong
09: The New
10: Take you on a Cruise
11: C'mere
12: Pioneer to the Falls
13: Slow Hands
14: PDA
15: Untitled (Z)
16: All the Rage back home (Z)
17: Obstacle 1 (Z)