Konzert: Patti Smith and her Band
Ort: Freilichtbühne Killesberg, Stuttgart
Datum: 05.08.2014
Dauer: etwa 95 Minuten
Zuschauer: ca. 3.500
Neben Bob Dylan steht wohl kein Popmusiker in vergleichbaren Maße im Ruf wie Patti Smith doch vielmehr ein Dichter im eigentlichen Sinn zu sein. Die New Yorkerin gilt schließlich nicht nur verständlicherweise als die Godmother of Punk, sondern immer auch als wichtige Poetin, die ihren Songs gerne Gedichte voranstellt und grundsätzlich eine präzise Bildsprache auffährt. Keine Hand voll Songs ist gespielt, da verblüfft Patti Smith mit einer spontanen Einlage, in der sie das letzte Treffen von Arthur Rimbaud und Paul Verlaine in Stuttgart vertont, und die fraglos zu den schönsten Konzertmomenten, die ich bisher erlebte, gehört. „Maybe it was 1874 when Arthur Rimbaud arrived on foot in Stuttgart“, singt sie, sich selbst auf der Akustikgitarre begleitend, „He looked for work / Learned perfect German“. Fast fünf Minuten berichtet sie reich an Metaphern aus dem Leben des großen französischen Dichters, der einige Jahre in der Stuttgarter Marienstraße lebte und drückt sich dabei selbst als eindringliche Lyrikerin aus.
Dass sie diese Eigenschaft in Stuttgart besonders zeigen würde, war beim Betreten der wunderschönen Freilichtbühne im Höhenpark am Killesberg nicht unbedingt zu erwarten. Immerhin sah ich Patti Smith erst wenige Tage zuvor als brillante Headlinerin des Burg Herzberg Festivals und rechnete mit einem sehr ähnlichen Set. Früh deutet sie jedoch an, dass sich der Abend überraschend ungleich gestalten würde. Schon „Redondo Beach“, der fröhlich daherkommende Reggae mit dem düsteren Text vom Debütalbum „Horses“, als Eröffnung weist in eine andere Richtung. Es folgen zwei Stücke vom aktuellen Album „Banga“, die in Breitenbach am Herzberg nicht gespielt wurden. Ähnlich gekleidet – Hut, weißes T-Shirt mit Aufdruck, Holzkreuz um den Hals, weites Herrenjacket über einer schwarzen Weste und Blue Jeans – verströmt sie erneut positive Energie. Bester Laune betrat sie zuvor die Bühne mit einem Strauß weißer Rosen in der Hand, winkte den Zuschauern zu, ständig lächelnd. „April Fool“, ein leichter, Keyboard getragener Popsong passt da gut.
Die Protagonistin tanzt geradezu ausgelassen, breitet die Arme aus, fordert die 3500 Zuschauer zum rhythmischen Klatschen auf. Dann will sie den weißen Strohhut in den Bühnenrückraum werfen. Versehentlich trifft sie ihren langjährigen Gitarristen Lenny Kaye. Beide lachen und entschuldigend legt sie den Kopf an seine Schulter. Die unfreiwillige Situationskomik sorgt für Lacher im Publikum und Smith nebst Mitmusikern hat es im weiteren Verlauf leicht. „Fuji-San“, ihre Ode an den gleichnamigen, höchsten Berg Japans und aufrüttelndes Umweltschutzstatement ist dann schon das zweite und letzte Stück der aktuellen Veröffentlichung, das es heute zu hören gibt und ebnet den Weg für einen ansprechenden Querschnitt durch den großen Katalog der Wahl-New-Yorkerin.
Mit gleich vier Songs ist „Easter“, das populäre dritte Studioalbum von 1978 besonders präsent. Den Anfang macht das ruhige und okkult angehauchte „Ghost Dance“, passenderweise nach dem Zwischenruf eines Zuschauers, man möge doch die Lautstärke erhöhen. „You know it isn’t Black Sabbath that’s coming“, erklärt sie am Bühnenrand kniend im freundlichen Tonfall. Nach dem begeisternden Schamanentanz als Duett mit Kaye wird es noch eine Spur ruhiger. Smith intoniert das erwähnte Gedicht unmittelbar vor dem großartigen „My Blakean Year“ und dem erneut dem „late and very great“ Johnny Winter gewidmeten „Beneath the Southern Cross“. Wie eine treu ergebene Gemeinde folgt das Publikum den Worten der immer wieder in Predigermanier sprechenden Musikerin. „You can dedicate it to anyone you miss, it’s that kind of song. It’s a song of life, but it’s also a song of remembering“, ergänzt sie. Kurz darauf laufen hinter mir Tränen bei erwachsenen Männern. Die emotionale Kraft des Moments ist überwältigend.
Später steigt sie in den Fotograben, während ihre Band ein stürmisches Medley aus Garagenrock-Klassikern spielt. Lenny Kaye singt in Frontmann-Manier, The Whos „I Can’t Explain“ wird angedeutet, „Psychotic Reaction“ dargeboten. Derweil lässt sich Patti Smith mit Zuschauern fotografieren, schüttelt Hände und zeigt sich angenehm nahbar. Wieder auf der Bühne lässt ein weiteres Highlight nicht lange auf sich warten. Seit langer Zeit nicht mehr aufgeführt, ist „We Three“ so überraschend wie fantastisch und ein klassischer Gänsehautmoment.
„Dancing Barefoot“ schließt an, diesmal ohne die geringsten technischen Probleme. Der Sound ist gut, langsam setzt die Dunkelheit ein. Nach einer starken Version von „Pissing in a River“ hält Smith inne und erzählt ihre Liebesgeschichte mit Fred „Sonic“ Smith von den MC5s, den sie heiratete und der vor zwanzig Jahren starb. Man rechnet förmlich mit „Frederick“, einen ihrer kleinen Hits, doch es folgt das mit Springsteen geschriebene „Because the Night“, ihr einziger echter Charterfolg. Gewidmet wird es dem gemeinsamen Sohn Jackson, der Geburtstag hat und immer wieder mit der Mutter auf der Bühne steht. Anders als 2011 im Frankfurter Mousonturm gibt es keine Livebegegnung mit dem mit Meg White verheirateten Musikersohn, doch rührt die Widmung einer liebenden Mutter.
Mit dem Medley aus Land und Gloria und einem wütenden „Rock ‚N‘ Roll Nigger“ (mit Edward Snowden-Würdigung) als Zugabe endet der Abend nach vielen Überraschungen exakt wie auf dem Burg Herzberg Festival. So unterschiedlich beide Konzerte auch ausfielen, konnten sie doch gleichermaßen überzeugen. Weiße Rosenblüten lässt sie über die ersten Reihen regnen. Es sind die Schönheit großer Poplyrik, der Spirit des Punks und das überbordende Charisma einer 67-jährigen Dichterin mit weißen Haaren, ja, der entscheidenden Frauenfigur der Popgeschichte seit den späten 70ern, die am Ende strahlend hell über Allem schweben – mit der gleichen betörenden Eleganz wie es ihre Stimme einst bei R.E.M.s „E-Bow the Letter“ tat.
Setlist Patti Smith and her Band, Stuttgart:
01: Redondo Beach
02: April Fool
03: Fuji-san
04: Ghost Dance
05: Verlaine & Rimbau in Stuttgart (Spontanes musikalisches Gedicht)
06: My Blakean Year
07: Beneath the Southern Cross (Johnny Winter gewidmet)
08: Medley aus Open Up Your Door (Richard & The Young Lions-Cover), Open Your Eyes (The Nazz-Cover) und Psychotic Reaction (The Count Five)
09: We Three
10: Dancing Barefoot
11: Pissing in a River
12: Because the Night (Jackson Smith und Fred ''Sonic'' Smith gewidmet)
13: Land
14: Gloria (Them-Cover)
15: Rock ‘n’ Roll Nigger (Z)
Aus unserem Archiv:
- Patti Smith, Breitenbach am Herzberg, 01.08.2014
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