Donnerstag, 14. August 2014

Haldern Pop Festival 2. Tag, 08.08.14


Haldern Pop Festival 2. Tag, 08.08.14
Ort: alter Reitplatz und Dorfplatz Haldern am Niederrhein
Datum: 08.08.2014
Zuschauer: insgesamt etwa 7000
Konzertdauer: Konzerte von 11 Uhr bis 3 Uhr



Das Erwachen fiel mir nicht leicht an diesem Freitag, dem zweiten Festivaltag im idyllischen Haldern. Psychedelische Träume hatten mich durchgeschüttelt und ich erwachte schweißgebadet in meinem stickigen Zelt. Eine Dusche in einer dieser kleinen aber okayen Kabinen erweckte mich aber bald wieder zum Leben. Nebenan verkauften Holländer mir an ihrem Stand einen starken Espresso und zwei Stücke Marmorkuchen, so daß ich gut gestärkt den Fußweg an den Maisfeldern entlang zum Haldern Pop antreten konnte.

Die Landscahft hier am Niederehin ist herrlich, satte Wiesen, alte Bäume, Blumen, Alleen wo das Auge nur hinschaut. Die Leute, die hier wohnen, dürfen sich wirklich glücklich schätzen. Zumal sie seit ein paar Jahren das Festival mitten in ihrem Dorf haben, seitdem die Haldern Bar und die Kirche ebenfalls als Venues genutzt werden. Die Kirche selbst ist wunderschön und sehr stimmungsvoll und an deisem Freitagmorgen hatten sich schon (für Camperverhältnisse) früh viele Leute eingefunden. Die fast klassisch zu nennende Band Stargaze aus New York hatte ihren großen Tag und durfte   Alexi Murdoch und Shara Worden (My Brightest Diamond) musikalisch begleiten, ein Werk (Tenebre) von Bryce Dessner (Gitarrist von The National) ohne den Autor alleine aufzuführen.

Ich persönlich kam nur in den Genuss des Sets von Shara Worden, aber das war so traumhaft schön, daß sich der Weg definitiv gelohnt hatte. Die Kirche war proppenvoll und selbst im Mittelgang saßen Leute, so daß der Amerikanerin die ihr gebührende Aufmerksamkeit zu Teil wurde. Sie sang dermaßen glockenklar und durchdringend, daß man sie sich sofort als professionelle Chorsängerin in einer Kirche vorstellen konnte, alles passte also perfekt zusammen. Dazu die sanfte Instrumentierung mit Streichern und dezenten Gitarrenklängen, es hätte nicht traumhafter sein können.

Dennoch verließ ich kurz vor Ende die Church, weil ich unbedingt Jeffrey Lewis & The Jrams in der nahe gelegen Pop Bar sehen wollte. Und Jeffrey und seine beiden Mädels, Heather an den Drums und Caitlin am Bass waren wirklich ein Knüller. In der kleinen stickigen Dorfkneipe spielten sie ein saftig-indierockiges Set mit gelegentlichen Balladen, die voll ins Schwarze trafen. Der Bursche mit der Base Cap wird oft in die Freak Folk Ecke gestellt, aber folkig klang heute nur Weniges. Hier wurde bedingungslos gepunkrockt und die Kneipe ordentlich durchgewirbelt. Das erinnerte musikalisch eher an Pavement als an Freak Folker wie Herman Dune und war durchgängig brillant. Mein persönlicher Favorit im gut geölten Set: You're Invited (you're invited to my birthday party), eine Ballade, zu der die Bassistin Caitlin Gray ausnahmsweise Keyboard spielte. Hinterher verkaufte Jeffrey dann noch etliche seiner super Comics (2,5 Euro das Stück ) un seiner selbstgebrannten CDs (5 Euro, ein Spottpreis!)

Im Anschluß ging es für mich noch einmal kurz zurück in die Church wo der rothaarige Brite Rhodes alleine auf seiner E-Gitarre ins Herz gehende Songs mit markanter Falsettstimme vortrug. Ein neuer Bon Iver, Lonely Dear oder Patrick Watson? Hmm, vielleicht, aber man sollte ihn nicht nur auf seine Kopfstimme reduzieren. Er steht in der Tradition von Songwritern wie Jeff Buckley und seine von Charlie Fink (Noah & The Whale) produzierte EP dürfte erst der Anfang einer vielversprechenden Karriere sein. Das Publikum in der Kirche zu Haldern schien auf jeden Fall sehr angetan und spendete frenetischen Applaus.

Lange konnte ich selbst aber nicht applaudieren, weil es für mich zurück in die Pop Bar ging, wo die  jungen Engländer The Mispers für viel Schwung sorgten. Vier Jungs und ein Mädel an der Geige versetzten den knallvollen Raum in super Stimmung. Das Ganze erinnerte musikalisch an die Talking Heads, Arcade Fire oder Clap Your Hands Say Yeah, der Gesang klang krächzig, die Gitarren euphorisch, der Beat rasant und die Songs (z.B. Gold Dust, ein Hammer !) gingen sofort ins Bein. So gab es dann auch keine einzige Ballade, sondern durchgängig Volldampf und am Ende wollten die Zuschauer die jungen Briten gar nicht mehr gehen lassen. Ein Triumph, gar keine Frage!

Nach meiner Mittagspause, die mich East Cameron Folkcore verpassen ließ, stand auf der Hauptbühne um 16 Uhr 20 ein Highlight an. Der Düssseldorfer Stefan Honig, kurz Honig, und seine zahlreichen Mitmusiker traten bei einsetzendem Regen auf, zauberten aber mit ihrem berauschenden Folkpop die Sonne in die Herzen der begeisterten Zuschauer. 35 Minuten lang wurde äußerst schwungvoll musiziert, Stefan sang sich Ukulele spielend die Stimme heiser, seine Mitmusikerin Julia aka Entertainment for The Braindead betörte mit sanftestem Backgroundgesang, Glockenspiel, Banjo und Akkordeon und die rothaarige Geigerin Heta (ausgeliehen von der holländischen Band Town Of Saints) bezauberte nicht nur durch ihre blauen Augen sondern auch ihr virtuoses Spiel. Die vielen anderen Musiker auf der Bühne spielten ihren Part ebenfalls ganz ausgezeichnet. Es war eine Teamleistung, bei der der Chef Stefan seine Truppe glänzend dirigierte. Alte Stücke wechselten mit neuen ab und das bald erscheinende neue Album It's Not A Hummingbird, It's Your Father's Ghost dürfte den Höreindrücken zufolge ganz großartig werden. Am Ende kamen dann noch etliche Gastmusiker mit hinzu, neben dem mir bekannten Hello Piedpiper noch Ian Fisher, Jonas David, Isa, Bandmitglieder von All The Luck In The World und die Horny Horns. Ein veritables Starensemble der Melodica Festival Szene gab sich hier ein Stelldichein und die vielen glücklichen Gesichter brannten sich tief in mein Gedächtnis. Alle waren glücklich, die Musiker, die sich noch gemeinsam fotografieren ließen und die Zuschauer, die ein gute halbe Stunde lang den Regen völlig vergesen hatten und ganz entzückt waren von der Darbietung von Honig.

Setlist Honig:

01: Leave Me Now
02: Dear Liar
03: Swimming Lessons
04: Leon Law
05: Overboard
06: Golden Circle
07: In My Drunken Head
08: For Those Lost At Sea 

Der Regen sollte leider auch anhalten, was schwerwiegende Folgen für den weiteren Ablauf des Festivatages hatte. Bei den Konzerten von My Brightest Diamond (musikalisch hochsstehend aber weniger beeindruckend als in der Kirche und den Esten Ewert And The Two Dragons (nett, aber leider etwas belanglos) war ich noch halbwegs trocken, Chet Faker, Sam Smith und Stephan Eicher jedoch strich ich völlig durchnässt von meinem Plan und zog mich für eine ganze Weile in mein glücklicherweise trockenes Zelt zurück. 


Ich hatte allerdings richtig gehandelt, noch einmal im Spiegelzelt gegen 21 Uhr vorbeizuschauen, denn dort hatte der aufstrebende Australier RY X einen ganz feinen Auftritt. Der bärtige Mann von Down Under mit der Base Cap zauberte zusammen mit einem Mitmusiker eine wundervolle Atmosphäre ins Tent und brillierte mit seiner gefühlsbetonten (mitunter an James Vincent Mc Morrow erinnernden) Stimme und den gekonnten Arrangements. Er erzählte viel von seiner neuen Heimat Berlin und war auch vom Empfang in Haldern schwer angetan. Er sei stolz dieses tolle Festival spielen zu dürfen und ich glaube, das Publikum war ebenso dankbar ihn hier erleben zu dürfen. Ein Highlight bei der 31. Ausgabe des Haldern Pop!

Zürück im Spiegelzelt war ich wieder zu den Black Lips. Inzwischen waren die Wege draußen richtig matschig geworden und wer leichtes Schuhwerk trug, hatte das Nachsehen. Drinnen aber war es trocken, warm und stickig und das passte irgendwie zu dem verschwitzten Garagenrock der energiegeladenen Amerikaner, die einige Male an die kultigen Ramones erinnerten. Der heisere Gesang von Cole Alexander klang jedenfalls dufte und auch die Songs wussten zu gefallen. Letztlich bekamen die Zuschauer solide Kost geboten, Feinschmecker die auf Patrick Watson und ähnliche Klangästheten stehen, waren hier eher fehl am Platze.

Auch die in Montreal ansässigen Ought sah ich später noch im Zelt und hier fühlte man sich nicht an die Ramones sondern eher an The Fall erinnert. Der spindeldürre Sänger mit dem unschuldigen Harry Potter Gesicht entpuppte sich als Heißsporn, der intonierte wie ein junger Mark E Smith und über die Bühne fetzte wie Eddy Argos (bloß eleganter). Die Band hatte sichtlich Spaß und vor allem der Drummer hinten grinste sich permanent einen ab. Vielleicht wusste er, daß es mit seiner Band zumindest 2014 noch deutlich bergauf gehen sollte, ob es für eine längerfristige Karriere reicht, wag ich allerdings zu bezweifeln. Der scharfkantige Post Punk von Ought machte Spaß, bot letztlich aber wenig Neues.

Ought waren für mich die letzte Band des Tages, für The Acid um 2 Uhr 15 hatte ich keinerlei Kraftreserven mehr übig und 7 Stunden Regen am Stück hatten auch meiner Moral etwas zugesetzt. Dennoch war es unter dem Strich wieder ein guter Tag in Haldern, denn echte Musikfans lassen sich von Petrus nicht wirklich den Spaß vermiesen.

 

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