Dienstag, 5. August 2014

Patti Smith and her Band, Breitenbach am Herzberg, 01.08.2014


Konzert: Patti Smith and her Band
Ort: Main Stage, Burg Herzberg Festival
Datum: 01.08.2014
Dauer: 94 Minuten
Zuschauer: einige tausend


Alle Fotos: © Katja Charlotte Rohr


Rückkopplungen, hohes Fiepen und Feedbacks gleich zu Beginn wecken unangenehme Erinnerungen an meine erste Konzertbegegnung mit Patti Smith. Diese liegt nun über drei Jahre zurück und war gezeichnet von einer grippegeschwächten Musikerin, die sich mit großer Würde versuchte durch den Abend zu retten. Heiser krächzend, immer wieder entschuldigend, konnte sie das Akustikkonzert im Frankfurter Mousonturm nicht den eigenen Ansprüchen – und denen der Zuhörerschaft – gerecht werden lassen. Ihr Gitarrist Lenny Kaye sang ganze Stücke, „Helpless“ von Crosby, Stills, Nash & Young fasste sinnbildlich alles zusammen. Der Abend missriet allen Rettungsversuchen zum Trotz.


Die großen Soundprobleme bei „Dancing Barefoot“ zu Beginn lassen auch auf dem Burg Herzberg Festival Schlimmes befürchten Würde meine zweite Livebegegnung mit der Punk-Poetin diesmal von der Technik getrübt werden? Smith mit großer Lesebrille und Hut, traditionell in ein weites, schwarzes Jacket, Jeans gekleidet mit Herrenschuhen an den Füßen, entschuldigt sich sofort. Eine kurze Pause folgt, die andeutet, dass es sich die Smith nicht nehmen lassen würde, bei einem ihrer raren Festivalgastspiele für den ganz großen Wurf auszuholen. Denn was dem etwas verunglückten Start folgt, ist Epochales, das meine ewige Top Ten knacken könnte und schon jetzt ein heißer Anwärter auf das Konzert des Jahres ist.
Die 67-Jährige kredenzt eine Mischung aus ihrem reichhaltigen Repertoire, Klassiker, die niemals fehlen dürfen, werden selbstredend gespielt, doch ist es ein Zeichen ihrer unumstrittenen Klasse, dass neuere Stücke qualitativ nicht im geringsten abfallen. Ihre Musiker, allen voran Lenny Kaye, ihr Gitarrist seit frühsten Patti-Smith-Group-Zeiten, geben der wichtigsten Wegbereiterin eines feministischen, emanzipatorischen Gesichts der Popkultur Rückhalt. Den kann sie nutzen, um mit ausgebreiteten Armen und wackelnden Fingern an die Eintracht im zwischenmenschlichen Leben zu appellieren. Es sind Gesten wie diese, die auf dem größten Hippie-Festival Europas ihre volle Wirkung entfalten können.

„Redondo Beach“ und „Distant Fingers“, geliebte Songs ihrer wichtigen ersten beiden Alben „Horses“ und „Radio Ethiopia“ machen den Zuschauern im direkten Anschluss an „Dancing Barefoot“ früh im Set den Zugang leicht.
 Sie sei mit Lenny Kaye über das weitläufige Festivalgelände inmitten der idyllischen Landschaft des Vogelsbergs gelaufen, habe eine beeindruckende Stimmung vorgefunden, weiß Patti Smith nun mit gütigem Lächeln zu berichten. Die Menge klebt dem namhaftesten Act des Festivals an den Lippen, als dieser „Ghost Dance“ vom besonders populären dritten Studiowerk „Easter“ ankündigt. Vor fast vierzig Jahren habe sie den Song mit Lenny Kaye geschrieben und heute passe er besonders gut, betont sie und widmet die düstere Folkballade mit dem unheimlich-treibenden Akustikgitarreneinsatz allen Besuchern. „We shall live again“. Smiths unnachahmliche Art zu singen, kommt mit zunehmenden Alter und ungewollten Brüchen in der Stimme heute noch besser als in den 70ern. Ihre bloße Präsenz genügt, um die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, ihr Charisma ist phänomenal. Dass sie dabei im Gegensatz zu anderen Künstlern ihres Kalibers weder auf unnahbare Distanz (Bob Dylan, Lou Reed oder meist auch Neil Young) geht, noch im Ruf steht ihre Launen am Publikum auszulassen (neben den eben genannten unter anderem Van Morrisson) bestätigt sich nach dem, dem „late and great“ Johnny Winter gewidmeten „Beneath the Southern Cross“, als sie während „People Who Died“ in den Fotograben steigt. Schnurstracks läuft sie auf ein kleines, vielleicht fünfjähriges Mädchen am rechten Zuschauerrand zu. Legt ihm die Hände auf den Kopf, hält die Ohren zu.
Auf der Bühne singt Lenny Kaye derweil den Song ihres vor fünf Jahren verstorbenen engen Freunds Jim Carroll. Die Securities verstehen Smiths Geste, bringen den Kindern Ohrstöpsel. Lächelnd reicht Patti Smith ihnen Plectrums aus ihrer Jackentasche, bewegt sich zur anderen Seite, wiederholt dort das Prozedere.



Wieder auf die Bühne gestiegen, ertönt das einnehmende Bass-Intro von „Ain't It Strange“. Es ist das große Gütesiegel dieses Konzerts, dass es keinerlei Schwachpunkte hat. Im rötlich-gelben Abendsonnenschein getüncht, erscheint die Bühne im schönsten Licht. Es ist ein Moment, wie man ihn in dieser Schönheit nur auf Festivals erleben kann. Auf der Akustikgitarre beginnt die New Yorker Ikone das nächste Stück. Abbruch. Der Song habe nur einen einzigen Akkord und sie habe den falschen gespielt, flachst sie. Dann breitet sich wieder das bekannte Lächeln auf ihrem Gesicht aus, als sie freudig Ousmane Ag Mossa als Gast ankündigt. „I stole this beautiful man, who gave us such beautiful music“, berichtet sie. Schüchtern betritt der Gitarrist und Sänger der Tuareg-Band Tamikrest aus Mali, die am frühen Abend spielte und Patti Smith sehr beeindruckte, die Bühne. Ebenso eindrucksvoll gerät dann die spontane Kollaboration für „Banga“, den Titeltrack ihres jüngsten Studioalbums. Als zusätzlicher Rhythmusgitarrist fügt sich der Hauptsongschreiber einer der wichtigsten afrikanischen Bands der Gegenwart grandios ins Ensemble ein. „Banga“ gerät mit seinem aufrüttelnden Text und der aufregenden Performance zum großen Höhepunkt. Lenny Kaye beginnt wie ein Hund zu bellen. Smith setzt mit Wolfsgeheul ein. Mit Knurren und Keifen endet die glanzvolle Darbietung des neusten Stücks, das das Publikum auf dem Burg Herzberg Festival zu hören bekommt.
„Pissing in a River“ verstört auch Jahrzehnte nach der Aufnahme noch mit seiner schonungslosen Gleichgültigkeit. Dann folgen die großen Hits. Das gemeinsam mit Bruce Springsteen geschriebene „Because the Night“ verbleibt bis heute als bekanntester Song, der entsprechend lautstark von tausenden Festivalgängern mitgetragen wird. Ein One-Hit-Wonder, wie gerne behauptet wird, ist sie natürlich keinesfalls. Dass „Land“ daraufhin mit dem bekannten Gedicht beginnt, punkige Gitarren auffährt, um schließlich mit „Gloria“ zu verschmelzen, ist ein fantastischer Zug, der diese Feststellung nur bestätigt. Begeistert wird der Refrain gesungen, das reguläre Set endet.
Als Zugabe kommt „Rock 'n' Roll Nigger“ so unvermeidlich wie fantastisch. Die Haare der Sängerin wehen umher, Hände werden gereckt. Der Aussätzigen-Kampfslogan „Outside the society is where I wanna be“, wird zum umgedeuteten Credo des Abends, alle Aussichtslosigkeit weicht in allumfassende Harmonie.



Die Brille hat Patti Smith längst abgezogen, ihren Hut auch. Ihr Haar ist inzwischen fast weiß und liegt strähnig auf ihren Schultern. „Rock 'n' Roll Nigger“ ist vorbei, als Smith noch einmal versöhnlich ins Rund blickt. Viele haben Tränen in den Augen, als sie im Anschluss an den großen Punksong, der so vielen Grungebands zur Blaupause wurde, die friedliche Kraft des musikalischen Protests und das wichtige Erbe der Hippie-Kultur beschwört: „This is the weapon of my generation“, sagt sie auf ihre Gitarre zeigend, „the only weapon you need and it never runs out of ammunition.“ Die Menge tobt, Smith dankt: „This is the way festivals should be.“ Die abschließenden Worte und die Ankündigung hoffentlich zurückzukehren, fügen sich nahtlos in die Stimmung eines großen Abends ein. Nach dem Konzert gibt es für die Kinder aus den ersten Reihen ein Wiedersehen mit einer Künstlerin, deren Schaffen in einer Reihe mit dem Bob Dylans, Neil Youngs oder Lou Reeds bestehen kann. Während uns Journalisten der Wunsch auf Interviews nämlich verwehrt wurde, lädt Smith die Kinder zu sich in den Backstage ein.
Ein Kind hält den Mund“, schloss Bertolt Brecht, zu dessen Grab die Amerikanerin bei Aufenthalten in Berlin stets pilgert, sein Gedicht „Was ein Kind gesagt bekommt“. Dass sie nun ausgerechnet besonderes Interesse an Kindern hat, ist da wenig überraschend. Reine Affirmation ist schließlich das letzte, was sich die zeitlose Dichterin im Rockstargewand für die Zukunft wünschen dürfte.




Setlist Patti Smith and her Band, Burg Herzberg Festival:

01: Dancing Barefoot
02: Redondo Beach
03: Distant Fingers
04: Ghost Dance
05: My Blakean Year
06: Beneath the Southern Cross (Johnny Winter gewidmet)
07: People Who Died (Jim Carroll Band-Cover; gesungen von Lenny Kaye)
08: Ain't It Strange
09: Banga (mit Ousmane Ag Mossar)
10: Pissing in a River
11: Because the Night
12: Land
13: Gloria (Them-Cover)

14: Rock 'n' Roll Nigger (Z)


 

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