Samstag, 18. Oktober 2008

Emily Jane White & Swell, Paris, 17.10.08


Konzert: Emily Jane White & Swell (Jonquil)

Ort: La Maroquinerie, Paris
Datum: 17.10.2008
Zuschauer: ausverkauft
Konzertdauer: Jonquil: gut 30 Minuten, Emily Jane White eine gute Stunde, Swell fast 85 Minuten



Den ganzen Abend Hunger schieben, dafür aber alle Bands in der Maroquinerie komplett sehen, oder aber noch schnell einen Happen essen und riskieren, daß mir von Jonquil ein paar Lieder flöten gehen?

Vor dieser Wahl stand ich am heutigen Freitagabend und mein Magen setzte sich durch. In einem türkischen Schnellimbiss, der kurioserweise hauptsächlich überbackene Kartoffeln anbietet, schlang ich hastig mein Sandwich runter, bevor ich zum Bus 96 eilte, der die steile Rue Menilmontant hochfährt, die zur Maroquinerie führt.

Wie ein Wilder sprang ich aus dem Bus, rannte zur Maroquinerie, nur um unten im Keller angekommen, feststellen zu müssen, daß die Oxforder Jonquil schon ohne mich losmusiziert hatten. Pech! Ich bekam aber noch drei Songs von dem ohnehin nur gut 30 minütigen Set mit, das die sechs Mann starke Band um den bulligen Sänger Hugo Manuel mit der Hymne Lions abschloss. Der Frontmann (inzwischen mit deutlich kürzeren Haaren!) stand hierzu von seinem elektrischen Piano auf und spielte einfühlsam Akkordeon, während einer seiner Kollegen mittels eines Schlauches in eine Melodica blies. Tolle Instrumente gibt es ohnehin zu Hauf bei Jonquil, da kann man sich beispielsweise auch an einer Querflöte oder Trompete erfreuen.

Bestes und stimmungsvollstes Lied bleibt aber wohl wirklich Lions, das eine an Arcade Fire erinnernde Wucht und Dramatik bietet. Aus voller Kehle sangen alle sechs Musiker Zeilen wie "And all the towns we build", oder "So the lions lived alone" und legten noch einmal alles an Herzblut in die Waagschalle, was sie zu bieten hatten.

À propos zu bieten haben, neben dem Album Lions, gab es von Jonquil auch die neue 7 Tracks umfassende EP Whistle Low (ebenfalls ein famoser Song!) zu kaufen. Daneben boten sie desweiteren zwei Tour-Raritäten an. Free As New Sleep Vol. I und II heißen die Scheiben auf denen es "Rough Mixes, Sketches and Ideas" zu hören gibt. Ich bin gespannt!


Nach dem Abgang von Jonquil wurden recht bald Streichinstrumentenund Stühlchen herein getragen. Emily Jane White sollte also mit einem richtigen kleinen Orchester erscheinen! Neben ihrem hochgeschossenen Kontrabassisten, den sie schon bei ihrem wundervollen Konzert im Pariser Point FMR dabei hatte, verstärkten auch zwei junge Frauen an Cello und Geige das Team.

Nachdem diese vier ihre Plätzchen eingenommen hatten, konnte es auch schon zügig losgehen. Genau wie bei meinem letzten Konzert mit Emily Jane White war Dark Undercoat, der Titeltrack des ersten Albums, Opener. "I'm not strong" sang die junge Blondine und obwohl ich ihr ungerne widerspreche, war das natürlich grober Unfug! Sie war nämlich "Very strong"! Was für eine wunderschöne, warme Stimme diese Frau doch hat! Samtweich, einfühlsam, trostspendend, ein Hörgenuss par excellence! Von ihren Streichern wurde ihr Goldkehlchen auf das Beste untermalt, während sie selbst spärliche Gitarrenklänge beisteuerte. Hach, war das herrlich! Und zur Freude der Franzosen sprach Emily auch noch fast akzentfreies französisch. Sie hatte mal ein paar Semester in Bordeaux studiert, das merkte man sofort. Zwischen den Liedern erschien sie fröhlich und aufgeweckt. Wenn sie lächelte, fiel auf, wie jung sie eigentlich aussieht. Und im Gegensatz zum Konzert im Point FMR , war sie weniger gothisch gekleidet. Hatte sie damals noch ein schwarze, durchsichtige Netz-Bluse an, die an ein viktorianisches Korsett erinnerte, trug sie heute ein schlichtes schwarzes Kleid. Auch ihre Kette mit dem Totenkopfanhänger fehlte diesmal.

Zeichen für ein glattpolierteres, weniger folkig -gothisches Image? Immerhin trat sogar ihr vormals noch Vollbart tragender Kontrabassist mit einem glattrasierten Gesicht auf...

Nein, keine Panik! Emily Jane White wird sich nicht zu einer Katie Melua entwicklen und in Klamotten von Lagerfeld wie sie ihre Seelen- und Stimmverwandte Cat Power trägt, sehe ich sie auch in Zukunft nicht.

Dass hier und heute alles sehr gediegen und höchst harmonisch rüberkam, bedeutet nämlich keineswegs, daß die Künstlerin keine Ecken und Kanten hat und in Richtung Mainstream unterwegs ist. Dafür sind allein schon ihre Texte zu düster und depressiv "when youve got time on your side you sit and think about your wasted life" (dem Song Time On Your Side entnommen), mag hierfür nur ein Beispiel von vielen sein.

Vor allem aber ist jedes Lied der jungen Künstlerin schöner und einfühlsamer als das andere. Das an Nina Nastasia erinnernde Never Dead rührte mich fast zu Tränen, wenn sie da so sitzt und Sätze wie "Come friendship come "oder später "Gone are you truly gone ?" ins Mikro haucht, geht das schon sehr nahe. Wunderbar auch, daß das Publikum sich bei solchen stillen Liedern so vorbildlich ruhig verhielt und die festliche Atmosphäre nicht zerstörte. Das wunderte selbst Emily Jane und verleitete sie zu der Aussage: "You're so quiet, thank you! When we play in America, people usually go to the bar, talking very loudly!"

Die Pariser gaben das Kompliment postwendend zurück: "We love you!" Gerne hätte ich noch hinzugefügt "Stay in France", aber das war eigentlich unnötig, weil die Amerikanerin ohnehin sehr ausgiebig durch Frankreich tourt. Gut so, denn so kann man sich die sensationell schönen , zum Teil auf dem Piano vorgetragenen Lieder auch in Paris Ende 2008 noch zweimal live anhören. Durch einen Konzertbesuch kommt man zudem noch in den Genuss der neuen Stücke , die auf dem zweiten Album (wann kommt es endlich?!), enthalten sein werden.

Eine ganze Stunde schmachten mit Emily Jane White und ihren Streichern, wie kann man da noch sagen, das Leben sei immer nur schlecht?

Ein Traum!

Setlist Emily Jane White, La Maroquinerie, Paris:

01: Dark Undercoat
02: Two Shots To The Head
03: Never Dead
04: Stairs
05: Time On Your Side
06: Ghost Of A Horse
07: Liza
08: Dagger
09: Victorian America
10: Frozen Heart
11: Wild Tigers I Have Known

12: Bessie Smith*

Headliner des Abends war aber nicht Emily Jane White, sondern Swell aus San Francisco. In den späten 1980er Jahren als Band gegründet, handelt es sich heute im Grunde genommen nur noch um das Projekt des Sängers und Akustikgitarristen David Freel. Der Mann mit dem Bismarck-Bart brauchte aber dennoch einen Drummer und einen Gitarristen, der auch am Keyboard agierte, um den Sound der Alben zu kreieren. Stolze 11 an der Zahl gibt es von Swell (Diskografie hier bei Wikipedia), der seinen Namen auch manchmal in Klammern setzt, sich dann also (Swell) schreibt.

Im Mittelpunkt steht David Freel aber anscheinend nicht gerne, denn dort agierte vielmehr ein recht jung aussehender Drummer. Der Boss hingegen hatte sich in die (vom Zuschauer aus gesehen) rechte Bühnenecke verkrochen und der schlaksige Typ, der die zusätzliche elektrische Gitarre und das Keyboard spielte, drehte dem Publikum gar den Rücken zu und glotzte auf die Bühenwand der Maroquinerie. Eine seltsame Aufstellung! Hinzu kam noch, daß David Freel während der ersten gut 20 bis 30 Minuten unter dem dichtem Nebel und dem dunklen Licht fast gar nicht zu erkennen war. Eigentlich waren die Spots meistens nur auf den Schlagzeuger in der Mitte gerichtet und so konnte man wenigstens deutlich sehen, wie der Kerl sein Gerät malträtierte. Sein Schlagzeugspiel war nämlich hart und präzise und für den bisweilen noisigen Sound, der ansonsten aber eher recht ruhig und verträumt war, ziemlich typisch. Auch die leicht rauchige Stimme von David war eher zurückgenommen, sie erinnerte mich an Bands wie Sparklehorse, Eels, oder Syd Matters, manchmal aber auch an Frank Black von den Pixies. Hervorragende Referenzen also, zu denen man auch noch Gruppen wie Grandaddy oder die Mountain Ghosts gesellen könnte. Letzlich musikalisch genau mein Fall und insofern höchst verwunderlich, daß ich bisher nichts von Swell kannte. Dabei ist gerade das aktuelle Album (2007/2008) South Of The Rain And Snow gespickt mit traumhaften Liedern, die allesamt einen simplen Charme, herrliche Melodien und eine große Gelassenheit aufweisen, wie ich während des Konzertes feststellte. Allein die wunderbaren Stücke Trouble Loves You und Saved By The Summer wären das Eintrittsgeld wert gewesen, aber auch das an die Pixies erinnernde Down (vom Album...Well? aus dem Jahre 1993) und Song Seven vom Album 41 waren klasse. Highlight war aber wohl der Klassiker Sunshine Every Day, bei dem nicht nur textlich die Sonne schien, sondern auch ansonsten mehr Heiterkeit durchsickerte. Düster kann man die Musik von Swell ohnehin nicht unbedingt nennen, sie ist trotz der allgeegenwärtigen Melancholie immer mit einem Hoffungsschimmer verbunden und insofern wohl am besten als süß/sauer zu bezeichnen. Ich persönlich hatte jedenfalls einen glänzenden Abend und konnte auch nicht ganz nachvollziehen, warum einige meiner Bekannten den Auftritt von Swell hinterher als zu lahm und langweilig beschrieben.

Setlist Swell, La Maroquinerie, Paris:

01: Good Good Good
02: Trouble Loves You
03: Something
04: Bong Star
05: Down
06: Saved By Summer
07: Song Seven
08: Tell Us All
09: What I Always Wanted
10: Sunshine Everyday
11: South Of The Rain And Snow

12: Still Get High (Z)
13: The Measure Of This Moment (Z)
14: Bridgette, You Love Me (Z)

15: At Long Last (Z)

Merci à Stéphane pour la setlist!

Ausgewählte Konzerttermine von Swell:

27.10.2008: Black Session France Inter, Paris
29.10.2008: A/B, Brüssel, Belgien
30.10.2008: Het Paard, Den Haag, Niederlande
31.10.2008: 013, Tilburg, Niederlande
01.11.2008: Factory Festival, Nivelles, Belgien
02.11.2008: Brügge, Belgien
3.11.2008: MTC, Köln
04.11.2008: Grüner Jäger, Hamburg
05.11.2008: Lido, Berlin
06.11.2008: Scheune, Dresden
07.11.2008: Cafe Central, Weinheim
08.11.2008: Spitalkelle, Offenburg
09.11.2008: Chelsea, Wien, Österreich
11.11.2008: Palace, St. Gallen, Schweiz
12.11.2008: Ebullition, Bulle, Schweiz

Links:

- Videoclips Emily Jane White - Dark Undercoat
, Wild Tigers I Have Known, und Never Dead, in einer dieser tollen Lavomatik-Sessions, die Sängerin spielt in einem belebten Waschsalon vor der sich drehenden Schleuder!
- Jonquil Lions live
- Jonquil Whistle Low
- Swell Videoclip Everything Is Good
- mehr Bilder von Jonquil
- Mehr Pics von Emily Jane White
- Fotos Swell





1 Kommentare :

Alexander hat gesagt…

danke für die besprechung. bei der swell-setlist fehlt die phantastische version von "get high", die sie gegen ende gespielt haben. war "something" diese mogwai-artige wall of noise? das stück ist nicht veröffentlicht, oder? das konzert war wirklich sehr gut. vor ein paar jahren in darmstadt war david freel nicht so gut drauf...

 

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