Konzert: Bon Iver Ort:
La Maroquinerie, Paris
Datum: 02.10.2008
Zuschauer: ausverkauft!
Konzertdauer: gut 75 Minuten (nur Bon Iver)
Bon Iver. Endlich mal wieder ein guter einheimischer Künstler, der die Maroquinerie ausverkauft?
Nein trotz des französischen Namens - übersetzt guter Winter - (obwohl man in der Sprache Molière's Bon Hiver sagen würde, aber das h wird ohnehin nicht ausgesprochen, insofern kommt man dann wirklich auf Bon Iver), handelt es sich um das Projekt eines Amerikaners, der alle Klischees der dortigen Folkszene erfüllt. Zumindest optisch. Bart, wuschelige Haare, kariertes Holzfällerhemd.
Justin Vernon (ein französischer Nachname?!, also doch Franzose?), heißt der grundsympathische Kerl, dessen Lieder der Legende nach in der verlassenen Jagdhütte seines Vaters in Wisconsin bei knisterndem Lagerfeuer entstanden sein sollen. Der Traum vom Aussteigen, er lebt noch! Vor meinem geistigen Auge sehe ich Justin mit dem Gewehr durch die dichten Wälder streifen, auf der Suche nach einem Reh- oder Wildschweinbraten für den Abend. Und was ist, wenn man an einem Tag mal nichts trifft? Muss man dann hungern? Oder Beeren essen? Man sollte schon schießen können, wenn man sich auf ein solches Abenteuer einlässt, aber das lernt man in Wisconsin wahrscheinlich schon als kleines Kind! Wer stirbt schon gerne an Liebeskummer? Und Liebeskummer ("For Emma") muss es ja wohl gewesen sein, was sonst treibt einen jungen Mann in die Abgeschiedenheit? Alles sehr spannend, da male ich mir in meiner Phantasie die romantischsten Storys aus, wie Justin da auf einer Holzbank musiziert, die Gitarre im Anschlag und immer wieder an den Lieder feilt, bis das Kaminfeuer irgendwannn verglüht ist und die Müdigkeit stärker als alles andere ist. Ob er anstatt mit einer Frau mit seiner Klampfe gepennt hat? Man weiß es nicht so genau und am besten erzählt der Musiker Journalisten auch nicht jedes Detail, so kann er vielleicht mal einen Bestseller darüber schreiben.
Die romantischen Geschichten aus dem fernen Wisconsin sind so aufregend, daß man sogar schon im großstädtischen Paris darauf aufmerksam geworden ist. Welcher gestresste Pariser würde nicht mal gerne für eine Zeit lang aussteigen? Auch mich würde das reizen und wenn es noch möglich wäre, in der Wildnis einen Highspeed-Internetanschluss zu haben, wäre mein Glück perfekt. Aber da man dort wahrscheinlich keinen W-Lan- Empfang hätte, bleibe ich doch lieber in Paris und schildere, wie es sich anfühl, einem Aussteiger zuzuhören.
Ich war nicht der Einzige, der Lust auf Lagerfeuerfeeling hatte, die Maroquinerie platzte heute aus allen Nähten. Schon zu der hübschen Anais Mitchell, die witzigerweise aus Montpelier stammt, einer Stadt also, die es auch in Südfrankreich gibt, saßen sie alle gemütlich auf dem Boden. Ihr Montpelier liegt aber im wunderschönen amerikanischen Staat Vermont (war selbst schon dort, ist traumhaft!) und diese Wurzeln merkt man ihrer Musik auch an. Da steckt nämlich eine Menge Dolly Parton drin, wenngleich natürlich moderner interpretiert. Ihre Micky Maus Stimme wird recht häufig mit Joanna Newsom verglichen, an die Klasse der Harfespielerin kommt sie aber freilich nicht ran. So verbuchte ich ehrlicherweise eher ihr bezauberndes Lächeln und ihre wohlgeformten Beine als Lichtblick, als ihre teilweise recht zähen Lieder.
Nachdem die Süße Anais die Bühne verlassen hatte, füllte sich die Maroquinerie immer mehr. Trotzdem gab niemand hier seine "Sitzblockade" auf und man musste bis zum Beginn des Konzertes von Bon Iver warten, bis sich das Publikum endlich erhob.
Richtig so, denn Justin Vernon und seinen drei Musikern sollte man schon den gebührenden Respekt entgegenbringen. Und außerdem: statt karg instrumentiertem Folk, wie man ihn teilweise auf der CD For Emma, Forever Ago hören kann, wurde hier und heuete phasenweise richtig lauter amerikanischer Rock geboten! Waren die herrlichen Flume und Lump Sum noch ein wenig abtastend und verhalten, brachte der Hit Skinny Love schon richtige Bewegung in das Ganze. Justins Falsett tobte sich hier so richtig schön aus, hielt aber immer die Spur und lief auch in schwierigen Passagen nicht aus dem Ruder. Eindringlich intonierte er Songzeilen wie "I told you to be patient" und spielte dazu Gitarre, während der Drummer auf die Kanten seines Instrumentes klöppelte und der Jüngste im Bunde, der lausbübische Mike Noyce, ganz zart eine zweite Gitarre beisteuerte. Es gab auch noch einen vierten Mann im Bunde, ein recht fülliger Bursche, der trommelte, aber auch Bass spielte. Im Laufe des Abens setzte sich Justin auch manchmal hinter sein Piano und einer der Drummer (manchmal gab es zwei gleichzeitig!) spielte zuweilen auf einem Minikeyboard.
Diese vier Sympathen steigerten die Begeisterung bei dem altersmäßig bunt durchgemischtem Publikum von Lied zu Lied. Besonders nachdem die herrlich warmen und euphorisierenden Kompositionen verklungen waren, brandete regelmäßig tobender Beifall auf, der Justin Vernon fast peinlich zu sein schien. Sichtlich gerührt erzählte er, wie unbeschreiblich es für einen Lausbub aus der amerikanischen Provinz sei, in einer Stadt wie Paris zu spielen. Von der Metropole an der Seine lese man in Wisconsin ja sonst nur in Schulbüchern. Aber nicht nur Justin selbst kam unglaublich gut an, sondern auch sein minderjährig aussehender Gitarrist Mike Noyce. Der 21 jährige hatte seinen ganz großen Auftritt als er das Lied Simple Man vortragen durfte und am Ende schien seine schöne Stimme fast egal zu sein: "Mike will you merry me?, oder Mike I love you" sprudelte es aus ein paar Frauenkehlen heraus und der Umschwärmte antwortete mit einem verlegenen Schmunzeln...
Hinsichtlich der gespielten Songs, war es schwierig, Highlights auszumachen, so ausgeglichen gestaltete sich das Set. Wolves entwickelte sich zur Mitsingnummer, Blindsided, einer meiner Favoriten auf dem Album, war fast live noch schöner und das neue Blood Bank dröhnte unerwartet laut und rockig aus den Boxen.
Die besten Stücke hatten sich Justin und seine Jungs aber für das Ende aufgehoben. For Emma ging mir unter die Haut, das von Vernon solo vorgetragene Re:Stacks sorgte für wohlige, rotweinseelige Gefühle und die erste Zugabe Creature Fear brachte die Maroquinerie mit seinem langsamen, sich ständig steigerndem Aufbau regelrecht in Extase.
Zu dem Sarah Siskind Cover Lovin's For Fools kam dann auch noch einmal Anais mit ihrem wunderschönen Lächeln und der quäkenden Stimme hinzu und der anschließenden Beifall wollte einfach nicht abreißen.
So kam es schließlich noch der Non Album Track Babys zum Vortrage, bei dem Justin Vernon hinter dem Piano das amerikanische Pendant zu Chris "Coldplay" Martin darstellte. Nur in Bercy, wie vor kurzem Coldplay, spielt er noch nicht. Aber wenn das mit dem Erfolg so weitergeht, ist demnächst mindestens die Cigale fällig...
Traumhaft!
Setlist Bon Iver, La Maroquinerie, Paris:
01: Flume
02: Lump Sum
03: Skinny Love
04: Wolves
05: Blindsided
06: Blood Bank
07: Simple Man
08: For Emma
09: Re: Stacks
10: Creature Fear (Z)
11: Lovin's For Fools (Sarah Siskind Cover) (Z)
12: Babys (Z)
Fotos von Bon Iver hier
- Video Bon Iver Babys live
La Maroquinerie, Paris
Datum: 02.10.2008
Zuschauer: ausverkauft!
Konzertdauer: gut 75 Minuten (nur Bon Iver)
Bon Iver. Endlich mal wieder ein guter einheimischer Künstler, der die Maroquinerie ausverkauft?
Nein trotz des französischen Namens - übersetzt guter Winter - (obwohl man in der Sprache Molière's Bon Hiver sagen würde, aber das h wird ohnehin nicht ausgesprochen, insofern kommt man dann wirklich auf Bon Iver), handelt es sich um das Projekt eines Amerikaners, der alle Klischees der dortigen Folkszene erfüllt. Zumindest optisch. Bart, wuschelige Haare, kariertes Holzfällerhemd.
Justin Vernon (ein französischer Nachname?!, also doch Franzose?), heißt der grundsympathische Kerl, dessen Lieder der Legende nach in der verlassenen Jagdhütte seines Vaters in Wisconsin bei knisterndem Lagerfeuer entstanden sein sollen. Der Traum vom Aussteigen, er lebt noch! Vor meinem geistigen Auge sehe ich Justin mit dem Gewehr durch die dichten Wälder streifen, auf der Suche nach einem Reh- oder Wildschweinbraten für den Abend. Und was ist, wenn man an einem Tag mal nichts trifft? Muss man dann hungern? Oder Beeren essen? Man sollte schon schießen können, wenn man sich auf ein solches Abenteuer einlässt, aber das lernt man in Wisconsin wahrscheinlich schon als kleines Kind! Wer stirbt schon gerne an Liebeskummer? Und Liebeskummer ("For Emma") muss es ja wohl gewesen sein, was sonst treibt einen jungen Mann in die Abgeschiedenheit? Alles sehr spannend, da male ich mir in meiner Phantasie die romantischsten Storys aus, wie Justin da auf einer Holzbank musiziert, die Gitarre im Anschlag und immer wieder an den Lieder feilt, bis das Kaminfeuer irgendwannn verglüht ist und die Müdigkeit stärker als alles andere ist. Ob er anstatt mit einer Frau mit seiner Klampfe gepennt hat? Man weiß es nicht so genau und am besten erzählt der Musiker Journalisten auch nicht jedes Detail, so kann er vielleicht mal einen Bestseller darüber schreiben.
Die romantischen Geschichten aus dem fernen Wisconsin sind so aufregend, daß man sogar schon im großstädtischen Paris darauf aufmerksam geworden ist. Welcher gestresste Pariser würde nicht mal gerne für eine Zeit lang aussteigen? Auch mich würde das reizen und wenn es noch möglich wäre, in der Wildnis einen Highspeed-Internetanschluss zu haben, wäre mein Glück perfekt. Aber da man dort wahrscheinlich keinen W-Lan- Empfang hätte, bleibe ich doch lieber in Paris und schildere, wie es sich anfühl, einem Aussteiger zuzuhören.
Ich war nicht der Einzige, der Lust auf Lagerfeuerfeeling hatte, die Maroquinerie platzte heute aus allen Nähten. Schon zu der hübschen Anais Mitchell, die witzigerweise aus Montpelier stammt, einer Stadt also, die es auch in Südfrankreich gibt, saßen sie alle gemütlich auf dem Boden. Ihr Montpelier liegt aber im wunderschönen amerikanischen Staat Vermont (war selbst schon dort, ist traumhaft!) und diese Wurzeln merkt man ihrer Musik auch an. Da steckt nämlich eine Menge Dolly Parton drin, wenngleich natürlich moderner interpretiert. Ihre Micky Maus Stimme wird recht häufig mit Joanna Newsom verglichen, an die Klasse der Harfespielerin kommt sie aber freilich nicht ran. So verbuchte ich ehrlicherweise eher ihr bezauberndes Lächeln und ihre wohlgeformten Beine als Lichtblick, als ihre teilweise recht zähen Lieder.
Nachdem die Süße Anais die Bühne verlassen hatte, füllte sich die Maroquinerie immer mehr. Trotzdem gab niemand hier seine "Sitzblockade" auf und man musste bis zum Beginn des Konzertes von Bon Iver warten, bis sich das Publikum endlich erhob.
Richtig so, denn Justin Vernon und seinen drei Musikern sollte man schon den gebührenden Respekt entgegenbringen. Und außerdem: statt karg instrumentiertem Folk, wie man ihn teilweise auf der CD For Emma, Forever Ago hören kann, wurde hier und heuete phasenweise richtig lauter amerikanischer Rock geboten! Waren die herrlichen Flume und Lump Sum noch ein wenig abtastend und verhalten, brachte der Hit Skinny Love schon richtige Bewegung in das Ganze. Justins Falsett tobte sich hier so richtig schön aus, hielt aber immer die Spur und lief auch in schwierigen Passagen nicht aus dem Ruder. Eindringlich intonierte er Songzeilen wie "I told you to be patient" und spielte dazu Gitarre, während der Drummer auf die Kanten seines Instrumentes klöppelte und der Jüngste im Bunde, der lausbübische Mike Noyce, ganz zart eine zweite Gitarre beisteuerte. Es gab auch noch einen vierten Mann im Bunde, ein recht fülliger Bursche, der trommelte, aber auch Bass spielte. Im Laufe des Abens setzte sich Justin auch manchmal hinter sein Piano und einer der Drummer (manchmal gab es zwei gleichzeitig!) spielte zuweilen auf einem Minikeyboard.
Diese vier Sympathen steigerten die Begeisterung bei dem altersmäßig bunt durchgemischtem Publikum von Lied zu Lied. Besonders nachdem die herrlich warmen und euphorisierenden Kompositionen verklungen waren, brandete regelmäßig tobender Beifall auf, der Justin Vernon fast peinlich zu sein schien. Sichtlich gerührt erzählte er, wie unbeschreiblich es für einen Lausbub aus der amerikanischen Provinz sei, in einer Stadt wie Paris zu spielen. Von der Metropole an der Seine lese man in Wisconsin ja sonst nur in Schulbüchern. Aber nicht nur Justin selbst kam unglaublich gut an, sondern auch sein minderjährig aussehender Gitarrist Mike Noyce. Der 21 jährige hatte seinen ganz großen Auftritt als er das Lied Simple Man vortragen durfte und am Ende schien seine schöne Stimme fast egal zu sein: "Mike will you merry me?, oder Mike I love you" sprudelte es aus ein paar Frauenkehlen heraus und der Umschwärmte antwortete mit einem verlegenen Schmunzeln...
Hinsichtlich der gespielten Songs, war es schwierig, Highlights auszumachen, so ausgeglichen gestaltete sich das Set. Wolves entwickelte sich zur Mitsingnummer, Blindsided, einer meiner Favoriten auf dem Album, war fast live noch schöner und das neue Blood Bank dröhnte unerwartet laut und rockig aus den Boxen.
Die besten Stücke hatten sich Justin und seine Jungs aber für das Ende aufgehoben. For Emma ging mir unter die Haut, das von Vernon solo vorgetragene Re:Stacks sorgte für wohlige, rotweinseelige Gefühle und die erste Zugabe Creature Fear brachte die Maroquinerie mit seinem langsamen, sich ständig steigerndem Aufbau regelrecht in Extase.
Zu dem Sarah Siskind Cover Lovin's For Fools kam dann auch noch einmal Anais mit ihrem wunderschönen Lächeln und der quäkenden Stimme hinzu und der anschließenden Beifall wollte einfach nicht abreißen.
So kam es schließlich noch der Non Album Track Babys zum Vortrage, bei dem Justin Vernon hinter dem Piano das amerikanische Pendant zu Chris "Coldplay" Martin darstellte. Nur in Bercy, wie vor kurzem Coldplay, spielt er noch nicht. Aber wenn das mit dem Erfolg so weitergeht, ist demnächst mindestens die Cigale fällig...
Traumhaft!
Setlist Bon Iver, La Maroquinerie, Paris:
01: Flume
02: Lump Sum
03: Skinny Love
04: Wolves
05: Blindsided
06: Blood Bank
07: Simple Man
08: For Emma
09: Re: Stacks
10: Creature Fear (Z)
11: Lovin's For Fools (Sarah Siskind Cover) (Z)
12: Babys (Z)
Fotos von Bon Iver hier
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