Montag, 2. Juni 2008

Feist, Frankfurt, 01.06.08


Konzert: Feist
Ort: Jahrhunderthalle, Frankfurt
Datum: 01.06.2008
Zuschauer: 3.000 - 4.000 vielleicht
Dauer: knapp 90 min


Ich bin Feist-Fan, gar keine Frage! Sonntag Nachmittag hätte ich mich höchstens als Freund der Musik der Kanadierin bezeichnet. Aber Fan? Nein, das sicher nicht. Ich mag die beiden Alben, die ich habe und Leslie Feists Stimme fasziniert mich natürlich (wen denn auch nicht?). Aber unter meinen meistgehörten Künstlern (es lebe das lastfm-Zeitalter!) taucht sie nicht auf.

Sommerlich-warm war es in Frankfurt, als wir ankamen. Vor der lustigen Jahrhunderthalle lagen einige Konzertgänger noch auf der Wiese und sonnten sich. Vom Morrissey Konzert vor zwei Jahren hatte ich die Halle luftig in Erinnerung, ein Gedanke, der mich in Anbetracht der Temperaturen draußen beruhigte.*

Obwohl sie es offenbar nicht ist, wirkt die Jahrhunderthalle innen, als sei sie eine kommunale Kulturstätte. Im Foyer gibt es viele Ess- und Trinkstände (mit Sektflaschen in Kühlern), alles ist herrlich entspannt, die Security unaufdringlich. Über ein Treppenhaus mit schönstem 60er Jahre Charme gelangt man in den runden Konzertsaal, dessen hohes Kuppeldach ihn besonders spektakulär macht. Durch die runde Grundfläche ist der Konzertraum nach außen offen, es staut sich also nicht an Ein- oder Ausgängen - weil es keine gibt. Die Bühne ist eindrucksvoll groß. Ich war noch nie bei einem dieser fiesen keltischen Step-Abende, von diesen unerträglich-grinsenden Iren (nur die steppenden, die anderen mag ich sehr) passen da aber sicher mehrere hundert auf die Bühne. Da ich wieder einmal nicht wußte, ob
Feist alleine oder mit Band kommen würde, hatte ich ein wenig Angst, die kleine Kanadierin könnte auf der riesigen Fläche verloren gehen.

Angst hatte ich a
uch vor der Vorgruppe. Da Feist ja bekanntlich aus dem Umfeld des kanadischen Künstlerkollektivs Broken Social Scene stammt, hatte ich die schreckliche Vorstellung, Gentleman Reg, der gerne eingesetzte Dauersupport von Broken Social Scene / Stars etc. Konzerten sein - mit ein paar Kumpels. Das was dann kam, war allerdings fünf Nummern besser als besagter Reg, den ich unfreiwillig einige Male sehen durfte.

Lawrence Arabia ist die aktuelle Band eines Neuseeländers namens James Milne, der auch schon Okkervil River als Bassist unterwegs unterstützt hat. Wer nun seine Bandmitglieder in Frankfurt waren, weiß ich nicht. In einem Interview hatte James nämlich geschrieben, er habe zur Zeit eigentlich keine Band, da die alten Kumpels
alle wegen auslaufender Visa nach Neuseeland zurück mußten (ist das unter Commenwealth Staaten wirklich so?). Nunja, jedenfalls stand in der Jahrhunderthalle eine ausgewachsene Band auf der Bühne - neben dem Sänger und Gitarristen waren dies ein Bassist, ein zweiter Gitarrist, ein Schlagzeuger und ein herrlicher schnauzbärtiger nerdig aussehender Keyboarder, der auch Percussions, Glockenspiel und Gitarre spielte. Neben dem Schnurrbart (denn die anderen hatten Vollbärte) fiel an dem Keyboarder vor allem auf, daß er ununterbrochen tanzte und mächtig viel Spaß hatte.

Die Musik von Lawrence Arabia gefiel mir insgesamt sehr gut. Stilistisch, auch auf die Gafahr hin, daß ich langweile, erinnerte es mich etwas an Vampire Weekend. Da Lawrence Arabia allerdings vermutlich länger als die gehypten New Yorker existieren, erscheint mir dies kein Auf-einen-Zug-Aufspringen zu sein, die Bands haben ihren Stil wohl unabhängig voneinander entwickelt. Einen großen Teil der Aufmerksamkeit, die Vampire Weekend genießen, hätten auch Lawrence Arabia absolut verdient. Die Musik war pfiffig, abwechslungsreich - auch innerhalb der Lieder - und begeisterte den Saal sofort. James' Stimme erinnerte mich an David Byrne, die Talking Heads scheinen auch auf alle Fälle Einfluß der jetzt in London beheimateten Band zu sein. Die gute halbe Stunde Konzert hatte der Bandleader unter ein Motto gesetzt: "'Release the power', because it's written on my setlist." Das ist ihnen gelungen, keine Frage. Eine gute Vorgruppe, die für mächtig Stimmung gesorgt hat!

Setlist Lawrence Arabia, Jahrhunderthalle, Frankfurt:**

01: The Mystery Lair
02: The Joke Is In Your Hand
03: Apple Pie Bed
04: Bloody Shins
05: Short Biographies
06: The Beautiful Young Crew
07: Talk About Good Times
08: The Thinnest Air
09: The Kinds of Feelings That Happen On Summer Beaches


Der anschließende Umbau dauerte unverständlich lange. Beziehungsweise präziser, Frau Feist ließ ziemlich lange auf sich warten, denn als schließlich das Licht ausging,
war auf der Bühne schon eine Weile nichts mehr passiert. Mittig vor Feists Mikro hatten Helfer eine Schattenwand aufgebaut. Auf der unglaublich großen Videoleinwand erschien eine reich verzierte Laterne, die dann von einer Schattenhand umgeworfen wurde. Im gleichen Moment tauchte Feist auf, mit einer brennenden Laterne in der Hand. Sie setzte sich - zunächst ohne Band - hinter die Schattenwand und begann ein erstes sehr reduziertes, akustisches Lied.

Nach diesem kurzen Intro-Song erschien dann auch die Begleitband. Wie die Sängerin waren die männlichen Mitmusiker komplett weiß gekleidet. Leslie Feist trug ein kurzes weißes Kleidchen mit Flatterärmeln (aber nicht so
flattrig wie das von Adam Green). Ihre Begleiter waren ein Gitarrist, ein Schlagzeuger, ein Bassist und ein Keyboarder, der auch Trompete und Glockenspiel bediente.

Zu Beginn von "Mushaboom" nahm eine Assistentin einen Barhocker, stellte ihn hinter Feist, kletterte auf ihn und verstreute als Frau Holle Federn von oben auf die singende Kanadierin schneien - wundervoll! Aber das war erst der Beginn der vielen kleinen Perlen, die die traumhafte Musik visuell unterstützten. Auf der Videoleinwand wurden nämlich keine Filme von Band eingespielt, die Animationen fanden live statt. Zwei Assistentinnen zauberten mit allerlei Hilfsmitteln Effekte auf die Rückwand. Wäre das von einer DVD gekommen, wäre es
eine schöne Untermalung gewesen, weil es aber eben vor Ort erzeugt wurde, war es fantastisch und einmalig. Noch aufregender fand ich bisher nur Beck, bei dessen Konzert bei Rock en Seine mehrere Puppenspieler in einer Bühnenecke mit Banddoubles das Konzert parallel mitspielten. Da mir Beck aber vollkommen gleichgültig ist, war das nett aber unbedeutend. Die Feist-Animationen hinterließen Eindruck...

Ganz wundervoll waren die Effekte schon bei "
The limit to your love." Mit rudernden Bewegungen zauberten die beiden Frauen Wolkenbewegungen auf eine Folie, die vermutlich auf einem Projektor lag. Das klingt jetzt alles sicher furchtbar nach Waldorfschule, war aber einfach nur schön und passend. Und wahnsinnig liebevoll. Meine Lieblingsanimation war aber eine, in der eine Hand eine bemalte Folie (mit flüssiger Farbe) verwischte, erst Wellen erzeugte, dann ein Herz, um schließlich alles zu verwischen und ein Segelschiff (?) zu malen. Großartig!

Nach einer Weile ließ die Band Feist wieder alleine. Sie sang so "Honey honey" und "Intuition" von ihrer letzten Platte "The reminder" von 2007. Anschließend - wieder mit Band folgten zwei der bekanntesten Lieder, "Gatekeeper" und natürlich "1 2 3 4", beide damit recht früh im Set gespielt.

Wie schon bei Martha Wainwrigt am Freitag hat mich Feist damit überrascht, wie fröhlich und nahbar die Sängerin erschien. Ich hatte mir eine ganz zurückhaltende
Musikerin vorgestellt. Weit gefehlt! Leslie Feist machte Scherze, gab mit ihren Deutschkenntnissen an ("Guten danke", z.B. - "I know how to order a Wiener Schnitzel" und ein paar andere nützliche aber nicht zitierfähige Sätze, sie habe nämlich eine "deep spiritualized time" gehabt, als sie in Berlin war) und bestätigte Christinas Theorie, daß kanadische Indiebands die Weltherrschaft zu erlangen anstrebten. Vor "So sorry" sollten verschiedene Gruppen im Publikum etwas singen, die mit mehr als 300 km Anreise (erstaunlich viele), die aus Frankfurt, die, sie schon einmal beim Oktoberfest waren (für den Keyboarder war das die größte Party auf Erden) und die Kanadier. Auch wenn einige wohl bei allem sangen (sie kommentierte das streng, daß jeder sein eigenes Team zu nehmen habe), waren erstaunlich viele Kanadier da. Die Sängerin flüsterte ins Mikro, daß das ihr perfider Plan wäre, Deutschland zu übernehmen. Alle ihrer Landsleute sollten hinterher zum Backstagebereich kommen, um Näheres zu besprechen...

Nach dem Lied wies Feist grinsend auf einen Mann in der ersten Reihe hin, der alles mitfilme. Das wäre dann morgen bei You Tube. Wir könnten alle von ihm ein schönes Bootleg kaufen... Ich mochte mich gar nicht in die Haut des armen Handyfilmers versetzen, ich hätte im Boden versinken wollen...

Zum letzten regulären Stück erschien dann noch einmal Lawrence Arabia auf der Bühne und zwitscherte etwas mit. Weil aber gleich nach "
Sea-lion woman" schon wieder eine Schattenwand aufgestellt wurde (und eine gute Stunde ein wenig knausrig gewesen wäre), wurde nicht furchtbar lange Spannung erzeugt, ob es Zugaben geben würde oder nicht.

Hinter der Schattenwand setzte sich dann Feist erst einmal ans Klavier und spielte alleine "The water." Gemeinsam mit Band folgte dann ein mir unbekanntes Stück, ich
vermute aber, daß dies das von ihr in letzter Zeit häufig gespielte "Phantoms" war. "Let it die" beendete das Konzert nach knapp anderthalb Stunden. Die kleine Kanadierin hinterließ die Halle und mich begeistert. Beeindruckt hat mich an der Sängerin vor allem, wie perfekt ihre Stimme auch live funktioniert. Egal ob alleine oder mit lauter Begleitmusik (bei einem Lied wurde aus ihrer Band eine Bläserkapelle), war sie prägend und brillant. Gegen eine Weltherrschaft, deren Soundtrack von Feist und ihren kanadischen Musikerkollegen gesungen wird, habe ich nichts einzuwenden. Oh Canada!

Setlist Feist, Jahrhunderthalle, Frankfurt:

01: Intro
02: When I was a young girl
03:
Mushaboom
04: My moon my man
05: The park
06: The limit to your love
07: I feel it all
08: Honey honey
09: Intuition
10: Gatekeeper
11: 1 2 3 4
12: Past in present
13: So sorry
14: Brandy Alexander
15: Sea-lion woman

16: The water (Z)
17: Phantoms (vermutlich) (Z)
18: Let it die (Z)

Links:

- Feist in Paris (das wäre auch ein schöner Filmtitel)
- Fotos vom Konzert in Frankfurt

Konzertgänger von Feist könnten auch mögen:

- Cat Power (einige Male in Paris)
- Anna Ternheim (ein paar Mal in Paris, Köln, Heidelberg)

Konzertgänger von Lawrence Arabia könnten auch mögen:

- Vampire Weekend (Paris und Brüssel)

* Ein Trugschluß! Innen war es eklig heiß, trotz des weitläufigen Saals und einer Lüftungsanlage.
** thanks, James!




7 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Ich freu mich auch schon auf die Weltherrschaft!!

max kaestner hat gesagt…

hi. war auch da und hab auch eine etwas kürzere zusammenfassung zum konzert geschrieben. nachzulesen hier: http://pavementpolitics.blogspot.com/
ich war so frei deine setlist zu verwenden. dankeschön!
beste grüße...

Anonym hat gesagt…

habe das konzert natürlich auch verfolgt und kann deinem bericht wiedermal zustimmen.

eine ergänzung zur setlist:
zwischen 'brandy alexander' und 'sea lion' ist '1+0' erwähnt, was immer das heißen soll.

Christoph hat gesagt…

Vielen Dank!

Ich habe die Setlist nach meinen Notizen zusammengebastelt. Notiert hatte ich mir zwischen beiden nichts. Aber vielen Dank für den Hinweis, ich überprüfe das noch mal!

Oliver Peel hat gesagt…

Du hast mir die Arbeit, die einzelnen Leinwandanimationen zu beschreiben schon weitgehend abgenommen, auch in Paris gab es die Laterne, die Frau Holle und das Herz, das verwischt wurde, bevor man ein Segelschiff sah.

Gute Arbeit, Christoph! Alles wird richtig erfasst :)

Anonym hat gesagt…

Jetzt weiß ich auch was '1+0' heißt, es ist 'I+O' und bedeutet 'Inside And Out'.

Gruß

Laura hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
 

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