Mittwoch, 4. Juni 2008

Feist, Paris, Paris, 03.06.08


Konzert: Feist
Ort: Le Grand Rex, Paris
Datum: 03.06.2008
Zuschauer: ausverkauft
Konzertdauer: ca. 110 Minuten


Feist oder Devo?

Das war die Frage, die mich in den letzten Tagen ein wenig quälte. Für die Kanadierin hatte ich sehr früh Tickets gebucht, aber dann wurde etwas später der Termin der alten Kult-Postpunker beim Festival La Villette Sonique bekannt gegeben. Mist, die hätte ich mir natürlich auch gerne angesehen, schliesslich treten die faltigen Säcke mit ihren seltsamen gelben Bühnenkostümen ja nicht alle Tage auf! Aber 45 Euro Eintrittsgeld, ganz schön happig, oder?

Bis kurz vor 19 Uhr zögerte ich aber noch, ob ich nicht mein Feist-Ticket verkaufen und stattdessen zu Devo düsen sollte. Bequemlichkeitsgründe gaben letztlich den Ausschlag zugunsten der Dame, denn das Grand Rex liegt bequem erreichbar auf meiner U-Bahnlinie, während die Fahrt nach La Villette umständlich und lang ist.

Und bequem sollte ich normalerweise auch im Grand Rex sitzen, denn dort gibt es ausschliesslich weiche und komfortable Sitzplätze.
Eigentlich bin ich kein Fan dieser statischen Veranstaltungen, ich bevorzuge grundsätzlich bei Konzerten zu stehen, oder -noch besser - zu tanzen. Heute aber hätte ich eigentlich gar nichts gegen einen dieser "Schlafsessel" gehabt, ich war nämlich recht müde und abgespannt. Meine Hoffnungen auf angenehme Bequemlichkeit wurden aber übel enttäuscht. Als ich mein Plätzchen einnehmen wollte, schüttelten die Einweiser mit ihrem Kopf und machten mir in ziemlich unhöflicher Weise klar, dass sämtliche Sitze belegt seien und ich mit einem dieser Klappstühlchen an der Seite vorlieb nehmen müsse. Wie bitte? Ich hatte 40 Euro hingeblättert und sollte mich mit der Holzklasse begnügen?

Zähneknirschend klappte ich mir einen dieser Notsitze runter und befand mich gleich in Nachbarschaft eines spiessigen Pärchens, die - wie im Kino- Chips in sich reinstopften und Bier in Plastikbechern soffen. Ich fühlte mich unwohl und fragte die Platzanweiserin, ob ich nicht wenigstens weiter vorne sitzen dürfe. Ich durfte und war jetzt viel näher an der Bühne dran! Nun hatte ich eine Gruppe von Endzwanzigerinnen um mich, die etwas flotter aussahen, als die feisten (oh, passt ja, wenn man bei einem Konzert von Feist ist!) Gesichter von vorhin. Allerdings waren sie auch nicht richtig lässig drauf und die Converse Turnschuhe einer der "Grazien" verdeckte nur ansatzweise ihr recht biederes Wesen. Insgesamt machten die drei Mädels auf mich den Eindruck, konservative Naturen zu sein, die aber gerne etwas cooler
wahrgenommen werden wollen als sie in Wirklichkeit sind. Sieht so also das typische Publikum von Feist aus? Eher BCBG* als Bobo? Und dient Feist somit als angenehme Abendberieselung für von der eintönigen Arbeit gestresste Grossstädter? Ein furchtbarer Gedanke! Mir graute es ein wenig...

Dann ging das Licht aus und es passierte das, was ich schon von Christophs Bericht aus Frankfurt kannte. Die Laternennummer und das Singen hinter der Schattenwand war also dran und auch in Paris kam die Frau Holle, die von einer Leiter aus Federn auf die Haare der ganz in weiss (ebenfalls genau wie in Frankfurt) gekleideten Sängerin schüttete.
Natürlich gab es auch diese ganzen Animationen, über die mein Kollege schon ausführlich berichtet hat, als da wären die brennende Kerze, das Segelschiff auf stürmischer See, das Knusperhäuschen und so weiter. Mit Liebe gemacht das Ganze, aber sowas brauche ich eigentlich nicht unbedingt. Das Entfernen sämtlicher Sessel und das Freimachen der Tanzfläche wäre mir deutlich lieber gewesen. Auch Feist selbst machte ihre Witzchen über die bequemen Sitzgelegenheiten im Grand Rex: "Ich habe hier auch schon einmal ein Konzert gesehen und kein einziges Mal in die Hände geklatscht": "because I was sooo comfortable!" (das "sooo comfortable" hauchte sie hierbei sinnlich ins Mikro)

Damit das hier und heute anders würde, sorgte ihre männliche Begleitband schon früh dafür, die müden Besucher munter zu machen. Zu "I Was A Young Girl" wurden die Leute nämlich aufgefordert, mitzuklatschen. Ich kam mir ein wenig vor wie in der ZDF-Hitparade mit Dieter Thomas Heck, wurde aber sehr positiv davon überrascht, dass das Stück mit Wucht und Schwung gebracht wurde. Die Nummer rockte, keine Frage! Uff, es wurde also doch nicht so steif wie befürchtet! Auch "Mushaboom", dessen Entstehungsgeschichte stark mit Paris verbunden sei, kam richtig fetzig und präzise rüber. Zu Beginn von "My Moon My Man" ging dann ein regelrechtes Raunen durch die Menge und hier bedurfte es auch keiner Aufforderung mehr, mitzuklatschen, das taten die Leute schon von ganz alleine. Sie hatten auch allen Grund dazu, in der Liveversion wirkte das Stück noch flotter und beschwingter als schon auf CD und am Ende gab es sogar noch ein kleines, aber sehr feines Pianosolo. So muss es sein, live sollten Lieder für meinen Geschmack immer etwas abgewandelt sein, damit ich nicht das Gefühl habe, eine Platte würde abgespielt. Ein Auftakt nach Mass also und das Niveau wurde auch über die gesamte Länge gehalten, auch wenn mir das ein oder andere Lied zu nah an der Schmalzgrenze tänzelte.

Stimmlich bot Feist eine tadellose Leistung, spielend wechselte sie die Oktaven und zeigte die ganze Bandbreite ihres souligen Kehlchens. A propos Kehlchen: ein Titel wurde von Vogelgezwitscher eingeleitet...

Die Setlist entsprach fast exakt derjenigen von Frankfurt von ein paar Tagen, aber mit "How My Heart Behaves" wurde zum ersten Mal abgewandelt. Ich persönlich hätte dieses schmalzige Stück aber eigentlich nicht gebraucht, es erinnerte mich an Barbara Streisand oder ähnliche Heulbojen.
Auch das Einüben des Chorgesanges, wie in Frankfurt aufgespalten in verschiedene Lager (Franzosen, Kanadier, etc...), dauerte mir zu lange und wurde noch nicht einmal in das Lied "So Sorry" übertragen. Warum das dann so lange einstudiert wurde, blieb nicht nur mir hinterher ein Rätsel. Auch mein Bekannter Patrice fand diese Stelle doof ("chiant"), wie er im übrigen auch kein gutes Haar an dem gesamten Konzert liess. Ich muss ihm da allerdings widersprechen. Ein paar Szenen waren nervig und etwas anbiedernd (u.a. die Aufforderung an das Publikum, mal aus sich rauszugehen und laut rumzuschreien, sich wirklich daneben zu benehmen, was auch prompt lautstark getan wurde), über die gesamte Länge hinweg dominierten aber doch eindeutig die positiven Aspekte. Die Band zum Beispiel, die war richtig stark, die Instrumentierung sehr gediegen und punktgenau gespielt. Der Trompeter verdiente sich einige Pluspunkte und auch der Rest der zum Grossteil bärtigen Rasselbande hatte Dampf hinter dem Kessel. Und wenn Leslie ihre elektrische Gitarre aufheulen liess, konnte man die Grunge-Lady hinter der soften Fassade gut erkennen. Feist macht also glücklicherweise keinen Kaffehaus- Jazz, der bei Starbucks laufen könnte. Und selbst wenn dies geschieht, ist die Künstlerin dafür nicht wirklich verantwortlich. Ihre Musik ist gefällig, küsst aber dem Mainstream auch nicht ungeniert die Füsse, selbst wenn der Hit "1 2 3 4" schon für Werbezwecke verwendet wurde. Natürlich war der Song auch heute wieder einer der grossen Abräumer, zu dem das Publikum die "lalala-Passagen" vergnügt mitsang. Lobend erwähnen will ich aber auch noch das das offizielle Set abschliessende "Sea-Lion Woman" (vorgetragen mit Unterstützung der Vorgruppe Lawrence Arabia) und die wundervolle am Piano hinter dem Vorhang geklimperte Ballade "The Water", die den gelungenen Zugabenteil eröffnete, der mit den rockenden Stücken "Phantoms" und "Let It Die" auch noch weitere Highlights zu bieten hatte.

Warum allerdings die fürchterlich schmalzige erneute Zugabe mit dem Piano spielenden Kanadier Gonzales gebracht wurde, verstehe wer will. Wer braucht schon diese beknackten Lovesongs, die mit einem gehauchten " I love youhuhuhuhu" beendet werden? Das überlasse man doch lieber den Mariah Careys
oder Whitney Houstons dieser Welt!

Dieser Schönheitsfehler zum Schluss, änderte aber nichts mehr an einem insgesamt guten Konzert. Feist hat eine fabelhafte Stimme, eine eingespielte Begleitband und so einige starke Lieder. Fan, so wie Christoph das von sich behauptet, bin ich aber trotzdem nicht ganz von Feist. Sängerinnen mit mehr Feuer unter dem Hintern, wie z.B. Scout Niblett oder PJ Harvey, rangieren bei mir vor der stilvollen Kanadierin.

Setlist Feist, Le Grand Rex, Paris:

01: Intro
02: When I Was A Young Girl
03: Mushaboom
04: My Moon My Man
05: The Park
06: The Limit To Your Love
07: I Feel It All
08: How My Heart Behaves
09: Honey, Honey
10: Intuition
11: Gatekeeper
12: 1 2 3 4
13: Past In Present
14: So Sorry
15: Inside And Out
16: Sea - Lion Woman

17: The Water (Z)
18: Phantoms (Z)
19: Let It Die (Z)

20: Ballade mit Gonzales (Z)

Links:

- Fotos von Feist
- Feist in der Jahrhunderthalle Frankfurt vor ein paar Tagen
- das hübsche Bild von Devo stammt von Flickr Fotograf Ollografik . Merci beaucoup!
- mein Freund Philippe war wirklich bei Devo, er hat mir zumindest die Setlist mitgebracht:

Setlist Devo, Le Villette, Paris:

01. That's Good
02. Going Under
03. Peek-A-Boo !
04. Girl U Want
05. Whip It !
06. Secret Agent Man
07. Satisfaction
08. Uncontrollable Urge
09. Mongoloïd
10. Blockhead
11. Jocko Homo
12. Smart Patrol / Mr. Dna
13. Gates Of Steel

14. Freedom Of Choice
15. Gut Feeling
16. Beautiful World




 

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