Konzert: Antikvariniai Kašpirovskio dantys,
FashionGames und Glasshous
Ort: Loftas in Vilnius
Datum: 2. Juni 2015
Dauer: 60 min + 30 min + 45 min
Zuschauer: 20-60
Eine Konferenz hat mich nach Vilnius (*) geführt und natürlich suchte ich auch in der litauischen Hauptstadt das besondere Musikerlebnis. Tatsächlich waren die Randbedingungen von meiner Seite eher scharf: Nur zwei Abende standen zur Verfügung und - obwohl ich zufällig am Montag sogar ein Konzert unter dem Namen Silent Monday gefunden hatte - war ich mit der dazu erhaltenen Wegbeschreibung zwar in einem unvergesslichen Konzert gelandet, aber nicht bei dem von mir anvisierten Silent Monday, sondern in einem Chorkonzert.
Für den einzigen weiteren Abend wollte ich ein bisschen besser vorbereitet sein und fand tatsächlich eine Veranstaltung mit jungen lokalen Bands, wozu ich mir den Weg anhand meines Stadtplans zurechtlegen konnte. Sie fand in einer zur Rockbühne umgewidmeten Industriebrache dem sogenannten Loftas statt. Laut den Informationen sollten die Bands Antikvariniai Kašpirovskio dantys, FashionGames und Glasshous auftreten und es sollte - je nach Quelle - 18:00 bzw. 19:00 Uhr losgehen. In die Musik hineinhören konnte ich vorher nicht, weil die Internet-Verbindung im Hotel zu wackelig war - es war also komplett überraschend, was für Musik sich mit den Namen verbinden würde.
Ich schaffte es erst 20:00 Uhr vor Ort zu sein und durfte feststellen, das manche Sachen wohl Konstanten sind, denn ich hatte noch Zeit mich umzusehen, ein Getränk zu kaufen und den besten Platz zu suchen, bevor 20:15 Uhr die erste Band die Bühne betrat. Alle Ansagen waren natürlich in litauisch, von dem ich kein Wort verstehe. Aber den Namen der Band konnte ich verstehen: Fashion games machte den Anfang und spielte 30 min soliden "New Indie Wave". Eine reine Männersache mit relativ klassischer Besetzung: Gitarre, E-Bass, Schlagzeug und Sänger.
Die Nebelmaschine arbeitete fleißig und rundete das Klangbild für mich optisch gut ab. Mir gefiel die markante Stimme des Sängers und die recht professionelle Performance. Außerdem erhielt ich meinem Lümmelsessel eine schöne Rückenmassage durch die Vibrationen durch Resonanzen. In Summe war es aber nicht so besonders eigenständig oder originell.
Setlist:
01: Perfume
02: You Talk to Me
03: Frankie
04: Push Me
05: Something to Tell
Nach wirklich verblüffend schnellem Umbau waren 15 min später schon Glashous auf der Bühne. Sie sind wohl eigentlich zu dritt für die Musik verantwortlich. An dem Abend hatten sie aber noch zwei Musiker für die Live-Unterstützung an E-Gitarre und E-Bass dabei. Die Sängerin Magda fiel mir sofort ins Auge. Neben ihr sangen aber auch Edgar Koldaras und Artiom Penkevičius. Für den Eindruck der Musik bestimmend waren die weibliche Stimme, wechselnde Sorten Beats aus Computer und zwei Keyboards.
Das gebotene Programm war extrem professionell arrangiert (zum Teil mit Bläsern und Streichern vom Band), häufig sehr gefällig (Radio-tauglich) und auch funky mit einigen Rap-Einlagen. Schon die zweite sehr ruhige Nummer you're my hero hatte mich für die Band eingenommen. Spätestens ab der Mitte des Sets hielt es niemandem im Publikum mehr: Vor der Bühne wurde fleißig das Tanzbein geschwungen, nachdem eine Oma mit ihrem Enkel das Eis gebrochen hatte. Im Finish war das Programm fast Disco-tauglich. Mir war es dann in Summe in wenig zu glatt und von den Themen her zu Herz-Schmerz-mäßig, aber so, dass sich der Weg gelohnt hatte.
Bis hierhin war der Abend solide gewesen - das Experiment hatte nicht mit einer Enttäuschung geendet - aber es wurde nichts geboten, das ich so nicht auch hätte in Karlsruhe sehen können. Ich gab der dritten Band noch eine Chance, mich zu überraschen - hatte mir aber überlegt, lieber heim zu gehen, falls es keine Superband sein würde. Auch diesmal war der Umbau in weniger als 15 min abgeschlossen. Dann hörte man Anfeuerungsgebrüll von Backstage und die letzte Band stürmte die Bühne:
Martynas mit einer Gitarre, Juozas mit einer Fidel, Artūras mit Bassgitarre, Antanas mit Trompete und Karolis am Schlagezeug. Auf der Bühne standen fünf wild gewordene Vollblutmusiker in verrückten Kostümen, die in der sich anschließenden Stunde alle tanzbare Musik durch ihre Mühle drehten und daraus ihren ganz eigenen Stil formten.
Ich dachte so bei mir, sie könnten locker einer Terry-Pratchett-Buch-Verfilmung entsprungen sein. Die Texte und die Juxerei waren auf litauisch, deshalb musste ich mich an den Augenschmaus und die Musik halten. Man könnte es auch mit Manu Chao vergleichen, wobei ich nicht einschätzen kann, ob die Texte mehr als nur spaßig waren. Der einzige englische Satz: Guitar guitar come to my boudoir! wäre wohl eher ein Indiz, dass dem nicht so ist.
Außerdem ist auch die Musik-Mischung im Vergleich zur südamerikanisch-französischen weiter osteuropäisch geweitet, wo Blas- und Marschmusik auch zur Volksmusik gehören. Mitunter für mich über die Schmerzgrenze burlesk inszeniert. Regelrecht gefeiert wurde vom Publikum der Song Venezuela - in Originalsprache Venesuelą. Und ein weiteres Highlight des Abends war die gemeinsame Yoga-Runde mit ausgiebigem Ommm davor und danach (und natürlich Zappelmusik dazwischen...).
Es hatte also schlussendlich doch noch DEN Knaller gegeben - das Musikerlebnis, das ich so nur in Vilnius hatte finden können und das mich wirklich hingerissen hat.
Setlist:
01: Intro
02: Mickaus bobutė
03: Atsisakau
04: Kiek daug žvaigždžių
05: Šeši kaukėti vyriškiai
06: Be Tavęs
07: Veržia kaklą diržai
08: Arvydas ir Alvydas
09: Leidos saulė
10: Į Venesuelą
11: Joga – jėga
12: Apie tai, kaip žirafa sumindė kaunietį Antaną
13: Ar lauksi?
(*) deutsch Wilna, polnisch Wilno, russisch Вильнюс/Wilnjus, Вильна/Wilna, weißrussisch Вільня/Wilnja, jiddisch ווילנע/Wilne)
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