Konzert: Slowdive
Ort: Paard van Troje, Den Haag (Rewire Festival)
Datum: 31.03.2017
Dauer: genau 90 min
Zuschauer: etwa 1.000 (dabei kam mir der Saal kleiner vor)
Als Slowdive When the sun hits anstimmten, mußte ich kurz die Luft anhalten.* Zwei meiner Konzertnachbarn fingen ernsthaft an, rhythmisch zu klatschen! Bei Slowdive! Bei When the sun hits! Das ist, als frittiere man Trüffel. Und esse sie dann mit Ketchup und spüle sie mit Cola runter. Cherry Cola.
Slowdive spielen seit vergangener Woche (London) kleine, intime Clubkonzerte, in denen sie Lieder ihrer im Mai erscheinenden ersten Platte nach zwei Jahrzehnten vorstellen. Daß sie auch in Den Haag auftreten würden, hatte ich erst am Donnerstag gesehen. In der niederländischen Hauptstadt findet am Wochenende das Rewire statt, ein Festival für "adventurous music" (Selbstbeschreibung). Die Künstler des Wochenendes kannte ich mit Ausnahme meines Reisegrunds nicht. Aber da Slowdive mit anderthalb Stunden im Programmheft standen, musste ich mir die lange Fahrt nicht schönreden.**
Slowdive spielten im Paard van Troje, einem dieser typischen Musikclubs ("poppodium"), die es in jeder Stadt in Benelux zu geben scheint. Der große Saal des Paard van Troje sieht aus wie eine kleine Kopie des Ancienne Belgique in Brüssel. Angeblich hat er eine Kapazität von 1.000 Zuschauern, er wirkte aber deutlich kleiner. Was gäbe ich für solche Säle in Deutschland?!
Seit meiner exzessiven Slowdive-Saison 2014 mit sechs Konzerten hat sich optisch einiges geändert. Neil Halsteads Mann-aus-den-Bergen-Bart ist weg, dafür trägt er jetzt einen buschigen Schnauzbart. Die scheinen gerade en vogue zu sein, denn auch Schlagzeuger Simon Scott trägt so etwas, zu einer verwegenen Frisur. Christian Savills Einsatz bei der ganz offensichtlich verlorenen Wette (die Bassist Nick gewonnen haben muß, er hat nichts um Mund und Kinn) war nur ein Vollbart. Wie egal das alles ist, war aber nach ein paar Klängen von Avalyn deutlich. Spätestens wenn die Gitarren einsetzen, sollte man eigentlich für die nächsten anderthalb Stunden die Augen schließen und sich vom ästhetischst-vorstellbaren Krach berauschen lassen.
Nach Avalyn folgten Catch the breeze, Crazy for love und Machine gun. Und wie bei all meinen Slowdive-Konzerten bisher klang die Band fantastisch. 2014 hatte ich irgendwo aufgeschnappt, Slowdive arbeite mit dem gleichen Soundmann wie damals zusammen. Ich hatte die Band u.a. in London in einem Ziegelkeller, in Genf in einem Dorfgemeinschaftssaal und in einem Zelt auf einem Festival erlebt, der Klang war überall fabelhaft. In Den Haag seien sie mit sieben Stunden Verspätung angekommen (ein Problem mit dem Bus). Das hatte aber weder der Laune der Band noch dem Können des Soundingenieurs Probleme bereitet.
Nach Machine gun wurde es dann zum ersten Mal besonders spannend, weil eines der ersten neuen Lieder folgte. Star roving hatten Slowdive vor ein paar Wochen geteilt. Daß eine Platte immer eines der Ziele der Reunion 2014 war, hatte die Band von Beginn an betont. Die Gagen der beiden Shows im Village Underground in London und (vor allem) beim Primavera Sound Festival im Mai sollten die neue Musik finanzieren. Aber Anspruch und Wirklichkeit... auch Lush hatten eine neue Platte aufnehmen wollen, kamen aber nicht mehr über eine (gute) EP hinaus.
Star roving ist wundervoll! Auch live! Besonders gefiel mir das gehetzte Schlagzeug, das am Anfang fast etwas vor dem Rest herzurennen schien. Der Gesang, die Gitarren... das wird ganz sicher einer der A-Songs im Slowdive-Repertoire. Sollte das nicht das beste Lied auf Slowdive (das macht die Band wie My Bloody Valentine, denen auch nur der Bandname als Comeback-Album-Titel eingefallen war) sein, oh, da mag ich gar nicht mal von träumen.
Die Setlist war wie bisher Souvlaki-lastig, aber das ist prima! Der "Titeltrack" Souvlaki Space Station folgte auf Star roving, bevor einer der großen Sieger der Reunion kam - Blue skied an' clear. Das Lied stammt von Pygmalion, dem Album, nach dessen Veröffentlichung Slowdive bei Creation rausgeflogen waren und sich auflösten. Die Prollisierung der britischen Musik durch den Britpop hatte dazu geführt, das auch Slowdive eine Pop-Platte machen sollten, weil sich die Presse nur noch dafür interessierte. Daß ihre Zeit vorbei war, hatte die Band bei einem Konzert bemerkt, bei dem eine Frau während der Show den Boden gewischt hatte. Blue skied an' clear hatte seine Live-Premiere knapp 20 Jahre nach seiner Veröffentlichung.
When the sun hits ist ja bekanntlich das schönste Lied der Welt und von so einschüchternder Schönheit, daß auch die beiden Klatscher ihre Hände glücklicherweise nicht mehr koordiniert bekamen. Auf When the sun hits folgte mit Alison ein nächster Souvlaki-Knüller.
Sugar for the pill, das zweite neue Lied hatte die englische Band erst vor ein paar Tagen veröffentlicht. Ich hatte bis zur Fahrt nach Den Haag gebraucht, um es zum ersten (und einzigen Mal) zu hören. Sugar for the pill beginnt sehr ruhig und hätte vielleicht Alan McGees Vorstellung von einem Slowdive-Popsong entsprochen. Etwas eklig war, das dabei ein Pärchen hinter mir pinguinte. Unabhängig davon hat auch Sugar for the pill das Zeug, ein großer Liebling zu werden, es hörte nur ein wenig unvermittelt auf, das ist das (goldene) Haar in der Suppe des Konzerts.
Zwei B-Seiten der frühen EPs, She calls (Morningrise) und das Syd Barrett Cover Golden hair (Holding our breath) - wobei das ja eigentlich keine echten B-Seiten waren, beendeten nach 75 min den Hauptteil des Konzerts. Golden hair ist der perfekte Abschluß, weil Rachel Goswell dabei nur den kurzen Text singt und danach von der Bühne geht, während ihre Kollegen sich austoben. Die Sängerin spielt bei den meisten der Lieder Gitarre oder Keyboard, Gitarren-Techniker Kev mußte zwischen manchen Stücken drei Instrumente auf die Bühne schleppen.
Die erste Zugabe Slowdive... eines der vielen Slowdive-Lieder, die man Leuten vorspielen kann, um ihnen zu erklären, warum Shoegaze die beste Musik der Welt ist. Slowdive als Zugabe war erwartbar. Ich hatte mir bewußt vorher keine Setlist angesehen, wurde daher überrascht, daß es noch ein drittes neues Lied gab (No longer making time). Tja... Mir fiel erst auf, daß Simon Scott am Anfang ausschließlich ein E-Schlagzeug bei No longer making time einsetzte, dazu kam in den ersten Takten nur ein Bass, bevor ganz sanfte Gitarren einsetzten - und dann Rachels und Neils Stimmen. Am Anfang dominieren das leicht stampfige Schlagzeug und der tolle Bass, dann hageln irgendwann die Gitarren rein. Als ich das nächste Mal zu Simon guckte (nach ein paar Minuten) hatte er sich wieder nach rechts gedreht und spielte sein großes Schlagzeug. Gut möglich, daß No longer making time auf den ersten Blick neben den beiden anderen neuen auf der Platte blaß aussieht. Aber nicht lange. Mich hat es in der zweiten Hälfte schon komplett umgehauen - ein fantastisches Lied!
Danach hätte es 40 days eigentlich nicht mehr gebraucht, aber ich beschwere mich nicht! 40 days ist natürlich auch ein Liebling.
Nach anderthalb Stunden war das Kunstwerk beendet. Auch wenn ich versuche, eine Band pro Jahr maximal zweimal zu sehen, um keine Langeweile aufkommen zu lassen, wird mir das hoffentlich bei Slowdive 2017 auch wieder nicht gelingen - je öfter desto besser! Wir sind noch nicht fertig. Beim besten deutschen Festival, dem Maifeld-Derby headlinen Slowdive den Abschluß-Sonntag (danke, Timo!). Da sehen wir uns, oder?
Setlist Slowdive, Paard van Troje, Den Haag:
01: Avalyn
02: Catch the breeze
03: Crazy for you
04: Machine gun
05: Star roving (neu)
06: Souvlaki Space Station
07: Blue skied an' clear
08: When the sun hits
09: Alison
10: Sugar for the pill (neu)
11: She calls
12: Golden hair (Syd Barrett Cover)
13: Slowdive (Z)
14: No langer making time (neu) (Z)
15: 40 days (Z)
Links:
- aus unserem Archiv:
- Slowdive, London, 20.12.14
- Slowdive, London, 19.12.14
- Slowdive, Genf, 09.09.14
- Slowdive, Saint-Malo, 15.08.14
- Slowdive, Hilvarenbeek, 21.06.14
- Slowdive, Barcelona, 30.05.14
- Slowdive, London, 19.05.14
* strenggenommen musste ich die meiste Zeit die Luft anhalten. Mein Nachbar war deoskeptisch.
** hätte ich das gemußt, hätte ich auf den supergünstigen Preis für die Tageskarte (27 €) verwiesen.
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