Noch nie fiel es mir so schwer, mich auf nur 15 Konzerte des Jahres zu beschränken. Und noch nie so leicht, die Nummer eins zu bestimmen. Dürfte in solch einer Rangliste nicht nur ein Konzert pro Band auftauchen, die ersten sechs Plätze belegten Slowdive-Shows. Aber auch jenseits der Band des Jahres war 2014 phänomenal gut! Wenn Lieblinge wie Arcade Fire, Motorama, Owen Pallett, Allo Darlin', Get Well Soon, Warpaint, Belle & Sebastian, Notwist, Locas In Love, Lingby, Thees Uhlmann oder Morrissey vorzügliche Auftritte hinlegen, die so viel besser sind als alles, was 99% der Deutschen in ihrem Leben live sehen - und es nicht in meine Liste ("Shortlist" für die Profis unter Euch) schaffen, muß ich wohl spinnen. Oder ein irre gutes Konzertjahr gehabt haben.
15: The National, Šibenik, 02.08.14
Es gibt Schlechteres, als einen Urlaub mit einem Konzert einer Lieblingsband zu verbinden. Oder umgekehrt. Während unseres Kroatien-Kurztrips spielten The National drei Konzerte im kleinen Küstenstädtchen Sibenik. Die Amerikaner hatten vor ihren Festival-Auftritt beim SuperUho zwei Warm-Up Shows auf einer der Festungen über der Stadt gespielt. Wir waren bei der zweiten und erlebten Matt Berninger und die vier Zwillinge in Urlaubsstimmung und vor atemberaubend schöner Kulisse! Ich hatte vermutlich das ein oder andere National-Konzert zu viel in den letzten Jahren gesehen und bin ein wenig überspielt, der Auftritt auf der Feste von Sibenik gehört aber zu den besten Konzerten des Jahres!
14: The Thyme Machine, Indietracks, 27.07.14
Eine Band wie The Thyme Machine müsste auf jedem deutschen Indiefestival spielen! Ein Sänger im Leoparden-Jumper, Lieder über Torleute, Scrabble und Treffen mit dem eigenen Zombie-Ich - muß ich mehr sagen! Ich habe ein sehr schlechtes Gewissen, daß die Band nur auf Platz 14 meiner Charts landet, der Auftritt war nämlich irrwitzig gut!
13: The Cure, London, 21.12.14
The Cure nur auf Platz 13? Dreimal sah ich die alten Engländer 2014, 125 Lieder in acht Stunden. Alles wundervoll, alles großartig! Aber das Jahr war so schrecklich konzertbrillant. Denn da war zum Beispiel noch das:
12: Damon Albarn, London, 30.04.14
Das erste Konzert des Blur-Sängers zu seinem Solo-Debüt, ungefähr zu seinem silbernen Bühnenjubiläum fand in einem Tanzsaal im Süden Londons statt, dessen große Zeiten lange zurück liegen. Damon Albarn spielt im Moment nicht vor 80.000 Menschen wie mit Blur, strahlt aber auch solo kaum weniger Faszination aus. Wobei das Konzert alles andere als solo war. Seine Werksschau (sagt der Profi wohl) mit enorm vielen Gorillaz und Good, Bad & The Queen Stücken wurde u.a. von seinen alten Gorillaz Mitstreitern begleitet. Ein wundervolles Konzert, das mir so viel mehr gab, als die der meisten Hypebands der Saison.
11: The Vaselines, Le Guess Who? Festival, 22.11.14
Mein Album des Jahres? V for Vaselines! Die schottische Band live zu sehen, ist leider nicht einfach. Sie tourt nicht oft, in Deutschland schon gar nicht. Ihre erste Tour bei uns fand 2011 statt (in Offenbach und Berlin), die zur neuen Platte führte nur in die Hauptstadt. Aber die Niederlande beherrschen die Kunst der grandiosen Winterfestivals und buchten die Vaselines, was uns einen extrem späten aber herrlichen Auftritt bescherte! Ach, die Vaselines hätte ich gerne jedes Jahr in meiner Bestenliste!
10: The Indelicates, Montabaur, 12.07.14
Was habe ich schon viele zauberhafte Abende mit den Julia und Simon Indelicate erlebt. Der im Wohnzimmer von Ursula und Dirk in Montabaur war der besonderste! Als die Anfrage der Engländer kam und ich zaghaft auf die Konzerttagebuch-Wohnzimmer hinwies, war ich unsicher, ob alle meine Begeisterung teilen und in die Wohnzimmer in Montabaur, Karlsruhe und Stuttgart kommen würden. Eigentlich war das Quatsch! Die Band ist viel zu unterhaltsam für solche Sorgen, der Abend war sehr toll!
09: Teenage Fanclub, Weekend-Fest #4, 27.11.14
Warum sind Teenage Fanclub nicht riesengroß? Warum spielen sie nicht überall? Den Machern des Weekend-Fests in Köln kann man nur unendlich dankbar sein, nicht so langweilig zu buchen wie viele andere und eben auch die Perlen, die gerade nicht modern sind, zu ihrem Fest zu holen. Also erlebten (viel zu wenige) Leute mit Geschmack einen fabelhaften Auftritt der schottischen Band in der Stadthalle Mülheim! Danke, Jan und Jörg!
08: Pelle Carlberg, Montabaur, 24.03.14
Wo wir (also ich) gerade über die Ungerechtigkeit in der Musikwelt sprechen: auch Pelle Carlberg gehört in jedes Radio, in große Konzertsäle und in Samstagabendshows! Aber im Wohnzimmer ist es eigentlich ja viel schöner! Daß der Schwede mit den drei großartigen Platten in seinem Wohnzimmer in der rheinland-pfälzischen Provinz (Pleonasmus) spielen würde, hatte auch der Gastgeber nie im Leben erwartet. Als es dann so weit war, war er vorbereitet und brachte Pelle dazu, ein Lied zu spielen, das er noch nie live gespielt hatte. Aber auch ohne das wäre es ein einzigartiger Abend gewesen!
07: Dean Wareham, Köln, 29.07.14
Alte Helden, die nicht irgendwann peinlich werden, sind selten. Lothar-Matthäus-Syndrom nennt man das wohl, wenn es den üblichen Weg geht. Dean Wareham, Sänger von Galaxie 500, Luna und Dean & Britta, ist dieses Schicksal erspart geblieben. Wie Damon Albarn stellte der gebürtige Neuseeländer 2014 sein Solo-Debüt (nach 25 Jahren...) vor. Gottseidank kam er damit diesmal auch nach Köln und spielte vor Fachpublikum Lieder aus den 80ern, 90ern und von heute. Seine Ehefrau Britta veröffentlicht 2015 ihre erste Solo-Platte, mit der sie hoffentlich (mit Dean an der Gitarre) auch auf Tour kommt. Zusammen werden sie 2015 aber schon einmal mit Luna live auftreten. Das Gebäude 9 Konzert verstärkte meine seit 1988 bestehende Meinung, daß Dean Wareham der größte meiner großen Helden ist!
06: Lanterns On The Lake & Sophie Jamieson, Darmstadt, 25.01.14
Lanterns wer? Und Sophie was? Lanterns On The Lake aus Newcastle hatte ich 2011 lieben gelernt, als sie im Studio 672 ebenfalls ein sagenhaft gutes Konzert spielten. Anfang 2014 spielten die Briten in der Wohngemeinschaft in Köln schon vorzüglich, das Konzert der Bedroomdisco in der Kirche der Evangelischen Friedensgemeinde in Darmstadt bekam als Sahnehäubchen aber noch die phänomenal tolle Sophie Jamieson als Vorgruppe (die ich wieder etwas später in der Wohngemeinschaft sehen sollte). Der Abend war perfekt! Die Zuschauer waren ausschließlich wegen der Bands da, die Stimmung feierlich. Ach, das wäre auch eine schöne Nummer eins geworden!
05: Fear Of Men, Brüssel, 03.10.14
Wer nicht mitbekommen hat, wie großartig Fear Of Men sind, folgt mir offenbar nicht auf Facebook. Beim Indietracks 2013 hatte ich die Band eigentlich gar nicht richtig sehen wollen, war ihr aber bereits beim ersten Song verfallen. 2014 erschien des wundervolle Debüt Loom, das ich rauf- und runterhöre. Bei einer Tour als Support der Pains Of Being Pure At Heart spielte die Vorgruppe die Hauptband an die Wand - und das, obwohl die Pains... bekanntlich kaum weniger wundervoll sind. Die erste Headline-Tour im Herbst war für mich eine Katastrophe, weil FoM bei den beiden erreichbaren Konzerten eben nicht Hauptgruppe sein würden. Der Auftritt in Brüssel vor zwei Bands, die ich bereits wieder vergessen habe, war mein bestes Fear Of Men Konzert bisher. Irgendwo rechts von hier ist eine Statistik, wie oft wir über welche Band berichtet haben. Fear Of Men werden in ein paar Jahren sehr weit oben stehen!
04: Violent Femmes, Brüssel, 19.06.14
Dieses Konzert war sicherer Kandidat für eine der großen Enttäuschungen des Jahres! Zu sehr habe ich die Violent Femmes Ende der 80er Jahr geliebt, zu oft ihr gleichnamiges Album gehört, zu viel der Musik zu verdanken (nämlich, daß mich das Kommerzradio für immer verloren hat zum Beispiel). Das konnte nichts werden. Noch dazu, dafür nach Brüssel zu fahren. Irre! Irre wurde es, irre gut! Wir brauchten eine Weile, um zu kapieren, daß die Band (unangekündigt) ihr wichtigstes Album komplett spielte. Bevor ein ausführlicher zweiter Teil folgte. Das AB in Brüssel feierte jedes Stück. Die Brillanz des Abends hatte aber nichts Melancholisches. Es war eher ein kollektives Neuverlieben in eine große Jugendliebe. Ich hätte nicht erfahren, was ich verpasst hätte, wenn ich nicht gefahren wäre - ich hätte aber etwas sehr Großes versäumt!
03: Schnipo Schranke, Köln, 28.08.14
Diese Konzertbestenliste ist mir ein wichtiges Ritual geworden in den vergangenen Jahren. Obwohl ich sie aus Prinzip immer erst Anfang des Folgejahres mache, grübele ich gegen Ende eines Jahres immer wieder, welche von den gut 100 Konzerten mich besonders beeindruckt haben. Die, die immer wieder aus dem miesen Gedächtnis auftauchen, müssen Eindruck gemacht haben. So wie Schnipo Schranke. Das wird vermutlich kaum wer nachvollziehen können. Um meine kleine Nichte (10) zu zitieren: "mir doch egal!" Die beiden Musikerinnen, die (wie meine Nichte) Blockflöte spielten, hatte ich gar nicht sehen wollen. Ich war wegen der auch tollen Zucker da. Aber es war früh, also guckte ich mir auch den Rest an. Die Instrumentierung (Blockflöte, Keyboard, Kinderklavier und Schlagzeug) und die fabelhaften Melodien waren aber viel zu gut, um früher zu gehen. Aber hatten die das gerade wirklich gesungen? Die Texte der beiden passten nämlich so gar nicht zur lieblichen Musik. Ob das schockieren und damit Aufmerksamkeit bringen soll, ist mir vollkommen egal. Ohne die Metaphern ab 18 wäre es auch ein vorzügliches Konzert gewesen! Und vielleicht leichter zu erklären, warum es eines meiner Konzerte des Jahres war. Mir doch egal!
02: Axolotes Mexicanos, Indietracks, 27.07.14
Das beste Konzert 2014, das nicht von Slowdive kam, spielte die mir bis dahin vollkommen unbekannte spanische Band Axolotes Mexicanos beim Indietracks! Wann ein Auftritt gut ist, entscheidet nicht mein Kopf. Ich muß nicht über Texte und ihre tiefe Traurigkeit nachsinnen, das virtuose Gitarrenspiel und die sagenhaft tollen Effekte bewundern. Und nach dem Konzert erst einmal nachdenken, ob es elendig langweilig oder brillant gut war. Meine musikalische Einfachgestricktheit sagt mir direkt, ob ich etwas toll fand oder nicht. Deshalb haben es so Künstler wie James Blake auch so schwer bei mir. Axolotes Mexicanos werden niemals im Rolling Stone besprochen werden, sie haben mir allerdings ein sagenhaft unterhaltsames und brillantes Konzert beschert. Besonders wunderbar waren zwei Sachen: die spanischen Ansagen, die vom Gitarristen simultan übersetzt wurden und für Lachechos sorgten (erst gröhlten die spanischen Indietracks Besucher, dann der Rest) und die "Yeahs", mit denen Sängerin Olaya unsere Reaktionen quittierte. "And she plays the keyboard in this on!" - "With two hands! Next level!" Yeah! Bestes Konzert beim besten Festival!
01: Slowdive, Genf, 09.09.14
Oder Slowdive (Barcelona), Slowdive (London, 2, 3), Slowdive (Hilvarenbeek) - jedes gehört auf Platz 1! Ja, ich hatte mich auf die Reunion der Engländer gefreut und ja, ich hatte gute Konzerte erwartet. Aber ich hatte nie im Leben damit gerechnet, solch (meine kleine musik-) weltbewegende Auftritte zu erleben. Mein erstes von sechs Konzerten im Mai in London war phänomenal gut und der Auftritt eine gute Woche später beim Primavera-Festival trotz der 25.000 Zuschauer keinen Deut schlechter. Spätestens da war diese Rangliste entschieden. Niemand würde mich 2014 mehr begeistern können. Wie denn auch? Die Wucht, mit der die Band die Schönheit ihrer Lieder hervorspielt, ist beispiellos. Eindrucksvollere Konzerte habe ich seit Jahren nicht gesehen! Sechsmal Slowdive 2014, sechsmal Konzert des Jahres!
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