Konzert: Arcade Fire
Ort: Primavera Sound Festival, Barcelona
Datum: 29.05.2014
Dauer: 112 min
Zuschauer: Tausende
2005 weckte ein Abend meine Konzertbegeisterung aus ihrem Dornröschen-Schlaf. Im Gebäude 9 in Köln spielte damals die neue und schnell größer werdende kanadische Band Arcade Fire. Die kleine Bühne des Clubs platzte aus allen Nähten, weil Unmengen an Musikern mit viel Bewegungsdrang zur Band gehörten (unter anderem Owen Pallett, der als Final Fantasy das Vorprogramm bestritten hatte). Die wilde Show, die wuchtig-tolle Musik - das war einzigartig. Und ich seitdem bei dem ein oder anderen Konzert - auch bei ein paar der Kanadier, die allerdings in immer größeren Sälen stattfanden.
Im vergangenen Jahr fanden rund um die Veröffentlichung des neuen Albums Reflektor einige kleine (mehr oder weniger) Geheimkonzerte statt. Für Brüssel hatte ich bereits Karten im Warenkorb und bezahlt auf der zusammenbrechenden Website des englischen Tickethändlers und stand bedröppelt und beleidigt da. Absurderweise kann sich so etwas auf die Einstellung zur Band übertragen, die man dann aus Trotz meidet. Glücklicherweise ist die Erinnerung an 2005 so weit überstrahlend, daß meine Vorfreude auf Arcade Fire beim Primavera riesig war. Allerdings hatte ich alles gemieden, was mit den Konzerten im Herbst zu tun hatte. Ich kannte keine Videos, keine Setlisten und keine Besetzung. Daß Owen Pallett ab Sommer wieder zur Livebesetzung gehören sollte, war die Ausnahme. Der Kanadier hat gerade sein eigenes neues Album In conflict veröffentlicht (das grandios ist!), stand aber trotzdem auch in Barcelona schon mit seinen alten Kumpels auf der Bühne.
Um halb eins ging das Spektakel los, kurz vor halb drei endete es. Hätten Arcade Fire die zwei schwächeren Stücke vom aktuellen Album weggelassen, wäre es ein vergleichbares Erlebnis wie 2005 gewesen. So war es einen Hauch schlechter - aber trotzdem denkwürdig gut und mit großer Sicherheit das beste Konzert des Festivals und des Sommers.
Die beiden Headliner Bühnen sind in diesem Jahr offenbar gleichrangig. Sony und Heineken Stage befinden sich im hintersten Eck des großen Geländes, rechts und links eines riesigen Platzes und werden abwechselnd bespielt. Warpaint hatten früher auf der Heineken nur einen kleinen Platz der Bühne genutzt und sich kompakt in der gleichen Entfernung zu einander aufgebaut, in der sie es in Clubs tun, Arcade Fire brauchten jeden Quadratmeter der Sony Stage. Mehrere Keyboard-Batterien, zwei Schlagzeuge und zwei Percussion-Stationen und jede Menge Mikros versprachen eine große Besetzung. Wenn ich mich nicht verzählt habe, kamen dreizehn Musiker auf die Bühne, als es mit Reflektor losging. Owen Pallett war dabei, zwei Percussionisten und drei Bläser (alle mit Saxophonen - das tat aber nicht weiter weh).
Zwischen den Liedern fand ein chaotisch aussehendes aber präzise ausgeführtes Wechselspiel statt. Régine und Owen waren die größten Wanderer, wobei er - vielleicht weil er so lange nicht dabei war - manchmal zwischen Geige und Keyboard links hin- und herrennen musste.
Die Band trug die vermutlich bekannten weiß-orangen Jacken, Régine ein buntes Kleid und Owen ein weißes Jacket mit schwarzen Mustern. Das ist natürlich alles nicht Fundamental-Indie-konform, mir aber vollkommen egal. Es sah gut aus und passte zur Bühnendeko.
Den Start machte Reflektor, und das sehr gut! Das anschließende Flashbulb eyes drosselte das Tempo noch einmal, bevor die Hitparade mit Power out, Rebellion und all den anderen Knüllern losging. Bis einschließlich Keep the car running war diese (vermutliche) Stunde eine einzige Singalong-Show. Auch die mürrischsten Drängler und Dauerquatscher hatten in den Singpausen glückliche Gesichter. Daß innerhalb dieser sagenhaft guten Musik die Unterphase, in der Ready to start, Tunnels und Laika aufeinander folgten, noch einmal herrausragt, ist eigentlich unwichtig aber doch bemerkenswert. Was hat diese Band für Hits angehäuft! Es sind zumindest so viele, daß einige der wichtigen Stücke von Neon Bible weggelassen werden konnten.
Das einzige kleine Haar in der Gazpacho waren die schwächeren Stücke von Reflektor (und ja, die Platte ist schlechter als die Vorgänger!). We exist war mir deutlich zu banal und egal. Bei It's never over, dem Duett im Stil von Stella Maris oder Kleine Taschenlampe brenn! bin ich noch nicht sicher, ob es toll oder kitschig ist - oder beides. Auch die Folklore mit den Papp-Köpfen (u.a. mit dem Papst) ist für mich eher geduldete Show aber nicht wirklich nötig. Das Lied dazu, Normal person, war das dritte, das ich zur Not gegen Intervention eingetauscht hätte.
Alles andere war wundervoll! Oh ja!
Natürlich mag der strenggläubige Indie-Mensch auch keine Konfetti-Kanonen. Als die bei Here comes the night zündeten und den ganzen Platz in ein buntes Schneegestöber verwandelten, um dann beim an- und abschließenden Wake up noch vereinzelt rumzuflattern, war das aber vollkommen stimmig!
Der schönste Moment (wenn auch nicht zwingend musikalisch) war das Duett zwischen Régine und Win (It's never over), bei dem sie durch den Mittelgang durchs Publikum auf eine kleine Erhöhung 50 m vor der Bühne gegangen war, auf der vorher ab und zu ein Glitzermann (vermutlich mit Alufolien-Anzug) stand. Régine sang auf halber Höhe zwischen Mischpult und Bühne abwechslend und gleichzeitig mit ihrem Mann. Natürlich war auch das alles andere als spontan - es funktionierte aber.
Es war der erhoffte Knüller und die kurze Nacht vollkommen wert!
Setlist Arcade Fire, Primavera Festival, Barcelona:
01: Reflektor
02: Flashbulb eyes
03: Neighborhood #3 (Power out)
04: Rebellion (lies)
05: Joan of Arc
06: Rococo
07: The suburbs
08: Ready to start
09: Neighborhood #1 (Tunnels)
10: Neighborhood #2 (Laika)
11: No cars go
12: Haïti
13: Keep the car running
14: We exist
15: My body is a cage (kurz)
16: Afterlife
17: It's never over (Hey Orpheus)
18: Sprawl II (Mountains behind mountains)
19: Tequila (The Champs Cover / kurz)
20: Normal person
21: Here comes the night time
22: Wake up
Links:
- aus unserem Archiv:
- Arcade Fire, Luxemburg, 26.06.11
- Arcade Fire, Wiesen, 22.06.11
- Arcade Fire, Düsseldorf, 29.11.10
- Arcade Fire, Paris, 29.08.10
- Arcade Fire, Paris, 05.07.10
- Arcade Fire, Paris, 24.08.07
- Arcade Fire, Köln, 22.08.07
- Arcade Fire, Nimes, 22.07.07
- Arcade Fire, Paris, 20.03.07
mehr Fotos später!
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