Konzert: King Khan & The Shrines
Vorband: Wolf Mountains
Ort: Goldmark's, Stuttgart
Datum: 26.04.2014
Dauer: King Khan 79 Minuten / Wolf Mountains 37 Minuten
Zuschauer: einige hundert (ausverkauft)
Im Untergrund unter dem Charlottenplatz, in einem Seitenflügel der gleichnamigen U-Bahnstation gelegen, platzt das Goldmark’s aus allen Nähten. Der kleine Nachbarclub des Universums ist an diesem verregneten Freitagabend der Place to be in Stuttgart. Arish Ahmad Khan bittet unter seinem Alter Ego King Khan und mit seiner vielköpfigen Kapelle zum Tanz. Wer da gleichzeitig zu den Intergalactic Lovers ins Schocken pilgert, begeht einen groben Fehler, denn Khan verkörpert den Spirit des Rock n‘ Rolls in einer unwiderstehlichen Vereinigung mit Garage und ganz viel Soul so leidenschaftlich wie sonst keiner dieser Tage.
Wer dabei war und über das zurückliegende Konzert berichten möchte, läuft – so die einhellige Meinung – Gefahr in Superlativen zu sprechen. Gig-Blog-Autor Holger versucht erst gar nicht, das zu verbergen, und hat verdammt Recht. Der 37-jährige Indo-Kanadier Khan ist schließlich der legitime Nachfolger des Weihnachten 2006 verstorbenen James Brown, ein unvergleichlicher Performer und eine echte Sex Machine.
Dass wenige Tage vor dem Konzert auch noch Wolf Mountains, die beste Stuttgarter Band nach Die Nerven, als Support bestätigt wird, ließ schon im Vorfeld große Erwartungen zu. Auf dem ersten Blick nicht unbedingt passend, stellen Reinhold Buhr, Thomas Zehle und Nerven-Drummer Kevin Kuhn sofort klar, dass ihr Garagen-Surf-Punk tief in den gleichen Wurzeln wie King Khan wildert und dabei ähnlich gut ist. Das Trio legt entschlossen los, Buhr (Gitarre und Gesang) und Kuhn (Schlagzeug und Gesang) erinnern in Hawaiihemden an die Beach Boys, deren Faible für atemberaubend schöne Harmonien geradezu keifend herausgestellt wird. Dazu kommen treibend stumpfe Rhythmen, ein wenig rudimentäres 60s-Gitarren-Gefrickel, bevor die Technik den atemlosen Spielfluss bremst.
Fast eine Viertelstunde wird das Set unterbrochen, die E-Gitarre bereitet Schwierigkeiten. Bis das Problem behoben werden kann, zeigt sich die Band von ihrer humorvollen Seite. Aller gerechtfertigter Frustration zum Trotz sorgt besonders Kuhn für kurzweilige Momente. Witze erzählend und mit einer spontanen musikalischen Einlage mit Bassist Zehle macht Kuhn in Unterhose zum erwähnten Hemd gute Miene zum bösen Spiel. Die äußeren Probleme sind umso ärgerlicher, hört man das glaubhafte Bekenntnis, die vorherige Probe sei „das beste Konzert“ der jungen Band gewesen. Als es schließlich weitergehen kann, wird das bestätigt.
Wolf Mountains spielen noch besser als bei ihrem großartigen Release-Konzert und können mit „Kill Kill Kill“ oder „Hold Yer Girl“ beweisen, dass sie einer der spannendsten Acts dieser Tage sind. Zufrieden ist das Trio am Schluss – verständlicherweise – trotzdem nicht. Dass sie für ihren Auftritt mangels Vertag nicht bezahlt wird, hebt die Stimmung der Gruppe auch nicht gerade, löst in den folgenden Tagen aber eine Grundsatz-Debatte über die Gagen an Vorbands aus.
Von technischen Problemen gänzlich verschont, gerät die darauffolgende Show von King Khan & The Shrines zu einer echten Gala. Zum Intro seiner riesigen Begleitband betritt der König die Bühne. Mit beachtlichem Federkopfschmuck und lediglich einem golden bestickten Mantel, einer Zahn-Kette und Lendenschurz bekleidet, zeigt Khan sofort an, dass es heute Abend um vollsten Einsatz, Entertainment und große Party geht.
Waren vorangegangene Platten noch deutlich im Garagen-Rock zuhause, ist „Idle No More“, das 2013 erschienene jüngste Werk der Gruppe des Wahl-Berliners ein dreckiges Soul-Album. Mit drei Bläsern, einem sehr gediegenen Schlagzeuger, einem zusätzlichen Percussionisten zu den üblichen Saiten-Instrumenten ist das musikalische Gewand so pompös wie der Auftritt selbst.
Khan kokettiert mit Rockstar-Klischees, überspitzt den Gestus des unwiderstehlichen Soul-Entertainers, präsentiert dabei seinen stattlichen, tätowierten Schmerbauch.
Der physische Gehalt des Konzerts steckt an, das zum Bersten gefüllte Goldmark’s gleicht einer engen, stickigen Disco. Irgendwann fliegt ein BH auf die Bühne. Eine junge Frau in der ersten Reihe entledigt sich ihrer kompletten Oberbekleidung, tanzt sich in Trance, während King Khan buchstäblich Alles gibt. Das Video zur aktuellen Single „Bite My Tongue“ spielt mit der Ästhetik alter Horror-Filme aus dem Hause Hammer, Khan gibt sich als Superman, während Bela B und Rummelsnuff in kuriosen Nebenrollen zu sehen sind. Das Video zeigt all das, was den leidenschaftlichen Künstler ausmacht. Live hebt er sein eigenes Popkunstwerk auf eine höhere Ebene.
Für die glückseligen Zuschauer ist er heute Abend ein echter Superheld, der gerechte König, der am Ende mit Kleopatra-esker Perücke Gendergrenzen sprengt. Instrumente werden ins Publikum gereicht, zwischen Crowdsurfern werden Gitarren und das Keyboard(!) auf Händen getragen.
Das Konzert ist eine große Lehrstunde in avantgardistischer Performance und versprüht mehr Soul als irgendetwas sonst, ist der konsequente Gegenentwurf zum elektronischen Wohlfühl-Motown-Epigonentum des letzten Daft-Punk-Albums.
King Khan spielt – so viel Superlativ muss auch in der ersten Jahreshälfte erlaubt sein – eines der besten Konzerte 2014 und auch für die Wolf Mountains endet der Abend versöhnlich. Anlässlich der letzten Aufführung von Schorsch Kameruns Fluxus-Stück „Denn sie wissen nicht, was wir tun“ am Stuttgarter Schauspiel, spielt man zu später Stunde noch ein formidables Konzert, nach dem keiner der Anwesenden seine Augen vor der Klasse der aufstrebenden Band verschließen kann. Der Goldene-Zitronen-Sänger filmt mit dem Smartphone mit. Aus gutem Grund.
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