Konzert: Camille
Ort: Evreux, Festival Le Rock Dans Tous Ses Etats
Datum: 28.06.2008
Zuschauer: tausende
Konzertdauer: ca. 50 Minuten
Konzertbühne: Scène A
Der Prophet gilt ja bekanntlich nichts im eigenen Land. Das ist in Deutschland so und auch in Frankreich gibt es das gleiche Phänomen.
Gerade wenn ich Franzosen, die ähnlich konzertsüchtig wie ich sind, erzähle, dass ich mir einen französischen Künstler ansehen möchte, kommen Reaktionen irgendwo zwischen Stirnrunzeln und Schulterzucken. "Gibt es heute denn nichts Besseres?", scheinen sie mit ihrer Körpersprache andeuten zu wollen und meinen damit in der Regel Bands aus England oder den USA...
Aber ich bin nun einmal kein Franzose und gehe deshalb nicht automatisch davon aus, dass Künstler aus Paris oder Bordeaux zwangläufig kacke sein müssen. Im Gegenteil, gerade in den letzten Jahren habe ich viele hochklassige französische Gruppen für mich entdeckt.
Heute war ich neugierig auf Camille. Die junge Dame hatte ich nie zuvor auf einer Bühne gesehen, ihre Konzerte in Paris waren in aller Regel innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. Der Publikumserfolg, ein Widerspruch zu dem, was ich eingangs gesagt habe? - Nicht wirklich, denn Camille zieht spätestens seit ihrem Album "Le Fil" ein Massenpublikum an und hat grosse kommerzielle Erfolge. Das Pariser Indie-Publikum steht ihr da skeptischer gegenüber. Ich persönlich kann mich jetzt nicht daran erinnern, dass einer meiner vielen Pariser Konzertbekannten mal auf einem ihrer Konzerte war. Oder haben sie mir das etwa verheimlicht?
Ist es peinlich Camille zu mögen?
Ich musste mir selbst ein Bild verschaffen und beim vorzüglichen Festival in Evreux bot sich jetzt die Gelegenheit dazu. Es war kurz vor 20 Uhr, die Yeasayer waren gerade auf der Scène B mit ihrem Set durch und hatten mich nicht wirklich vom Hocker gerissen.
Ich grübelte: "Würde mich Camille begeistern oder nerven? Ich hielt beide Varianten fur möglich...
Als erstes fiel ihr knalliges, orangefarbenes Gewand auf. Das extravagante Teil leuchtete dermassen, dass man es auf hunderte von Metern erkennen konnte. Nicht umsonst tragen Häftlinge in den USA orange! Camille war also nicht zu übersehen!
Aber sie war nicht alleine gekommen. Um das Spektakel komplett zu machen, bedurfte es etlicher Helfer, die aber selten über die Statistenrolle hinauskamen. Zu Camille's Team gehörten zwei Background-Sängerinnen, zwei Typen, die für die Percussions und die Chöre verantwortlich waren und mit ihren T-Shirts aussahen, als seien sie für eine Raumschiff Enterprise Folge gecastet worden, ein kurzhaariger Pianist (der auf den Namen MaJiKer hört) und zwei Kerle, die als menschliche Beatbox agierten.
Im Vordergrund strahlte aber nur eine: Camille!
Die kesse Pariserin hopste, tanzte, wirbelte, sprang Seil(!), schlug sich auf die Brust und machte allerlei komische Grimassen. Zu ihrer Eigenart gehört auch, dass sie mit dem Mund teilweise Pfurzgeräusche erzeugt. Mut zur Hässlichkeit hat die eigentlich hübsche und gutgebaute Frau also auf alle Fälle! Hierzu passt auch, dass sie zunächst mit viel zu grossen lilafarbenen Socken über die Bühne turnte.
Und mit ihrer Stimme macht sie ohnehin was sie will! Sie stöhnt, rappt, haucht, keift, greint, was das Zeug hält und erzeugt - perfekt unterstützt durch ihre menschliche Beatbox - Töne, die ich in dieser Form noch nicht gehört habe. Aber das Beste ist, dass ihre Stimme, wenn sie denn einmal "normal" singt, einfach wunderschön ist! Manchmal klingt sie fast wie Patricia Kaas, aber im Grunde genommen gibt es gar keinen Vergleich. Camille's Stimme ist einzigartig und höchst prägnant!
Auch ihr Humor ist unschlagbar, sie hat auf jeden Zuruf aus dem Publikum eine kesse Antwort parat, lässt durch ihren hübschen Mund übelste Schimpfwörter gleiten und guckt dabei so unschuldig wie ein kleines Mädchen. Mir war sofort klar, dass sie sehr intelligent sein muss und auch aus guten Verhältnissen kommt. Und ihre Wikipedia-Seite, die ich heute zum ersten Mal konsultiert habe, lieferte mir auch prompt den Beweis. Camille ist Tochter einer Lehrerin und eines Musikers und hat auf dem angesehensten Gymnasium in Paris Abi gemacht und eine sehr schwere Aufnahmeprüfung bestanden, die ihr den Zugang zum Studium der Poltikwissenschaften verschaffte!
Wenn eine solche Überfliegerin dann Wörter wie "Saloppe" (zu deutsch: Schlampe) in den Mund nimmt und das Publikum auffordert, sie im Chor als eine solche zu bezeichnen ist das natürlich noch wesentlich effektiver, als wenn eine dumme, vulgäre Tussi das gleiche machen würde...
Natürlich stösst das auch Leute ab, aber die Pariserin nimmt das in Kauf und lässt sich dadurch in keiner Weise irritieren. Das Weib hat Mut! Und Talent, soviel Talent!
Stimmlich unfassbar variabel, showtechnisch sensationell und ihre Lieder sind höchst kreativ und innovativ!
Bevor ich aber auf die Songs eingehe, möchte ich noch kurz die zwei spektakulärsten Szenen schildern. Das gab es zunächst den Gag mit ihrem Hund (welche Rasse? Ein Dackel? Den Namen weiss ich, er heisst Brad Pitt!). Passenderweise nach dem Lied "Cats And Dogs" (zudem ein Teil des Publikums miaute, der ander wuff wuff machte!) hob die Französin ihren Köter ans Mikro und das Tier jaulte im Wechselspiel mit der durchgeknallten Künstlerin ins Mikro. Köstliche Unterhaltung für die meisten Zuschauer, ein Graus für Tierschützer! Aber letztgenannte machen sich in Frankreich nicht so wichtig wie in Deutschland und der WauWau wird es verkraften. Brad Pitt dürfte ja sein spleeniges Frauchen inzwischen kennen!
Die andere aufsehenerregende Szene ereignete sich im Zugabenteil. Camille hatte ihr orangefarbenes Gewand gegen ein elegant wirkendes schwarzes Abenkleid gewechselt und schien von nun an ganz züchtig zu sein. Aber weit gefehlt! Nach der Vorstellung jedes einzelnen Musikers drehte sie sich um und gab den Blick frei auf ihren extrem weit ausgeschnittenen Rücken. Wenn man genau guckte, konnte man ihre Poritze erkennen! Ich musste mich beherrschen, keinen Ständer zu kriegen! Dieses Luder!
Hatte sie das nötig? Sie hatte doch vorher bereits mit vorzüglichen Lieder überzeugt, so z.B. mit dem melancholischen Neuling "Home is Where it Hurts" oder dem cabarethaften "Cats And Dogs", von den Zugaben "Ta Douleur" und dem absolut herzzereissenden Oldie "Pâle Septembre" ganz zu schweigen!
Bei jenem "Pâle Septembre" sang sie am Piano mit traumhaft schöner Stimme Texte wie "Je t'aime toujours" und jagte mir damit einen Pfeil ins Herz.
Auch ich liebe diese Ausnahmekünstlerin, selbst wenn das abschliessende "Money Note" eher doof war. Das spielte aber keine Rolle mehr, Camille hatte den besten Auftritt des ganzen Festivals hingelegt! Und die Indie-Szene in Frankreich sollte die Dame nun auch endlich in ihr Herz schliessen!
Links:
- mehr Fotos von Camille hier
- Videoclip Camille Gospel With No Lord
- Videoclip Money Note
- Pale Septembre live, sehr schön!
Ort: Evreux, Festival Le Rock Dans Tous Ses Etats
Datum: 28.06.2008
Zuschauer: tausende
Konzertdauer: ca. 50 Minuten
Konzertbühne: Scène A
Der Prophet gilt ja bekanntlich nichts im eigenen Land. Das ist in Deutschland so und auch in Frankreich gibt es das gleiche Phänomen.
Gerade wenn ich Franzosen, die ähnlich konzertsüchtig wie ich sind, erzähle, dass ich mir einen französischen Künstler ansehen möchte, kommen Reaktionen irgendwo zwischen Stirnrunzeln und Schulterzucken. "Gibt es heute denn nichts Besseres?", scheinen sie mit ihrer Körpersprache andeuten zu wollen und meinen damit in der Regel Bands aus England oder den USA...
Aber ich bin nun einmal kein Franzose und gehe deshalb nicht automatisch davon aus, dass Künstler aus Paris oder Bordeaux zwangläufig kacke sein müssen. Im Gegenteil, gerade in den letzten Jahren habe ich viele hochklassige französische Gruppen für mich entdeckt.
Heute war ich neugierig auf Camille. Die junge Dame hatte ich nie zuvor auf einer Bühne gesehen, ihre Konzerte in Paris waren in aller Regel innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. Der Publikumserfolg, ein Widerspruch zu dem, was ich eingangs gesagt habe? - Nicht wirklich, denn Camille zieht spätestens seit ihrem Album "Le Fil" ein Massenpublikum an und hat grosse kommerzielle Erfolge. Das Pariser Indie-Publikum steht ihr da skeptischer gegenüber. Ich persönlich kann mich jetzt nicht daran erinnern, dass einer meiner vielen Pariser Konzertbekannten mal auf einem ihrer Konzerte war. Oder haben sie mir das etwa verheimlicht?
Ist es peinlich Camille zu mögen?
Ich musste mir selbst ein Bild verschaffen und beim vorzüglichen Festival in Evreux bot sich jetzt die Gelegenheit dazu. Es war kurz vor 20 Uhr, die Yeasayer waren gerade auf der Scène B mit ihrem Set durch und hatten mich nicht wirklich vom Hocker gerissen.
Ich grübelte: "Würde mich Camille begeistern oder nerven? Ich hielt beide Varianten fur möglich...
Als erstes fiel ihr knalliges, orangefarbenes Gewand auf. Das extravagante Teil leuchtete dermassen, dass man es auf hunderte von Metern erkennen konnte. Nicht umsonst tragen Häftlinge in den USA orange! Camille war also nicht zu übersehen!
Aber sie war nicht alleine gekommen. Um das Spektakel komplett zu machen, bedurfte es etlicher Helfer, die aber selten über die Statistenrolle hinauskamen. Zu Camille's Team gehörten zwei Background-Sängerinnen, zwei Typen, die für die Percussions und die Chöre verantwortlich waren und mit ihren T-Shirts aussahen, als seien sie für eine Raumschiff Enterprise Folge gecastet worden, ein kurzhaariger Pianist (der auf den Namen MaJiKer hört) und zwei Kerle, die als menschliche Beatbox agierten.
Im Vordergrund strahlte aber nur eine: Camille!
Die kesse Pariserin hopste, tanzte, wirbelte, sprang Seil(!), schlug sich auf die Brust und machte allerlei komische Grimassen. Zu ihrer Eigenart gehört auch, dass sie mit dem Mund teilweise Pfurzgeräusche erzeugt. Mut zur Hässlichkeit hat die eigentlich hübsche und gutgebaute Frau also auf alle Fälle! Hierzu passt auch, dass sie zunächst mit viel zu grossen lilafarbenen Socken über die Bühne turnte.
Und mit ihrer Stimme macht sie ohnehin was sie will! Sie stöhnt, rappt, haucht, keift, greint, was das Zeug hält und erzeugt - perfekt unterstützt durch ihre menschliche Beatbox - Töne, die ich in dieser Form noch nicht gehört habe. Aber das Beste ist, dass ihre Stimme, wenn sie denn einmal "normal" singt, einfach wunderschön ist! Manchmal klingt sie fast wie Patricia Kaas, aber im Grunde genommen gibt es gar keinen Vergleich. Camille's Stimme ist einzigartig und höchst prägnant!
Auch ihr Humor ist unschlagbar, sie hat auf jeden Zuruf aus dem Publikum eine kesse Antwort parat, lässt durch ihren hübschen Mund übelste Schimpfwörter gleiten und guckt dabei so unschuldig wie ein kleines Mädchen. Mir war sofort klar, dass sie sehr intelligent sein muss und auch aus guten Verhältnissen kommt. Und ihre Wikipedia-Seite, die ich heute zum ersten Mal konsultiert habe, lieferte mir auch prompt den Beweis. Camille ist Tochter einer Lehrerin und eines Musikers und hat auf dem angesehensten Gymnasium in Paris Abi gemacht und eine sehr schwere Aufnahmeprüfung bestanden, die ihr den Zugang zum Studium der Poltikwissenschaften verschaffte!
Wenn eine solche Überfliegerin dann Wörter wie "Saloppe" (zu deutsch: Schlampe) in den Mund nimmt und das Publikum auffordert, sie im Chor als eine solche zu bezeichnen ist das natürlich noch wesentlich effektiver, als wenn eine dumme, vulgäre Tussi das gleiche machen würde...
Natürlich stösst das auch Leute ab, aber die Pariserin nimmt das in Kauf und lässt sich dadurch in keiner Weise irritieren. Das Weib hat Mut! Und Talent, soviel Talent!
Stimmlich unfassbar variabel, showtechnisch sensationell und ihre Lieder sind höchst kreativ und innovativ!
Bevor ich aber auf die Songs eingehe, möchte ich noch kurz die zwei spektakulärsten Szenen schildern. Das gab es zunächst den Gag mit ihrem Hund (welche Rasse? Ein Dackel? Den Namen weiss ich, er heisst Brad Pitt!). Passenderweise nach dem Lied "Cats And Dogs" (zudem ein Teil des Publikums miaute, der ander wuff wuff machte!) hob die Französin ihren Köter ans Mikro und das Tier jaulte im Wechselspiel mit der durchgeknallten Künstlerin ins Mikro. Köstliche Unterhaltung für die meisten Zuschauer, ein Graus für Tierschützer! Aber letztgenannte machen sich in Frankreich nicht so wichtig wie in Deutschland und der WauWau wird es verkraften. Brad Pitt dürfte ja sein spleeniges Frauchen inzwischen kennen!
Die andere aufsehenerregende Szene ereignete sich im Zugabenteil. Camille hatte ihr orangefarbenes Gewand gegen ein elegant wirkendes schwarzes Abenkleid gewechselt und schien von nun an ganz züchtig zu sein. Aber weit gefehlt! Nach der Vorstellung jedes einzelnen Musikers drehte sie sich um und gab den Blick frei auf ihren extrem weit ausgeschnittenen Rücken. Wenn man genau guckte, konnte man ihre Poritze erkennen! Ich musste mich beherrschen, keinen Ständer zu kriegen! Dieses Luder!
Hatte sie das nötig? Sie hatte doch vorher bereits mit vorzüglichen Lieder überzeugt, so z.B. mit dem melancholischen Neuling "Home is Where it Hurts" oder dem cabarethaften "Cats And Dogs", von den Zugaben "Ta Douleur" und dem absolut herzzereissenden Oldie "Pâle Septembre" ganz zu schweigen!
Bei jenem "Pâle Septembre" sang sie am Piano mit traumhaft schöner Stimme Texte wie "Je t'aime toujours" und jagte mir damit einen Pfeil ins Herz.
Auch ich liebe diese Ausnahmekünstlerin, selbst wenn das abschliessende "Money Note" eher doof war. Das spielte aber keine Rolle mehr, Camille hatte den besten Auftritt des ganzen Festivals hingelegt! Und die Indie-Szene in Frankreich sollte die Dame nun auch endlich in ihr Herz schliessen!
Links:
- mehr Fotos von Camille hier
- Videoclip Camille Gospel With No Lord
- Videoclip Money Note
- Pale Septembre live, sehr schön!
1 Kommentare :
camille - music hole (2008)
> bedingungslose neudefinition, irgendwo zwischen genial und kläglich gescheitert, ich wünschte die alte camille zurück, 3/5
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