Donnerstag, 12. Juni 2008

Syd Matters, 11.06.08


Konzert: Syd Matters
Ort: La Cigale, Paris
Datum: 11.06.2008
Zuschauer: fast ausverkauft
Konzertdauer: knapp 2 Stunden Hörgenuss


Syd Matters in der Cigale, na wenn das Konzerthighlight ist, dann weiss ich es wirklich nicht!

Die französische Band um Jonathan Morali, den Sänger mit der pastoralen Stimme, hat sich Schritt für Schritt herangepirscht an diesen altehrwürdigen Konzertsaal, der was sein Renommé betrifft, nicht sehr weit hinter dem legendären Olympia liegt. Mit jedem Album wurden sie ein wenig bekannter und beliebter und nachdem sie Anfang des Jahres immerhin schon dreimal hintereinander das Café de la Danse füllten, war heute also die Cigale fällig. Wer hat hier nicht alles gespielt in den letzten Jahren! Die Liste bekannter Namen ist viel zu lang, um sie vollständig aufzuzählen, sie reicht von Franz Ferdinand über Feist bis hin zu einer Newcomerin wie Alela Diane.

Und für Franzosen ist es natürlich etwas ganz Besonderes, hier auftreten zu dürfen. Kein Wunder, dass die Band selbst den Termin schon vor ein paar Monaten auf ihrer MySpace Seite mit drei Ausrufezeichen markiert hat. Eine riesige Freunde für Jonathan und Co also, aber natürlich auch ein gewisser Druck, hier und heute vor erwartungsfrohen Fans zu brillieren.

Würden die Pariser mit der nervlichen Anspannung fertig werden? Hierzu kann ich eigentlich vorab schon Stellung beziehen: sie wurden und wie! Sie wirkten eigentlich alle sehr locker und relaxt und zwar während des gesamten Konzertes und machten nie den Eindruck, dass ihnen die Spielfreude flöten gehen könnte. Vielleicht hat auch deshalb Jonathan Morali vor der ersten Zugabe folgendes gesagt: "On dirait pas, mais on est quand-même très heureux et ému d'être là ce soir!" (Man würde es äusserlich vielleicht nicht vermuten, aber wir sind sehr froh und stark berührt, heute hier zu sein)

Schon während der vollbärtige Mann diesen Satz gesprochen hatte, zitterte seine Stimme etwas und als er fertig war, kullerte ihm eine Träne aus dem Auge, die er sich wie ein tapferer kleiner Junge wegwischte, um den nächsten Titel anzustimmen. Nicht nur in diesem Moment bekam ich eine kleine Gänsehaut, sondern im Grunde genommen während jeder der fast 120 absolvierten Minuten, die wie im Fluge vergingen. Wie ein schöner Traum, aus dem man zu früh aufwacht war das...

Aber was hatte ich zuvor geträumt, bzw. erlebt?

Nun, schon einmal keine Vorgruppe dafür war ich etwas zu spät dran. Nicht schlimm, denn wenn Fruitkey gut sind, bekommen sie bestimmt bald wieder und dann kann ich Versäumtes nachholen! Ohnehin galt heute meine ganze Aufmerksamkeit Syd Matters und durch die Dauerrotation gerade des letzten, vorzüglichen dritten Albums "Ghost Days" auf meinem i-pod kam ich bestens vorbereitet am Ort des Geschehens an. Die reizende Folksängerin Marie-Flore fungierte wie schon bei Cat Power als Begrüssungskomité vor der Tür und diesmal war auch ihre ebenfalls musizierende Freundin Maude-Elisa mit dabei. Die beiden Mädels schmissen später den Merchandising-Verkauf und machten das auch ganz vorzüglich. An dem Stand käuflich erhältlich war auch eine EP von "Everything Else", der Hymne des letzten Albums. Und auf jener EP ist auch eine Liveversion von "Passe-Muraille" enthalten, das heute den wundervollen Konzertabend einleitete.

Schon die Wartezeit auf den Auftritt der Pariser wurde einem bestens verkürzt, indem man das formidable Album der Fleet Foxes laufen liess. Jetzt hiess es aber volle Konzentration auf die eigentlich fünfköpfige Band, die heute noch durch zusätzliche Streicherinnen unterstützt wurde. Insgesamt tummelten sich bis zu 9 Künstler auf der Bühne und zusammen erzeugten sie einen harmonischen und ausgewogenen Sound, der an keiner Stelle zu bombastisch wurde. Kaviar für die Ohren also, aber vor allem eines: Balsam für die Seele!

Von den wunderschönen Chorgesängen, den hochmelodischen Gitarren, den leicht esoterischen Pianoklängen und den Geigen konnte man sich tragen lassen wie ein Vogel. Selten habe ich mich bei einem Konzert so leicht gefühlt, es schien mir, als schwebte ich auf einer weissen Wolke über den Himmel. Es war einfach traumhaft!

Das Zusammenspiel innerhalb der Band war vorzüglich, alles war perfekt abgestimmt, kam aber nie steril oder künstlich daher. Jeder wusste, was er zu tun hatte, keiner spielte sich in den Vordergrund, das war einfach grundsympathisch. Auch Jonathan Morali, der Mann mit der warmen und melancholischen Stimme liess nicht den Boss heraushängen, sondern teilte sich den vorderen Teil der Bühne mit dem Gitarristen Rémi Alexandre und dem Multitalent Olivier Marguerit, der ausser an der Gitarre auch am Piano, den Percussions und vor allem der Querflöte brillierte. Sowieso werden bei Syd Matters die Instrumente wild durchgewechselt, am Piano sass nicht nur Jonathan persönlich, sondern auch Olivier und Remy, der auch bei einem Stück in die Flöte bliess.

Innerhalb der Lieder einzelne Highlights herauszupicken, fällt mir verdammt schwer, weil ich wirklich jedes einzelne Stück heiss und innig liebe, auch hinsichtlich der berührenden Texte ( bei Battle: "Can't find the key to my memory box", bei dem Oldie Black & White Eyes: "She's dancing in a topless bar and she's doing well so far, she is working to earn her own dollar 'Cause the fortune teller didn't talk about stars"). Beim Publikum kamen aber natürlich die Hits "Everything Else", "Obstacles" (super Liveversion mit Querflöte) und "To All Of You" besonders gut an. Auch ich fand diese Knüller natürlich grandios, aber meine Granaten hiessen "Cloudflakes", "Louise" (absolut herzzereissend") und das Solostück "Big Moon", das Jonathan Morali als Zugabe brachte und zweimal anstimmen musste, weil er sich die eingangs erwähnte Träne der Rührung wegwischen und Fassung zurückgewinnen musste. Wie Nick Drake zu seinen besten Zeiten sang er mit seiner warmen und beruhigenden Stimme Zeilen wie "I'm so tired of living for nothing" und besorgte mir damit auch einen mächtigen Kloss im Hals. Taumelnd wie ein angeschlager Boxer bekam ich dann noch mit, wie die gesamte Band zurückkam und bei "Me & My Hores" und der abschliessenden Zugabe "Bones" um die Wette rockte. Die ruhige Folkmusik hatten sie hinter sich gelassen und schrammelten jetzt auf ihren Gitarren was das Zeug hielt. Gitarrist Rémy Alexandre lieferte sich mit Olivier Marguerit ein heisses Duell und beendete den infernalen Ritt auf seinen Knien, die Gitarre nach oben reckend, wie einst Björn Borg seinen Holzschläger nach seinem triumphalen Wimbledonsieg gegen Mc Enroe.

Präsident Sarkozy würde ich empfehlen, die Musiker von Syd Matters mit der Legion d'Honneur (höchster französischer Verdienstorden) zu ehren und Bürgermeister Delanoë sollte die Band ins Rathaus zitieren, um ihnen die Ehrenbügerschaft von Paris zu verleihen!

Setlist Syd Matters, La Cigale, Paris:

01: Passe Muraille
02: Everything Else
03: Battle
04: Ill Jackson
05: Obstacles
06: Black & White Eyes
07: Eyes Like Walls
08: End & Start
09: Louise
10: My Lover's On The Pier
11: Anytime now
12: Stone Man
13: It's A Nickname
14: Middle Class Men

15: Big Moon (Z)
16: To All Of You (Z)
17: Nobody Told Me (Z)
18: Heartbeat Detector (Z)
19: Me & My Horses (Z)

20: Bones (Z)


Links:

- Syd Matters im Pariser Café de la Danse am 13.02.2008
- Syd Matters im Mai 2007 im Pariser Bataclan
- Videoclip Everything Else
- Videoclip To All Of You



1 Kommentare :

E. hat gesagt…

wow, so viel herzblut, schweiß und gar tränen. und klingt nicht einmal schmalzig. gratuliere zur gelungenen gratwanderung!

 

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