Montag, 5. Juni 2017

Julien Baker, Darmstadt, 03.06.17


Konzert: Julien Baker
Ort: Evangelische Friedenskirche, Darmstadt (Bedroomdisco)
Datum: 03.06.2017
Dauer: Julien Baker knapp 60 min, Lauren Denitzio 25 min, Allman Brown 35 min
Zuschauer: 120 vielleicht (volle Kirche)



 

Irgendwann (nach meinem Lottogewinn) werde ich eines meiner Lieblingsprojekte umsetzen und den durchschnittlichen Musikgeschmack in Deutschland näher untersuchen. Besonders interessiert mich, wie äußere Einflüsse diesen Geschmack beeinflussen. Wie mies (Hypothese) er also in der Eifel (Rock am Ring) und "SWR3-Land" ist, wie folkig rund um Haldern und wie gut in Rüsselsheim (Phono Pop Festival) oder Darmstadt. Wer Interesse an dieser Studie hat und nicht auf meinen überfälligen Lotteriegewinn warten will: teile meine Paypal- und Kontoverbindung gerne auf Anfrage mit.
 

Darmstadt ist musikalisch so viel spannender als Frankfurt beispielsweise, weil es dort seit einigen Jahren die Bedroomdisco gibt, eine private Initiative, die u.a. Wohnzimmerkonzerte veranstaltet. Neben den Konzerten, die lange den Rahmen von Wohnzimmern sprengen, veranstaltet die Bedroomdisco auch Kirchenkonzerte. Ich war bisher leider erst bei einem, das von Lanterns On The Lake und Sophie Jamieson war aber umso toller!


Julien Baker hatte ich im vergangenen Jahr mehrfach gesehen, zum ersten Mal beim Primavera Sound Festival in Barcelona. Das Konzert später in Frankfurt fand ich nicht mehr so spannend wie das erste in Barcelona, vermutlich lag das aber an der Tagesform (meiner). Als die Bedroomdisco das Kirchenkonzert ankündigte, war meine Vorfreude jedenfalls groß.

Die evangelische Friedenskirche in Darmstadt war wie alle Bedroomdisco-Veranstaltungen, bei denen ich war, ausverkauft (also die kostenlose Version von ausverkauft). Um 19 Uhr kam die erste Band auf die Bühne, also den Altarraum, der mit einer Dornenkranz-Skulptur und einem rotbeleuchteten Kreuz schlicht aber dramatisch dekoriert ist / war (Game of Thrones Stil). Den Auftakt machte Allman Brown, ein englischer Singer / Songwriter, der von einem zweiten Gitarristen und einem Percussionisten, der auf einer Box saß, auf der er trommelte, begleitet wurde. Einen seiner Songs beschrieb Allman als "von Bruce Springsteen beeinflusst - aber viel schlechter", in meinen Ohren klang die Musik wie diese vielen Singer / Songwriter der letzten vielen Jahre eben klingen. Das kam gut an, wird sicher sehr erfolgreich sein, ließ mich aber vollkommen kalt. Meine Aufmerksamkeit hatte der Künstler bei der Ansage seines Lieds Foolish love, das er in einer Phase geschrieben habe, als mit gebrochenem Herzen alle Folgen Lost gesehen habe. "I have no idea what this song is about, much like Lost. The polar bears!"



Danach wurde es viel spannender! Der nächste Programmpunkt war Lauren Denitzio, die Sängerin der New Yorker Punkband Worriers. Lauren spielte nur mit E-Gitarre und leicht schiefem und dadurch wundervollem Gesang Lieder ihrer Band ("alternative Versions"), die so klangen, als covere die Schwester von Stephen Malkmus sehr gekonnt Torres. Ich mochte das sehr, auch Lauren kam gut an, mit meiner großen Begeisterung stand ich aber vermutlich etwas alleine da.

Lauren spielte Songs vom 2015er Album Imaginary life, von einer 2013er Single (Sinead O'Rebellion), ein neues und ein wundervolles Robyn Cover. Mit der Schwedin kann ich nicht viel anfangen, das von allem Schnickschnack befreite Hang with me macht mich aber ein wenig zum Robyn Fan.

Doof war, daß das Konzert nach 25 min vorbei war, mehr konnte Lauren solo wohl nicht spielen. Aber auch 25 min können eben eine Fahrt nach Darmstadt und einen Abend in einer Kirche locker rechtfertigen. Strenggenommen hätte dafür Precarity rules ausgereicht!


Setlist Lauren Denitzio, Bedroomdisco, Damstadt:

01: Jinx
02: Good luck
03: Precarity rules
04: Chasing
05: Happy here
06: Hang with me (Robyn Cover)
07: (neu)
08: Sinead O'Rebellion
09: They / them / theirs

Nach Pflicht und Kurzprogramm kam um zehn vor neun Julien Baker auf die Bühne. Der Auftritt der Sängerin aus Memphis unterschied sich auf den ersten Blick nicht von den Konzerten im vergangenen Jahr. Er wirkte auf mich aber von Beginn an eine Spur souveräner. Aufmerksamere Kenner der Künstlerin wiesen mich auf die vielen kleinen Gesten von Julien hin, die eben vor einem Jahr nur still hinter ihrer Gitarre stand und ihre traurigen Lieder vortrug. Jetzt ist da etwas mehr "Performance", allerdings in kleinsten Portionen. Aber die Sängerin wirkt, als fühle sie sich wohler bei dem, was sie tut. Und das das nicht ganz einfach ist, kann man sich leicht vorstellen, wenn man auf die Texte ihrer Lieder achtet. Wenn auch nur ein Teil ihrer Texte auf ihrem eigenen Leben basiert, hat Julien viel Tristesse erlebt. Dies in Liedern zu verarbeiten, ist die eine Seite der Medaille, es vor fremden Leuten vorzutragen, eine ganz andere. 


Mich überzeugte Julien Baker wieder von Beginn an. Heute passte alles, das aufmerksame, vollkommen stille Publikum, der souveräne, nie aber abgezockt wirkende Auftritt und vor allem die Lieder. Die ersten drei kannte ich. Everybody does, Sprained ankle und Vessels stammen vom 2015er Debüt Sprained ankle

Das neue Lied danach - Happy to be here - wird auf dem neuen Album sein, das im Oktober erscheint. Das Lied begann mit sphärischen Gitarrenklängen, die mich an Streicher erinnerten - wundervoll! Es war für mich das beste Stück des Abends. Julien spielte noch zwei andere Lieder, die nach der ersten Platte entstanden sind, Funeral pyre, das auf eine Single erschienen ist und Turn out the lights vom neuen Album. Bei Turn out the lights brüllte die junge Amerikanerin den Refrain, ein neues Stilmittel. Wenn die beiden neuen Lieder repräsentativ für die Platte sind, wird die ein großer Wurf!

Julien Baker spielte zwar nur neun Lieder und eine Zugabe (Go home), das Konzert dauerte aber ziemlich genau eine Stunde. Lauren Denitzio brauchte für neun Songs nicht mal die Hälfte. Juliens Geschichten sind eben weniger schnell erzählt als ein Punksong.

Ich hätte Allman Brown nicht gebraucht, der Rest des Abends war aber - Bedroomdisco Standard - hervorragend! Ich bin sehr sicher, meine Studie wird ergeben, daß Darmstadt eine Insel des guten Musikgeschmacks ist. Dafür braucht es nicht viel Wissenschaft.


Setlist Julien Baker, Bedroomdisco, Darmstadt: 

01: Everybody does 
02: Sprained ankle 
03: Vessels 
04: Happy to be here (neu) 
05: Funeral pyre 
06: Turn out the lights (neu)
07: Rejoice 
08: Good news 
09: Something 

10: Go home (Z)

Links: 

 - aus unserem Archiv: 
 - Julien Baker, Barcelona, 02.16.16



1 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Sehr schöner Bericht, volle Zustimmung!
War sicherlich eines der besten Konzert mit ausschließlich Sitzplätzen (mag ich sonst gar nicht), das ich bisher gesehen habe (Björk wird da wohl nicht zu toppen sein ;-)). Einziger Wermutstropfen: Julien Baker hat nicht die tolle Audioslave-Coverversion gespielt, aber wir wollen mal nicht wegen sowas klagen...
Was die Zuschauerzahl angeht: Ich bin ja auch nicht so gut im schätzen, aber waren schon deutlich mehr als 120 Leute dort, oder? Ca. 25 Reihen X 2 X 6-7 Leute pro Reihe + Empore = rund 350??

 

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