Konzert: Orange Blossom Special 2017
Ort: Beverungen
Datum: 02.-04.06.2017
Dauer: 3 Tage
Zuschauer: voller Garten-ausverkauft
Was ist nicht schon alles geschrieben worden über das "beste kleine Open-Air Festival der Welt" (Rolling Stone), bei dem man "Fehler und Verbesserungspotential...mit der Lupe suchen muss, um überhaupt etwas zu finden" (Intro).
Und was soll ich sagen - alles ist wahr! In Beverungen, im wunderschönen Weserbergland in der Mitte Deutschlands, dort, wo Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen aufeinander treffen, trifft sich seit nunmehr 21 Jahren im Garten von Glitterhouse Records eine treue Fangemeinde und (neu)gierige Genießer zu einem musikalisch auserlesenem Finish.
Die Karten sind alljährlich nach Verkaufsstart innerhalb weniger Stunden vergriffen und Glück wird dann nicht selten an der erfolgreichen Bankabbuchung gemessen.
Auch im siebten Jahr beteiligte sich meine halbe Familie am Run auf die Karten. Und als wäre es das selbstverständlichste überhaupt, passiert dies ohne jegliche Kenntnis des kommenden Line-Ups`s. Es bleibt so also auch immer etwas überraschendes und Besonderes!
Eine wirkliche Enttäuschung habe ich in den zurückliegenden sieben Jahren noch nie erlebt. Da scheinen also Menschen mit musikalischem Verstand und jeder Menge Menge Herzblut zu wirken, und ich liebe es so mit Profis zu arbeiten!
Aber nicht nur die Organisatoren des OBS, Mitbegründer "Rembert" und die emsige OBS Crew bescheren den Besuchern ein phantastisches Wochenende, es ist wie so oft in so kleinen beschaulichen Gemeinden - der halbe Ort ist involviert.
Das Rahmenprogramm, vom Lauftreff bis hin zu den Aftershow´s im Saloon, im "Marleys" oder ganz besonders im "Stadtkrug" ist herzlichst einladend. Einzelhändler verschwören sich zu OBS Preisrabatten und die kulinarische Versorgung war nur noch lecker.
Während am Anfang vor 21 Jahren noch eine Grillparty stand, kann der geneigte Besucher inzwischen auf dem Festivalgelände verteilten Leckereien aus aller Herrgottländer wählen. Traditionell wird aber die Mini-Calzone gereicht. Mit dem neapolitanischen Original hat diese Festival-Spezialversion nichts mehr gemeinsam und ist schon gar nix für Punktezähler...
Die kurzen Nächte verbringt die Mehrzahl der Musikliebhaber im Zelt einen Steinwurf vom Festivalgelände entfernt, direkt am Weserufer. Wem diese jugendorientierte Schlafsackaktion zu anstrengend ist, darf sich in einem eher beruhigten Bereich einrichten oder gleich auf das eigene Wohnmobil oder Wohnwagen und auf die doch ausreichend vorhandenen Stellplätze ausweichen.
Mein diesjähriges OBS beginnt allerdings mit der größtmöglichen Katastrophe ever! Meine Frau und ich im WoMo irgendwo auf der Bahn und - unsere Karten zu Hause. Dem ersten Anflug von Panik folgte ein Anruf beim Sohn. Dieser war noch am packen fürs OBS (Die Jugend hat halt die Ruhe weg!) und die Karten wurden quasi ein zweites Mal geliefert.
Im Kreis der Erwartungsvollen hieß es entrüstet: "Karten vergessen? Alles kann man(n) vergessen, Wohnwagen, Wohnmobil, Angehörige, aber nicht die Festivalkarten!" Danke Roland, für diese aufbauenden Zeilen.
Und so verstrich die Eröffnung des "besten kleinen Open-Air Festivals der Welt" mit Remberts "Ihr Lieben!" und den Lyrics "...Es müsste immer Musik da sein. Bei allem was du machst..." (Absolute Giganten) ohne mich. Wenn man aber dabei ist, lässt sich ein Festival eigentlich schöner eröffnen?
Das diesjährige LineUp war herausragend. Der Freitag hielt für mich nach dem verpassten Einstieg mit "The Builders & The Butchers" (USA) und "Steve Waitt" (USA) noch "Odd Couple" (D), "Louis Berry" (UK) und "OVE" (D) bereit. Während "ODD Couple" die Bühne noch dezibelgeschwängert Rock`n`Rollt, schafft "Louis Berry" mit eindringlichem Sound und Stimme kraftvoll einen irgendwie gelingenden Übergang zu "AMK".
Henning, Severin, Christopher und Malte von "Annenmaykantereit" haben sich wohl irgendwie verliebt in diese Bühne. Diese Bühne, die mit schönstem Kronleuchter und in bordeauxrotem Samt eingeschlagen einfach nur da ist, als wäre es das Normalste dieser (Musik)Welt und in dieses Publikum, welches (fast) immer dem Motto folgt "Reden ist hinten! Schweigen ist vorn!
"AMK" selbst wollten diesen dritten Gig, bevor sie zum "RaR" weiterreisten. Es ginge also auch anders. Aber dieser Garten, diese Bühne und dieses Publikum.... Dennoch bleibt ein Haar in der Suppe. Wer "AMK" in den letzten Jahren aus nah und fern im Blick und im Ohr hatte, der würde sich mittlerweile etwas mehr wünschen, als professionell neu arrangierte "alte" Songs. Wenngleich es doch ein Genuss war!
Eine der absoluten Überraschungen waren am Samstag auf der Bühne. "Wayne Graham" (USA). Bester entspannt fußwippender Alt-Country. Mit "Christine Owman" (S) konnte man eintauchen in das eigene düstere Psychedelic-Kopfkino. Sehr fein!
Über "John Blek & The Rats" (IRL) und Messer, einem wahren Soundkraftpaket näherte sich "Moddi". Der Norweger erhebt mit seinem Konzeptalbum "Unsongs" zensierte Künstler. Leben einhauchende Arrangements für in ihren Heimatländern verbotene Lieder u.a. von "Kate Bush", "Vikto Jara" oder den "Pussy Riot`s" machen das Album äußerst hörenswert.
Auf der Publikumsbühne traf mit "Jörkk Mechenbier" (Love A) und "Lasse Paulus" das Akustik-Punk-Duo "Schreng Schreng & La La" den richtigen Nerv. Jörkk: "Und ich Weiß auch, dass niemand, wirklich niemand, ein weiteres Duo alternder Punkrocker braucht..." Zwei Alben später wissen alle, was wir brauchen: den Esel und seinen Anwalt.
Eine wirkliche geile Show liefern die Finnen von "Teksi-TV 666". Wahnsinn! Für mich das Konzert, was unglaublich Spaß gemacht hat und jeden Fotografen nur noch draufhalten lies. Hier stand nichts mehr still.
Normalerweise mit sechs Gitarren auf der Bühne statt "nur" mit fünf, lässt erahnen was auf der Bühne los war. Und dann stimmte "Wintersleep" das geneigte Publikum mit tragend dynamischem Indie-Rock ein, auf dass was in den letzten Jahren zu einem absoluten Topact gereift ist: "Blaudzun" (NL) alias "Johannes Sigmond", den charismatischen Frontman der Formation fängt sein Publikum mit den ersten Riff ein und entlässt es erst mit dem Schlussakkord aus seinen Fängen.
Komplexe Kompositionen mit einer instrumentalen Bandbreite gehüllt in stimmungsvolles Licht, der eigentlich schon zu klein gewordenen wunderschönen OBS-Bühne, lassen die ein oder andere Träne verdrücken.
Herrlich war`s! Nachdem der Samstag gerade erst verklungen ist, kündigt sich der Sonntag mit einem Surprise Act der Sonderklasse an, zu einem grandiosen Festivaltag zu werden. Mit "The Dead South" betritt die kanadische Bluegrass/-Folkband den Festivalplatz. Wer diese Combo im vergangenen Jahr verpasst hat, darf sich zu Recht ärgern.
Ein Trost bleibt - er hat "The Dead South" vielleicht schon im Vorjahr auf dem OBS hören und umjubeln dürfen. Auch "Desoto Caucus" (DK) sind im Glitterhouse Garten keine unbekannten und liefern eine wirklich grundsolide und bindende Performance mit ihrer groovenden Mixtur aus Indie, Country und Amerikana.
Was sich anschloss, war eine ganz heikle Kiste. Mit geschlossenen Augen dem wirklich guten Folk lauschend, malt man sich den Typen aus, der diese tiefgehenden Texte zelebriert. Und dann öffnest du die Augen und siehst den fast blutjungen Schweizer "Faber".
Und du denkst dir - What the f***? Aber was steht auf seiner Webseite "..die jungen Alten sind natürlich die besten Alten, die wir haben." Sei ein "Faber" im Wind. Auf der "Publikumsbühne" schickt sich eine junge Band aus Hamm in NRW an, eine ganz große Fangemeinde hinter sich und vor der Bühne zu versammeln.
Die 2014 gegründet Band gewann 2016 den vom "NRW KULTURsekretariat "gestifteten "popNRW-Preis" in der Kategorie Newcomer. Finn T., Jonathan, Luca, Finn S. und ihr Frontmann Frederick sind allesamt noch so jung und haben in Ihrer Musik bereits eine Reife entwickeln können, dass einem schnell der Gedanke kommt, was mag da noch alles entstehen.
Die Band steht mit Haldern Pop Recordings bei einem Independent Label unter Vertrag, das für seinen feinen Instinkt und einer den Künster sehr wertschätzenden Förderung auszeichnet. Wer im Glitterhouse Garten steht, kann verstehen was ich meine.
Eine Geschichte am Rande. Vor einigen Jahren ersteigerte ein Paar eine Snaredrum, damals signiert von allen beim OBS aufgetretenen Künstlern, bei der alljährlichen Versteigerung zu Gunsten von Viva con Aqua Hamburg. Auf die Fragen von Rembert für wen Sie diese Snare ersteigert hätte, bekam er als Antwort: "Für unseren Sohn". Er macht auch Musik.
Rembert dazu: Wer weiß, vielleicht spielt er ja auch mal hier... Die Ersteigerer waren die Eltern von "Giant Rooks" Frontman Frederick. So schließt sich der Kreis.
"Julia Jacklin" (AUS) scheint sich gerade zu einem Liebling, nicht nur der Musikpresse zu entwickeln. Ein erstes Album und das Publikum hängt dem Sound hinterher. Das wird was! Mit "HEIM" wird aus dem OBS Garten kurzzeitig Palm Beach. Mit dem Ort des Titel dieser Platte hat die Musik von "HEIM" irgendwie aber so gar nichts gemein.
Sentimentaler Rock mit brutalem Lärm gemixt. Nix für schwache Nerven und wer den sich annähernden OBS Höhepunkt herbeisehnt darf mit zarten Melodien gemixt aus athmosphärischen Gitarrenklängen, Streichern, Synthesizer und Samples von "Yes We Mystic" (CAN) wieder ein wenig runterfahren bevor mit "Immanu El" (S) das Festival ausklingen musste.
Mit schwelgenden Dream Pop schloss das Line-Up des OPS 2017. Es war episch und ein wenig fühlte man mit dem diesjährigen OBS Maskottchen.
Etwas desolat, schwimmender Blick, leicht sabbernd aus dem Mundwinkel aber noch gerade stehend um den Ausklang zu vernehmen "...Und an der Stelle, wo es am aller schönsten ist, da müsste die Platte springen und du hörst immer nur diesen einen Moment."
Danke, Danke, Danke und auf ein Neues in 2018!
Bericht und Fotos von Denis Schinner
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