Sonntag, 13. Januar 2013

Maximilian Hecker, Stuttgart, 12.01.13


Konzert: Maximilian Hecker und Felix Räuber
Ort: Keller Klub, Stuttgart
Datum: 12.01.2013
Zuschauer: vielleicht 200 (davon um die 50 wegen des Konzerts)
Konzertdauer: 77 Minuten


von Jens aus Stuttgart

Auf Maximilian Hecker bin ich erst relativ spät gestoßen, als ich 2010 als 18-Jähriger eine wundervolle Folk-Compilation auf vier CDs bei 2001 erstand, auf welcher sich Heckers hauchzarte Ballade „Snow White“ befand, die ich sogleich ins Herz schloss, ungläubig darüber, dass die Stimme dahinter einem deutschen Singer-Songwriter gehören sollte. 

Möglichkeiten, ihn live zu sehen, fanden sich seither nicht, umso froher war ich, als ich in diesem Blog las, dass seine umfangreiche Europatour ihn in diesem Jahr auch nach Stuttgart führen sollte. Im Keller Klub war ich, seit ich zum Studium in die Schwabenmetropole zog, auch noch nie gewesen, sodass ich mich freute, auf diese Weise gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.

Als ich mit Begleitung um kurz nach 22 Uhr die Treppe zum Keller Klub am Rotebühlplatz hinunterlaufe, kann ich noch nicht ahnen, dass ein Konzert folgen sollte, welches desaströs enden würde für die Zuschauer, die für Maximilian Hecker und Felix Räuber kamen, und vor allem für die Künstler, dass ein Konzert folgen würde, welches ein Armutszeugnis für die Konzertpolitik eines Clubs ausstellen sollte.

Doch der Reihe nach. Es ist sieben Minuten nach elf. Maximilian Hecker, der distinguierte deutsche Superstar im Goethe-Institutskosmos betritt zusammen mit Felix Räuber, bekannt als Frontmann der deutschen Indie-Synthiepop-Chartbreaker Polarkreis 18 aus Dresden, die niedrige Bühne des Clubs zum hallenden Intro. Ringsum sind Kerzen aufgestellt, die Atmosphäre ist allgemein romantisch-melancholisch und sehr entspannt. Wie auch der sensitive Indiefolkpop des Protagonisten.

Maximilian Hecker – bärtig und mit seiner markanten Britpop-Frisur – sitzt auf der linken Bühnenseite hinter einem Yamaha-Keyboard, während Felix Räuber rechts auf einem Barhocker Platz nimmt, mit überkreuzten Beinen Gitarre spielt und den gehauchten Gesang Heckers mit ausgebildeter Stimmgewalt ausschmückt. Die Harmonien sind reizend, die Akustik gut. „The Whereabouts of Love“ und „Mirage of Bliss (Part 1)“ sind die Perlen des gleichnamigen opulenten aktuellen Albums. Auch live entfalten sie ihre berauschend pathetische Stimmung glänzend, wäre da nicht das immer lauter werdende Gemurmel im Publikum.

Felix Räuber sieht man den Ärger förmlich an, bevor er schon früh im Set, um mehr Ruhe bittet. Höflich aber bestimmt.

Grund für den hohen Geräuschpegel war eine Discoveranstaltung im Anschluss an das Konzert, wobei der Discoeintritt im Konzertticket enthalten war und dieses nicht teurer als der Abendkassenpreis für die anschließende Party. 

Zunächst scheinen sich die noch vereinzelnden Störer Räubers Appell zu Herzen zu nehmen, sodass tatsächlich die Meisten in den Raucherraum nebenan ausweichen, indem sie „ungestört“ reden konnten.

„Kate Moss“ von Heckers fantastischen, in England sehr gefeierten zweiten Album „Love“ (produziert von Depeche Mode Produzent Gareth Jones) mutiert zum Konzerthöhepunkt. Gerade ist es verhältnismäßig still. Im zweistimmigen, immer wieder versetzten Gesang der beiden Feingeister verschwinden die Rahmenbedingungen für einen kurzen Moment. Räuber stachelt sich selbst zu immer ergreifenderen Crescendi an, die in einem im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Finale gipfeln.

Im weiteren Verlauf nehmen die Nebengeräusche immer krassere Formen an. Hinzu stören immer wiederkehrende Luftströme, durch die ständig von weiteren Discogästen geöffnete Tür, die sicher dem ein oder anderen eine Erkältung bescheren werden.

Einen vorläufigen Negativhöhepunkt erreicht das Konzert, als Hecker versucht aus seinem autobiografischen Buch „The Rise And Fall Of Maximilian Hecker“ vorzulesen, was von an Dreistigkeit kaum zu überbietenden Schreihälsen an der Bar unmöglich gemacht wird. Diejenigen, die hören möchten, was Hecker aus seinem gefeierten Erstlingswerk zum Besten gibt, werden weitgehend der Möglichkeit beraubt, sofern sie nicht in den vordersten Reihen Platz fanden.

Dabei ist Heckers lakonisch-melancholischer Schreibstil betörend. Seine Geschichten interessant. Die Schilderung seiner ersten großen Tour für das Goethe-Institut, die ihn 2003 um die ganze Welt führte, urkomisch und todtraurig zugleich. Die ewige vergebene Suche nach Liebe als Leitthema schwebend über den grandiosen Storyteller-Qualitäten. Denen Berichten über die Eskapaden in Hotelzimmern, korrupte russische Polizisten, seine Bandkollegen Chris Immler oder Jens Friebe, der damals noch kein Untergrundstar war, sondern Keyboarder in Heckers Band hätte man gerne länger zu gehört.

Friebe war es zudem, der letztes Jahr neues Interesse an Heckers Musik in mir entfachte, als er meiner Freundin und mir in einer Stuttgarter Bar nach seinem Auftritt im Kulturzentrum Merlin bei „Wilder Kartoffel“ und Gin Tonic von eben jener Tour für das Goethe-Institut berichtete, die Maximilian Hecker, dessen Debütalbum zurecht von der New York Times 2001 in den Himmel gehoben wurde, zu einem der prominentesten deutschen Musiker in Asien machen sollte.

Doch zurück zu den Störenfrieden. Ein ununterbrochenes, immer lauter werdendes Gemurmel, verhinderte ein aufmerksames Zuhören. Räuber, der die Bühne zuvor verließ, versuchte offensichtlich durch unverstärkten Gesang aus dem Publikum heraus, für mehr Aufmerksamkeit zu sorgen, was bedauerlicherweise misslang. Als beide wieder auf der Bühne stehen, sieht man Beiden an, dass sie am liebsten abbrechen würden. Für mich wirkte es so, als würde Räuber es ernst meinen und ich meine gehört zu haben, dass Hecker gerne noch „Snow White“ spielen würde, ebenjenen Song, der mich einst mit seinem Werk vertraut machte.

Es ist ein trauriger Höhepunkt des Abends. Hecker haucht wunderbare Zeilen über unvollendete Liebe, während es um einen herum lärmt. Alle Frustration, jede Traurigkeit über den verkorksten Gig scheint, er in diesen einen Song zu stecken. Räuber zeigt dabei wieder, dass er eine der interessantesten und bestausgebildetsten Stimmen der deutschen Popmusik ist, der als Künstler über jede Ignoranz erhaben zu sein scheint.

Als Hecker, der im gesamten Konzertverlauf mit lakonisch-zynischen Bemerkungen immer wieder versuchte die Situation zu retten, den letzten Song des regulären Sets ankündigt, erreicht das Konzert seinen traurigen Tiefpunkt: Während diejenigen, die tatsächlich wegen des Konzerts kamen, lautstark – ja frenetisch – applaudierten, hörte man von der Bar eine Männerstimme eine würdeloses „Halt's Maul“ brüllen. Ich muss schlucken, Hecker wirkt für einen kurzen Augenblick wie versteinert. An seiner Stelle wäre ich aufgestanden und spätestens jetzt gegangen. Doch der erfahrene Performer zieht diesen Song noch durch und auch Felix Räuber gibt mit eingefrorener Miene sein Bestes. Beide sind fest entschlossen dennoch für die Fans und Liebhaber der Musik eine Zugabe zu spielen, doch dies wird unmöglich gemacht und spätestens in diesem Punkt muss sich der Keller Klub Kritik gefallen lassen. Es ist ganz schlechter Stil und ein peinliches Zeichen einer eigenen Fehlkalkulation noch bevor die Musiker die Bühne komplett verlassen haben, bereits mit dem DJ-Set zu beginnen.

Generell muss der Veranstalter seine Konzertpolitik grundlegend überdenken. Das Konzept der Disco direkt nach Konzertende scheint zum Scheitern verurteilt. Erst Recht, wenn das Konzert nicht mehr als die Disco kostet, sodass das Konzert durch das, was Bernd Begemann einmal als „Gratispöbel“ bezeichnete, zerstört wird.

Zum Glück spielen Hecker und Räuber am 25. Januar noch ein Konzert im Tübinger Löwen, auf das man sich freuen darf. Wie wäre es, wenn der Keller Klub den enttäuschten Konzertgängern Tickets hierfür zur Verfügung stellt. 



8 Kommentare :

Gudrun hat gesagt…

Lieber Jens, Dank für den Bericht! Die Venues spielen für mich auch eine ziemlich große Rolle für Konzerterlebnisse. Und respektloses Verhalten bringt mich sowieso sehr leicht auf die Palme...

Ich habe das Konzert in Karlsruhe auch schon als festen Termin im Kalender. Denke, dass es hier zumindest vom äußeren Rahmen her sehr gut platziert ist und werde dann natürlich meine Eindrücke auch festhalten.

Anonym hat gesagt…

ich fand das ganze extremst respektlos den Künstlern gegenüber und war hinterher fast den Tränen nahe, aber Respekt für das souveräne Verhalten der Beiden und vom Veranstalter war das ein Totalversagen!

Anonym hat gesagt…

Der Kommentar vom Club auf Facebook, ohne Worte:

Das nächste mal wird es ein Sonntagskonzert!
Dann seit ihr unter euch.
Und jetzt hört auf zu heulen, ihr ruiniert mir meinen einzigen freien Tag.

"Mimimi, alles war ja so schlimm."

...in diesem Sinne...

Lebt wohl euer Jean

U. hat gesagt…

Ich las hier über ein ähnliches Erlebnis im Frankfurter Zoom Club bei I Like Trains. Selbst habe ich so etwas noch nicht erlebt, kann mir aber gut vorstellen, wie frustrierend ein solcher Konzertbesuch sein muss. Da hilft wohl nur Boykott des entsprechenden Veranstaltungsortes.

Anonym hat gesagt…

Der Bericht trifft den Nagel auf den Kopf. Während Maximilian Hecker und Felix Räuber eine großartige musikalische Performance geboten haben, ließ die Leitung des Kellerklubs den nötigen Respekt vor den Künstlern vermissen. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass ein Konzertveranstalter hinter seinen Musikern steht, was hier leider nicht der Fall war.

Anonym hat gesagt…

Ich war zwar nur einmal zum Konzert im Keller Klub und kann die Erfahrung auch bestätigen. Das Publikum, ich hätte es erstmal auf das Stuttgarter Volk geschoben, ist der auftretenden Band respektlos, weil desinteressiert, die Stimmung selbst Ortsbedingt unsympathisch.

Anonym hat gesagt…

Na also irgendwie... Klar ist das scheisse. Aber die Schreihälse kann man durch energisches Einschreiten schon in ihre Schranken weisen (zurück "halt's maulen", offizielle Ermahnung, Platzverweis bis Discobeginn). Schwach.

Anonym hat gesagt…

alles klar, keller in stuttgart ein absolutes no-go.

 

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