Mittwoch, 12. Januar 2011

My year in lists - die 20 besten Konzerte des Jahres 2010, Teil 2 (Oliver Peel)


Jetzt geht's ans Eingemachte, Freunde!

Meine Plätze 20-11 kennt ihr schon, nun sind die Top Ten der besten Konzerte an der Reihe. Jedes einzelne davon war sensationell und unvergesslich, so daß es mir schwer fiel, eine Reihenfolge zu etablieren. Aber wenn man Listen macht, dann muss man sich nun einmal festlegen, um der Sache Kontur zu geben. Hinzufügen will ich noch, daß ich bewußt kein einziges Konzert, das im Rahmen unserer Oliver Peel Sessions stattgefunden hat, in diese Liste gewählt habe, weil ich jeden Künstler, der in unserem Wohnzimmer musiziert hat, gleich gerne mochte. Ich will nicht die Shelleys gegen Snailhouse ausspielen, oder eine Gregory and The Hawk vor einen Jozef van Wissem (Foto und Video) setzen, etc. Ich liebe sie alle, diese mutigen Künstler die auf engstem Raum unter schwierigen Bedingungen ihr Bestes gegeben haben und sich quasi schutzlos fremden Menschen auslieferten. Nichtsdestotrotz waren mir diese intimen Sessions natürlich eigentlich die liebsten. Verständlich, oder?



Die besten Konzerte des Jahres, Plätze 10-1 (Oliver Peel)

10: Swans, Festival BBMix, Boulogne-Billancourt bei Paris, 28.11.2010:

Swans. Die Schwäne. Diese weißen Viecher mit dem langen Hals gelten ja ohnehin als aggressiv und auch die amerikanische Band, die sich diesen tierischen Namen gegeben hat, teilte mächtig aus. 2 Stunden lang wurde erbarmungslos die Noisekeule geschwungen und hinterher fühlte ich mich, als hätte mich ein Bus gestreift. Ich schrieb damals:

"Ein Konzert wie ein Arschfick. Ich fühle mich jetzt noch als seien Panzer über mich drübergerollt, als seien meine Ohren vergewaltigt worden. Ein schamanisches, brutalstmögliches Gewitter an verzerrten Gittaren, Paukenschlägen und gruseligen Tönen. So höllisch laut, daß nach circa einer Stunde der Strom aufiel. Als die Tontechniker eine halbe Stunde später den Schaden behoben hatten, ging es mit unbarmherziger Härte weiter und man hatte fast das Gefühl, als wolle die Band sich rächen und extra noch 500 Dezibel lauter spielen. Am Ende tropfte fast Blut aus meine Ohren."

09: Scout Niblett, Le Point Ephémère, Paris, 07.06.2010

Ach, die Scout! Wie sehr ich sie liebe! Die Engländerin mit Wohnsitz Amerika mochte ich schon seit Jahren, aber ein wirklich herausragendes, ihrem Talent angemessenes Konzert, war sie mir bis dato schuldig geblieben. An jenem 7. Juni 2010 aber war sie in ganz großer Form. Eine gute Stunde lang bot sie zusammen mit einem Drummer ein atemberaubend intensives Set, in der sich wunderbar verhaltene Passagen mit explosiven Ausbrüchen abwechseltem. Sie war bestens aufgelegt, scherzte viel und performte neben Klassikern Material ihres ausgezeichneten neuen Albums The Calcination Of Scout Niblett. So konzentriert und dennoch unverkrampft hatte ich sie noch nie erlebt. Ihre legendären Hänger und Plauderpassagen ließ sie aus und bewies, daß sie nach PJ Harvey wohl die beste weibliche Rockmusikerin ist.

08: Le Prince Miiaou, La Flèche d'or, Paris, 10.03.2010

Hinter dem kuriosen Namen verbirgt sich die junge Französin Maud-Elisa Mandeau, die voller Tatendrang ihre ersten beiden Alben im Selbstversuch auf den Markt gebracht hat. Trotz ihres enormen Talentes, fand sich kein Label, daß ihre mitunter seltsamen Songs herausbringen wollte. Ihrem Weg nach oben tat dies aber keinen großen Abbruch, denn Troy von Balthazar himself lud sie ein, sein Vorpogramm in der Maroquinerie zu bestreiten. Und die Musikpresse redet zu recht viel von ihr, gleich mehrfach gab es Artikel in den Inrocks und anderen etablierten Blättern. An der Eigenwilligkeit und dem unfassbaren Talent für die Bühne kommt man einfach nicht vorbei. Maud-Elisa ist eine schüchterne Frau, in der ein Vulkan brodelt. Unfassbar packend, wenn der live expoldiert. In der Flèche d'or hat sie mich zusammen mit ihrem Cellisten und ihrem Drummer in einen rauschhaften Zustand versetzt, hinterher standen mir Glückstränen in den Augen. Sie klingt als würde Cat Power jetzt Postrock machen und die durchgeknallten Xiu Xiu mit an Bord nehmen. Le Prince Miiaou traue ich in Zukunft einfach alles zu, sie ist eine der faszinierendsten Künstlerinnen, die ich je gesehen habe und hat ihren ganz eigene Stil. Niemand klingt wie sie. Ihre Konzerte sind der Oberhammer. In den nächsten Jahren wird sie sicherlich in dieser Liste irgendwann auf Platz eins landen.



07: Joanne Newsom, Festival Villette Sonique, Paris, 31.05.2010

Jonnan Newsom muss in den Top Ten auftauchen, alles andere wäre unverschämt. Das Genie (?) aus Kalifornien zupfte unermüdlich auf ihrer imposanten Harfe, setzte sich aber auch ab und zu hinter das Piano. Auffällig die Stöckelschuhe, die sie trug. Als Folkfan ist man ja meistens Damen gewöhnt, die barfuß performen, aber Joanna gönnt uns glücklicherweise einen viel eleganteren Anblick. Richtig hohe Dinger. Sexy! Und wie frech und schlagfertig diese Joanna ist, keinesfalls das schüchterne und authistische Wunderkind, das man beim Hören der CDs erwarten könnte. Zugeben muss ich allerdings, daß es gar nicht so leicht war, dauerhaft aufmerksam zu bleiben. Die Kunst von Fräulein Newsom ist fordernd, nicht leicht konsumierbar, verlangt volle Konzentration. Aber man wurde für seine Aufmerksamkeit reich belohnt und hinterher wollte der donnerde Beifall gar nicht mehr abreißen.

06: Syd Matters, Le Bataclan, Paris, 02.11.2010

Meine französische Lieblingsband, keine Frage. Ohne Unterstützung eines großen Labels und ohne Medienhype und Powerplay im kommerziellen Radio haben es die Jungs um Sänger Jonatahn Morali geschafft, große Locations wie das Bataclan auszuverkaufen. 2011 ist das legendäre Olympia dran, eine Sensation. Mit akribischer Arbeit, gutem Songwriting und einem genialen Sinn für harmonische Arrangements kann man es also doch noch weit bringen. Im Bataclan präsentierten Syd Matters die Lieders ihren neuen Werkes Wolfmother, die sich problemlos in das Altmaterial einfügten. Immer wenn ich diese sympathische Band sehe, fühle ich mich geradezu tiefenenstpannt, verzaubert und federleicht. Ihre Chorgesänge können es locker mit den Fleet Foxes aufnehmen und irgendwie sind sie in musiklaischer Hinsicht Brüder im Geister der famosen Amerikaner Midlake. Die Show im Bataclan war traumhaft schön und bewies, daß auch Franzosen erstklassige Musik machen können. Aber das wussten wir ja eigentlich schon längst...



05: Emily Jane White, L'Européen, Paris, 16.11.2010

Phänomenal, was Emily Jane White zusammen mit ihrer Band gezeigt hat! Die diskrete Kalifornierin hauchte sich 90 Minuten durch ein perfekt beherrschtes Set, gespickt mit anrührenden, tiefschwarzen Folksongs ihrer drei phantastischen Alben. Hinterher war klar, daß Emily Jane ihre Hauptkonkurrentinnen Alela Diane und Marissa Nadler musikalisch bereits überholt hat. Stimmlich jederzeit tadellos, songtechnisch überragend und unglaublich fesselnd, so brillant wie Miss White hatte ich Alela oder Marissa bisher noch nicht erlebt. Wenn doch die Presse ein bißchen mehr Notiz von ihr nehmen würde. Legitime Erbinnen von Johnny Mitchell oder Sandy Denny trifft man schließlich nicht alle Tage.

04: The National, Olympia, Paris, 23.11.2010:

Klar, ich könnte hier den elitären Blogger raushängen lassen und The National den verdienten Platz unter den besten 5 verwehren. Weil sie massentauglich geworden sind und sie inzwischen fast jeder kennt. Wäre aber albern, denn Matt Berninger und die beiden Zwillingsbrüder-Paare in der Band gehörten nun einmal zu den besten Gruppen des Jahres 2010. Ihr Auftritt im Pariser Olympia war legendär und unvergesslich. Die Amerikaner hielten dem Druck unter dem sie dieses Jahr plötzlich standen, einwandrei stand, und präsentierten sich locker und in bestechender Verfassung. Die sonore Baritonstimme von Matt funktionierte perfekt und die Gebrüder Dessner entlockten ihren Gitarren so etliche grandiose Riffs. Gegen Ende hin wurde der Gig immer intensiver und berauschender. Berninger hatte (auch mit Hilfe von ein paar Gläsern Wein) alle Blockaden gelöst und peitschte die Zuschauer förmlich auf. Als er (wie gewohnt) zu Mister November durch Publikum hetzte, gab es kein Halten mehr. Ich bekam mehrfach eine Gänsehaut, fühlte mich an Szenen von Joy Divison Konzerten erinnert. Die Schreiattacken von Matt gingen mir durch Mark und Bein und als die Band akustisch mit der Ballade Vanderlyle Crybaby Geeks abschloß, sah ich Sternchen. Die Trompete, war einfach zu schön. Episch!



03: Interpol, Trabendo, Paris, 17.09.2010

Ein paar Crashpropheten hören bei Interpol schon die Totenglöckchen klingen. Will heißen: es wird auf das baldige Ende der New Yorker Band spekuliert. Und das nur weil der exzentrische Bassist Carlos D Interpol verlassen hat und Leute, die das neue Album nicht oft genug gehört haben, von einem schwachen Werk sprechen.

Im recht intimen Pariser Trabendo (Kapazität höchstens 700) zeigten Paul Banks und co, daß das alles Unsinn ist. Nix Krise, nix schlechtes neues Album, nix personnelle Schwächung auf der Bassistenpostion. Stattdessen war Paul ungewöhnlich locker, höflich und gesprächig, die Band beeindruckend sicher und spielfreudig und David Pajo (ex Slint) am Bass ohne Fehl und Tadel. Alles flutschte, Hit reihte sich an Hit und die Stmmung war bombig. So fühlt es sich an, wenn wahre Champions auf der Bühne stehen. Sollen die Ratten und Miesmacher doch das angeblich sinkende Schiff verlassen, ich bleibe bei Interpol an Bord. Sie sind nun einmal die weltbesten Joy Divion- Klone und in manchen Phasen übertreffen sie sogar die legendären Engländer um Ian Curtis.

02: Sophie Hunger, Theéatre de L'Atelier, Paris, 06.12.2010

Sophie Hunger macht irgendwie immer mit mir was sie will. Wie sie das schafft, weiß ich gar nicht so genau. Ihre soulige Stimme ist eigentlich nicht unbedingt mein Wetter, ihr neues Album 1983 hatte ich selten gehört und indie oder gar cool ist die Schweizerin auch nicht die Bohne. Sie zieht nicht das typische Bloggerpublikum an, die sich nach neuen innovativen Bands, die von Pitchfork gehypt werden, die Finger abschlecken. Schon klar, Sophie ist nicht so trendy wie Twin Shadow, Sleigh Bells, No Age oder Animal Collective. Aber wißt ihr was? Ist mir wurscht! Viel wichtiger ist, daß ich bei Konzerten der Hunger 2 Stunden lang völlig gebannt zuhören kann und durch die bewegenden Lieder so ungemein viel Trost erfahre. Im Théatre de L'Atelier war die Spannung geradezu knisternd, die Emotionen überwältigend, der Applaus frenetisch. Sophie Hunger hatte die Franzosen (und die vielen Schweizer und Deutschen) zu Tränen gerührt und bei der am Piano vorgetragenen Ballade Rise And Fall merkte ich plötzlich, wie zwei Tropfen meine rechte Faust benetzten. Plitsch platsch. Der Song hatte mich mit voller emotionaler Wucht getroffen, mir das salzige Wasser aus den Augen getrieben. Ich wagte nicht meine Sitznachbarn anzusehen, schämte mich ein wenig. Dann aber sah ich, daß auch die Frau neben mir zum Taschentuch griff. Schluchz. Kitschig? Mag sein. Aber bei Sophie spürt man einfach, daß sie in ihrer Musik aufgeht, einen fast hypnotischen Zustand erreicht und die Gabe hat, diese Emotionen ungefiltert an das Publikum weiterzugeben. Den Auftritt im Theatre de L'Atelier werde ich nie vergessen und besonders bewegend fand ich , als Sophie nach einem unglaublich heftigen Applaus sich das Mikro griff, kurz innehielt (das macht sie immer) und gerührt in etwas holprigem französisch bekundete: "ce soir je ne vai pas pouvoir dormir, je garde tout cela dedans." - heute nacht werde ich nicht schlafen können, ich bewahre das alles in meinem Inneren.

Achso: Speech, ein Song ihrer alten Band Fischer ist ein unglaublicher Hammer, oder etwa nicht?



01: Alina Orlova, Café de la Danse, Paris, 08.11.2010

Noch so ein Konzert, das schonungslos auf die Tränendrüse drückte. Die litauische Pianistin Alina Orlova sang in ihrer Landessprache, auf russisch und auf englisch und hatte als einziges Instrument ihren Flügel zur Verfügung. Auf dem Album hört man hingegen viele andere Instrumente wie Geigen, etc. Aber gerade in der abgespeckten, reduzierten Variante gefiel mir das Ganze besonders gut. Alina sang und klimperte mich regelrecht in einen Rausch, bestach durch ihre natürlich-charmante Ausstrahlung und ihre vielen glänzenden Lieder und trieb das Publikum zu reißenden Beifallsstürmen. Textlich verstand ich nur Bahnhof, aber das war egal. Was zählte war die übermittelte Melancholie, diese typisch russische Schwermut, dieses flehentliche Aufbegehren gegen die Gemeinheiten des Lebens. Gegen Ende kapitulierte ich und flennte wie so ein kleiner Schuljunge. Jeglicher Widerstand gegen die Attacken auf das Tränenzentrum war zwecklos. Und dann klimperte sie bei den Zugaben auch noch auf einer Kalimba. Mann war das schön! Alina, diese Herzensbrecherin. Sie hat die Krone absolut verdient!








1 Kommentare :

Rebekka hat gesagt…

Sehr schöne Liste so far. Vieles kann ich unterschreiben, so kam ich auch schon in den Genuss des Damen Niblett, White und Newsom und war von allen ganz ähnlich begeistert.

 

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