Sonntag, 11. Juli 2010

Broken Social Scene, Feldkirch, 04.07.10


Konzert: Broken Social Scene
Ort: Poolbar, Feldkirch
Datum: 04.07.2010
Zuschauer: 200?
Konzertdauer: 100 Minuten


- von Julius aus Wien -

Ich muss ja gestehen, dass ich emotionale Höhepunkte in den letzten Wochen vorwiegend aus den Geschehnissen in Südafrika bezog. Was habe ich mich über Wesley Snejiders Doppelschlag gegen Brasilien gefreut, auch über das attraktive Spiel der deutschen Nachbarn und wie enttäuscht war ich nach dem bitteren und hochdramatischen Ausscheiden der Helden eines Kontinents, Ghana.

Höchste Zeit also, auch abseits der testosterongeschwängerten Public Viewings wieder mal an ein anspruchsvolleres und vielleicht sogar nachhaltigeres Erlebnis zu gelangen.

Hierfür auserkoren hatte ich Broken Social Scene, die ich im Mai zwar bereits zweimal unter Sternenhimmel in Barcelona und Linz gesehen hatte, die mich aber nicht restlos begeistert hatten. Anders die Vorzeichen diesmal: In der Poolbar, einem ehemaligen Hallenbad in Feldkirch, das jeden Sommer von einem Kunst- und Musikfestival bespielt wird, sollten sie spielen. Und somit in wesentlich intimerem Rahmen als die zwei vorangegangenen Konzerte, die bei mir bis jetzt von ihnen zu Buche stehen. Abschreckend nur die Distanz. 650km, so weit war ich für ein einzelnes Konzert schon lange nicht mehr gefahren. Schließlich rang ich mich dann doch durch, zumal ein Freund von mir sowieso im wilden Westen Österreichs arbeitete und sich auch das Poolbar nicht entgehen ließ.

Nach sechs Stunden Fahrt stand man schließlich in der Halle. Als einer von sehr wenigen. Sofort aufkommende Gedanken über die Aussichten eines fordernden Programms in einer ländlichen Region zerstreuten sich allerdings nach und nach. Offenbar eingeweiht in zeittechnische Eigenheiten des Festivals strömten etwa eine halbe Stunde nach geplantem Konzertbeginn die ortsansässigen Besucher hinein und auch die kanadische siebenköpfige Truppe, die nur auf anständige Füllung des Saales gewartet hatte, betrat unter recht höflichem Applaus die Bühne.

Eine sehr lovely town sei Feldkirch, streute Kevin Drew gleich mal Rosen, aber er hatte einfach Recht. Verschlafen, aber sehr hübsch.

Mit „World Sick“ starteten Broken Social Scene ihr Set, gleichzeitig auch Opener des neuen Albums, ein kryptischer Song, aber mit unverkennbar melodischer Handschrift.

Etwas ruhiger gestaltete sich der, auch zu Filmehren gekommene, Nuschel-Klassiker „Stars And Sons“. This way we will know how far to live on…

Mit einer Spaßeinlage ging es weiter, Drew und Canning intonierten ein vor dem Auftritt im Hintergrund gespieltes Lied von Rihanna, zwar nicht um viel besser als das Original aber sehr erheiternd. Ihren Lieblingsnachbarn („they’re so lovely“) widmeten sie dann anlässlich deren Nationalfeiertages (eben am 4. Juli) das neue „Texico Bitches“. Munter, sirrend und treibend nimmt sich dieses Stück über die Stadt in New Mexico aus, das Publikum wirkte langsam gelöster.

Mit „7/4 Shoreline“ folgte einer meiner Lieblingssongs aus dem Gesamtkatalog, wunderschön entspannt und erstmals sang auch Lisa Lobsinger mit. Tolle Frau, mehr dazu später.

Ebenfalls auf dem „Forgiveness Rock Record“-Vorgänger, welcher eben, wie man so einfallsreich sagt, self-titled ist, findet sich auch „Fire Eye’d Boy“.

Als Statement sei Forced To Love zu verstehen, darauf bestanden Broken Social Scene. Ein guter Anlass, einmal die bandinterne Beziehung zu beleuchten. Denn ist zwar die kanadische Alternativ-/Indie-Szene an sich eine recht familiäre, wenn man so will fast inzestuöse Angelegenheit, so ist dies bei den erwähnten Vertretern noch mal um einen ganzen Grizzlybären ausgeprägter. Um einen losen Haufen Stammmitglieder herum spannt sich ein dichtes Netz an Gastmusikern, Stammgästen und Freunden anderer Bands. Als eine Art Indie-All-Stars-Versammlung könnte man das stetig wechselnde Lineup der Band bezeichnen, zu diesen gehören zB. Leslie Feist, Mitglieder von Metric, den Stars und vielen anderen. Dass dieses Konzept der Personalpolitik nicht an den Brei verderbende Köche erinnert, sondern die Kreativität mit jedem Kopf mehr wächst liegt sicherlich an der höchst wertschätzenden und großfamiliären Art, miteinander umzugehen. Patchwork ist einfach eine der Entwicklungen des letzten Jahrzehnts....

Eine kleine Geste, die dies unterstreicht folgte danach. Zärtlich drehte Kevin Drew Lisa Lobsinger, seit Feists Soloambitionen zur Stammsängerin geworden, in Richtung Publikum, wo sie zwei Songs zum Besten geben sollte.

Nämlich unter anderem „All To All“. Ein Song zum Abheben. Besonders wenn eine Frau wie Lobsinger vor einem steht. Man kam aus dem Dahinschmelzen und Seufzen gar nicht mehr heraus und wenn ich hier noch weiterschriebe, würde mir der erstbeste Leser mit Sicherheit die Geschmackspolizei wegen Verstöße gegen überhoher Lobhudelei und Kitsch auf den Hals hetzen...

Also begnüge ich mich, indem ich erwähne, dass „Anthems For A Seventeen Year-Old Girl” folgte (wieder mit Bestbesetzung L.L.).

Einige Songs standen noch auf der Agenda und je näher man dem Ende kam, desto extrovertierter wurden Publikum und Drew. „Being emotionally connected to someone is one of the most important things at all…”, wir alle sollten wissen, was wir an unseren Mitmenschen hätten und einander das zeigen. „It’s All Gonna Break“ passte da irgendwie – titeltechnisch – vielleicht nicht ganz zu dieser Philosophie, der immense Spaß, die Spielfreude, das lebendige Miteinander, mit dem Broken Social Scene dieses zehn-Minuten-Epos darbrachten machte einen selbst unfassbar ausgeglichen und glücklich.

Was für ein Konzert, was für eine Band. “We believe in you. Make sure you believe in yourself.” Tun wir. Und ganz besonders glauben wir an ein Land in Nordamerika. Und an seine Familie.

Setlist Broken Social Scene, Poolbar Feldkirch:

01: World Sick
02: Stars And Sons
03: Texico Bitches
04: 7/4 Shoreline
05: Fired Eye’d Boy
06: Forced To Love
07: Cause = Time
08: Sweetest Kill
09: Lover’s Spit
10: All To All
11: Anthems For A Seventeen Year-Old Girl
12: Water In Hell
13: Ungrateful Little Father
14: KC Accidental
15: It’s All Gonna Break



 

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