Donnerstag, 26. September 2013

Motorama, Köln, 25.09.13


Konzert: Motorama
Ort: Blue Shell,Köln
Datum: 25.09.2013
Dauer: knapp 60 min
Zuschauer: ca. 150



Um kurz vor elf war Vladimir Parshin außer Atem und hatte nur noch ein Glas in seinem Brillengestell, und das war beschlagen. Das knapp einstündige Konzert hatte den Motorama-Frontmann gezeichnet - und mich erneut überzeugt, eine der spannendsten und besten Bands der letzten Jahre gesehen zu haben.

Motorama stammen aus Rostow am Don im tiefsten Russland, einem Land, aus dem nicht viele Indiebands den Weg nach Westeuropa finden. Stimmt mein Bild vom musikalischen Russland, sind Indiebands dort noch exotischer als bei uns. Also wären Motorama schon einmal per se erwähnenswert. Aber das reicht natürlich nicht, um uns hier nachhaltig zu beeindrucken. Diesen Part übernimmt die phänomenal gute Musik der Russen! Die beiden Alben Alps und Calendar und die beiden EPs Horse (2008) und Bear (2009) enthalten eine Unmenge an Ohrwürmern und Hits, melodieverliebte Lieder, die süchtig machen. Hätte ich nicht gewußt, woher sie kommen, hätte ich Motorama dem Hören nach nach Skandinavien (wegen Bands wie Tiger Lou oder Mary Onettes) oder nach England verortet. 


Motorama begannen ihr Konzert um kurz vor zehn mit Lantern von der Bear-EP. Das Stück ist das einzige Lied, bei dem ich den zielzitierten (und schon lästigen) Ian Curtis-Vergleich des Sängers nachvollziehen kann. Lantern hört sich wirklich ein wenig an, als sei es ein (sehr gut gemachtes) Joy Division Cover. Ab da brauchte man schon viel (nein, richtiger: wenig) Phantasie, um immer wieder die Engländer als Referenz anzuführen. Motorama sind melodiöser und viel weniger melancholisch und wütend als Joy Division (die ich hier schon wieder viel zu oft erwähnt habe).


Motorama sind ein Quintett. Neben Vladimir gehören seine Frau am Bass, ein zweiter Gitarrist, ein Keyboarder und ein Schlagzeuger zur Band. Das ist für die kleine Bühne des Blue Shell schon eine große Mannschaft. Ich wusste von meinem ersten Konzert in Wiesbaden aber, daß Vlad nicht lange an seinem Platz stehen bleiben würde. Am Anfang stand er noch brav vorne in der Mitte mit Blick nach rechts zu seiner Frau. Beim zweiten Lied White light (von Calendar) nahm er das Mikro vom Ständer und hängte stattdessen seine Gitarre oben an das Gestell - ein erster Ausblick auf die Ausbrüche, die noch kommen sollten.


Zunächst folgten aber noch ruhigere Lieder, allesamt Hits. To the south, Eyes, Far away in the city, Stücke, in die ich mich unsterblich verliebt habe. Bei Scars flog die Brille runter und die Gitarre auf den Boden. Der Sänger wurde extrovertierter. Der erste richtige Ausbruch kam in der Mitte von Alps. Irgendwann schrie es aus Vlad raus, das Stück wurde lauter und lauter. Bei During the years danach sprang der Musiker mit dem kahlrasierten Kopf in die Menge. Irgendwann flog das Brillenglas raus - jemand wies Vladimir darauf hin, er konnte es retten. Weiter ging es einäugig und außer Atem. Und laut und wild und großartig. Nach Anchor, bei dem der Frontmann seine Gitarre mit den Saiten zur Brust umhatte, war Schluß. Viel zu früh für meinen Geschmack. Es reichte aber ein Blick ins Gesicht des erschöpft schräg am Verstärker (mit Delphin-Foto geschmückt!) lehnenden Sängers: der war platt! Restlos!


Trotzdem gab es eine Zugabe, das unverschämt ohrwurmige Warm eyelids, zu dem Vlad eine Blechtröte in Form eines Tiger- oder Bärenkopfes ...trötete. Das klingt komisch, machte aber wie alles* an diesem Abend enorm viel Sinn! Gottseidank wurde dieses fabelhafte Konzert mit vielen Zuschauern belohnt. Wer 2.800 km von der Heimat entfernt so grandios aufspielt, verdient ein großes, glückliches Publikum. Und der kommt hoffentlich bald zurück, so ganz uneigennützig bemerkt.


Sicheres Jahres-Top-5-Konzert!


Setlist Motorama, Blue Shell, Köln:

01: Lantern
02: White light
03: To the south
04: Letter home
05: Eyes
06: Young river
07: Scars
08: Rose in the vase
09: Far away in the city
10: Winter at night
11: Empty bed
12: Alps
13: During the years
14: Anchor

15: Warm eyelids 

Links:

- aus unserem Archiv:
- Motorama, Esslingen, 05.03.13
- Motorama, Wiesbaden, 06.03.13
- Motorama, Wiesbaden, 06.03.13
- Motorama, Paris, 25.02.13
- Motorama, Paris, 27.11.12 

Tourdaten Motorama:

26.09.13: Münster, Gleis 22
27.09.13: Hamburg, Knust (Reeperbahn Festival)
28.09.13: Berlin, Astra (Berlin Independent Night)
29.09.13: Leipzig, Kafic
30.09.13: Jena, Café Wagner
01.10.13: Würzburg, Cairo
02.10.13: Swamp, Freiburg




* das "alles" bezieht sich auf das Hauptprogramm. Die Elwins aus Kanada als Vorgruppe überzeugten mich mit ihrem Highschool-Rock nicht, das Konzert langweilte mich. Man muß ihnen aber zugute halten, daß sie für ordentlich Stimmung gesorgt haben (Job erfüllt). Außerdem hatte der rechte Gitarrist der höflichen Kanadier eine dieser Schnurrbart-Brille-lustige-Nase-Kombinationen an, die es früher in jedem gutsortierten Scherzartikelladen zu kaufen gab!


1 Kommentare :

Thorsten hat gesagt…

Review kann man bestätigen! Top Konzert in Köln! Respekt an Motorama!

 

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