Mittwoch, 5. Oktober 2011

I'm from Barcelona, Wien, 03.10.11

Konzert: I'm from Barcelona
Ort: Szene, Wien

Datum: 03.10.11
Zuschauer: 200-300

Konzertdauer: rund 80 Minuten

So einen warmen Oktoberbeginn hat es schon lange nicht mehr gegeben. Bei sicherlich 20°C war der Hof der Szene gegen neun bereits gut gefüllt, im lauen Wind wiegende Lampions verströmten im provinziell anmutenden Simmering das Gefühl eines Sommerfestes. Dass es keine Vorband gab, dürfte nur die Allerwenigsten gestört haben - ein letztes Mal die Freuden dieses Sommers auskosten, bevor kalte und ungemütliche Zeiten heranbrechen.

Gegen halb zehn kamen dann I'm from Barcelona raumergreifend - nämlich 11 Mann und Frau hoch - auf die Bühne der Szene, der Platz davor war ebenfalls gut gefüllt. Ein recht junges und motiviert wirkendes Publikum hatte sich zahlreich eingefunden und bekam auch von Anfang an, was es wollte: Rhythmische Mitklatsch-Aufforderungen, hymnische Refrains und unbeschwert infantile Handchoreographien.

Die Schweden sind eine hervorragende Liveband, alles andere wäre bei einem derart umfassenden Arsenal an luftigem Power-Pop auch eine unverantwortliche Verschwendung. Viel Zeit für Ansagen abseits des Standardrepertoires wurde denn auch vorerst nicht aufgewendet, der Schweiß trat dafür nach jeder, gefühlt etwa zwei Minuten dauernder, Nummer deutlicher auf der Stirn von Sänger Emmanuel Lundgren hervor und die Temperatur im Saal stieg und stieg. Kühlen Kopf hingegen scheint der Soundtechniker bewahrt zu haben, der die grundsätzlich schon ganz guten akustischen Vorraussetzungen der Szene für einen einwandfreien Klanggenuss nutzte.

Anscheinend sei der Sommer in Wien grenzenlos, bemerkte Lundgren dann einmal - seine Überleitung zu Always Spring: "Somewhere it's summer, somewhere it's always spring." Hübsche Sache, das. Hübsche Sache (eigentlich) auch: Das Trio Schwedinnen, das den linken Teil der Bühne als Backing-Chor einnahm. Aber: dreimal wasserstoffblondiert. Schweden, what's up with you? Keine Naturblonden mehr im Norden? Naja, wenigstens des Trompeten-Spielers Haarpracht war natürlich blond. Der Typ sah übrigens aus, als wären in seinem Jugendzimmer die Abba-Poster nie durch Nirvana oder ähnlichen Adoleszenz-Schrott ersetzt worden. Lange Haarpracht und eine Retro-Brille wie aus dem Bilderbuch vervollständigten das Bild.

Die Leute vor und auf der Bühne hatten allesamt ihren Spaß, es wurde getanzt, herumgeblödelt, mitgesungen. Irgendwann wurden dann zwei Ballnetze voller großer Luftballons ins Spiel gebracht, rot und weiß schwebte es durch die Szene, die Bandmitglieder beteiligten sich rege am Hin und Her. Mein Favorit: eine gewaltige Erscheinung an der Gitarre (Meat-Mountain nannten wir solche Menschen wegen ihrer Leibesfülle in unserer Schulzeit), der sich akrobatisch mit dem Fuß auszeichnete.

Verdammt schnell war eine Stunde vergangen und das letzte Lied wurde angekündigt. Und gleich wieder korrigiert: Denn das Publikum wünschte sich Treehouse, sodass Lundgren willig klein beigab und den schon für ein anderes Lied in den Startlöchern scharrenden Mitmusikern zu verstehen gab: "I think we should do Treehouse."

Großer Jubel war die Folge und es entwickelte sich, wie unschwer zu erwarten war, der Höhepunkt des Konzerts. Mit ihren Armen baute die Band ein stilisiertes Haus, "where nobody can see us/it's a you and me-house." Das Publikum ergänzte diese Bewegungen um mit den Fingern geformte Herzchen, die Band erwidert diese - sehr schön!

Dann war Abgang angesagt, nach mehr lechzendes Publikum erwirkte eine Rückkehr und gleich vier weitere Songs, darunter Paper Planes. Die wenigen Ballons, die bis dahin überlebt hatten (die weißen dürften widerstandsfähiger gewesen sein) traten abermals ihre Reise kreuz und quer durch den Saal an, Lundgren ließ sich zum Crowdsurfen hinreißen und die Leute kümmerten sich bewundernswert vorsichtig um ihn, setzten ihn behutsam wieder ab, schöne Szenen spielten sich ab, in der Szene.

Recht bald war auch die großzügig bemessene Zugabe vergangen und I'm from Barcelona hatten sich bestens gelaunt und euphorisiert verabschiedet, das Versprechen abgegeben, wiederzukommen und kleine Abschiedsherzchen geformt. Dann ging es wohl ab in ihr Hotel, das Possesivpronomen ist hier auch im ursprünglichen Sinn völlig angebracht, neben der Bandfamilie dürfte nicht viel Platz übrig bleiben...

Was bleibt ist ein schönes, herzliches Konzert voller guter Laune, die niemals aufgesetzt wirkte, sondern immer authentisch und mit Überzeugung erarbeitet. Man muss das jetzt nicht überbewerten, es war kein denkwürdiges Konzert oder eines, das außergewöhnlich war. Und die Schweden haben mit ihrer Musik auch nicht unbedingt das Rad neu erfunden. Aber es war ein hervorragender, kurzweiliger und glückseliger Abend. Und so einen zu erschaffen, ist auch eine Kunst.

Aus unserem Archiv:
I'm from Barcelona, Paris, 26.03.07

Foto #1 stammt von der Band, die restlichen von Shirin Omran. Vielen Dank!


 

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