Freitag, 11. März 2011

Phillip Boa And The Voodooclub, Koblenz, 10.03.11


Konzert: Phillip Boa And The Voodooclub
Ort: Café Hahn, Koblenz
Datum: 10.03.2011
Zuschauer: ein paar hundert (ausverkauft)
Dauer: 105 min


Als ich zuletzt Phillip Boa live gesehen habe, hieß Raider noch Raider und Ostdeutschland DDR, es ist also ein wenig her. Diese Boa-Pause hätte durchaus noch länger dauern können, wäre ich nicht auf gut Glück doch noch zum ausverkauften Café Hahn nach Koblenz gefahren und hätte es versucht. Erst gestern wurde ich wieder an das Konzert erinnert, das ich eigentlich fest eingeplant hatte.

Meine letzte, blasse Live-Erinnerung an Phillip Boa in der Raider-Ära war eher wild. Der Sänger trug Springerstiefel, brüllte ununterbrochen "Phillip Boa ist ein Arschloch" und kickte eine Palette voller Hansa-Pils Dosen ins Loreley Publikum.

Wir trauten uns trotzdem nach ganz vorne, wo erstaunlich viel Platz für ausverkauftes Haus war.

Phillip Boa And The Voodooclub gehört zu den prägenden Bands in der Phase meiner Jugend, in der ich bei meiner heutigen Musik hängenblieb. Das lag natürlich nicht an Boas Bad Boy Image, sondern an dieser herrlich anderen Pop-Musik, an den Duetten mit Pia Lund, an den kaputten Melodien. Wenn man damals die Pixies liebte, liebte man auch Phillip Boa. Und umgekehrt.

Als die beiden Alben erschienen, die auf der heute beginnenden Tour komplett gespielt wurden, war meine große Phillip Boa Phase bereits wieder vorbei. Die früheren Platten waren immer präsenter, dennoch sind Helios und Boaphenia großartig und ein Livevortrag natürlich sinnvoll.

In den letzten Jahren ist es hip geworden, wichtige Alben an Konzertabenden komplett zu spielen. Das hat meist viel Charme, birgt aber auch Risiken. Wenn die Band wirklich streng chronologisch vorgeht, müssen auch die nicht so prickelnden Stücke gespielt werden; die Reihenfolge orientiert sich nicht an den Standardregeln der Konzertdramaturgie, unter Umständen werden die Hits gleich am Anfang verbraten, wenn dies eben auf Platte so ist. Ich habe bisher die Lemonheads, die Pixies, die Charlatans, The Wedding Present und Locas In Love mit solchen Programmen gesehen, bis auf die Charlatans hatten die Bands ihre Hitplatten 1:1 umgesetzt. Heute war das anders, es begann nicht mit dem Hit And then she kissed me sondern mit Utopia von Boaphenia, bevor die Lieder von Helios (von 1991) gespielt wurden.

Der Anfang war schleppend und schlecht, weil die Stimmen von Phillip Boa und vor allem Pia Lund leise und schwach klangen, es fehlte jeder Druck. Beim zweiten Lied besserte sich das aber, danach hatte ich am Klang des Konzert nichts zu bemängeln.

Live bestehen Phillip Boa And The Voodooclub zur Zeit aus sechs Musikern. Neben den beiden Sängern gehörten ein Bassist, ein Gitarrist, ein Schlagzeuger und ein Keyboarder, der an einem zweiten Schlagzeug saß und wechselnde Aufgaben hatte.

Was mir damals an Phillip Boa gefallen hat, überzeugte auch heute sofort wieder. In den Pressetexten, die für die Lob-Aufkleber auf den CDs verwendet werden, wird die SZ damit zitiert, die Platten seien "verblüffend zeitgemäß." Keine Frage, das sind sie. Und trotz der großen Komplexität und der manchmal irren Songstrukturen sind sie aber eben auch viel zugänglicher als der meiste gewollt kunstvoll klingende Kram, der
Kritiker zu Begeisterungen bringt, allerdings zu der Sorte Begeisterung mit angestrengtem Lächeln. Und der nach einem Hören auf Nimmerwiedersehen im Schrank verschwindet.

Herrlich - und vermutlich vollkommen ehrlich - waren die Kommentare des Sängers, die ab und zu dann bei den doch besonders schwierigen Titeln kamen: "noch ein Lied, das ich damals nicht verstanden habe - und heute auch nicht." Ich wüsste für mein Leben gerne, was Berufskritiker damals in diese Stücke reininterpretiert haben...

Mit
The undersea world of Jacques Cousteau endete die Helios-Phase des Abends. Der Übergang zu Boaphenia war durch eine Instrumentalüberleitung elegant gelöst. Pünktlich zu Boaphenia wurde auch das Licht besser. Vorher waren die Musiker meist schummrig beleuchtet, plötzlich erkannte man auch einmal Gesichter. Langsam taute auch das anfangs arg passive Publikum etwas mehr auf. Richtige Konzertstimmung entstand aber erst ganz am Ende. Sicher trägt das Konzept der Tour dazu bei, daß nicht dauereuphorisches Rumgehüpfe stattfindet, es lag aber sicher auch zum Teil an den Zuschauern, daß so wenig zurückkam. Phillip Boa muß sich nicht vorwerfen lassen, arrogant oder unnahbar gewesen zu sein. Er beschimpfte weder sich noch uns, kommentierte einige Lieder und sagte den Rest an. "Dieses Lied habe ich geschrieben, als ich größenwahnsinnig war" oder "schönes Lied, oder?" oder "hat euch das gefallen?"

Geblieben im Vergleich zu damals sind die Tanz- bzw. tanzartigen Bewegungen. Wenn Pia nichts zu tun hatte, ging sie von der Bühne oder trat einen Schritt nach
hinten. Phillip Boa macht bei seinen Pausen lustige Handbewegungen vor dem Mikro.

Richtig Stimmung kam wie gesagt erst spät auf. Passenderweise wurde es ab Euphoria etwas lauter.
Richtig euphorisch nahm der Saal aber erst Love on sale auf. Vor dem Hintergrund des Konzepts, der Tatsache, daß Koblenz keine große Stadt für Livemusik ist und der Begebenheiten des Café Hahn mit seinen Bänken und Stühlen am Rand war das allerdings vollkommen akzeptabel und nicht überraschend. Das Konzert war trotzdem gut - wohl auch für den Künstler, wie er nachher in einem Interview bestätigte.

Mir war vollkommen egal, ob Kill your ideals gespielt würde, damit stand ich aber offenbar alleine da, denn nach erneutem Erscheinen zu einer Zugabe kündigte der Sänger an, daß der große Hit nicht gespielt würde, er stamme schließlich von einer anderen Platte. Um aber trotzdem noch etwas spielen zu können, mußte ein Cover herhalten, das herrliche Molly's Lips von den wundervollen Vaselines, die 2010 20 Jahre nach ihrem Debüt ihr zweites Album veröffentlicht haben. Bei Boas Version fehlte zwar die Autohupe, die die Vaselines live benutzen, das Lied hatte aber trotzdem viel Charme und war ein hervorragender Abschluß.

Und auch meine Biergeschichte fand eine moderne Analogie. Diesmal wurden aber keine Bierdosen ins Publikum getreten, Boa 2011 ist gesitteter: Pia Lund reichte einem Fan in der ersten Reihe eine Bierflasche. Also trotzdem irgendwie doch alles wie früher.
Setlist Phillip Boa And The Voodooclub, Café Hahn, Koblenz:

01: Utopia
02: Life after being a zombie
03: Wonderless
04: Pretty Bay
05: 30 men on a dead man's grave
06: Puppets on a strang
07: Pfirsicheisen
08: The laughing moon
09: Sirens from hell
10: Galerie der Fälschungen
11: The undersea world of Jacques Cousteau
12: Hyperactive cracker
13: Bohemian life
14: Fiesta
15: Master of demona
16: Euphoria
17: Beat me up!
18: Johnny the liar

19: Mary Rose (Z)
20: Love on sale (Z)
21: Get terminated (Z)

22: And then she kissed her (Z)

23: Molly's lips (The Vaselines Cover) (Z)



2 Kommentare :

magalute hat gesagt…

Vielen Dank für den schönen Konzertbericht.
Ich bin morgen in Dresden und freue mich sehr.
Magalute

Anonym hat gesagt…

Ich habe sie damals Oktober 2011 im KFZ/Marburg gesehen! Der Laden ist für Konzerte dieser Grösse besser geeignet. Die Stimmung war sehr gut. Gute bis sehr gute Liveshow. Er spielte aber nicht alle Stücke aus den beiden Alben, dafür aber noch mehr "Hits" wie Container Love, Kill your Idols..Coole Rampensau der Phillip ;-)

 

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