Samstag, 8. August 2009

Dear Reader, Berlin, 07.08.09


Konzert: Dear Reader
Ort: Flughafen Tempelhof (Berlin Festival)
Datum: 07.08.2009
Zuschauer: erstaunlich gut gefüllter Hangar für die frühe Uhrzeit
Dauer: 38 min


"Berlin Festival im Flughafen Tempelhof" hörte sich erst einmal nach einer verflucht hippen Elektro-Veranstaltung an, viel zu hip also für Ü30-Nichthauptstädter (Ü20 eher...). Allerdings ließ das Lineup ganz andere Schlüsse zu... Saint Etienne, Dear Reader, The Thermals, Pete Doherty und vor allem Jarvis Cocker sind schließlich nicht unbedingt Hipster-Magnete - aber Grund genug, den Vorsatz, mit Haldern nur zu einem Festival zu fahren, Vorsatz sein zu lassen...

Ich hatte keine rechte Vorstellung, wie viele Leute wohl zu einem Innenstadt-Festival kommen würden (vor allem bei so starker Konkurrenz!). Die Veranstalter sahen offenbar auch die Gefahr, daß eine solche Veranstaltung in Berlin untergehen könnte, und hatten eifrig plakatiert. Neben allgegenwärtigen Körperwelten-Werbebannern, klebten an jeder Ecke Plakate für das Festival - quasi als Anti-Flop-Versicherung.

Der Flughafen Tempelhof ist eine Institution mit der für Berlin typischen sehr wechselhaften Geschichte. Ursprünglich in den 20er Jahren gebaut, dann
monumental von den Nazis ausgebaut, steht der Flughafen seit Kriegsende vor allem für die Luftbrücke und die Versorgung der isolierten Stadt mit Lebensmitteln. Seit Ende Oktober 2008 gibt es keinen Flugverkehr mehr von und nach Tempelhof und der Flughafen öffnet sich (zwangsweise) alternativen Verwendungen. So fand im Juli hier die Modemesse Bread & Butter statt und jetzt eben das Berlin Festival.

Ich hatte gehofft, daß möglichst vieles vom alten Flughafen ins Konzept des Festivals
integriert werden würde und war daher schnell angetan, daß die Ticket- und Presseschalter zum Beispiel an den Check-Ins der großen Abfertigungshalle waren, alle Schilder (Bundesrepublik Deutschland, Gepäckband...) noch vorhanden waren, es also echtes Flughafen Feeling gab und nicht bloß ein Festival, das zufällig auf einem stillgelegten Irgendwas stattfindet.

So waren dann auch die beiden großen Bühnen perfekt positioniert: die kleinere auf einer Flugzeug-Parkposition, die große in einem gigantischen Hangar, in dem es
sogar noch ein wenig nach Kerosin roch (ist natürlich Blödsinn, ich bildete mir das aber mehrfach ein).

Und in diesem Hangar, in dem das Kölner Palladium ganz locker Platz gefunden hätte, fand dann auch das erste Konzert statt, das ich sehen wollte: meine südafrikanischen Lieblinge Dear Reader.

Mein erster Festival-Tag begann aber mit ein wenig Crystal Antlers. Die Musik der kalifornischen Band gefiel mir sehr gut, nur mit der
Stimme von Sänger Johnny Bell konnte ich so gar nichts anfangen. Doof, denn das hätte etwas für mich sein können.

Um 19 Uhr war die Halle zwar weit davon entfernt, voll zu sein, vorne war sie aber schon recht gut gefüllt. Ich kann (wie ich schon einige Male bewiesen habe,
Zuschauerzahlen nicht schätzen, im Vergleich zu vollen Kölner Clubs, schienen mir aber doch vermutlich 1.000 Leute da zu sein - auf dieses Mega-Gebäude verteilt).

Dear Reader machten den kurzen Soundcheck selbst und waren dabei zu viert. Die Streicherin, die ich beim Gebäude-9 Konzert schon gesehen hatte, die aber zumindest da noch nicht zur Band gehörte, verstärkte Cherilyn, Darryl und Michael. Die Bratschenparts spielen besonders live eine wichtige Rolle, daher scheint die Band sich immer zu bemühen, zumindest eine Gast-Bratschistin dabei zu haben.

Sängerin und Frontfrau Cherilyn trug ein afrikanisch gemustertes Kleid (mit Albino-Leoparden Muster) und begann zunächst am Keyboard. Startlied war wie bisher immer Never goes, das schon ganz gut den musikalischen Charme der Band herausstellt und mit einem ganz wunderbaren Bratsche-Keyboard-Duett beginnt, bevor es nach der ersten Strophe deutlich lauter
wird. Tolles Songwriting von Cherilyn und Arrangements von Grammy-Gewinner Darryl lassen wirklich schnell nachvollziehen, warum Menomena Kopf Brent Knopf und City Slang Chef Christof Ellinghaus hin und weg waren, als sie Dear Reader erstmals hörten.

Auch die nächsten Stücke waren alles liebgewonnene Bekannte, Dearheart, Bend (immer noch eines der Lieder des Jahres!) und Way of the world, bevor mit Heavy das erste nicht-Album Stück folgte. Heavy hatten Dear Reader in Köln schon als Zugabe gespielt, daß das Stück jetzt Teil eines (kurzen) Festival-Sets ist, spricht für die Bedeutung des Titels für die Band.

Das wundervolle Great white bear (wie passend in Berlin!) mit der niedlichen Hintergrundgeschichte (die wir hier schon ein paarmal erzählt haben) zeigte für mich erstmals die Grenzen der Halle auf. Auch wenn Dear Reader folk-popig sind, werden die Johannesburger auch gerne einmal laut. Die lauten Stellen des Lieds waren aber leider übersteuert und versauten das Stück ein wenig. Ein kleiner Dämpfer, ein
klitzekleiner. Im Freien in Haldern kommende Woche wird das sicher deutlich besser funktionieren.

Release me kündigte die Sängerin als letztes Lied an. Von ihrer Bratschistin kam dann aber der Hinweis, daß sie noch Zeit hätten. "Andere Bands überziehen, wir spielen zu kurz", lachte die nette Südafrikanerin und stimmte Release me dann eben als vorletztes Stück an. Aber auch der Abschluß muß eigentlich so geplant gewesen sein, denn da coverten Dear Reader sich selbst bzw. Darryl und Cherilyns erste Band Harris Tweed! Klasse!

Der große Hangar ist sicher nicht die letzte akustische Weisheit. In der Regel
empfand ich den Sound beim Festival in der Halle aber nicht als schlimm. Es ist nun mal ein Festival mit all den Einschränkungen bei Soundchecks und Abmischungen. Natürlich waren die Eisbär-Soundprobleme doof, aber auch kein Beinbruch. Dear Reader sind sicher eine Band, die Drinnen besser funktioniert als auf Festivals (auch wenn das Innen war... egal...). Und die Atmosphäre des Hangars war sicher nicht gemacht für solch ruhige Musik; es ist eine Remmidemmi-Halle. Trotzdem sind Dear Reader auch eine Festivalband und werden in Haldern ganz sicher einer der Stars werden, trotz des herausragenden Programms!

Setlist Dear Reader, Berlin Festival, Flughafen Tempelhof:

01: Never goes
02: Dearheart
03: Bend
04: Way of the world
05: Heavy
06: Great white bear
07: Release me
08: Better than this (Harris Tweed "Cover")

Links:

- Interview mit Dear Reader
- aus unserem Archiv:
- Dear Reader (mit Get Well Soon) in Paris am 06.05.2009
- und in
Nijmegen: 25.04.2009
- Dear Reader im Gebäude 9 in Köln
- und im Museum Ludwig in Köln Anfang Februar
- und in Paris
- mehr Fotos von Dear Reader beim Berlin Festival


2 Kommentare :

Lie In The Sound hat gesagt…

Dear Reader gehören sicher zum Besten, was das insgesamt eher enttäuschenden Line-Up... nur 4000 Zuschauer waren da sicher nicht... noch nicht mal 400 (leider).

Das Dear Reader Konzert war sehr fein und charmant... nur die eher kalte (und fast leere) Halle kein gutes Umfeld für die reizenden Dream Popper...

Ich werd nachher auch noch einen kleinen Bericht verfassen...

Liebe Grüße
Brigitte/

Anonym hat gesagt…

"heavy" ist doch bereits bonus-track zum album bei itunes, also nicht so wirklich neu. dennoch aber toll, klar ;)

 

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