Konzert: Vetiver (Dear Reader, Xavier Plumas)
Ort: la Maroquinerie, Paris
Datum: 19.02.2009
Zuschauer: gute Raumauslastung, aber wahrscheinlich nicht ausverkauft
Konzertdauer: Dear Reader: ca. 35 Minuten, Vetiver gut 60 Minuten
"Eine ganz wundervolle Band, die hoffentlich noch viel mehr gehypt wird!"
So euphorisch schrieb mein Bloggerpartner Christoph, nachdem er kürzlich Dear Reader im Kölner Museum Ludwig gesehen hatte. Seinen Worten kann ich mich nach dem Pariser Konzert allerdings nur bedingt anschließen, denn alles was die Südafrikaner boten, war zwar charmant und schön, allerdings auch ein wenig brav, radiokompatibel und für meine Ohren zu sehr auf Wohlklang getrimmt. Für die Fortsetzung des Hyps müssen dann wohl andere Blogger sorgen, wenngleich ich das sympathische Trio keineswegs schlecht machen möchte. Deren niedliche Sängerin, Pianistin und Akustikgitarristin Cherilyn MacNeil hat nämlich eine wunderbare und markante Stimme und allein deshalb lohnt die Beschäftigung mit Dear Reader. Lediglich die Arrangements waren mir zuweilen zu dramatisch, zu stark auf die Tränendrüse drückend.
Bei einem Stück hatte auch der schlaksige Drummer Michael seinen großen Auftritt ,als er den Anfang von The Same intonierte, bevor er zu seinem Schlagzeug zurückkehrte. Bezüglich der übrigen gespielten Titel verweise ich auf den ausführlichen Bericht von Christoph aus Köln, denn es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß genau die gleichen 8 Lieder Bestandteil des rund 30 minütigen Sets waren, bei dem das Publikum im Schneidersitz den melancholischen Kompositionen der Südafrikaner lauschte.
Auch nachdem Dear Reader mit ihrem Programm durch waren, blieben die Zuschauer noch eine ganze Weile auf dem Boden sitzen. Vielleicht wollten sie eine Lagerfeueratmosphäre schaffen, die im Grunde genommen ja auch ziemlich gut zu der warmen und erdigen Musik von Vetiver, der Hauptgruppe des heutigen Abends, passt. Ich sah mich im Publikum um und erblickte eine bunt durchgemischte Gesellschaft, zum Großteil aus im Schnitt 30- 35 jährigen Franzosen und Amerikanern bestehend. Es ist inzwischen schon ein gewohntes Bild, daß Amis, die in Paris leben und arbeiten, zu Konzerten ihrer Landsleute angetigert kommen. Das Publikum gefiel mir, es schien reif, gebildet, diszipliniert, aufmerksam und in musikalischen Dingen bewandert zu sein. Die Musik einer Band wie Vetiver konsumiert man nicht so einfach wie Fast Food aus den Charts und es bedarf schon einer gewissen Vorbildung durch Beschäftigung mit guten klassischen Folkrock-und Bluesrock-Bands, um das Ganze in vollen Zügen zu genießen. Diesbezüglich verhält es sich ein wenig wie mit gutem Rotwein und erlesenen Speisen. Wer da noch nicht ausreichend gekostet und probiert hat, wird kaum die feinen Unterschiede erkennen und im Zweifel, den süßeren, süffigeren Wein, dem hervorragenden trockenen vorziehen...
Irgendwann waren endlich die Aufbauarbeiten abgeschlossen und es konnte mit Vetiver losgehen. Das Publikum erhob sich. Gut so, Konzerte im Sitzen werden schnell dröge und steif! Sofort mir fiel ein Typ mit langen blonden Haaren unter den Zuschauern auf. Er sah aus wie das Klischeebild eines Hippies und bezeugte seine Zuneigung zu der spielenden Band von Anfang bis Ende mit ausladenden Gesten. Der Kerl war köstlich, ich hatte meine helle Freude daran, seine jeweiligen Reaktionen auf die Lieder zu beobachten! Aber so hippiesk wie man vielleicht meinen könnte, war die Veranstaltung nicht. Schließlich leben wir nicht mehr im Jahre 1968, Woodstock ist lange vorbei und selbst in San Francisco ist Flower Power nur noch ein Schlagwort, um Touristen zu ködern. Daran hat auch das musikalische Revival der letzten Jahre nichts geändert, selbst wenn junge Generationen auch heute wieder anfangen, von mehr Freiheit und einem unangepassten Lebensstil im Einklang mit der Natur zu träumen, anstatt wie in den 80ern und 90ern dem schnellen Geld hinterherzujagen.
Heuzutage sind Konzerte von erdigen Folkbands wie Vetiver erfreulicherweise bunt duchmischt und es gab auch erstaunlich viele Frauen, was beweist, daß Vetiver auch in der Damenwelt gut ankommen. Einer Bekannten von mir gefiel der smarte Bassist gar so gut, daß sie ins Schwärmen geriet. Er war wirklich ein attraktiver Kerl, mit Jacket, geöffnetem Hemd, Blue Jeans und Cowoboystiefeln. Man hätte ihn für einen Filmschauspieler halten können! Mir war die Optik des Bassisten (der auch ab und zu Mundharmonika spielte) allerdings schnuppe, ich interessiert mich mehr für die warme und außergewöhnlich schöne Folkstimme des Sängers und Songschreibers Andy Cabic, der das in Countrykreisen obligatorische karierte Hemd trug. Interessant war auch der Drummer mit seinem windschiefen Hut. Der Bursche spielte nicht nur außergewöhnlich filigran Schlagzeug, sondern agierte auch häufig an einer kleiner Triangel. Neben einem weiteren Herrn an der E-Gitarre gab es schließlich eine blonde Pianistin mit feschem Kurzhaarschnitt, die gleich vor mir spielte. Auffällig war, daß sie sich oft wie eine Katze an dem Instrument dehnte und streckte, anstatt nur starr und steif vor sich hinzuklimpern.
Der Start ins Programm mit Rolling, Sea, Oh Papa und dem Neuling Sister war musikalisch gut, aber ich hatte ein wenig Mühe, mich zu konzentrieren. Die Müdigkeit der letzten Tage steckte mir in den Knochen und auch mein Kopf war kaum aufnahmefähig. Hinzu kam, daß die Musik von Vetiver eine hypnotische, einschläfernde Komponente hat. Ich sage das jetzt nicht abwertend, denn ich kann mir eigentlich kaum Schöneres vorstellen, als Lieder, die mich friedlich in den Schlaf wiegen. Und Maureen vom 2007 er Album To Find Me Gone, welches nun folgte, ist wahrlich ein traumhaft schönes Stück! Aber Vetiver können auch anders, sprich treibender, schneller, härter. You May Be Blue war dafür das beste Beispiel. Ein bluesiger Schocker, der mich endlich in Fahrt brachte! Ich fing an zu tanzen und bewegte mich im Rhthymus der psychdelischen Nummer. Wie in Hypnose wippte ich mit verschlossenen Augen im Takt und stellte fest, daß ich gerade dabei war, eines der besten Lieder der letzten Jahren live zu erleben. Was für ein Knüller! Die Lethargie war wie weggeblasen und von nun an genoß ich das Konzert in vollen Zügen. Everyday (vom Neuling Tight Knit) war so wunderbar sonnig und entspannt, daß ich glatt an 60ies Bands wie die Beatles oder die Beach Boys dachte. Herrlich, genau wie On The Other Side, ebenfalls neu im Programm.
Bis auf eine Ausnahme (Another Reason To Go) stammte das Ende des Sets dann aber schließlich vom Album To Find Me Gone. Ein Werk, welches ich seit längerer Zeit besitze, aber eigentlich viel zu selten gehört habe. Allein I Know No Pardon ist so wundervoll, daß man es am liebsten stundenlang hören würde, während Idle Ties herrlich beschwingt und Laune machend ist.
Verflixt, daß dann schon nach circa. einer Stunde Schluß war, weil der Laden schließen wollte! Eine rockige Zugabe gab es aber trotzdem noch mit auf den Weg und am Ende war nicht nur der langmähnige Hippie im Publikum (der eifrig Kusshände an die Band verteilte) völlig begeistert.
Vetiver werden dieses Jahr den Durchbruch schaffen, da bin ich sicher. Zumindest in den Folk-und Indiekreisen und das reicht ja vollkommen aus, wir wollen ja schließlich nicht jede Band mit jedem teilen!
Setlist Vetiver, La Maroquinerie, Paris, Les Nuits de l'Alligator:
01: Rolling Sea
02: Oh Papa
03: Sister
04: Maureen
05 You may be blue
06: Everyday
07: On The Other Side
08: I Know No Pardon
09: Been so Long
10: Another Reason To Go
11: Idle Ties
- Links:
Hier schwärmt auch Eike vom Klienicum von Vetiver. Unbedingt lesen!
Mehr Fotos von Vetiver.
Mehr Fotos von Dear Reader
Vetiver - You May Be Blue Livevideo, Maureen, ebenfalls live
Dear Reader - Great White Bear live aus dem Kölner Museum Ludwig, Never Goes ebenda
1 Kommentare :
Auch Vetiver ließ der langhaarige Mann nicht unbeeindruckt zurück. In Brüssel erzählten sie, dass in Paris noch vor ihrem Auftritt ein Mann zu ihnen kam und sie fragte, "Ob sie "???" denn auch spielen würden. Das würde sein 6 jähriger Sohn so mögen." Doch die Band verneinte. Sie hätten es nicht einstudiert.
Während des Konzerts, so erzählten sie weiter, stand dann besagte Person direkt vor der Bühne und wünschte sich permanent dieses eine Lied "???"(Titel habe ich leider vergessen).
Dass die Band den Wunsch nicht erfüllen konnte, hat sie so tief getroffen, dass sie extra für Brüssel diesen Song einstudiert haben und ihn dieser unbekannten Person widmen.
Nette Geschichte am Rande eines eher lahmen Vetiver Konzerts.
Ich fühlte mich ständig an dise 80er Jahre Serie "Der Mann in den Bergen" erinnert.
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