Donnerstag, 14. Februar 2008

Syd Matters, Paris, 13.02.08


Konzert: Syd Matters
Ort: Café de la danse, Paris
Datum: 13.02.2008
Zuschauer: restlos ausverkauft, der Saal platzte aus allen Nähten



"Französische Pop-Musik ist wie englischer Wein-scheußlich!"


Diesen wunderbar zynischen Spruch soll angeblich John Lennon mal vom Stapel gelassen haben. Wäre der Ex-Beatle heute noch am Leben, er würde sich wundern! Und zwar nicht über die Qualität des britischen Rebensaftes - die dürfte unverändert miserabel sein - sondern über das Niveau der französischen Pop-Musik. Die Erben von Serge Gainsbourg und Françoise Hardy schlagen sich nämlich sehr beachtlich. Frankreich hat sich in den letzten Jahren still und heimlich zu einer Quelle riesiger musikalischer Talente jeglichen Genres gemausert. Das ist sogar dem britischen NME nicht entgangen und das Sprachrohr englischer Musik hat der neuen französischen Garagenrockszene (die Babyrocker wie man in Anspielung auf ihr jugendliches Alter in Frankreich sagt) 2007 einen ausführlichen Artikel gewidmet. Die Engländer konnten in ihrem Lieblingsmusikmagazin so einiges über Plastiscines, die Shades, die Parisians, Second Sex, etc. erfahren. Und am Ende letzten Jahres geschah sogar Unfassbares: die in London lebende Pariser Band The Teenagers landete in den Jahresend- Top Five des NME und zwar mit ihrer Single "Homecoming"! Dumm gelaufen für die Briten, ihre Auto-Marken Rover und Rolls-Royce gehören schon ausländischen Investoren und jetzt erobern ausgerechnet die "Frogs" (Froschfresser, zärtliche Bezeichnung für Franzosen) ihre Charts!

In diesem Bericht soll es aber nicht um die grünschnäbeligen Babyrocker, oder um die Teenagers, die etwas New Order ähneln und somit eher britisch klingen, sondern um die neue Folk-Pop Szene gehen. Und da ist so einiges los: Über Soko, Cocoon und The Rodeo habe ich ja in diesem Blog schon des Öfteren geschrieben (und vergesst mir nicht Coming Soon!), aber an der Spitze der Szene steht für mich Syd Matters. Wer ist das Syd Matters? Woher kommt der Name? - Nun, zunächst einmal sind Syd Matters eine Band. Eigentlich, denn fast immer verbindet man mit dem Band-Namen den bärtigen Sänger Jonathan Morali, jenen Mann mit der wunderbar sanft-melancholischen Stimme. Zur Gruppe gehören aber auch Remi Alexandre (Gitarre, Keyboard), Olivier Marguerit (Gitarre, Keyboard, Querflöte, Percussions), Jean-Yves Lozach (Bass) und Clement Carle (Schlagzeug). Und der Name Syd Matters bezieht sich auf einen wichtigen Einfluß der Pariser und zwar Syd Barrett, 2006 dahingeschiedenenes Gründungsmitglied von Pink Floyd.

Vor Syd Matters hatte aber zunächst noch H-Burns seinen Auftritt. Den leicht bulligen Sänger, der der Truppe vorstand, hätte ich glatt für einen Amerikaner gehalten. An seiner Musik klebte nämlich heißerster Wüstensand und er hätte auch prima ins Vorprogramm von Calexico oder Giant Sand gepasst. Außerdem hatte er keinerlei Akzent wenn er englisch sang, eine Seltenheit bei französischen Künstlern, die sich an der Sprache Shakespeare's versuchen. Interessanterweise wurde er von Jonatahn Morali himself am Piano begleitet und zusammen spielten sie eine wunderbare Version von "City Talks" (ein Lied vom zweiten Album von Syd Matters). Und Humor hatte der Mann, der schon für Okkervil River, Laura Veirs und Tara Jane O Neil eröffnet hat auch, den Titel "When The Dawn Brakes" kündigte er als ein Lied über Grenoble an. Das Gelächter war groß.

Dann aber endlich Syd Matters. Ein engelsgleicher Chor singt zu spärlicher Gitarrenbegleitung ein kurzes, wunderschönes Intro: "Got me a heartbeat detector", bevor Jonathan Morali miteinsteigt und mit seiner traumhaft ruhigen, aber dennoch festen Stimme "Everything Else" den Opener des neuen Albums intoniert. Die Gitarren und der Chor werden langsam aber sicher lauter, es ist fast wie im Gottesdienst. Jonathan ist der Priester und die Backgroundsänger sind die Messdiener. Ich bin ergriffen ob dieser profunden Schönheit. Sowas passiert nicht auf Knopfdruck, Syd Matters schaffen es aber in kürzester Zeit dieses Gefühl bei mir auszulösen. Monsieur Morali strahlt eine unglaubliche Ruhe und Sanftheit aus, seine Stimme gibt Geborgenheit, ich fühle mich wie in eine warme Decke eingewickelt. Hier bin ich sicher, von allen Widrigkeiten des Alltags abgeschottet. "Ca va?" fragt der bärtige Sänger und Gitarrist und kaum jemand antwortet. Das Publikum schweigt und genießt, läßt sich fallen in diese Wolke luftiger-melancholischer Gitarren, schwelgt zum gefühlvollen Pianospiel und den feierlichen Chören. Die Augen des Mädchens vor mir funkeln in dem gedämmten Licht, das manchmal so schwach ist, daß Jonathan nach etwas mehr "lumiere" für sein Klavier verlangt.

Ein wundervoller Titel nach dem anderen wird höchst liebevoll dargeboten und ich frage mich, welches Lied ich schöner finden soll, den Klassiker "Someday Sometimes" ("I wish I could see you in the dark"), oder den Neuling "Cloudflakes" ( "I'm standing in the schoolyard, waiting for my teacher to come"). Die Frage beschäftigt mich aber nicht sehr lange, denn jedes gerade gespielte Lied ist der jeweils schönste Lovesong den ich mir vorstellen kann. "Louise" beispielsweise ist solch ein kleines Wunderwerk, bei dem man am liebsten seinen Nachbarn umarmen und die warmen Tränen die Wange runterkullern lassen möchte. "There are flowers in bloom around the appletree that I love the most", haucht Jonathan und ich bin kurz davor, salziges Wasser zu produzieren ob dieser zarten Poesie.

Ich könnte jetzt noch Seiten darüber füllen, wie brilliant und bewegend die einzelnen Lieder waren, wie talentiert die Band, die munter die Instrumente untereinander wechselte, wie gefühlvoll Olivier Marguerit die Querflöte spielte etc. Aber selbst mit den blumigsten Worten wäre ich nicht in der Lage, diese wunderbare Atmosphäre im Café de la Danse zu beschreiben.

Dieser Auftritt hatte alles zu bieten, was man sich von einem einzigartigen Konzert- Abend erträumen kann: Liebe, Poesie, Zärtlichkeit, Schönheit, Ergriffenheit, Feierlichkeit, Leidenschaft, menschliche Wärme, Charme, Melancholie, Hoffnung, Humor, Natürlichkeit...

Das Leben kann gut sein.

Schönstes Konzert des Jahres! Atemberaubend intim! Was soll jetzt noch kommen??? Wenn John Lennon das doch bloß noch miterlebt hätte!

Setlist Syd Matters, Café de la danse:

00: Intro Heartbeat Detector
01: Everything Else
02: It's A Nickname
03: Someday Sometimes
04: Cloudflakes
05: End & Start
06: I Was Asleep
07: Louise
08: My Lover's On The Pier
09: Ill Jackson
10: Stone Man
11: Anytime Now!
12: Middle Class Men
13: Heartbeat Detector
14: Me & My Horses

15: Big Moon
16: To All Of You
17: Obstacles

18: Bones

Konzertdauer: 100 Minuten

Mehr Fotos von Syd Matters

Ausgewählte Konzerttermine von Syd Matters: (Hingehen!!!)

14.05.2008: Brüssel (Botanique)
15.05.2008: Gent (Voorut)
03.06.2008: Frankfurt (Nachtleben)
04.06.2008: Köln (Studio 672, Stadtgarten)
05.06.2008: Wien (Wuk)
11.06.2008: La Cigale, Paris



 

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