Konzert: P J Harvey
Ort: Le Grand Rex. Paris
Datum: 16.11.2007
Zuschauer: seit langem ausverkauft trotz der hohen Ticketpreise (52-78€)
Wie sieht der typische P J Harvey Fan aus?
Wenn ich mich so umsehe, trägt der männliche Anhänger der Engländerin gerne mal einen Vollbart, eine Brille und ist ansonsten nicht gerade stylisch. Die weiblichen Anhänger haben meistens auch eine Brille auf der Nasenspitze, wenig trendige Frisuren und biedere Klamotten. Das typische linke Bildungsbürgertum also. Vor mir liest eine Frau die linksintellektuelle Zeitung "Liberation", in der wahrscheinlich steht, daß Sarkozy ein fieser, reaktionärer Präsident sei, der versuche, Reformen auf Teufel komm raus durchzuboxen. Mit Sicherheit stehen die Schreiberlinge 100% hinter dem Streik der öffentlichen Verkehrsbetriebe, der seit Tagen Paris lahmlegt. Mir hingegen geht der verfluchte Streik gewaltig auf den Zeiger! Schon wieder mußte ich in der Kälte 40 Minuten auf ein Taxi warten, 16 € berappen und um die Kosten nicht noch weiter in die Höhe zu treiben, nach dem Konzert eine Stunde zu Fuß nach Hause latschen. Dabei war die Konzertkarte schon alles andere als billig, 52 € mußte ich für den billigsten Platz ganz oben in diesem kinoartigen Saal hinblättern. Die Leute, die unten standen, haben gar 78 € bezahlt.
Aber genug gemeckert, schließlich fordert ja Madonna (von Barbara Streisand mit ihren 500 Euro-Karten möchte ich gar nicht reden) erheblich mehr und hat nicht halb so viel auf dem Kasten wie Polly Jean. Die Bobos (bohêmes-bourgeois) hatten also schon Recht, zu Fräulein Harvey zu strömen. Ohne durch eine Vorgruppe belästigt worden zu sein, konnte die One-Woman Show pünktlich um 21 Uhr beginnen.
PJ Harvey erscheint unter tosendem Beifall ihrer Jünger im Rampenlicht und trägt ein langes Kleid, das der "Belle Epoque" entsprungen sein könnte. In ihrer englischen Heimat würde man spät viktorianisch sagen (um 1890). Die sehr hagere Frau wirkt sehr elegant darin, hat allerdings später Probleme, sich mit der Robe gemütlich hinzusetzen. "Damals waren die Leute viel stilvoller gekleidet, aber ein bißchen unpraktisch ist es schon", scherzt die Engländerin dann auch treffenderweise. Auch mit ihrer Steckfrisur hat sie es gegen Ende nicht so leicht, bekommt aber helfende Hände von ihrer Crew gereicht. Ihr englisch ist ganz wundervoll, sie hat eine klare, fast aristokratisch klingende Aussprache und wirkt auch ansonsten sehr lady-like. Wenn sie sich aber die elektrische Gitarre umschnallt, wird sie plötzlich zur Punk-Röhre, die auch mal laut und vulgär werden kann. So geschehen bei den ersten beiden alten Titeln "To Bring You My Love" und "Send His Love To Me", bei denen der Verstärker voll aufgedreht zu sein scheint. Es dröhnt richtiggehend in dem pseudo-romanischen Theater. Danach dann aber liebliche Piano-Klänge, die die Wandlungsfähigkeit der erstaunlichen Frau unterstreicht. Polly Jean intoniert Stücke ihres neuen Albums "White Chalk", welches ungewohnterweise ohne Gitarren auskommt. Frau Harvey betritt damit Neuland und das tut dem Set nur gut. Es wird hierdurch sehr abwechslungsreich und vielfältig, schließlich muß ein wenig kompensiert werden, daß keine Band mit dabei ist. Die Engländerin ist ganz alleine gekommen und scherzt an einer Stelle auch über ihren Drumcomputer und ihr Keyboard, das sie dabei hat. "I brought my own disco, it's much cheaper!"...
Auch als es um die Ankündigung des Liedes "Nina In Extasy" geht, wird sie redseelig. "Interessant, dieses Stück war zunächst nur eine B-Seite, aber ich habe es sehr lieben gelernt mit der Zeit und spiele es inzwischen sehr gerne. Bezüglich des Songs "Shame" äußert sie sich ähnlich. Normal, Lieder müßen wachsen, sich verändern, da geht es dem Künstler anscheinend nicht anders als dem Hörer. Das unglaublich punkige "Snake" hat mir allerdings schon immer gefallen. PJ Harvey keift, stönt, seufzt hierzu, daß es eine wahre Freude ist. Und das softere "Big Exit" scheint ohnehin jedem im Publikum zu gefallen, es wird mit Begeisterung aufgenommen. Nachdem "Down By The Water" verklungen ist, verläßt die Künsterlin zum ersten Mal die Bühne. Sie hat bis zu diesem Zeitpunkt erst gut eine Stunde gespielt. Etwas kurz für meinen Geschmack, die Smashing Pumpkins haben vor ein paar Monaten im Rahmen ihrer Reunion-Tour an gleicher Stelle 3 (!) Stunden gerockt. Zum Glück geht es aber etwas später weiter. Schließlich fehlten ja auch noch etliche Lieder des neuen Albums. Die kommen jetzt aber gleich reihenweise und gehören zum Schönsten, was ich seit langem gehört habe. "Grow, Grow, Grow" ist schon bezaubernd, aber "The Mountain" geht noch mehr unter die Haut. Wenn sie von dem fliegenden Adler singt, bin ich gedanklich auf einer Zeitreise zurück ins Jahr 2005 und stelle mir den imposanten Greifvogel auf seinem Flug durch den Bryce Canon vor. Traumhaft! Nach sieben Zugaben verabschiedet sich die Musikerin mit herzlichen Dankesworten von den Fans und berichtet: "it was a pleasure for me to play for you tonight". Für mich war es auch ein Vergnügen, obwohl meine Zunge festgeklebt zu sein scheint, ich habe seit Stunden nichts getrunken.
Der anschließende Applaus will nicht abreißen und das Publikum schafft es tatsächlich Polly Jean für "Horses In My Dreams" "zurückzuklatschen". Welch grandiose Musikerin!
Setlist PJ Harvey, Le Grand Rex, Paris:
01: To Bring You My Love
02: Send His Love To Me
03: When Under Ether
04: The Devil
05: White Chalk
06: Man Size
07: Angelene
08: My Beautiful Leah
09: Nina In Extasy
10: Electric Light
11: Shame
12: Snake
13: Big Exit
14: Down By The Water
15: Rid Of Me (Z)
16: Water (Z)
17: The Desperate Kingdom Of Love (Z)
18: Grow, Grow, Grow (Z)
19: The Mountain (Z)
20: Silence (Z)
21:?
22: Horses In My Dreams (2. Zugabe)
Ort: Le Grand Rex. Paris
Datum: 16.11.2007
Zuschauer: seit langem ausverkauft trotz der hohen Ticketpreise (52-78€)
Wie sieht der typische P J Harvey Fan aus?
Wenn ich mich so umsehe, trägt der männliche Anhänger der Engländerin gerne mal einen Vollbart, eine Brille und ist ansonsten nicht gerade stylisch. Die weiblichen Anhänger haben meistens auch eine Brille auf der Nasenspitze, wenig trendige Frisuren und biedere Klamotten. Das typische linke Bildungsbürgertum also. Vor mir liest eine Frau die linksintellektuelle Zeitung "Liberation", in der wahrscheinlich steht, daß Sarkozy ein fieser, reaktionärer Präsident sei, der versuche, Reformen auf Teufel komm raus durchzuboxen. Mit Sicherheit stehen die Schreiberlinge 100% hinter dem Streik der öffentlichen Verkehrsbetriebe, der seit Tagen Paris lahmlegt. Mir hingegen geht der verfluchte Streik gewaltig auf den Zeiger! Schon wieder mußte ich in der Kälte 40 Minuten auf ein Taxi warten, 16 € berappen und um die Kosten nicht noch weiter in die Höhe zu treiben, nach dem Konzert eine Stunde zu Fuß nach Hause latschen. Dabei war die Konzertkarte schon alles andere als billig, 52 € mußte ich für den billigsten Platz ganz oben in diesem kinoartigen Saal hinblättern. Die Leute, die unten standen, haben gar 78 € bezahlt.
Aber genug gemeckert, schließlich fordert ja Madonna (von Barbara Streisand mit ihren 500 Euro-Karten möchte ich gar nicht reden) erheblich mehr und hat nicht halb so viel auf dem Kasten wie Polly Jean. Die Bobos (bohêmes-bourgeois) hatten also schon Recht, zu Fräulein Harvey zu strömen. Ohne durch eine Vorgruppe belästigt worden zu sein, konnte die One-Woman Show pünktlich um 21 Uhr beginnen.
PJ Harvey erscheint unter tosendem Beifall ihrer Jünger im Rampenlicht und trägt ein langes Kleid, das der "Belle Epoque" entsprungen sein könnte. In ihrer englischen Heimat würde man spät viktorianisch sagen (um 1890). Die sehr hagere Frau wirkt sehr elegant darin, hat allerdings später Probleme, sich mit der Robe gemütlich hinzusetzen. "Damals waren die Leute viel stilvoller gekleidet, aber ein bißchen unpraktisch ist es schon", scherzt die Engländerin dann auch treffenderweise. Auch mit ihrer Steckfrisur hat sie es gegen Ende nicht so leicht, bekommt aber helfende Hände von ihrer Crew gereicht. Ihr englisch ist ganz wundervoll, sie hat eine klare, fast aristokratisch klingende Aussprache und wirkt auch ansonsten sehr lady-like. Wenn sie sich aber die elektrische Gitarre umschnallt, wird sie plötzlich zur Punk-Röhre, die auch mal laut und vulgär werden kann. So geschehen bei den ersten beiden alten Titeln "To Bring You My Love" und "Send His Love To Me", bei denen der Verstärker voll aufgedreht zu sein scheint. Es dröhnt richtiggehend in dem pseudo-romanischen Theater. Danach dann aber liebliche Piano-Klänge, die die Wandlungsfähigkeit der erstaunlichen Frau unterstreicht. Polly Jean intoniert Stücke ihres neuen Albums "White Chalk", welches ungewohnterweise ohne Gitarren auskommt. Frau Harvey betritt damit Neuland und das tut dem Set nur gut. Es wird hierdurch sehr abwechslungsreich und vielfältig, schließlich muß ein wenig kompensiert werden, daß keine Band mit dabei ist. Die Engländerin ist ganz alleine gekommen und scherzt an einer Stelle auch über ihren Drumcomputer und ihr Keyboard, das sie dabei hat. "I brought my own disco, it's much cheaper!"...
Auch als es um die Ankündigung des Liedes "Nina In Extasy" geht, wird sie redseelig. "Interessant, dieses Stück war zunächst nur eine B-Seite, aber ich habe es sehr lieben gelernt mit der Zeit und spiele es inzwischen sehr gerne. Bezüglich des Songs "Shame" äußert sie sich ähnlich. Normal, Lieder müßen wachsen, sich verändern, da geht es dem Künstler anscheinend nicht anders als dem Hörer. Das unglaublich punkige "Snake" hat mir allerdings schon immer gefallen. PJ Harvey keift, stönt, seufzt hierzu, daß es eine wahre Freude ist. Und das softere "Big Exit" scheint ohnehin jedem im Publikum zu gefallen, es wird mit Begeisterung aufgenommen. Nachdem "Down By The Water" verklungen ist, verläßt die Künsterlin zum ersten Mal die Bühne. Sie hat bis zu diesem Zeitpunkt erst gut eine Stunde gespielt. Etwas kurz für meinen Geschmack, die Smashing Pumpkins haben vor ein paar Monaten im Rahmen ihrer Reunion-Tour an gleicher Stelle 3 (!) Stunden gerockt. Zum Glück geht es aber etwas später weiter. Schließlich fehlten ja auch noch etliche Lieder des neuen Albums. Die kommen jetzt aber gleich reihenweise und gehören zum Schönsten, was ich seit langem gehört habe. "Grow, Grow, Grow" ist schon bezaubernd, aber "The Mountain" geht noch mehr unter die Haut. Wenn sie von dem fliegenden Adler singt, bin ich gedanklich auf einer Zeitreise zurück ins Jahr 2005 und stelle mir den imposanten Greifvogel auf seinem Flug durch den Bryce Canon vor. Traumhaft! Nach sieben Zugaben verabschiedet sich die Musikerin mit herzlichen Dankesworten von den Fans und berichtet: "it was a pleasure for me to play for you tonight". Für mich war es auch ein Vergnügen, obwohl meine Zunge festgeklebt zu sein scheint, ich habe seit Stunden nichts getrunken.
Der anschließende Applaus will nicht abreißen und das Publikum schafft es tatsächlich Polly Jean für "Horses In My Dreams" "zurückzuklatschen". Welch grandiose Musikerin!
Setlist PJ Harvey, Le Grand Rex, Paris:
01: To Bring You My Love
02: Send His Love To Me
03: When Under Ether
04: The Devil
05: White Chalk
06: Man Size
07: Angelene
08: My Beautiful Leah
09: Nina In Extasy
10: Electric Light
11: Shame
12: Snake
13: Big Exit
14: Down By The Water
15: Rid Of Me (Z)
16: Water (Z)
17: The Desperate Kingdom Of Love (Z)
18: Grow, Grow, Grow (Z)
19: The Mountain (Z)
20: Silence (Z)
21:?
22: Horses In My Dreams (2. Zugabe)
5 Kommentare :
Die ersten Sätze des Artikels dienen lediglich der Einleitung und Erheiterung, nicht, daß hier behauptet wird, es ginge in dem Bericht nur um Äußerlichkeiten. Wie die Leute aussehen, die zu Konzerten gehen, ist mir nämlich im Grunde genommen so etwas von egal.
Es handelt sich sozusagen um Äußerungen im Rahmen einer kleinen Sozialstudie, die man bei jedem Konzert anstellen kann.
ich finde solche beobachtungen spannend, zumal sich das konzert-geh-verhalten meines erachtens stark verändert hat, nämlich vom konzentrierten vergnügen zum "entertain me-eventcharakter".
Da ist was dran werter Eike.
"Entertain me-eventcharakter" ist ein treffender Ausdruck.
Bei PJ Harvey schien mir das Publikum aber sehr fachkundig, konzentriert und aufmerksam.Das war sehr angenehm.
das schloss ich auch aus deiner vorhergehenden charakterisierung. so war ableitung möglich, auch wenn sie auf vorurteilen basierte. aber bildungsbürgertum kann sich eben benehmen!
Natürlich basierte die Beschreibung auf Vorurteilen, gewolltermaßen. Das war eine bewußt klischeehafte Beschreibung, die ironisch und nicht wertend gemeint war. Ich beschreibe mich übrigens auch selbst ein wenig damit, auch wenn ich keinen Vollbart trage :-)
Im Übrigen war das Publikum bunt gemischt und es waren auch Leute jenseits der 50 da. PJ Harvey hat fabelhafte Fans!
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