Konzert: Árstíðir mit support The Anatomy of Frank (solo)
Ort: Kulturzentrum Dieselstrasse in Esslingen
Datum: 23. April 2016
Dauer: 45 min + 80 min
Zuschauer: etwa 200
Wenn man auf die Archivdaten unten schaut, könnte der Eindruck entstehen, wir hätten alle zwei Jahre im April ein Verabredung mit Árstíðir. In Wirklichkeit ist mein Bedürfnis nach so innigen Konzerterlebnissen viel größer, aber wir haben eine Geschichte darin, uns zu verpassen (*). Auch diesmal war die Planung weniger optimal, als die geographische Nähe zwischen Karlsruhe und Esslingen vermuten lassen würde, denn ist die Zug-Verbindung zwischen Karlsruhe und Stuttgart schon tagsüber mehr eine Lachnummer, so wird es nach 22 Uhr komplett traurig und um das Elend voll zu machen, endeten wegen Bauarbeiten auch noch die späten Züge aus Stuttgart in Pforzheim.
Ich hatte fieberhaft bis zum letzten Moment nach Alternativen gesucht, musste aber mit der Variante leben, erst gegen 3 Uhr nachts aus Esslingen zurück zu sein - mit 6 km Nacht-Radtour als Finale (+). Was für sich genommen noch ginge - zumal an einem Samstag - erschien mir aber im Kontext meines viertägigen Konzert-Marathons eher wie ein Schuß ins Knie. Trotzdem gab es keine Ausweichmöglichkeit und ich machte mich also etwas fatalistisch auf den Weg nach Esslingen. Was in Anbetracht der Tatsache, dass ich mir von dem Abend eines der Konzerthighlights des Jahres versprach, schon irgendwie schräg war.
Aber alles ging gut und ich habe es auch besser weggesteckt als gedacht. Im Nachhinein kann ich mir nur selbst sagen - Ja, es wäre komplett bescheuert gewesen, nicht zu fahren (selbst wenn ich danach ganz im Eimer gewesen wäre). Denn es war einfach wunderbar: Ein einladender Konzert-Ort, nette Leute angetroffen, aufmerksames Publikum, bestens aufgelegte Künster, herrliche Zusammenarbeit zwischen beiden Bands und natürlich diese himmlische Musik aus Island, die live einfach noch einmal in der Intensität quadriert wird. Definitiv ein Highlight des laufenden Jahres. Ja!
Dabei ist es schon ein bisschen lustig, was für einen Narren die gestandenen Isländer an Kyle Woolard aus Charlottesville gefressen haben - dem Kopf der Band The anatomy of Frank. Schon im letzten Jahr, als Kyle bei uns im Wohnzimmer Station gemacht hatte, war er anschließend in Österreich mit Árstíðir unterwegs gewesen und anscheinend hat es ihnen so gut miteinander gefallen, dass es dieses Jahr eine Neuauflage gab. Wenn ich bei meinem Bild der Weihnachtsfeiertage bleiben will, war das tatsächlich der zweite Weihnachtstag mit dem Chor-Hochamt und Kyle machte den Kindergottesdienst zum Boxing day. Er begann sein Konzert mit dem Spruch: Welcome to English lesson. Wobei wahrscheinlich Erdkunde die zutreffendere Beschreibung gewesen wäre, denn mit seiner Setlist ging es einmal quer durch Amerika.
Die Konzerte mit Kyle sind immer wirkliche Erlebnisse. Das liegt einerseits an seiner authentischen Art, zweitens daran, wie er die akustische Gitarre einsetzt und dabei wie ein Rocker tanzt, aber auch daran, dass er der geborene Entertainer ist. Auch diesmal erhielten wir zwischen den Songs z.B. Ratschläge für mehr Selbstvertrauen und Zaubertricks, die natürlich herzliche Lacher ernteten. Aber auch die richtige Dosis Mitsing- und Mitwipp-Nummern. Als Reaktion auf die Peinlichkeit, im gleichen Land wie Trump leben zu müssen, verkaufte er Elvis als großen US-amerikanischen Singer/Songwriter und bot uns eine köstliche Version von Only fools rush in. Das allein wäre schon eine wirklich lohnende dreiviertel Stunde gewesen.
Aber im Set gab es überdies zweimal Unterstützung durch Árstíðir, nämlich bei Minnesota (Karl mit seiner Geige wurde angesagt und die anderen schlichen sich später dazu) und bei Occupy Anchorage in voller Besetzung. Und das ist natürlich weder selbstverständlich noch ließ es das Publikum kalt. Die Lieder durften so ganz besonders funkeln und glänzen und als wir dann im Finale bei Vancouver sogar zweistimmig Mitsingen durften, da groovte der Saal ordentlich und Kyle hatte alle da, wo er sie haben wollte: zu seinen Füßen!
Setlist:
01: Blurry
02: Minnesota pt. 1
03: Patagonia
04: Ecuador
05: Only fools rush in (Elvis Cover)
06: Occupy Anchorage
07: Vancouver (for child astronauts)
In der Pause zeigte sich, dass Kyle tatsächlich ordentlich gepunktet hatte weil sich eine Schlange am Merchstand bildete. Jede/r erhielt obendrauf noch ein Lächeln, das die Sonne im Raum aufgehen ließ. So musste ordentlich geläutet werden, damit sich alle für die Band des Abends wieder im Saal einfanden. Diesmal waren die Isländer zu fünft auf der Bühne, nämlich mit Guillaume Lagraviere als Gast am Cello und den vier aktuellen Bandmitgliedern
Karl Aldinsteinn Pestka (Violine),
Daniel Auðunsson (Gitarre),
Ragnar Ólafsson (Piano) und
Gunnar Már Jakobsson (Gitarre).
Für den Abend hatten sie als Anfang die ersten drei Songs des aktuellen Albums Hvel gewählt und so startete es mit Düsternis und dem Cello fast etwas bedrohlich bis schließlich die tröstlichen Stimmen darüber das erste Mal DEN Trumpf der Musik von Árstíðir ausspielten. Das zweite Lied setzte dann rhythmische Akzente, war dabei aber doch auch eher sehnsuchtvoll und endete mit einem himmelwärts gerichteten Abschluß der Geigenstimme. Das dritte - Someone who cares - lebte für mich wieder sehr stark vom Satzgesang also dem "typischen" Árstíðir-Kosmos, war damit aber trotzdem sehr eindrücklich. Die Band hatte vor Esslingen zwei Tage ohne Konzerte geplant gehabt und sich kurzfristig am Donnerstag für ein Trio-Konzert im Galao in Stuttgart entschieden. Sie erzählten, dass sie vorher Stuttgart eigentlich eher doof fanden, aber dieser Abend ihr Bild der Stadt deutlich verändert hätte.
Bei dem sehr innigen Við dagsins hnig merkte ich wieder, wie ich doch immer noch das zweite Album der Isländer besonders nah am Herzen trage. Wobei das wohl eher daran liegt, das unsere Bekanntschaft so begann und ich die Lieder alle im Schlaf mitsingen könnte. Mir fiel diesmal auf, dass sich die eher knappen Ansagen zu den Songs auf alle vier Musiker verteilten. Karl erzählte uns z.B. etwas verschmitzt davon, was sie für einen Spaß gehabt hätten an der Musik für das Videospiel The Banner Saga 2 beteiligt zu sein (z.B. Our steps, to the night) bevor er Days and nights anstimmte.
Auch Nú gleymist ég ist vom zweiten Album und begeistert mich immer neu schon mit dem plinkernden Klavierintro. Aber der intensivste Moment war vielleicht (wieder) der Song Shine vom aktuellen Album, der mir auch schon in Gera Ganzkörper-Gänsehaut verursacht hatte. Man hört die Weite des Weltraums und die Einsamkeit und die Entschlossenheit, sich davon nicht entmutigen zu lassen. Ein ergreifender Moment ohne Eiapopeia.
Der neuste Tonträger der Band - eine Zusammenarbeit mit der ehemaligen The Gathering Sängerin Anneke van Giersbergen - ist Verloren Verleden. Die Mischung der Platte ließ es zu, auch einen streunenden acapella Song von Árstíðir aufzunehmen: Þér ég unni verfehlte seine Wirkung auf das Publikum und auf mich natürlich nicht und war ein weiterer emotionaler Hochpunkt. Dabei ist ja mein heimliches Lieblingslied nach wie vor Ljoð í sand und hier liefen mir dann wirklich die Tränen, als Kyle den Gesangspart übernehmen durfte und dies bravourös erledigte. Die Vorgeschichte dazu ist nicht so nett, denn als die Band letzten Herbst eine Tour in den USA gebucht hatten (auch mit Kyles Band im Vorprogramm), saßen sie in Kanada fest, denn die US-Behörden waren von einer Hacker-Attacke für lange Zeit lahm gelegt und konnten die Visa nicht rechtzeitig ausstellen. Damals hatten Karl (der ein Arbeitsvisum für die USA hatte) und Kyle ein Notprogramm eingeübt.
Ein großartiges Finale war Shades mit dem Streichergewitter, das auch sichtbare Spuren an Karls Bogen hinterließ. Ein echter Knaller als Schlußpunkt. Natürlich wurde anschließend um Zugaben geklatscht und es gab noch ein herrliches Lied vom ersten Album - Ages - und anschließend im Publikum eine weitere acapella Performance. Mit übervollen Herzen verließen alle den Saal und werden noch lange von diesem bewegenden Abend erzählen.
Setlist:
01: Himinhvel
02: Things you said
03: Someone who cares
04: Moonlight
05: Við dagsins hnig
06: Shine
07: Ljoð í sand (feat. Kyle)
08: Á meðan jörðin sjefur
09: Þér ég unni
10: Nú gleymist ég
11: Silfurskin
12: Systir
13: You again
14: Shades
15: Ages (Z)
17: Góda veslu göra skal (Z)
(*) Es gibt Leute in Deutschland, die machen das irgendwie besser...
(+) Also etwa 3 1/2 Std. für 80 km... Wohlgemerkt - das Problem ist nicht die Anbindung von Esslingen (wo selbst gegen Mitternacht noch im 10 min Takt S-Bahnen in die Stadt und zusätzlich RB/RE-Züge zum Hbf alle 15-20 min fuhren), sondern die Verbindung der Landeshauptstadt zur zweitgrößten Stadt des Landes BaWü.
Aus unserem Archiv:
The anatomy of Frank, Karlsruhe, 12.03.15
Árstíðir, Gera, 25.04.14
Árstíðir, Berlin, 08.04.12
Tourdaten:
15.04. Christuskirche, Hagen
16.04. Alte Brauerei e.V., Annaberg-Buchholz
17.04. Feierwerk, München
18.04. Dreikönigskirche, Dresden
19.04. Colos-Saal, Aschaffenburg
20.04. Cafe Mokka, Thun
22.04. Cafe Galao, Stuttgart
23.04. Dieselstraße, Esslingen
24.04. E-Werk e.V., Erlangen
26.04. Auster-Club, Berlin
27.04. Savoy-Kino, Bordesholm
28.04. Folkbaltica @ Auferstehungskirche, Kappeln
29.04. Folkbaltica @ St. Jürgen Kirche, Flensburg
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